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Ältere, vor allem pflegebedürftige Menschen sind immer mehr von Wurzelkaries betroffen – Ursachen und Therapiekonzepte

Restauration einer Wurzelkariesläsion vestibulär an Zahn 37: Ausgedehnte Wurzelkaries, die Teile des Zahnschmelzes unterminiert. Aufgrund des eingeschränkten Zugangs an dieser Zahnfläche für selbst durchgeführte Mundhygienemaßnahmen wäre eine dauerhafte Arretierung der Läsion jedoch nicht wahrscheinlich gewesen. So wurde diesem Fall die Läsion restaurativ versorgt.

Ein Großteil der Karieslast hat sich von jungen Patienten, die heutzutage kaum noch Karies haben, auf ältere Bevölkerungsgruppen verlagert. Dabei hat vor allem die Relevanz von Wurzelkaries – der dominierenden Kariesform bei älteren Patienten – in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen. Ältere Patienten stellen demnach heute eine Risikogruppe für (Wurzel-)Karies dar. Konsensusbasierte Empfehlungen zur Wurzelkariestherapie zielen besonders auf nichtinvasive, Karies-arretierende Maßnahmen ab. Um pflegebedürftigen Patienten den Zugang zu einer zufriedenstellenden zahnmedizinischen Versorgung zu ermöglichen, werden in Zukunft wahrscheinlich telemedizinische Ansätze eine wichtige Rolle spielen, ist eine Schlussfolgerung von PD Dr. Gerd Göstemeyer et al. in ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 8/21.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2024 wie der Verlag selbst 75 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit elf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Wurzelkaries: eine neue Kariesform?

Traditionell wurde Karies als Infektionskrankheit verstanden, bei der ein oder mehrere bakterielle Erreger zu einer Infektion der Zahnhartgewebe und ihrer anschließenden Auflösung durch Säuren führen. Dieses Verständnis ist seit ca. 25 bis 30 Jahren von der sogenannten ökologischen Plaquehypothese abgelöst worden, bei der nicht die Anwesenheit oder die Menge des Biofilme entscheidend ist, sondern externe Umweltbedingungen die Biofilmpathogenität bestimmen.

Der dentale Biofilm ist nicht zwingend unphysiologisch. In vielen Fällen wird er von nur einer geringen Zahl an kariogenen, also säurebildenden und säuretoleranten Bakterien besiedelt. Erst durch eine übermäßige Kohlenhydratzufuhr gelingt es diesen Bakterien, aus den Kohlenhydraten Säure zu metabolisieren, hierdurch den pH-Wert zu senken und damit andere physiologische Bakterien zu verdrängen. Diese Schaffung einer ökologischen Nische bzw. eines Wettbewerbsvorteiles ist es schließlich, die zu einer schrittweisen Pathogenisierung des Biofilmes führt. Nur ein pathogener Biofilm ist in der Lage, ausreichende Säuremengen zu produzieren und nachhaltig vorzuhalten, um zu einer Netto-Demineralisierung der Zahnhartsubstanz zu führen13.

Ausgehend von diesem Verständnis und der Möglichkeit, sowohl die Pathogenität des Biofilmes als auch die Balance zwischen De- und Remineralisierung zu beeinflussen, hat sich in der Kariesprävention und Initialtherapie in den letzten Dekaden ein enormer Wandel vollzogen. Heute steht weniger die restaurative Therapie der kariösen Läsion durch Füllungen im Vordergrund als vielmehr das Verhindern des Auftretens neuer oder die Arretierung vorhandener Läsionen. Hierbei kommen eine Reihe von Interventionen zum Einsatz, beispielsweise die mechanische oder chemische Biofilmkontrolle, die Ernährungskontrolle oder die Kontrolle der De- und Remineralisierung mittels Fluoriden oder Mineralspendern.

Der Einsatz dieser Interventionen im Rahmen der häuslichen Zahnpflege oder der Gruppen- und Individualprophylaxe hat sicherlich entscheidend dazu beigetragen, dass wir seit über 30 Jahren einen Rückgang an Karieserfahrung bei Kindern und mittlerweile auch jüngeren Erwachsenen verzeichnen6,12. Das durchschnittliche zwölfjährige Kind in Deutschland weist nunmehr nur noch 0,5 kariöse oder gefüllte Zähne auf – ein Rückgang um fast 90 Prozent. Ausgenommen von diesen Präventionserfolgen sind in dieser Altersgruppe nur eine kleine Zahl an Hoch­risikokindern, die dann aber oftmals auch eine ausgeprägte Karieserfahrung aufweisen.

