Das Phänomen der Dentinhypersensibilität (DHS) stellt im zahnärztlichen Alltag ein häufig anzutreffendes und auch zunehmendes Problem unserer Patientinnen und Patienten dar. Anamnestisch wird häufig ein heller, impulsartiger und ziehender Schmerz auf mechanische, thermische oder chemische Einflüsse beschrieben. DHS treten dort auf, wo Dentin durch Schmelzverlust und/oder Rezessionen der Gingiva exponiert ist. Durch das Einwirken von Reizfaktoren kommt es – entsprechend der hydrodynamischen Theorie – zu Flüssigkeitsverschiebungen in den Dentintubuli und schließlich zur Stimulation von Nervenfasern, welche letztendlich zur Schmerzempfindung führt. Zwei zentrale therapeutische Wirkmechanismen werden aktuell in der zahnärztlichen Praxis angewendet. Das eine Behandlungsprinzip basiert auf dem aktiven Verschluss von Dentintubuli, während das andere Konzept das Ziel verfolgt, die neurale Empfindlichkeit herabzusetzen. Der folgende Beitrag von Prof. Dr. Christian Ralf Gernhardt und Anh Duc Nguyen für die Quintessenz Zahnmedizin 6/2022 gibt einen Überblick über die eingesetzten Wirkstoffe sowie ihre unterschiedlichen Wirkprinzipien und ordnet diese entsprechend aktueller Studienergebnisse hinsichtlich ihrer Wirksamkeit ein.
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Einleitung
Zu den chronischen Schmerzzuständen zählen in der Zahnmedizin typischerweise Kiefergelenkskrankheiten und unklare Beschwerden im Kiefer- und Gesichtsbereich. Schmerzzustände, die sich auf die Zähne beziehen, werden als Odontalgien bezeichnet52. Diesen kann man auch die Dentinhypersensibilität (DHS) und dem damit verbundenen Symptomkomplex zuordnen. Die Prävalenz der DHS wird einer aktuellen Metaanalyse aus dem Jahr 2018 folgend mit durchschnittlich 33,5 Prozent der erwachsenen Probanden angenommen14. Andere Untersucher beschreiben ähnliche Prävalenzen und unterscheiden zusätzlich zwischen diagnostizierbarer und empfundener DHS56. Anamnestisch stellt sich der Patient häufig mit einem hellen, impulsartigen und ziehenden Schmerz vor, der durch mechanische, thermische oder chemische Reizeinflüsse auf freiliegenden Dentinoberflächen hervorgerufen wird (Abb. 1). Ein charakteristisches Merkmal der Dentinüberempfindlichkeit ist ein sofortiges Abklingen der Symptome nach Beendigung der Reizeinwirkung9. Nichtsdestotrotz wird die Lebensqualität negativ beeinflusst, da die empfundenen Schmerzen zu einer erheblichen Beeinträchtigung von Sprechen, Essen, Trinken und Zähneputzen führen. Mit diesem Artikel soll der Entscheidungsprozess für eine individuelle, abgestimmte und praxisorientierte Behandlung erleichtert werden.
Grundlagen
Aktuell werden verschiedene Theorien zur Schmerzentstehung bei der DHS diskutiert. Dabei ist die hydrodynamische Theorie nach Brännström nach heutigen Kenntnissen am plausibelsten7,8. Demnach spielen freiliegende Dentinareale, die offenliegenden Dentintubuli und die darin enthaltene Flüssigkeit eine zentrale Rolle für die Weiterleitung von Schmerzreizen. Bei Exposition von Dentin, zum Beispiel durch nichtkariogene Zahnhartsubstanzverluste, kann der in den Tubuli enthaltene Dentinliquor durch entsprechende chemische, thermische und/oder taktile Reizung in Bewegung gesetzt werden. Der erhöhte Flüssigkeitsausstrom bewirkt aufgrund der anatomischen Nähe des Tubulussystems zur Pulpa eine Stimulation der Mechanorezeptoren in der Nähe der Odontoblasten, die schließlich über myelinisierte Aβ- und Aδ-Fasern als Schmerzreiz übermittelt werden.
