Die Verhandlungen der Kassenärzte zur Finanzierung des erforderlichen Konnektorentauschs für die Telematikinfrastruktur (TI) sind gescheitert. Die Krankenkassen haben es abgelehnt, die den Praxen entstehenden Kosten für den ab September 2022 beginnenden Austausch der Hardware in voller Höhe zu erstatten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) habe das Schiedsamt eingeschaltet, um möglichst rasch eine Entscheidung herbeizuführen, so die KBV. Von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, die ebenfalls verhandelt, gibt es keine neuen Informationen dazu. Auf der KBV-Vertreterversammlung und dem Deutschen Ärztetag gab es heftige Kritik an der Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Politik.
Die KBV fordert eine vollumfängliche Finanzierung. „Wenn der Hersteller sagt: ‚Das Ding kostet netto 2.330 Euro inklusive Lieferung und Installation‘, dann muss die GKV auch 2.330 Euro bezahlen, plus Steuern und Praxisaufwand“, sagte Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel und ergänzte „Wofür müssen wir hier eigentlich vor das Schiedsamt und vielleicht auch noch vor Gericht ziehen? Die Erstattung müsste eine Selbstverständlichkeit sein.“
Dass die Konnektoren zur Anbindung der Praxen an die Telematikinfrastruktur (TI) ab dem Herbst nach und nach ausgewechselt werden müssen, hätten nicht die Praxen zu verschulden, stellte Kriedel klar. Der Grund sei, dass die versprochene TI 2.0 mit einer Software-Anbindung noch längst nicht in Sicht sei – „entgegen aller Beteuerungen der Gematik und obwohl allen Zuständigen stets bekannt war, dass die Sicherheitszertifikate der Konnektoren nach fünf Jahren ablaufen und sich die Konnektoren damit abschalten“.
KBV-VV: TI muss staatlich finanziert werden
Die Probleme mit der TI waren auch das bestimmende Thema der Vertreterversammlung (VV) der KBV am 23. Mai 2022 in Bremen. Die Gematik versuche „eine Digitalisierung mit der Brechstange“ voranzutreiben, in der die Arztpraxen mit Dysfunktionalitäten der Infrastruktur und nicht ausreichend getesteten Anwendungen in einer Weise konfrontiert würden, dass die Praxisabläufe gefährdet würden, heißt es in einer Resolution.
Grundlegende Kurskorrektur bei der TI
Die Delegierten forderten grundlegende Kurskorrekturen durch das Bundesgesundheitsministerium, das mit einem Stimmanteil von 51 Prozent Hauptgesellschafter der Gematik ist. Da die TI mit all den damit verbundenen Anwendungen staatliches Ziel und Aufgabe sei, müsse die Bereitstellung der erforderlichen Komponenten als auch die Finanzierung in staatlicher Hand liegen.
Darüber hinaus wurde ein Sofortprogramm verabschiedet mit zahlreichen Vorschlägen, um die aktuellen Probleme in den Griff zu bekommen. Dazu gehört ein verbindliches Testkonzept für sämtliche Komponenten und Anwendungen wie die eAU und das eRezept und ein besserer Support. Außerdem müssten die Hersteller verpflichtet werden, die Anwendungen reibungslos zu implementieren.
Gassen forderte Machtwort von Lauterbach
Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, hatte zuvor in seiner Rede an Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach appelliert, bei den Digitalisierungsvorhaben der gematik strategisch umzusteuern: „Lieber Herr Minister Lauterbach, wenn Sie Ihre Aussage ernst meinen, dass es bei der Digitalisierung erstens um Versorgungsverbesserungen gehen muss, zweitens, dass Funktionalität wichtiger ist als ein Stichtag und drittens, dass Betroffene zu Beteiligten gemacht werden sollen, dann bedarf es einer kompletten Neuausrichtung dieses Prozesses – und eines Machtwortes des Bundesgesundheitsministeriums in Richtung Gematik“, sagte er.
Gassen kritisierte Gematik-Chef Leyck Dieken unter anderem für das kürzlich bekannt gewordene Vorhaben, den Rollout des elektronischen Rezepts am 1. September flächendeckend in den Regionen Bayern und Schleswig-Holstein zu beginnen, ohne vorab mit den Kassenärztlichen Vereinigungen gesprochen zu haben. „Und das Ganze in einer Phase, in der viele Praxen schon das Ärgernis eines Konnektoraustausches bewältigen müssen – eine weitere völlige Fehlplanung, die die gematik zu verantworten hat!“, bemängelte der KBV-Chef.
Kriedel: „Es ist eine Katastrophe“
KBV-Vorstandsmitglied Kriedel zog in der VV eine verheerende Zwischenbilanz zur Telematikinfrastruktur. Die TI sei an der Praxisrealität vorbeigeplant worden und stecke nun in einer Sackgasse – was die Finanzierung betreffe, die Technik und auch die Praxisrelevanz, schimpfte Kriedel. „Es ist eine Katastrophe.“
„Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel!“, forderte Kriedel. Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens müsse sich künftig klar und deutlich auf die Versorgung fokussieren – unter umfassender Einbindung der Betroffenen. Das schließe auch eine Neuausrichtung der Gematik sowie die staatliche Bereitstellung und Finanzierung der TI-Infrastruktur mit ein. Die Praxen dürften mit Datenschutz-, Finanzierungs- und Technikproblemen nicht alleingelassen werden.
