Die „Zahnärztlichen Mitteilungen“ titelten in ihrer Ausgabe vom 1. März 2024 „Die Versorgungslage spitzt sich zu“.[1] Eine Landesregierung reagiert auf diesen Versorgungsmangel mit möglichen gesetzlichen Regelungen zur Wiedereinführung der Zulassungsbeschränkungen.[2] Die zuständige KZV und der Freie Verband Deutscher Zahnärzte lehnen diesen Vorschlag ab.[3]
Eine Entwicklung, die durchaus absehbar war. Dabei ist Demographie doch so einfach, wenn man ausreichend Daten über das Alter, den Ort der Niederlassung und das Geschlecht der behandelnd tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte besitzt. Da niedergelassenen Zahnärzte in der Regel sehr ortsständig und da auch der Berufszugang sowie die berufliche Sozialisationsentwicklung gut dokumentiert sind, wären Prognosen sehr frühzeitig möglich gewesen.[4] Bereits 2012 hat die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) in einem Memorandum zur zukünftigen Herausforderung durch die demographischen Entwicklungen auf mögliche zukünftige Unterversorgung aufmerksam gemacht. Die KZBV hat dem damals widersprochen und auf die damaligen, noch stabilen Versorgungsverhältnisse verwiesen.
Deutliche Veränderungen im Berufsstand
Mit Aufhebung der Zulassungsbeschränkung im Jahr 2007 wurde gleichzeitig durch den Gesetzgeber die Anstellung von Zahnärztinnen und Zahnärzten erleichtert. Seit diesem Zeitpunkt gibt es 23-mal so viel angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte und mittlerweile nimmt diese Gruppe fast ein Drittel der Zahnärzteschaft ein.[2] Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Gleichzeitig findet nur jede zweite Zahnarztpraxis einen Nachfolger – Tendenz fallend.
Angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte in der Selbstverwaltung selten
In den Gremien der Selbstverwaltung hingegen kommen trotz dieser Entwicklung die angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte nicht vor. Es wird also weiter über die Zukunft der Zahnmedizin und ihre Strukturen ohne Beteiligung dieser großen Gruppe entschieden. Kein Wunder also, dass man sich nicht mit Strukturen, die Anstellung ermöglichen, tiefer auseinandersetzt. Niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte, zumal sie im ländlichen Raum zunehmend fehlen, werden dies nicht ausreichend übernehmen können.
Strukturen für Anstellung notwendig
Auf die Bindung von Zahnärztinnen und Zahnärzten an den ländlichen Raum bereits im Studium durch Landzahnarztquoten, gezielte Stipendien und Tutorenprogramme zu setzen, ist langfristig sicherlich eine sinnvolle Maßnahme. Aber: Leider ist dann die „Boomer-Generation“ der Zahnärzteschaft trotz ihres über den möglichen Ruhestand hinausgehenden Engagements für ihre Patienten und ihre Praxisteams nicht mehr im Beruf tätig. Wer soll also die Vorbereitungsassistentinnen und -assistenten oder die angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte im ländlichen Raum beschäftigen?
Ohne MVZ im ländlichen Raum wird es kaum gehen
Kritik an den sogenannten Investoren-MVZ (iMVZ) ist sinnvoll und notwendig, aber ohne MVZ oder Gesundheitszentren in möglicher Trägerkombination vor allem im ländlichen Raum wird es kaum gehen. Eigeneinrichtungen der zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung, zumal noch aus den Mitteln, die der zahnärztlichen Behandlung unserer Patienten dienen sollten, können wohl kaum die Lösung des Versorgungsproblems darstellen. Es ist Zeit für einen Sinneswandel. Weitergedacht können diese Konstrukte Zahnärztinnen und Zahnärzten auch die Möglichkeit eröffnen, aus der Anstellung (im ländlichen Raum) heraus in die Niederlassung zu gehen.