Tab. 1 Unterschiede zwischen Wurzelkaries und koronaler Karies.
Tab. 1 Unterschiede zwischen Wurzelkaries und koronaler Karies.
Ist damit jetzt alles gelöst und Karies ein Problem der Vergangenheit, wie des Öfteren zu lesen ist? Das kommt ganz stark auf die Altersgruppe und die Art der Karies an, die wir betrachten. Neben der klassischen koronalen, vom Schmelz ausgehenden Karies ist zunehmend eine weitere Karies relevant: die Wurzelkaries. Diese tritt ausschließlich auf freiliegenden Wurzeloberflächen auf, wird durch ein anderes Spektrum an Bakterien initiiert, läuft schneller und durch teilweise andere Mechanismen ab und die resultierenden Läsionen zeigen eine gänzlich andere Morphologie (Tab. 1).

All diese Aspekte sind auch klinisch bedeutsam: Freiliegende Wurzeloberflächen sind aufgrund ihrer Beschaffenheit (Bedeckung mit Zement oder keine Bedeckung, freiliegendes Dentin) deutlich anfälliger für Karies, sie demineralisieren früher und schneller. Zudem spielt neben der reinen Demineralisierung durch Säuren auch die Auflösung der organischen Matrix des Dentins eine Rolle, wobei sowohl bak­terielle Enzyme als auch dentineigene, durch die Demi­neralisierung freigesetzte Enzyme relevant sind14. Die Aktivierung dieser Enzyme beschleunigt den Auflösungsvorgang des Dentins weiter und verhindert zudem ab einem bestimmten Zerstörungsgrad auch eine wirksame Remineralisierung des Dentins.

Die entstandenen Läsionen sind oftmals schüsselförmig und damit – wenn sie in einem zugänglichen Bereich lokalisiert sind – theoretisch auch reinigungsfähig. Umgekehrt sind sie nicht retentiv wie klassische koronale Kavitäten und erfordern daher im Falle eines restaurativen Vorgehens einen anderen Ansatz bei der Materialwahl und -verarbeitung. Gerade Letztere wird zudem dominiert von den Herausforderungen, die sich aus der Nähe der Läsionen zur Gingiva ergeben. Trockenlegung und Matrizenapplikation sind oftmals nur eingeschränkt möglich. Auch darauf wird im weiteren Verlauf dieses Bei­trages eingegangen.

Altersbedingte Veränderungen können diese Prozesse zusätzlich unterstützen. So sind freiliegende Wurzeloberflächen in Approximalräumen schwer zu reinigen. Nachlassende Motorik im Alter reduziert die Biofilmkontrolle auf den Wurzeloberflächen durch häusliche Mundhygienemaßnahmen weiter. Auch die wichtigen Schutzfunktionen des Speichels kommen bei älteren Menschen weniger zum Tragen, da diese häufig unter einem reduzierten Speichelfluss oder Mundtrockenheit leiden. Dabei führen nicht nur altersbedingte Veränderungen unmittelbar an den Speicheldrüsen, sondern vor allem Nebenwirkungen von verschiedenen Medikamenten, die oft im Alter verordnet werden, zu einer Verminderung der Speichelproduktion.

Zusammengefasst handelt es sich bei Wurzel­karies zwar nicht um eine ganz andere Art von Ka­ries, da die pathogenetischen Abläufe bei Wurzel- und koronaler (Schmelz-)Karies im Wesentlichen die gleichen sind. Dennoch gibt es einige Besonderheiten bei Wurzelkaries, die dazu führen, dass diese Kariesform oft schnell voranschreitet und schwer zu behandeln ist. Neben diesen Schwierigkeiten werden auch epidemiologische Veränderungen in Zukunft eine weitere Herausforderung bei der Versorgung von Wurzelkaries darstellen, wie im folgenden Abschnitt dargelegt wird.