Epidemiologische Aspekte
Bisher veröffentlichte Studien zu DHS weisen eine hohe Heterogenität hinsichtlich der Prävalenzen auf, sie reicht von 1,3 bis 92,1 Prozent14. Die große Bandbreite der Ergebnisse lässt sich mit unterschiedlichem Studiendesigns, die zur Datenerhebung verwendet wurden, erklären. Eine Metadatenanalyse aus dem Jahre 2018 bezifferte die Prävalenz aller ausgewerteten Studien zusammenfassend mit 33,5 Prozent14. Andere Untersucher beschreiben etwas höhere Prävalenzen (41,9 Prozent) und unterscheiden allerdings zusätzlich zwischen diagnostizierbarer (41,9 Prozent) und empfundener DHS (26,8 Prozent)56. Dies zeigt, dass nicht alle vorliegenden symptomatisch diagnostizierbaren Flächen unweigerlich vom Patienten auch als symptomatisch wahrgenommen werden. Frauen scheinen häufiger als Männer vom Symptomkomplex der DHS betroffen zu sein, die Verteilung liegt bei ca. 3 zu 215,16. Prinzipiell können alle Menschen im Erwachsenenalter unter hypersensiblen Zähnen leiden, Studien deuten jedoch auf eine Häufung zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr hin2,51. Mit zunehmenden Alter ist wiederum von einer Abnahme des Beschwerdebilds auszugehen, da sich die Struktur des Dentins durch vermehrtes Bilden von Sekundärdentin hinsichtlich der Physiologie verändert, was Auswirkungen auf die Durchlässigkeit der Dentintubuli hat.
Pathogenese und Ursachen
Die DHS wird definiert als ein von exponiertem Dentin ausgehender Schmerz, der als Reaktion auf chemische, thermische, taktile oder osmotische Reize auftritt und keinem anderen dentalen Krankheitsbild zugeordnet werden kann13,21. Demnach handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind unter anderem insuffiziente Füllungsränder, Sensibilitäten nach restaurativen Therapien, zum Beispiel als Folge der Säure-Ätz-Technik, Zahnhartsubstanzfrakturen („Cracked-tooth“-Syndrome) und akute und chronische Pulpitiden21. Betroffene geben in der Schmerzanamnese einen hellen, impulsartigen und ziehenden Schmerz an, der in zeitlichem Zusammenhang mit den genannten Reizfaktoren steht, gut lokalisierbar ist und nach Beendigung der Reizeinwirkung wieder abklingt. Dabei ist Kälte der häufigste Auslöser für eine Schmerzsensation, gefolgt von mechanischen Reizen wie zum Beispiel Zähneputzen und osmotischen Reizen wie zum Beispiel Süßigkeiten51. Grundbedingung für das Auftreten der DHS ist das Vorhandensein von freiliegenden Dentinoberflächen. Durch sogenannte nichtkariogene Zahnhartsubstanzdefekt – Abrasionen, Attritionen, Abfraktionen oder Erosionen – wird der bedeckende Schmelzmantel irreversibel geschädigt und in letzter Konsequenz kann dies zur Dentinexposition führen22,39,53,55.
Neben nichtkariogenen Zahnhartsubstanzverlusten können Parodontopathien zu freiliegenden Wurzel- und somit Dentinoberflächen führen55 (Abb. 2). Man geht davon aus, dass 70 bis 90 Prozent aller überempfindlichen Zähne die Folge eines vorliegenden Attachmentverlusts der marginalen Gingiva sind43. Nicht nur pathologische Veränderungen, sondern auch die parodontaltherapeutische Intervention selbst kann eine Zunahme freiliegender Dentinoberflächen bedingen. Auch infolge von prothetischen oder kieferorthopädischen Behandlungen besteht die Gefahr eines Attachmentverlusts, der als Konsequenz das Denudieren von Dentin-arealen bedingt. Je nach Ursache reagieren diese Flächen unterschiedlich stark auf Reizeinwirkung und führen zum klinischen Bild der DHS (Tab. 1).
Im Praxisalltag stellt sich daher oft das Problem der Multikausalität, was die Suche nach den eigentlichen Ursachen und den entsprechenden prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen erschwert.