Fehlentwicklungen ohne Zulassungsbeschränkung
Die kassenzahnärztliche Zulassung ist im Gesundheitswesen ein Steuerungselement in der Hand der Selbstverwaltung. Gab es 2007 noch gute Gründe, die Zulassungssperre für Zahnärzte abzuschaffen, so gibt es heute doch wichtige Gründe, sie wieder einzuführen – in einer modifizierten Form. Langjährige Konzentrationsprozesse von Niederlassung und Anstellung (denn auch eine Anstellung muss genehmigt werden) im städtischen Raum haben die Ausdünnung im ländlichen Raum deutlich befördert. Ein Versagen der Niederlassung, der Anstellung oder der Gründung von MVZs war faktisch nicht möglich, und so gibt es eine Überversorgung im städtischen Raum. Gleichzeitig sind zahlreiche Zahnarztpraxen trotz enormem Patientenaufkommen und offensichtlicher Unterversorgung im ländlichen Raum nichts mehr wert.
Auch Angestellte sind Freiberufler
Argumentativ wird gegen die Zulassungssperre der Verlust der Freiberuflichkeit und der freien Zahnarztwahl eingeführt. Aber was nutzt dem Patienten die freie Zahnarztwahl, wenn keiner mehr vor Ort tätig ist? Und auch angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte sind freiberuflich tätig.
Novellierte Zulassungsverordnung als sinnvolles Instrument
Allein durch Förderungsmaßnahmen der Niederlassung oder Anstellung, die langfristige Orientierung auf Studenten oder sogar die Forderung nach mehr Ausbildung (welch Illusion bei den wirtschaftlichen Problemen) wird die flächendeckende zahnmedizinische Versorgung nicht erreicht. Eine novellierte Zulassungsverordnung für Zahnärzte, die die richtigen Steuerungselemente zur Lenkung von Anstellung und Niederlassung für die Selbstverwaltung bietet, ist ein sinnvolles Instrument.
Konstruktiv mit den Vorschlägen der Politik umgehen
Voraussetzung für eine zielführende Diskussion wäre zunächst das Eingeständnis, dass auch die Selbstverwaltung das Problem viel zu spät erkannt und gehandelt hat. Bisher eingeführte Fördermaßnahmen, mit denen die Unterversorgung bekämpft werden soll, sind sicherlich sinnvoll, aber meist langfristig orientiert und nur ein Teil der Lösung. Deswegen wäre es ein wichtiges Signal, konstruktiv mit den Vorschlägen der Politik umzugehen.
Bundesweiter Versorgungsatlas als Grundlage
Die Ausgestaltung der Zulassungsverordnung für Zahnärzte auf Grundlage eines bundesweiten Versorgungsatlas und unter Einbezug der Morbidität gehört unmittelbar dazu. Vielleicht ergibt sich sogar die Chance, wirksam die Gründung vom MVZ zu steuern. So können auch Wege gebahnt werden, die den beruflichen Sozialisationswünschen der nachfolgenden Zahnärztegeneration entsprechen. Das ausschließliche Beharren auf tradierten Vorstellungen gehört nicht dazu.
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Reuterstadt Stavenhagen
Literatur
[1] Die Versorgungslage spitzt sich zu. Zahnärztl.Mitteilg. 114 ,01.03.2024, S. 322-326
[2] KZV warnt vor Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen. Zahnärztl. Mitteilg. 114, 16.03.2024, S. 414-415
[3] „Zulassungsbeschränkungen lösen Probleme nicht“, Quintessence News, 4. März 2024, Abruf am 20. März 2024
[4] Bundeszahnärztekammer (BZÄK). Statistisches Jahrbuch 2022/2023. Berlin: BZÄK,2023
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich (Jahrgang 1956) studierte Zahnmedizin in Rostock und war von 1981 bis 1990 in der Poliklinik für Stomatologie des Kreiskrankenhauses Malchin tätig. Nach der Wiedervereinigung ließ er sich am 1. Februar 1991 in eigener Praxis in Stavenhagen nieder, in der er bis heute als Zahnarzt tätig ist. Schon seit dem 29. April 1990 bis zum Oktober 2021 war er Präsident der neu gegründeten Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, seit November 2000 bis Juni 2021 auch Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer.
Oesterreich befasste und befasst sich intensiv mit soziologischen und gesundheitspolitischen Fragestellungen und Themen der Prävention und Gesundheitskommunikation, unter anderem im Vorstand der Initiative proDente, aber auch wissenschaftlich. Im September 2011 wurde er zum Honorarprofessor an der Universität Greifswald ernannt. Kontakt zum Autor per E-Mail an dr.dietmar.oesterreich@t-online.de.