Wer die Fachpresse in den letzten zwei Monaten verfolgt hat, wurde von unseren Wissenschaftlern (Prof. Dr. Roland Frankenberger und anderen) umfassend über das Amalgamverbot und seine Konsequenzen im Hinblick auf die Verwendung von verschiedenen alternativen Materialien bestens informiert.
Auch wir in der DAISY-Akademie wurden von Zahnärztinnen, Zahnärzten und deren Teams mit vielen Fragen zur abrechnungstechnischen Seite überhäuft. Leider fällt zu oft der Satz: „Für uns hat sich ja nichts geändert.“ Aber Achtung: Egal, ob es sich um eine „Amalgamfreie Praxis“ handelt oder nicht, die neue Situation wird alle Zahnarztpraxen sowohl bei der Patientenaufklärung als auch bei der Abrechnung vor neue Herausforderungen stellen.
1. Frage: Dürfen wir unser noch vorrätiges Amalgam ab 2025 weiter verbrauchen?
Ja, und zwar für bestimmte Situationen, wie zum Beispiel bei einer hohen Kariesaktivität, bei vulnerablen Patientengruppen unter Einhaltung der Kontraindikationen und wenn der Zahnarzt das im speziellen Einzelfall für zwingend notwendig erachtet. Die Herstellung und der Import von Amalgam für diese speziellen Indikationen ist weiterhin erlaubt.
2. Frage: Auf welche zuzahlungsfreien (!) Füllungen hat ein Kassenpatient Anspruch?
Im Frontzahnbereich sind nach wie vor adhäsiv befestigte Füllungen aus Komposit (auch Bulk-Fill) Gegenstand der vertragszahnärztlichen Versorgung nach den Bema-Nrn. 13 a – d.
Im Seitenzahnbereich stellen die Füllungen mit selbstadhäsiven Materialien oder im Ausnahmefall mit einem Bulk-Fill-Komposit die zuzahlungsfreie Kassenleistung nach den Bema-Nrn. 13 a – d dar.
Ab 2025 wird Amalgam nicht etwa durch ein Material ersetzt, sondern der Einsatz von Alternativmaterialien wird indikationsbezogen erfolgen! Dabei muss der Zahnarzt, gemäß der Behandlungsrichtlinie B. III, die aktuellen Gebrauchs- und Fachinformationen sowie die Aufbereitungsmonographien berücksichtigen.
3. Frage: Was bedeutet der Begriff „selbstadhäsiv“?
Mit dem Begriff „selbstadhäsiv“ wird die Verwendung von Materialien* erfasst, die anders als adhäsiv zu befestigende Materialien keinen speziellen Haftvermittler (Adhäsiv) in einem separaten Arbeitsschritt benötigen. Im Seitenzahnbereich stellen derartige Füllungen eine Kassenleistung dar.
* zum Beispiel Glasionomerzemente (GIZ), Glas-Hybride, selbstadhäsive Komposit-Hybride bei kleineren Kavitäten
4. Frage: Warum Bulk-Fill-Füllungen?
Durch die Einführung der Bulk-Fill-Komposite in Verbindung mit Haftvermittlern wird eine zeitraubende Mehrschichttechnik überflüssig und das Legen einer Füllung „am Stück“ (englisch: „bulk“ = Hauptteil) vereinfacht. Im Seitenzahnbereich können diese Füllungen (im Ausnahmefall) als Kassenleistung abgerechnet werden.
5. Frage: Können sich Patienten das Füllungsmaterial selbst aussuchen, wenn sie eine zuzahlungsfreie „Kassenfüllung“ (Bema-Nrn. 13 a – d) im Seitenzahnbereich wünschen?
Nein, denn welches Material (zum Beispiel GIZ oder Bulk-Fill) fallbezogen indiziert ist, entscheidet der Zahnarzt anhand verschiedener Faktoren, wie zum Beispiel der Patienten-Compliance, dem Kariesrisiko, dem Ausmaß an vorhandener Restzahnsubstanz und ganz besonders an der Größe einer Kavität.
Vorsicht Ausnahmefall(e)! Da die Bema-Nrn. 13 e – h (Kompositfüllungen im SZ-Bereich) ersatzlos gestrichen wurden, haben auch die „alten“ Ausnahmefälle (zum Beispiel Allergie, Schwangerschaft, Niereninsuffizienz, Kinder unter 15 Jahren) ihre abrechnungstechnische Bedeutung komplett verloren. Der Begriff „Ausnahmefall“ bei Füllungen im Seitenzahnbereich bleibt uns aber in einem anderen Kontext erhalten!