Therapieansätze
Die Wahl von therapeutischen Maßnahmen sollte sorgfältig erfolgen und sich in erster Linie am Ausmaß des klinischen Befunds orientieren48. Die Behandlungsmöglichkeiten von hypersensiblen Zahnhälsen kann man generell in präventiv, nichtinvasiv und invasiv untergliedern. Grundsätzlich richtet sich die Therapie der DHS nicht nur nach der Symptomatik, sondern auch nach den bereits vorliegenden Zahnhartsubstanz- oder Attachmentverlusten und gegebenenfalls vorliegenden Erkrankungen, die einer eigenen Therapie bedürfen, zum Beispiel kariöse Läsionen (Abb. 3). Schon bei der Erstvorstellung sollte daher – neben einer eingehenden dentalen und parodontalen Befunderhebung – eine ausführliche Schmerzanamnese durchgeführt werden, die eine eingehende Analyse der Art und Intensität der Beschwerden sowie Informationen über schmerzauslösende Faktoren, aber auch über Mundhygieneroutinen und Ernährungsgewohnheiten umfasst. Je nach vorhandenen Schäden des parodontalen Ligaments und der Zahnhartsubstanzen kommen neben nichtinvasiven Möglichkeiten auch parodontalchirurgische oder restaurative Maßnahmen in Betracht.
Präventive Maßnahmen
Da das Auftreten hypersensibler Zahnhälse an das Freiliegen von Dentinoberflächen gebunden ist, bietet die Vermeidung solcher Problemflächen den bestmöglichen Schutz. Um weiteren Zahnhartsubstanzverlusten vorzubeugen, empfiehlt sich die Verwendung von nicht- oder nur geringfügig abrasiven Zahnpasten in Kombination mit einer weicheren Zahnbürste und adäquaten, patientenorientierten Mundhygienetechnik. Ziel ist es dabei, Verletzungen der Weichgewebe und Zahnhartgewebe zu vermeiden und so das Voranschreiten freiliegender Dentinareale zu verhindern. Schon mit der Wahl geeigneter Zahnpasten und Mundspüllösungen für hypersensible Zähne können bereits bestehende Symptome gelindert werden. Diese Pasten und Spülungen enthalten neben Fluoridverbindungen, Kaliumnitrat und Strontiumchlorid auch Potassiumoxalat und andere Stoffe23,28,47, die in der Lage sind, einerseits die Dentinkanälchen zu verblocken und andererseits die Weiterleitung der Reize zu inhibieren.
Ein weiterer Fokus sollte auf der Vorbeugung von Erosionen durch Aufklärung und Anleitung des Patienten liegen. Besonders die Vermeidung möglicher, ätiologischer Faktoren wie beispielsweise der exzessive Genuss von säurehaltigen Nahrungsmitteln und Getränken sollte dem Patienten nahegelegt werden30.
Nichtinvasive Therapiemaßnahmen
Betrachtet man die nichtinvasiven, therapeutischen Möglichkeiten, die dem Zahnarzt zur Behandlung hypersensibler Zahnhälse zur Verfügung stehen, erkennt man eine Vielzahl von Produkten in Form von Lacken, Lösungen und Gelen, die allesamt einen Verschluss der Dentintubuli oder die Beeinflussung der Reizweiterleitung bewirken sollen. Dies soll die Schmerzentstehung entsprechend der hydrodynamischen Theorie unterbinden. Eine Vielzahl dieser Präparate kann nicht nur in der Praxis, sondern in abgewandelter Form auch vom Patienten zu Hause eingesetzt werden.
Niedermolekulare ionische Verbindungen
Zu den niedermolekularen Verbindungen zählen strontiumchlorid-, kaliumnitrat-, eisen- oder aluminiumoxalat-, natriumcitrat-, magnesiumsulfat-, potassiumoxalat- und aluminiumlactathaltige Lösungen32. Diese Agenzien haben eine desensibilisierende Wirkung auf der Basis von zwei Grundmechanismen: Zum einen soll das Ausfällen (Präzipitation) schwerlöslicher Salzkristalle zu einer artifiziellen Obliteration der Dentintubuli führen, was die Schmerzentstehung entsprechend der hydrodynamischen Theorie verhindern kann. Zum anderen bewirken freie Kationen im Bereich der Nervenmembranen eine Anhebung des Schwellenwerts, der zur Auslösung eines Membranpotenzials erreicht werden muss. Die Schmerzperzeption und Weiterleitung durch die sensiblen Aδ-Fasern wird somit erschwert11. Untersuchungen zeigten gute Ergebnisse nach täglicher Anwendung strontiumchloridhaltiger Zahnpasten über einen längeren Zeitraum. Die Applikation eines strontiumchloridhaltigen Präparats für die Praxis führte in einer randomisierten, prospektiven klinischen Doppelblindstudie über 24 Wochen zu signifikant besseren Resultaten als der Einsatz eines wirkungslosen Placebopräparats28.