Epidemiologie

Wie bereits angerissen, entsteht Wurzelkaries nur auf freiliegenden Wurzeloberflächen. Hierbei sind weniger Oberflächen betroffen, die beispielsweise durch isolierte parodontale Rezession oder im Rahmen von keilförmigen Defekten entstanden sind, da beide Entitäten ja häufig auch mit einer intensiven Mundhygiene vergesellschaftet sind, sondern jene Oberflächen, an denen nur eingeschränkt Biofilmentfernung stattfindet. Dies kann vor allem approximal der Fall sein, bei bestimmten Patienten aber auch an zugänglichen Flächen auftreten. Letzterer Punkt ist bei der Betrachtung von Wurzelkaries besonders hervorzuheben: Wurzelkaries ist die Karies des Alters, vor allem weil erst in diesem Alter vermehrt Wurzeloberflächen freiliegen, die oftmals das Ergebnis eines parodontalen Knochenabbaus sind7. Gerade hieraus ergibt sich dann die Relevanz der Wurzelkaries: Es ist die Karies einer alternden Gesellschaft. Bei einer stetig wachsenden Zahl an älteren Menschen in Deutschland, die nunmehr nicht wie noch vor 20 Jahren überwiegend totalprothetisch versorgt sind, sondern über eine zunehmend große Zahl an eigenen Zähnen verfügen, ist Wurzelkaries dadurch fast automatisch ein wachsendes Phänomen.

Dies zeigen auch Zahlen der Deutschen Mund­gesundheitsstudien: So stieg die Zahl der kariösen Wurzelflächen pro Kopf in der Bevölkerung von 0,27 in 1997 über 0,71 in 2005 auf 0,91 in 2014. Unter Berücksichtigung des demografischen Wandels und der Bevölkerungsentwicklung hieß dies, dass die Gesamtzahl an kariösen Wurzelflächen von ca. 21 auf mehr als 70 Mio. verdreifacht wurde – innerhalb von knapp 20 Jahren. Unter Fortschreibung dieser Entwicklung kann davon ausgegangen werden, dass in den nächsten 10 Jahren ca. 100 Mio. behandlungsbedürftige kariöse Wurzeloberflächen in Deutschland existieren12 (Abb. 1a und b). Wurzelkaries wird damit mittelfristig die häufigste Form der Karies in Deutschland sein, vor allem bedingt durch die genannten 3 Faktoren:

  • Senioren sind die einzig wachsende Altersgruppe in Deutschland.
  • Diese Altersgruppe erhält deutlich mehr Zähne als jemals zuvor.
  • In dieser Altersgruppe wächst die Last an Parodontitis und damit an freiliegenden Wurzeloberflächen.

Zusammenfassend lässt sich also konstatieren, dass Wurzelkaries ein wachsendes Problem ist: Zahnärztinnen und Zahnärzte werden zukünftig vermutlich weniger koronale Karies, aber mehr Wurzelkaries versorgen. Dabei kommt Wurzelkaries mit großen Herausforderungen sowohl in der Prävention als auch in der frühen und restaurativen Therapie einher. Um sowohl präventiv also auch therapeutisch erfolgreich zu sein, gilt es, risikoadjustiert etablierte, aber auch innovative Präventionskonzepte umzusetzen und adäquate restaurative Ansätze zu wählen. Beides soll in den folgenden Absätzen diskutiert werden.

Herausforderungen bei der Versorgung von Wurzelkaries

Die Versorgung von Wurzelkaries stellt die Be­handler häufig vor Herausforderungen, die bei der Versorgung koronaler Karies nur gelegentlich eine Rolle spielen. Diese Herausforderungen sind zum einen durch die Wurzelkariesläsion selbst bedingt. So ist die in der Praxis etablierte restaurative Therapie bei Wurzelkaries aufgrund des zugrunde liegenden Substrates, der Morphologie und des mitunter schweren Zuganges weniger effektiv5: Die häufig schüsselförmigen Kavitäten von Wurzelkariesläsionen weisen keine oder nur wenig mechanische Retention auf, weshalb der Adhäsion des Restaurationsmaterials an der Dentinoberfläche die tragende Rolle bei der Haltbarkeit der Restauration zukommt. Jedoch ist selbst mit den modernen Adhäsivsystemen der Verbund zu Dentin schwächer als zu Schmelz. Die Nähe von Wurzelkariesläsionen zur Gingiva erschwert zudem in vielen Fällen eine zufriedenstellende Trockenlegung, was den Erfolg eines dichten adhäsiven Verbundes weiter beeinträchtigt (Abb. 2a bis c).

