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Was Medizinische Informationsobjekte (MIO) können – und für wen sie entwickelt wurden

Die ePA ist für die Patientinnen und Patienten gedacht. SIe entscheiden, welche Ärzte die enthaltenen Informationen einsehen dürfen. Diese werden als MIO eingepflegt. Übrigens: Das erste MIO in der Zahnmedizin ist das Bonusheft.

(c) fizkes/shutterstock.com

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit gehen mit Einführung der elektronischen Patientenakte (ePa) ab 2025 auch sogenannte Medizinische Informationsobjekte (MIO) an den Start. Diese versprechen eine wahre Revolution zum Vorteil der der Patienten – Deutschland könnte dadurch erstmals seit langer Zeit in Sachen Digital Health wieder den Ton angeben. DGKL News sprach mit dem promovierten Facharzt für Labormedizin Jakob Adler über die Chancen, die sich aus der Etablierung von MIOs im deutschen Gesundheitswesen ergeben. Das Interview führten DGKL Nachrichtenredakteure Marita Vollborn und Vlad Georgescu.

Adler hat Medizin in Leipzig und Magdeburg studiert, seine Weiterbildung zum Facharzt für Laboratoriumsmedizin in Magdeburg absolviert und arbeitet aktuell am Institut für Hämostaseologie und Pharmakologie (IHP) Berlin sowie am Institut für Medizinische Diagnostik (IMD) Berlin. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen in der endokrinologischen Labordiagnostik, dem Therapeutischen Drug Monitoring (TDM) sowie der Datenanalyse im Labor. Er engagiert sich in verschiedenen Fachgesellschaften und berufspolitischen Verbänden und hat 2021 die Arbeitsgruppe „Digitale Kompetenz“ innerhalb der DGKL gegründet. Am 5. September 2024 diskutiert Adler im Rahmen der MIO Vision mit anderen Experten zur Zukunft des MIO-Laborbefundes.

 

Herr Adler, ab 2025 erblickt die elektronische Patientenakte endgültig und flächendeckend das Licht der Welt. Klingt gut, nur: Die Klinik kann nicht unbedingt auf die vom Hausarzt übertragenen Daten zugreifen, und der Apotheker weiß nicht, was der Radiologe eines Tumorpatienten diagnostizierte. Ist die ePA mehr Schein als Sein?

Dr. Jakob Adler: Hier muss man erst einmal zwei Dinge klarstellen: Erstens ist die ePA als elektronische Patientenakte für die Patientinnen und Patienten gedacht. Die Autonomie der einzelnen Person soll hier also im Vordergrund stehen, was uns zum zweiten Punkt führt: Die Patientinnen und Patienten dürfen dementsprechend selbst entscheiden, welche Befunde sie welchen Stakeholdern im Gesundheitswesen zugänglich machen wollen. Dies ist aus Patientinnen- und Patientensicht sicher ein wichtiger Schritt in Richtung Autonomie und Empowerment, birgt aber auch medizinische Risiken. Viele können nicht einschätzen, welche Information für die Behandler von Relevanz sind. Um einmal als Labormediziner zu sprechen: Der Patient empfindet ein Biotin-haltiges Nahrungsergänzungsmittel vielleicht nicht als relevant, es kann aber mitunter unsere Tests im Labor so massiv stören, dass ich das bei der Interpretation der Testresultate gerne wüsste.

Ein weiterer wichtiger Punkt zur ePA ist, dass sie keine „digitale Sammlung analoger Information“ sein darf. Wenn wir die ePA nur als zentralen Speicher von z.B. PDF-Befunden nutzen, werden wir keinen Mehrwert generieren. Die Informationen müssen in strukturierter, standardisierter und interoperabler Form vorliegen. Jede relevante Information muss als eigenes Datenfeld technisch abrufbar sein. Aber genau daran wird ja in Form der „Medizinischen Informationsobjekte“ (MIO) gearbeitet.

 

Wenn wir Sie richtig verstehen, kann die ePA erst dann einen realen Alltagsnutzen bringen, wenn man Medizinische Informationsobjekte (MIO) einsetzt. Was können wir uns darunter vorstellen?

Adler: Die MIOs sind quasi digitale Abbilder von bereits bestehenden „Unterlagen“. Wir kennen alle den Impfpass, das Mutterheft, die U-Hefte für die Vorsorgeuntersuchungen der Kinder usw. Die MIOs bilden diese Dokumente strukturiert in digitaler Form ab. Es werden international gültige und vor allem „maschinenlesbare“ Codierungen verwendet (z.B. LOINC oder SNOMED-CT) um die Informationen den verschiedenen Softwaresystemen zugänglich zu machen.

 

Die ePA ist demnach ein Schrank voller Schubladen, wobei die MIOs Anweisungen dafür sind, womit die Schubladen befüllt werden?

Adler: Ja, genau so kann man sich das vorstellen. Die MIOs geben den Schubladen ihre Namen und legen fest, in welcher Form diese Schubladen befüllt werden dürfen, damit jeder der reinschaut mit den Informationen etwas anfangen kann. Und die Patientinnen und Patienten legen fest, wer in welche Schublade hineinschauen darf.


Ein zentrales Thema in jeder Praxis und in jedem Krankenhaus ist die Zeit. Müssen sich Ärztinnen und Ärzte wegen ePA und MIO damit abfinden, noch weniger Zeit für ihre Patienten zu haben?

Adler: Im besten Fall sollte es gar keine weitere Zeit kosten, sondern zu mehr zeitlichen Freiräumen führen. Aktuell ist dies leider in verschiedenen Anwendungen noch nicht der Fall aber die Perspektive ist diesbezüglich klar: Vereinfachung der Abläufe und automatisierte Erstellung der MIOs.