Eine weitere Therapiemöglichkeit bieten Eisen- und Aluminiumoxalate, die durch Ausfällung von schwer löslichem Calciumoxalat einen Verschluss der offenen Dentinkanälchen erzielen sollen. Klinische Studien zeigten bei parodontal behandelten Patienten eine signifikante Verbesserung der Missempfindungen gegenüber der Placebogruppe54. Ähnliche Erfolgsaussichten konnten von McFall und Hamrick36 bei der Verabreichung natriumcitrat- und potassiumnitrathaltiger Zahnpasten beobachtet werden50.
Fluoridhaltige Präparate
Bestandteile von fluoridhaltigen Gelen, Lösungen und Lacken sind vor allem Natriumfluorid, Zinnfluorid, Natriummonofluorphosphat und Aminfluoride oder eine Kombinationen aus unterschiedlichen Fluoridformen zur Therapie der DHS6. Die auf die freiliegenden Dentinoberflächen applizierten Fluoridpräparate (Fluor Protector S, Ivoclar Vivadent; Profluorid Varnish, Bifluorid 12, beide Voco etc.) verstärken die Remineralisationsprozesse und sollen durch die Präzipitation von schwer löslichen Calciumfluoridkristallen auf der Oberfläche einen Verschluss der Dentinkanälchen erreichen19. Aufgrund der Tatsache, dass diese indirekte Versiegelung der Dentinkanälchen nur temporären Charakter besitzt, ist eine mehrfache Applikation für einen Behandlungserfolg notwendig. Die Möglichkeit, hypersensible Zahnhälse mithilfe hochkonzentrierter Fluoridpräparate zu behandeln, ist eine einfach zu handhabende und schonende Therapiemaßnahme. Als nachteilig sind die gegebenenfalls notwendigen Mehrfachapplikationen und das nicht langfristig stabile Behandungsergebnis zu bewerten57.
Therapeutika auf Basis von Aminosäuren
Dieser Ansatz geht auf Entwicklungen der Stony Brook University in New York aus dem Jahre 2002 zurück. Kleinberg et al. beschrieben erstmals eine neue Technik, die Hypersensibilitäten auf Basis ihrer Erkenntnisse natürlicher Speichelkomponenten beseitigen soll. Hauptbestandteile dieser Technologie sind Arginin, eine Aminosäure und Calciumkarbonat. Diese Technologie wird ProArgin genannt und kann freiliegende Dentinkanälchen durch eine calciumreiche Schicht verblocken und somit DHS möglicherweise effektiv beseitigen20,27,41,46. Ein großer Vorteil dieser Technik ist die hervorragende Biokompatibilität, da die Präparate lediglich aus natürlichen Aminosäuren und Calciumkarbonat bestehen. Erste Untersuchungen konnten diesen positiven Effekt bereits klinisch bestätigen, der bei der Mehrzahl der Patienten eine deutliche Reduktion der Schmerzsymptomatik bewirkte41.
Im Jahre 2007 erwarb Colgate-Palmolive die Patente und brachte die ProArgin-Technologie im Jahr 2009 als neues Produkt zur Behandlung der DHS auf den Markt (Colgate Sensitive ProRelief). In Deutschland ist es seit 2010 verfügbar (Elmex Sensitive Desensitizing Paste und Zahnpasta, CP Gaba). Aktuelle Untersuchungen mit diesem Produkt konnten eine signifikante Reduktion der Symptomatik über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen zeigen45. Dies wird auch von weiteren Studien beobachtet6,24,50. Diese Technologie scheint eine neue Alternative zu anderen nichtinvasiven Therapievarianten zu sein. Die Anwendung ist einfach und es wird ein schneller Wirkungseintritt beschrieben. Die Applikation in der Praxis erfolgt lediglich für zweimal 3 Sekunden mit einem Polierkelch. Eine zusätzliche Fortführung der Behandlung mit der entsprechenden Zahnpasta zu Hause scheint für die betroffenen Patienten eine merkliche Verbesserung der Symptomatik über einen längeren Zeitraum zu erzielen.