6. Frage: Und wann liegt ein Ausnahmefall vor?
Bei einer Füllung im Seitenzahnbereich stellt die Versorgung mit selbstadhäsiven Materialien (zum Beispiel GIZ) die Kassenleistung dar. Stellt der Behandler fest, dass eine Füllung (zum Beispiel mit GIZ) nicht möglich ist, tritt der Ausnahmefall ein. Denn nur dann hat der Patient Anspruch auf eine Füllung mit einem Bulk-Fill-Komposit-Material als Kassenleistung – und zwar ohne Zuzahlung.
7. Frage: Wer stellt den Ausnahmefall fest?
Der Ausnahmefall wird ausschließlich und nur vom Zahnarzt festgestellt. Dabei kann zum Beispiel die Ausdehnung und Lage der Kavität eine Rolle spielen. Ausnahmefälle müssen nicht begründet werden! Im Rahmen der allgemeinen Dokumentationspflicht ist ein kurzer Vermerk in der Patientenakte ausreichend. Das verwendete Füllungsmaterial einschließlich der Chargen-Nummer muss seit Einführung der MDR ohnehin dokumentiert werden.
8. Frage: In welchen Fällen kann eine Mehrkostenvereinbarung (MKV) getroffen werden?
Im Frontzahnbereich nur dann, wenn der Patient eine Mehrfarbentechnik wünscht.
Im Seitenzahnbereich gilt für eine MKV Folgendes:
- Egal, ob ein Ausnahmefall vorliegt oder nicht: Bei einer Füllung mit Mehrschicht- und/oder Mehrfarbentechnik kann eine MKV getroffen werden, gleiches gilt für Inlays und Goldhämmerfüllungen.
- Ein Ausnahmefall liegt nicht vor: Heißt, eine selbstadhäsive (zum Beispiel) GIZ-Füllung wäre indiziert, Patient möchte aber eine Bulk-Fill-Komposit-Füllung. Eine MKV kann getroffen werden.
- Ein Ausnahmefall liegt vor: Patient hat Anspruch auf eine Bulk-Fill-Komposit-Füllung, die aber mit einer zusätzlichen Deckschicht (aus einem anderen Komposit) zur ästhetischen Optimierung hergestellt werden soll. Eine MKV kann getroffen werden.
Zwischenfazit: Der Wegfall der Bema-Nrn. 13 e – h kann sich insbesondere bei der Kinderbehandlung (ohne MKV) sehr negativ auswirken. Die geringe Erhöhung der Punktzahlen bei den Bema-Nrn. 13 a – d wird diese Verluste nicht ausgleichen können. Die Punktzahl-Erhöhung kostet das Gesundheitssystem zwar 183 Millionen Euro, für den einzelnen Vertragszahnarzt bedeutet das jedoch „nur“ einen Mehrumsatz zwischen ca. 4.000 bis 5.000 Euro pro Jahr, welcher die steigenden Betriebskosten sicher nicht decken wird. Zudem landen diese Summen, wie soll es auch anderes sein, im Budget der Praxis!
Teil 2 mit vielen weiteren Fragen zur Bema-Abrechnung, MKV, Amalgamaustausch, Aufbaufüllungen, Gewährleistungen und möglichen Zusatzleistungen folgt im Februar 2025.
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Sylvia Wuttig, B.A., Bachelor of Arts (Management von Gesundheitseinrichtungen), schreibt als Gründerin, Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin der Daisy Akademie + Verlag GmbH seit 1976 Erfolgsgeschichte.
Dentale-Abrechnungs-Informations-Systeme (DAISY) haben Sylvia Wuttig bundesweites Renommee gebracht. Mehr als 100.000 Zahnärzte und Praxismitarbeiter wurden von ihr im Laufe von mehr als 45 Jahren in allen Bereichen der Abrechnung geschult.
Beratende Tätigkeiten, Vorträge und Seminare unter anderem für Zahnärztekammern, Kassenzahnärztliche Vereinigungen, Initiative unabhängige Zahnmedizin (IUZ), Schulen, Rechenzentren, Krankenkassen, Industrieunternehmen, zahntechnische Labors und Software-Firmen gehören ebenfalls zu ihren Aktivitäten.
Seit mehr als 20 Jahren ist sie aktives Mitglied der Prüfungskommission der Landeszahnärztekammer Sachsen für die Prüfung zur/zum Zahnmedizinischen Verwaltungsassistentin/Verwaltungsassistenten (ZMV).
Im Rahmen eines offiziellen Lehrauftrags an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat sie mehr als zehn Jahre alle Studierenden der Zahnheilkunde im Bereich „Honorierungssysteme“ unterrichtet.
An der Europäischen Fachhochschule (vormals PraxisHochschule) in Köln ist sie seit 2013 als Dozentin und später als Gutachterin für Bachelor-Arbeiten tätig. Sie unterrichtet unter anderem Studierende (Bachelor of Science) im Bereich „Zahnärztliches Abrechnungsmanagement“. Für Quintessence News bereiten sie und ihr Team seit März 2024 jeden Monat einen exklusiven Abrechnungstipp auf.