Der Hausarzt würde demnach wie bisher auch seine Diagnose lediglich ins Praxissoftware-System eintippen müssen, ohne zusätzliche Programme aufzurufen?

Adler: Ziel sollte sein, dass die Hersteller der Praxisverwaltungssoftware beziehungsweise der Arztinformationssoftware die automatische Umformung der Informationen in MIOs implementieren. So können dann aus den Informationen im System des Arztes per Klick die jeweiligen MIOs erstellt werden. Hier sehen wir aber schon eine große Hürde im deutschen Gesundheitswesen. Es sind viele verschiedene Systeme im Einsatz, und so muss für jedes System eine Schnittstelle zu den MIOs beziehungsweise in die ePA gebaut werden. Wenn wir uns vorstellen, dass wir eine zwei- bis dreistellige Zahl an verschiedenen Praxissoftwaresystemen im Einsatz haben, auch andere Stakeholder wie Apotheken, Psychiater, Krankenhäuser, Labore, Pathologische, Mikrobiologische und Humangenetische Labore, Hygieneeinrichtungen, Gesundheitsämter, mit deren verschiedenen Softwaresystemen ebenfalls anbinden müssen, wird einem diese Mammutaufgabe klar. Deswegen muss es zentrale Vorgaben geben, welche Sprache in den MIOs zu sprechen ist.

 

Und weil die eingegebenen Daten als MIO standardisiert sind, lassen sie sich dann auch im Krankenhaus über die ePA lesen?

Adler: Genau. Das ist wichtig und wird, bei guter Umsetzung, auch in den Krankenhäusern mehr zeitlichen Freiraum schaffen. Oft besteht die Eingangsuntersuchung mehr aus einem Interview verschiedenster Daten, die man sich auch einfach aus der Patientenkurzakte der ePA ins Krankenhausinformationssystem (KIS) holen könnte. So könnte sich das ärztliche Fachpersonal mehr auf die aktuelle akute Situation der Patientinnen und Patienten konzentrieren und die Zeit besser für die Untersuchungen nutzen, als irgendwelche Dokumente zu befüllen. Obwohl wir in Deutschland mehr Ärztinnen und Ärzte als je zuvor haben, sind diese doch mit nicht-ärztlichen Aufgaben überschüttet, die ein Computer deutlich schneller und besser kann. Diese Verschwendung der „Arztzeit“ muss aufhören. Darüber hinaus lassen sich mit moderner Datenübertragung auch die Informationsbrüche zwischen Krankenhaus und den weiterbehandelnden niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen verhindern.

 

Wir erkennen ein weiteres Potenzial. Man könnte MIOs dazu nutzen, Plausibilitätsprüfungen durch die Kassen zu reduzieren. Immerhin wird nicht nur der Patient gläsern, sondern auch der ihn jeweils behandelnde Arzt oder Ärztin …

Adler: Das wäre wahrscheinlich möglic,h aber ist, soweit ich weiß, nicht angedacht. Eigentlich sollten die Krankenkassen genauso wie die Ärzte nur dann Zugriff auf die ePA haben, wenn dies durch die Patientinnen und Patienten gestattet wird. Alles andere würde den Gedanken der Autonomie konterkarieren.

Diagnosen erfolgen als ICD-10 Kodierung. Als MIO verpackt ließen sich diese Daten im Kampf gegen Abrechnungsbetrug einsetzen – sofern auch KVen auf die Daten der jeweiligen Patienten-ePA zugreifen könnten, um sie mit den vorliegenden Abrechnungen abzugleichen. Liegen wir mit dieser Vision richtig?

Adler: Wie hier die rechtliche Lage ist, kann ich nicht einschätzen. Aber nochmal: Die ePA soll die Autonomie der Patientinnen und Patienten stärken. Wenn wir die ePA nur einsetzen, um eventuellen Abrechnungsbetrug aufzudecken, würde das Projekt vollkommen am Ziel vorbei gehen. Es geht uns doch um eine bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten. Ich sehe hier eher die Chance, zu oft durchgeführte Untersuchungen einzusparen (meist wegen schlichtem Fehlen der Information, Anm.d.Red.).

 

Jüngere Menschen dürften die Bedeutung der ePA und MIOs verstehen. Wie sieht die Akzeptanz bei der Generation 70+ aus?

Adler: Das ist mein Hauptkritikpunkt an aktuellen Entwicklungen im Gesundheitswesen. Natürlich müssen wir digitaler werden, einfach um effizienter zu sein, aber es muss doch um die Patientinnen und Patienten gehen. Was nützt eine tolle technische Lösung, wenn die Zielgruppe keine Smartphones nutzt und „2-Faktor-Authentifizierung“ noch nie gehört hat? Eine sinnvolle Lösung orientiert sich an der Lebensrealität der Menschen, für die sie gedacht ist. Parallel moderne Strukturen für die Generationen der „digital natives“ zu bauen gehört natürlich trotzdem dazu.

 

Was aber, wenn Oma oder Opa die ePA ganz ablehnen?

Adler: Und wieder: Die Autonomie steht im Fokus. Wenn Oma und Opa das nicht wollen, können Sie aktiv widersprechen und dann gibt es für sie keine ePA. Das liegt in ihrer Entscheidungsgewalt, und das sollten Sie dann nach ihrem Wissen und Gewissen auch entscheiden. Schlechter wird ihre medizinische Versorgung dadurch nicht. Aber eben auch nicht besser.

 

Quelle: DGKL Zahnmedizin Digitale Zahnmedizin Patientenkommunikation Telematikinfrastruktur Dokumentation

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