Präparate auf Basis von Methacrylaten
Die Anwendung von Dentinhaftvermittlern zur Therapie hypersensibler Zahnhälse wurde erstmals von Brännström et al. untersucht8. Andere Autoren beobachteten ebenfalls einen desensibilisierenden Effekt nach der Applikation von Acrylaten auf Dentin1,29,49. Da das Auftragen von Primern eine Reduktion der Dentinpermeabilität verursacht, erscheint der Einsatz dieser Agenzien zur therapeutischen Beeinflussung der DHS geeignet. Durch die Applikation werden die Dentinkanälchen ganz oder teilweise versiegelt. Dies geschieht zum einem durch die Versiegelung der Dentinkanälchen mithilfe der Infiltration von Kunststoff-anteilen und zum anderen durch das Ausfällen und Verklumpen von Proteinen aus dem Dentinliquor18. Auf diese Weise kann die Schmerzentstehung entsprechend der hydrodynamischen Theorie verhindert werden. Die deutlich verbesserten Penetrationseigenschaften, welche durch die Anwendung von hydrophilen Monomeren (zum Beispiel Hydroxyethylmethacrylat, HEMA) erzielt werden, machen einen sicheren Verschluss der offenen Dentinkanälchen möglich1,49.
Unterschiedliche Studien zeigten klinisch gute Erfolge bei der Behandlung hypersensibler Zähne mit Dentinprimern. Untersuchungen mit dem auf HEMA basierenden Gluma Desensitizer (Heraeus Kulzer) ergaben nach acht Wochen sehr gute Resultate42. Allerdings wurde nach neun Monaten ein deutliches Nachlassen des positiven Effekts festgestellt. Andere Forscher, die die Wirksamkeit von Seal & Protect (Dentsply DeTrey) und VivaSens (Ivoclar Vivadent) untersuchten – beides Präparate auf Acrylatbasis –, konnten über einen Zeitraum von vier Monaten eine signifikante Reduktion der Symptome beobachten40.
Bioaktive Gläser
Heutzutage werden mithilfe bioaktiver Gläser die Möglichkeiten bei der Behandlung überempfindlicher Zahnhälse erweitert. Hierbei handelt es sich um Calcium-Natrium-Phosphosilikate, die bei Speichelkontakt Calcium und Phosphat freisetzen. So gelingt ein Verschluss der freiliegenden Dentintubuli11, der ebenfalls in In-vitro-Studien elektronenmikroskopisch nachgewiesen werden konnte37. Weitere Studien wiesen zudem eine deutliche Besserung nach Anwendung von Zahnpasten mit bioaktiven Gläsern nach, weshalb nach derzeitigem Wissensstand eine Empfehlung ausgesprochen werden kann17.
Hydroxylapatit
Bei den Hydroxylapatiten handelt es sich um Calciumphosphatminerale, die als biomimetisch bezeichnet werden, weil sie physikalisch und chemisch die höchste Übereinstimmung mit dem Zahnschmelz natürlicher Zähne besitzen. Untersuchungen zeigten die remineralisierende Wirkung kariöser Initialläsionen nach Applikation von Zahnpasta auf Basis von Nanohydroxylapatiten5,26. Aufgrund des Reservoirs an Calcium- und Phosphationen kommt es zu einer chemischen Bindung zwischen der Zahnoberfläche und den Hydroxylapatitpartikeln, die zusätzlich auch einen Verschluss der Dentintubuli bewirken34. Klinische Untersuchungen konnten eine signifikante Verbesserung der Symptomatik bei DHS nach Applikation von hydroxylapatitbasierten Präparaten nach vier und acht Wochen bestätigen3,4.
