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Unter Gingivahyperplasie wird im Allgemeinen die lokale oder generalisierte Gewebevermehrung oder auch Wucherung der keratinisierten Gingiva über das physiologische Maß hinaus bezeichnet (Abb. 1 und 2). Ihr liegt pathohistologisch eine Zunahme der Fibroblastenzahl mit gesteigerter Synthese von extrazellulärem Kollagen zugrunde. Die Ursachen sind häufig multifaktoriell und können von genetischen Erkrankungen wie der hereditären gingivalen Fibromatose, erworbenen Mangelzuständen wie Skorbut (Vitamin C-Mangel) oder auch durch Formen der Leukämie verursacht werden2.
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Im Rahmen der akuten myeloischen Leukämie wurden bei bis zu 66 Prozent der Patienten Erstmanifestationen in der Mundhöhle beschrieben3. Bei lokalisierten Gingivahyperplasien ist differenzialdiagnostisch auch an Epulitiden oder maligne Tumore der Mundhöhle zu denken. Eine Übersicht über die unterschiedlichen Differenzialdiagnosen der Gingivahyperplasie findet sich in Tabelle 1.
Abb. 1 Ausgeprägte Gingivahyperplasie des Oberkiefers bei Phenytoineinnahme (aus: Ebhardt H, Reichart PA, Schmidt-Westhausen AM. Curriculum Spezielle Pathologie für Zahnmediziner. Berlin: Quintessenz, 2018).
Abb. 2 Ausgeprägte Gingivahyperplasie bei Zustand nach Herztransplantation und Immunsuppression (Sandimmun) (aus: Ebhardt H, Reichart PA, Schmidt-Westhausen AM. Curriculum Spezielle Pathologie für Zahnmediziner. Berlin: Quintessenz, 2018).
Des Weiteren werden Gingivahyperplasien durch unerwünschte Arzneimittelwirkung verschiedener Medikamente induziert. Zu den am längsten bekannten Wirkstoffgruppen zählen Antiepileptika, Calciumkanalinhibitoren und Immunsuppressiva. Die prominentesten Vertreter dieser Wirkstoffgruppen sind Phenytoin, Cyclosporin A und Nifedipin. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch auch, dass aus der Gruppe der Antihypertensiva nicht nur Kalziumkanalinhibitoren zur Gingivahyperplasien führen können, sondern auch in geringerem Ausmaß „Angiotensin converting enzyme“ (ACE) -Hemmer und Angiotensin-1-Rezeptorantagonisten8. Eine Übersicht über die in der Literatur beschriebenen Medikamentengruppen und deren Einzelpräparate findet sich in Tabelle 2.
Weiterhin wird die Bildung von Gingivawucherungen als multifaktorielles Geschehen durch das Vorliegen chronischer Entzündungen begünstigt. Dies schließt vor allem durch insuffiziente Mundhygiene und Plaqueakkumulation verursachte Gingivitiden und Parodontitiden ein. Hier lässt sich auch der hohe Stellenwert der zahnmedizinischen Betreuung von Patienten mit entsprechend begünstigender Medikation erkennen.
Tab. 1 Differenzialdiagnosen der Gingivahyperplasie, modifiziert nach Bork et al2.
Tab. 2 Übersicht über die bekannten Medikamentengruppen mit bekanntem Risiko für die Bildung von Gingivahyperplasien sowie die zugehörigen Präparate6,1. Die kursiv gedruckten Medikamente wurden erst in letzter Zeit mit Gingivahyperplasien assoziiert8.
Anamnese
Vor jeder Behandlung steht die gründliche Anamnese jedes Patienten. Gezielt sollte bei bekannten Gingivahyperplasien und fraglicher Medikamenteneinnahme natürlich nach Erkrankungen gefragt werden, die als Indikation für die oben genannten Medikamentengruppen infrage kommen. Hierzu zählen vor allem die arterielle Hypertonie sowie die chronisch stabile und vasospastische Angina pectoris als Indikation für die Therapie mit Kalziumkanalantagonisten. Epilepsien stellen je nach Ausprägung eine Indikation für die Therapie mit Antikonvulsiva dar. Cyclosporin A wird vor allem bei Patienten nach erfolgter Organtransplantation zur Vermeidung einer Abstoßungsreaktion, bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie der Colitis ulcerosa und Morbus Crohn oder schweren Formen der Psoriasis vulgaris (Schuppenflechte) eingesetzt.
