Üblicherweise ist das Congress Centrum Sylt in Westerland üppig gefüllt, wenn die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein alljährlich im Mai zu ihrer renommierten Fortbildungstagung „Sylter Woche“ lädt. Doch die Corona-Pandemie wirbelte alle Planungen durcheinander: Nachdem die Sylter Woche im vergangenen Jahr komplett entfallen musste, war sie nun zumindest virtuell präsent: Von 17. bis 21. Mai 2021 standen unter dem Leitsatz „Funktion und Dysfunktion – alles in Balance“ die Diagnostik und Therapie von Funktionsstörungen im Fokus. Kooperationspartner ist die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT).
Für Tagungsleiter Dr. Andreas Sporbeck und das Organisationsteam waren die Vorbereitungen zur größten zahnmedizinischen Fortbildungswoche Deutschlands in diesem Jahr noch aufwändiger als sonst. Doch pünktlich konnte Dr. Michael Brandt, Präsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein, am Montagnachmittag die 594 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland sowie der Schweiz, Italien, den Niederlanden und Norwegen live aus Westerland begrüßen. Die Bandbreite der praxisrelevanten Themen reicht dabei von der Ätiologie über Diagnostik und Therapie bis hin zu Zukunftsperspektiven. Während die Rednerinnen und Redner zugeschaltet wurden, moderierten die Repräsentanten der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein direkt im Congress Centrum Sylt.
Dort begrüßte zur Tagungseröffnung auch Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer – diesmal leider nur auf virtuellem Wege. 2022 werde sich Sylt auch „mit einem noch achtsameren und nachhaltigem Tourismus“ präsentieren – wichtige Themen, die auf der Insel derzeit mit Inhalten gefüllt werden. Obwohl das beliebte Charity-Turnier „Dental Golf-Cup" im Rahmen der Tagung in diesem Jahr entfallen muss, zeigte sich die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein generös: Dr. Michael Brandt überreichte dem Bürgermeister einen überdimensionalen Scheck in Höhe von 5.000 Euro. Die Spende kommt auch diesmal dem Bürgermeister-Fonds „Sylter Familien in Not“ zugute.
„Wir können Hygiene“
In seinem Eröffnungsvortrag sprach der Kammerpräsident zunächst über ein Jahr Corona-Pandemie, die auch in den Praxen Spuren hinterlassen habe: Die Patienten seien zu Beginn der Pandemie sehr verunsichert, die Mitarbeiterinnen der Zahnarztpraxen extrem gefordert gewesen. Nicht nachvollziehbar sei, dass die Praxen bei der Verteilung von Schutzausrüstungen vom Bundesgesundheitsministerium nicht berücksichtigt wurden, die Zahnärztinnen und Zahnärzte nicht einen Rettungsschirm wie die anderen ärztlichen Fachrichtungen erhielten und sogar um Kurzarbeitergeld gekämpft werden musste. Erfreulich hingegen: „Wir können Hygiene“, unterstrich Brandt und verwies auf eine Auswertung der Berufsgenossenschaft Gesundheit: Demnach wurden 2020 bezogen auf 100.000 Berufsangehörige in deutschen Kliniken 1.168 Corona-Erkrankungen, in Arztpraxen 216 und in Zahnarztpraxen lediglich 35 Fälle registriert. Doch nicht nur Corona steht für die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein im Mittelpunkt ihres Handelns. So fordert der Kammerpräsident vom Bundesgesundheitsminister unmissverständlich: „Herr Spahn, setzen Sie sich nach 33 Jahren Stillstand endlich für eine Anpassung des Punktwerts für unsere Leistungen in der Privaten Gebührenordnung ein!“
Zahnheilkunde „im Umherziehen“
Dezidiert ging der Kammerpräsident auf eine aktuelle Problematik ein: Die Tätigkeit gewerblicher Aligner-Anbieter, die mit Slogans wie „In wenigen Schritten zum perfekten Lächeln“ preisgünstige Zahnbegradigungen mittels nicht sichtbarer Zahnschienen anbieten. Auch in mehreren Städten Schleswig-Holstein habe ein Unternehmen – mobil in einem geparkten Fahrzeug – seine Dienste offeriert. Die 3-D-Scans wurden dabei von einer – nicht in Schleswig-Holstein niedergelassenen – Zahnärztin vorgenommen. Dem Gebaren dieses gewerblichen Aligner-Anbieters erteilte der Kammerpräsident eine klare Absage: „Unserer Rechtsauffassung nach handelt es sich hierbei um eine unzulässige Ausübung der Zahnheilkunde ‚im Umherziehen’. Zudem ist dies hier unseres Erachtens einVerstoß gegen das Heilberufekammergesetz. Zur unmittelbaren Gefahrenabwehr und des Patientenschutzes haben wir entsprechende Schritte eingeleitet.“
Passend zur Thematik schaltete die Online-Tagung direkt nach Berlin, wo die schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) von der gerade erfolgten Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags zum Thema „Aligner-Behandlung“ berichtete. Forderte die FDP-Fraktion im Bundestag bereits mit einem Antrag, gewerbliche Aligner-Behandlungen ohne vollumfängliche zahnheilkundliche Begleitung zu unterbinden, so stärkte die Anhörung dieses Vorhaben: „Die angehörten Experten waren sich alle einig, dass die Sicherheit der Patienten gefährdet wird – in einigen Fällen sind nach der Behandlung massive Schäden aufgetreten. Eine mögliche Welle von falschen Behandlungen muss verhindert werden“, unterstrich Aschenberg-Dugnus. Bedenklich sei, dass „die betreffenden Firmen nicht dem Berufsrecht unterliegen und in einem rechtlichen Graubereich agieren, was dringlich einer Änderung bedarf.“ Klar positionierte sich die FDP-Pollitikerin hinsichtlich der Frage des Kammerpräsidenten, wie ihre Partei zur Bürgerversicherung stehe: „Die FDP spricht sich klar dagegen aus und hält stattdessen die Wahlfreiheit hoch. Gleichwohl besteht sowohl bei der privaten wie auch bei der gesetzlichen Krankenversicherung Reformbedarf.“
Eröffnungsvortrag zu Biomimetik
Traditionell rundete ein fachfremder Vortrag die Eröffnung der Sylter Woche ab. Für diesen konnte der Zoologe Prof. Dr. Stanislav Gorb von der Universität Kiel gewonnen werden, der vornehmlich die Struktur-Funktions-Beziehung zwischen biologischen Oberflächen und Materialien erforscht. Seinen informativen Vortrag stellte er denn auch unter die Thematik „Naturprinzip und Biomimetik: Wie haften Geckos und Fliegen an der Decke?“ Weitere Informationen zur 63. Sylter Woche gibt es im Netz unter www.sylterwoche.de.