Zum anderen ist bei der Gruppe der älteren Patienten, die vor allem von Wurzelkaries betroffen sind, aufgrund von altersbedingten Einschränkungen nicht immer das gesamte Spektrum zahnmedizinischer Behandlungsmaßnahmen anwendbar. Insbesondere bei pflegebedürftigen Senioren kann nicht immer eine High-end-Zahnmedizin mit entsprechendem Geräte- und Materialaufwand angewandt werden. Daher müssen hier Versorgungskonzepte genutzt werden, die durch risikoadaptierte Präventionsmaßnahmen und rechtzeitige minimalinvasive Therapien die Entstehung und das Voranschreiten von Wurzelkaries effektiv verhindern.

Eine präventive und minimalinvasive Zahnmedizin, wie sie bei Kindern und jungen Erwachsenen zum anfangs beschriebenen deutlichen Kariesrückgang geführt hat, kann teilweise auch auf die Gruppe der Senioren übertragen werden; ähneln sich doch sowohl die Bedarfe als auch die Herausforderungen bei Kindern und pflegebedürftigen älteren Patienten. Beide Patientengruppen brauchen beispielsweise oft Unterstützung bei häuslichen Mundhygienemaßnahmen und sind häufig nur eingeschränkt behandlungsfähig.

Versorgungsansätze

Um die Anwendbarkeit und den Nutzen verschie­dener Versorgungskonzepte basierend auf der vorhandenen Evidenz zu bewerten und entsprechende Empfehlungen für Zahnärzte abzuleiten, wurden im Jahr 2020 Konsensusempfehlungen für die Be­handlung von Karies bei älteren Patienten veröffentlicht10. Diese wurden im Rahmen eines Workshops und nachfolgenden Abstimmungsverfahrens durch Delegierte der „European Organisation for Caries Research“ (ORCA), der „European Federation of Conservative Dentitstry“ (EFCD) und der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) entwickelt. Die Evidenzgrundlage hierfür bildete ein systematisches Review über Strategien zur Behandlung von Wurzelkaries, das im Vorfeld für das Konsensus­papier erstellt worden war8. Die folgenden Empfehlungen basieren auf dem Konsensuspapier und sind ebenfalls in Abbildung 3 zusammengefasst dar­gestellt.

Generelle Empfehlungen zum Kariesmanagement bei älteren Patienten

Die Gruppe der älteren Erwachsenen ist in Bezug auf verschiedene Aspekte (Mundhygienefähigkeit, Allgemeinzustand, Lebenserwartung), die sich auf die zahnmedizinische Versorgung auswirken, sehr heterogen. Die individuellen Bedürfnisse dieser Patienten müssen daher bei der Planung von Präventions- und Pflegemaßnahmen berücksichtigt werden. Auch schnelle Veränderungen des Allgemeinzustands und die damit möglicherweise verbundenen Änderungen der oralen Bedingungen sollten durch eine entsprechende Anpassung der Untersuchungsfrequenz berücksichtigt werden.

Bei Senioren sollte bei der Kariesdiagnostik und -prävention berücksichtigt werden, dass Wurzelkaries in dieser Altersgruppe die häufigste Kariesform ist. Bei der Behandlung der Zähne pflegebedürftiger Senioren sollten stabilisierende Maßnahmen, die das Zahnüberleben auf pragmatische Weise verlängern, teilweise gegenüber aufwendigeren Standardmaßnahmen, die eher bei gesunden Patienten zum Einsatz kommen, bevorzugt werden. Bei Patienten, die schwer pflegebedürftig sind oder bei denen sich schwere Pflegebedürftigkeit abzeichnet, sollten unter Umständen auch Zahnextraktionen erwogen werden, wenn ein Zahnerhalt langfristig nicht möglich sein wird.

Da die systemische und orale Gesundheit mit­einander zusammenhängen, ist auch bei älteren Patien­ten die Aufrechterhaltung gesunder Mundhöhlenbedingungen durch entsprechende Mund­hygienemaßnahmen sinnvoll – ein Vorhaben, dass insbesondere bei pflegebedürftigen Patienten nicht immer erreicht wird (Abb. 4a und b). Eine zufriedenstellende Mundhygiene kann jedoch vor syste­mischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Lungenentzündungen schützen beziehungsweise diese ab­mildern.