Des Weiteren sollte gezielt nach dem Beginn der Hyperplasien und einem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung neuer Medikamente gefragt werden. In der Regel treten Veränderung schon nach den ersten drei Monaten auf. Bei neuerlich aufgetretenen Gingivahyperplasien und fehlender Medikamentenanamnese sind auf jeden Fall myeloische oder lymphatische Leukämien zu bedenken. Hier kann anamnestisch nach dem Auftreten der B-Symptomatik wie Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust gefragt werden. Besteht der Verdacht einer Leukämie, sollte der Patient eine Laborkontrolle des kleinen Blutbildes und gegebenenfalls des Differenzialblutbildes über den behandelnden Hausarzt erhalten.
Befund
Ergibt sich schon in der Anamnese der Verdacht einer Medikamenteninduzierten Gingivahyperplasie, sollte eine ausführliche Befunderhebung der gesamten Mundschleimhaut sowie des dentalen und parodontalen Status erfolgen.
Für die klinische Schweregrad-Einteilung kann der Gingivahyperplasie-Index nach Wetzel herangezogen werden (Tab. 3). Dieser Index bietet eine relativ einfache und schnelle Einordnung von Gingivahyperplasien für den Kliniker in fünf Schweregrade, die sich an der Höhe der hyperplastischen Gingiva im Verhältnis zum am schwersten betroffenen Zahn orientieren4. Weitere Klassifikationen sind der „Gingival overgrowth index“ sowie der „Miranda & Brunet index“7. Diese Indizes haben jedoch eher akademische Bedeutung und finden in der breiten Praxis wenig Anwendung.
Zur Ergänzung des klinischen Befundes sollten Röntgenbilder angefertigt werden. In der Regel eignet sich eine Panoramaschichtaufnahme (PSA) mit ergänzenden Zahnfilmen bei speziellen Fragestellungen. Zur alleinigen Beurteilung des Knochenniveaus ist ein Zahnfilmstatus bestehend aus Einzelzahnfilmen in Rechtwinkel-Paralleltechnik optimal. Periapikale Aufhellungen und Aufhellungen im Furkationsbereich sind jedoch auf der PSA besser zu beurteilen. Regelmäßige Röntgenaufnahmen ermöglichen zusätzlich eine Einschätzung der Progression der Erkrankung.
Zum Ausschluss potenziell maligner Erkrankungen sollte analog zur Leitlinie „Diagnostik und Management von Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms in der Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde“ bei unklaren Mundschleimhautveränderungen, die über 14 Tage persistieren, eine Biopsie erfolgen5. Goldstandard ist die Inzisionsbiopsie mit dem Skalpell oder speziellen Stanzen.
Ergibt sich nach der pathohistologischen Untersuchung kein Anhalt für Malignität und nimmt der Patient eines oder gleich mehrere der oben genannten Medikamente ein, liegt der Verdacht einer Medikamenten-induzierten Gingivahyperplasie nahe.
Konservative Therapie
Zu Beginn der Therapie steht zunächst die Optimierung der häuslichen Mundhygiene durch ausführliche Instruktion und Motivation des Patienten sowie durch regelmäßige professionelle mechanische Plaqureduktion (PMPR) im Sinne einer Gingivitistherapie. Bei vorliegender Parodontitis sollte zunächst eine geschlossene systematische Parodontitistherapie erfolgen.