BZÄK: Technik muss dienen, nicht führen
Eine kritische Stellungnahme zur TI veröffentlichte vergangene Woche auch die Bundeszahnärztekammer: „Die Telematik im Gesundheitsweisen macht bislang noch keinen richtig glücklich. Die Anwendungen der TI sind mitunter sperrig umgesetzt, einige klagen über Abstürze und Ausfälle. Sie sind in den Praxen, aber auch bei den Patientinnen und Patienten – bisher fordern nur wenige beispielsweise einen elektronischen Medikationsplan ein –, noch nicht wirklich angekommen. So sind Anwendungen, die speziell Zahnarztpraxen einen echten Nutzen bringen, entweder noch nicht da oder haben bisher nicht die entscheidende Marktdurchdringung (KIM, elektronischer Heil- und Kostenplan).
Die Anforderungen an die Gesundheitstelematik bleiben hoch: Praxen, Kliniken, Apotheken brauchen eine absolut sichere Technologie. Dazu muss sie stets verlässlich sein, handhabbar und praxistauglich. Sie soll den Praxisalltag vereinfachen und nicht verkomplizieren. Die Gematik muss diese Aspekte auf dem Weg zur TI 2.0 weiterhin in den Fokus stellen.
Dipl.-Stom. Jürgen Herbert, BZÄK-Vorstandsreferent für Telematik: „Grundsätzlich müssen neue Anwendungen so umfangreich wie möglich vorab getestet werden, damit der Praxisalltag bei deren Einführung nicht zum Erliegen kommt. Starre Fristen und Sanktionen erwiesen sich bislang nicht als hilfreich. Das Festhalten an gesetzlichen Terminen – unabhängig vom Reifegrad der Anwendung beziehungsweise von Testergebnissen – führt zu Problemen mitten im Patientenbetrieb. Es bleibt zu hoffen, dass der lange notwendige Schwenk von der Technikzentrierung hin zur Versorgungszentrierung endlich erfolgt.“
Praxiszukunftsgesetz zur Finanzierung der Digitalisierung gefordert
Auch der 126. Deutsche Ärztetag hat sich mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt. Die Delegierten forderten eine klare Fokussierung auf den Nutzen digitaler Anwendungen in der Versorgung und ein Praxiszukunftsgesetz, mit dem die Ärzte bei den Investitionen in digitale Anwendungen finanziell unterstützt werden können. Die Kostenerstattungen für TI-Komponenten reiche dafür nicht aus. Um die Potenziale einer vernetzten Medizin zu nutzen, seien enorme Investitionen in den digitalen Ausbau der Praxen erforderlich.
Kleinteilige Finanzierung der TI reicht nicht für Ausbau des ambulanten Sektors
„Die kleinteilige, oftmals nicht kostendeckende Refinanzierung von Hard- und Software als Ergebnis der Verhandlungen von gesetzlicher Krankenversicherung und Kassenärztlicher Bundesvereinigung deckt nur teilweise die notwendigen Bedarfe“, betonte der Ärztetag. Die digitale Kompetenz der Ärztinnen und Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung sei jedoch ein Baustein zur erfolgreichen Digitalisierung und werde zunehmend von Patientinnen und Patienten erwartet.
„Ärztinnen und Ärzte verlangen nicht nach staatlichen Hilfen, um ihr internes digitales Praxismanagement auf den neuesten Stand zu bringen. Als Freiberufler in eigener wirtschaftlicher Verantwortung brauchen und wollen wir dafür keine staatliche Unterstützung“, betonte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt bei der Eröffnung des Ärztetages. Vielmehr gehe es um den interoperablen Ausbau des ambulanten Sektors im Sinne der digitalen Vernetzung und Kommunikation mit anderen Versorgungsbereichen und zwischen den Praxen. Dafür seien enorme Investitionen notwendig. Diese könnten nicht den Praxisinhabern allein aufgebürdet werden. „Hierfür – und nur hierfür – halten wir Finanzhilfen von Bund und Ländern nicht nur für gerechtfertigt, sondern auch für dringend geboten“, so Reinhardt.
Digitalisierung ist wirtschaftliche Herausforderung für die Praxen
Die zunehmende Digitalisierung stellt für Praxen eine wirtschaftliche Herausforderung dar, da die notwendige technische Ausstattung eingeführt und aus sicherheitstechnischen Gründen fortlaufend aktuell gehalten werden müsse. Außerdem brauche das Praxisteam kontinuierlich entsprechende Qualifizierungen, so der Deutsche Ärztetag.
Mit Material der KBV, der BÄK und der BZÄK.