Casein Phosphopeptid-amorphes Calciumphosphat (CPP-ACP)
Auf Basis des Caseins, eines Milchproteins, konnte das Spektrum zur Behandlung hypersensibler Zahnhälse in Form von Zahncremes erweitert werden. Dabei lagert sich CPP-ACP aufgrund seiner hohen Affinität an das Hydroxylapatit der Zahnhartsubstanz an, senkt somit dessen Löslichkeit und bewirkt ebenfalls eine Remineralisation31,44. GC Tooth Mousse (Fa. GC, Bad Homburg) ist eine fluoridfreie Creme, die auf Recadent (GC) basiert und mit dem Finger oder einem Wattestäbchen auf die hypersensible Stelle für drei Minuten einmassiert wird11. Die Studienlage über die klinische Wirksamkeit der caseinbasierten Präparate ist
dabei sehr inhomogen. Einerseits kann eine Besserung nach Anwendung von Tooth Mousse in In-situ-Studien nachgewiesen werden, andererseits schneidet das Produkt im Vergleich zu anderen Präparaten schlechter ab10,33,35.
Laseranwendung bei hypersensiblen Zahnhälsen
Die Behandlung hypersensibler Zahnhälse ist ein weiteres Indikationsgebiet moderner Dentallaser. Durch die Anwendung von Laser werden die für die Schmerzentstehung verantwortlichen offenen Dentintubuli verschlossen. Ursache ist die Koagulation proteinhaltiger Bestandteile des Dentinliquors und das Verschweißen der Kanälchen durch die lokal begrenzte Applikation energiereichen Laserlichts12.
Zum Einsatz kommen neben dem aus der Chirurgie bekannten CO2- auch Neodym-dotierte Yttrium-Aluminium-Granat- (Nd:YAG), Erbium-Yttrium-Aluminium-Granat- (Er:YAG) und Gallium-Aluminium-Arsenid (GaAlAs)-Laser. Mithilfe des Lasers konnten in verschiedenen Untersuchungen überempfindliche Zahnhälse erfolgreich therapiert werden25. Ähnlich wie bei methacrylatbasierten Lösungen tritt auch hier die Wirkung schnell ein. Durch eine Kombination der Laseranwendung mit anderen Präparaten, beispielsweise mit lokaler Fluoridapplikation (NaF, SnF2), ließen sich die Ergebnisse deutlich verbessern58. Die Verwendung des Lasers zur Desensibilisierung empfindlicher Zahnhälse kann aufgrund der positiven Erfahrungen aus unterschiedlichen Untersuchungen als geeignete Maßnahme angesehen werden. Als Nachteile sind jedoch die hohen Anschaffungskosten und das im Moment noch sehr begrenzte Indikationsspektrum des Lasers anzusehen.
Fazit
DHS ist ein weit verbreitetes Erkrankungsbild in der zahnärztlichen Praxis. Daher sind genaue Kenntnisse der Ursachen und Folgen für den Erfolg der Therapie wichtig. Dem Patienten stehen zahlreiche Methode zur häuslichen Anwendung zur Verfügung, sowohl Zahnpasten als auch Mundspüllösungen. Sollte damit keine Linderung der Beschwerden möglich sein, kann das Praxisteam auf eine Vielzahl von Präparaten zurückgreifen, die unterschiedliche Wirkmechanismen besitzen. Allerdings ist derzeit kein Präparat und keine nichtinvasive Technik auf dem Markt, die den Patienten langfristig von den Symptomen befreit. Neben der Langzeitwirkung ist vor allem der sofortige Wirkungseintritt von Bedeutung. Im Fall der hier vorgestellten Desensitizer ist die Anforderung eines schnellen Wirkungseintritts mit vielen Präparaten möglich38. Liegen keine triftigen klinischen Gründe (zum Beispiel Karies) vor, sollten invasive Methoden erst nach ausbleibendem Erfolg und persistierenden Schmerzen in Betracht gezogen werden. Abschließend kann man sagen, dass die Problematik der DHS sicherlich weiterhin von Interesse sein wird und die Entwicklung einer dauerhaften Lösung weiter vorangetrieben werden sollte.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Christian R. Gernhardt, Anh Duc Nguyen, beide Halle (Saale) und Lisa Jänich, Halle-Wittenberg
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de