Gleichzeitig sollte Kontakt mit den behandelnden Kollegen der anderen medizinischen Fachdisziplinen aufgenommen werden, um eine mögliche Umstellung der ursächlichen Medikation zu diskutieren. Eine Änderung der Medikation kann und darf nur durch den verschreibenden Hausarzt oder Facharzt durchgeführt werden, sofern diese möglich und medizinisch vertretbar ist. Nicht in allen Fällen ist jedoch eine Umstellung oder ein Absetzen der Medikamente ohne weiteres möglich.
Nach erfolgter konventioneller Parodontitis-/Gingivitistherapie und im besten Fall Umstellung der Medikation ist häufig ein vollständiger Rückgang der Hyperplasien bis auf das Niveau der gesunden Gingiva zu beobachten. Der Patient sollte in ein engmaschiges und regelmäßiges Recallsystem eingebunden werden, um langfristig eine optimale Mundhygiene zu gewährleisten und Rezidiven vorzubeugen. Dies gilt umso mehr, wenn die verursachende Medikation nicht geändert werden konnte. Hier ist das Risiko eines Rezidivs bedeutend höher.
Chirurgische Therapie
In Fällen, bei denen nach erfolgter konservativer Therapie noch Gingivahyperplasien verbleiben, bieten sich diverse chirurgische Therapieoptionen an.
Die Abtragung des hyperplastischen Gewebes mit dem Skalpell im Sinne einer externen Gingivektomie ist sicherlich das einfachste Verfahren. Die externe Gingivektomie kann natürlich auch mit Laser oder monopolarer Elektrokoagulation durchgeführt werden. Dies hat den Vorteil einer sofortigen Blutstillung.
Eine Lappenoperation in Kombination mit einer internen Gingivektomie ist technisch anspruchsvoller, bietet jedoch auch die Möglichkeit, gleichzeitig unter Sicht noch eine offene Kürettage durchzuführen.
Tab. 3 Gradeinteilung der Gingivahyperplasien nach Wetzel4.
Abb. 3 Klinischer Algorithmus zur Diagnose und Behandlung der Medikamenten-induzierten Gingivahyperplasie.
Klinisches Fallbeispiel
Eine 76-jährige Patientin stellte sich erstmalig mit Beschwerden bei der häuslichen Mundhygiene vor. Allgemeinanamnestisch bestanden eine arterielle Hypertonie, eine koronare 3-Gefäßerkrankung, Z. n. Stentimplantation vor sechs Monaten, Adipositas, ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2 und eine chronische Niereninsuffizienz Stadium III.
Der aktuelle Medikamentenplan der Patientin umfasste die Einnahme von Clopidogrel und ASS 100 als postinterventionelle Thrombozytenaggregationshemmung für ein Jahr, Metoprolol, Valsartan, Amlodipin, Hydrochlorothiazid, Spironolacton, Kombinations-Insulin, Simvastatin, Allopurinol, Pantoprazol sowie bei Bedarf Metamizol bei Schmerzen und Glycerolnitrat bei Angina pectoris.
Der klinische Befund zeigte eine generalisierte Hyperplasie der Gingiva des Schweregrads 2 nach Wetzel. Die Taschensondierungstiefen waren generalisiert auf 7 bis 9 mm und lokalisiert auf bis zu 12 mm erhöht, es bestand eine generalisierte Blutung auf Sondierung und in der Oberkieferfront zeigte sich bereits eine leichte Suppuration aus dem Sulkus. Die häusliche Mundhygiene war zu diesem Zeitpunkt für die Patientin nicht mehr adäquat durchführbar. Das angefertigte OPG zeigte einen generalisierten horizontalen Knochenverlust von ca. 20 Prozent und lokalisierten Knochenverlust von bis zu 60 Prozent in Regio 35 und 36.
Bestätigung der Verdachtsdiagnose
In Zusammenschau der klinischen und radiologischen Befunde sowie der Anamnese wurde die Verdachtsdiagnose einer Medikamenten-induizerten Gingivahyperplasie gestellt. Differenzialdiagnostisch kamen granulomatöse Erkrankungen wie das eosiniphile Granulom, die Granulomatose mit Polyangiitis (früher: Wegener-Granulomatose) oder akute myeloische Leukämie oder Lymphome in Betracht. Zur Diagnosesicherung wurde in Lokalanästhesie eine Biopsie der Gingiva aus der Regio 12/13 gewonnen und zur pathohistologischen Untersuchung eingesendet. Der Pathologiebefund schloss eine granulomatöse Erkrankung aus und bot keinen Anhalt für Malignität. Mikroskopisch wurde die typische Schichtung der keratinisierten Gingiva mit leichtem lymphozytären Infiltrat und vermehrter Fibrose beschrieben. Parallel wurde die Patientin dem Hausarzt vorgestellt, um aktuelle Laborkontrollen des Blutes durchzuführen. Im kleinen Blutbild und im Differenzialblutbild fanden sich keine Hinweise auf eine hämatoonkologische Erkankung.
In Betrachtung der Befunde und der Einnahme der prädestinierenden Medikamente Amlodipin und Valsartan bestand nun die definitive Diagnose einer Medikamenteninduzierten Gingivahyperplasie.
Wir besprachen das Prozedere mit dem Hausarzt, welcher sich um die Umstellung der Medikamente bemühte. Des Weiteren wurde eine systematische Parodontitistherapie durch den Hauszahnarzt der Patientin durchgeführt. Aufgrund des langen Anfahrtswegs verblieb die Patientin im Recall bei ihrem Hauszahnarzt mit der Möglichkeit, sich bei Persistenz oder oder Rezidiv der Gingivahyperplasien jederzeit wieder in unserer Ambulanz vorstellen zu können.
Fazit
Die Medikamenteninduzierte Gingivahyperplasie stellt eine Herausforderung für den Praktiker dar. Im besten Fall sollte dem Auftreten von Gingivahyperplasien bereits vor Beginn der Einnahme entsprechender Medikamente vorgebeugt werden, indem die individuelle Mundhygiene optimiert und chronische Entzündungen der Gingiva und des marginalen Parodonts beseitigt werden.
Bei Patienten mit Gingivahyperplasien unklarer Genese sollten im Rahmen der Diagnostik unbedingt auch maligne Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden. Durch eine oder mehrere Biopsien in Lokalanästhesie und die pathohistologische Untersuchung kann hier diagnostische Sicherheit geschaffen werden.
Eine große Bedeutung kommt auch der interdisziplinären Kommunikation mit den behandelnden Kollegen zu, um ein optimales Ergebnis für den Patienten zur erreichen und auch langfristig zu erhalten. Einen klinischen Algorithmus zur Diagnose und Behandlung der medikamenteninduzierten Gingivahyperplasie haben wir in Abbildung 3 zusammengestellt.
Ein Beitrag von Dr. Linda Daume, Dr. Nils van der Bijl und Prof. Dr. Johannes Kleinheinz, alle Münster
Literatur
Bondon-Guitton E, Bagheri H, Montastruc JL. Drug-induced gingival overgrowth: A study in the French pharmacovigilance database. J Clin Periodontol 2012;39(6):513–518.
Bork KBW, Hoede N. Mundschleimhaut- und Lippenkrankheiten Klinik, Diagnostik und Therapie. Stuttgart: Schattauer, 2008.
Demirer S, Ozdemir H, Sencan M, Marakoglu I. Gingival hyperplasia as an early diagnostic oral manifestation in acute monocytic leukemia: A case report. Eur J Dent 2007;1(2):111–114.
Fuchs C, Krämer N, Schulz-Weidner N. Gingivahyperplasie durch Einsatz von Amlodipin – Zwei Fallberichte, 2011
Kunkel M, Bengel W, Blume M et al. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Management von Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Der MKG-Chirurg 2011;4(3):206.
Miranda J, Brunet L, Roset P et al. Reliability of two measurement indices for gingival enlargement. J Periodontal Res 2012;47(6):776–782.
Ustaoglu G, Erdal E, Karas Z. Influence of different anti-hypertensive drugs on gingival overgrowth: A cross-sectional study in a Turkish population. Oral Dis 2021;27(5):1313–1319.
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