Empfohlene Präventionsmaßnahmen durch die Patienten

Das Ziel von Kariespräventionsmaßnahmen ist es, ätiologische Faktoren für die Kariesentstehung zu beeinflussen. Ältere Patienten sollten demnach – wie dies auch jüngeren Risikopatienten empfohlen wird – die Aufnahmefrequenz von Zucker reduzieren. Zur Basisfluoridierung sollten ältere Patienten genau wie jüngere Erwachsene zweimal täglich ihre Zähne mit fluoridhaltiger Zahnpasta (≥ 1.500 ppm F) putzen. Zusätzlich zum Zähneputzen sollten ver­größerte Interdentalräume, die bei älteren Patienten häufig sind, mit Interdentalraumbürsten und Fluoridzahnpasta gereinigt werden. Gegebenenfalls sollte diese Maßnahme regelmäßig mit dem Patienten trainiert werden.

In vielen Fällen nimmt jedoch die Effektivität selbst durchgeführter Mundhygienemaßnahmen mit zunehmendem Altern ab1. Bei beeinträchtigter manueller Geschicklichkeit der Patienten sollte daher auf Hilfsmittel, welche die häusliche Mundhygiene erleichtern (zum Beispiel elektrische Zahnbürste), zurückgegriffen werden. Diese Beeinträchtigungen können so weit gehen, dass die Patienten gar nicht mehr in der Lage sind, selbst ausreichende Mundhygienemaßnahmen durchzuführen. In diesem Fall sollten die Pflegenden wie zum Beispiel auch die Angehörigen dazu aufgefordert werden, die Mundhygienemaßnahmen zu übernehmen.

Nichtinvasive Maßnahmen zum Wurzelkariesmanagement

Wie bereits erwähnt, ist die restaurative Versorgung von Wurzelkaries bei älteren Patienten häufig erschwert. Stattdessen sollte versucht werden, aktive Läsionen , die durch eine weiche Konsistenz und/oder Plaquebedeckung gekennzeichnet sind, durch noninvasive Strategien in ein inaktives Stadium zu überführen. Inaktive Läsionen, die sich hart, glänzend und frei von Plaque darstellen9, haben keinen Behandlungsbedarf und sollten eher als „Narben“ angesehen werden, die keiner weiteren Behandlung bedürfen.

Die nichtinvasiven Versorgungsansätze zielen auf die Beeinflussung von Faktoren ab, die bei der Kariesentstehung eine Rolle spielen. Zur Kontrolle des kariogenen Biofilms sollten daher zugängliche kariöse Wurzeloberflächen bei der täglichen Mundpflege bewusst geputzt werden. Patienten, die ein erhöhtes Wurzelkariesrisiko und/oder bereits aktive Wurzelkariesläsionen haben, sollten beim Zähneputzen eine hochfluoridhaltige (5.000 ppm F) statt der normalfluoridhaltigen Zahnpasta verwenden (≈ 1.500 ppm F). Bei diesen Patienten ist auch die Applikation von Fluoridlack (> 20.000 ppm F) oder Silberdiaminfluorid durch den Zahnarzt empfehlenswert. Die Applikation von Chlorhexidinlack, der sich in klinischen Studien teils wirksam zur Prä­vention und Arretierung von Wurzelkariesläsionen zeigte, wurde mangels Zustimmung durch die be­teiligten Experten nicht in das Konsensuspapier aufgenommen.

Mikroinvasive Maßnahmen

Bisher gibt es keine ausreichende Evidenz zum Mana­gement von Wurzelkariesläsionen durch mikro­invasiven Behandlungsmaßnahmen wie zum Beispiel Ver­siegelung. Aus diesem Grund sind entsprechende Strategien nicht in das Konsensuspapier auf­ge­nommen worden.

Invasive Maßnahmen zum Wurzelkaries­management

Invasive Maßnahmen wie zum Beispiel Restaurationen haben bei Wurzelkariesläsionen und hier insbesondere bei Hochrisikopatienten eine schlechtere Prognose als koronale Restaurationen5. Daher sollten nur jene Läsionen restaurativ behandelt werden, die nicht mittels nichtinvasiver Verfahren arretiert werden können.

Für die Füllungstherapie von Wurzelkariesläsionen eignen sich Kompositmaterialien oder Glas­iono­mere, die jedoch bevorzugt in Situationen eingesetzt werden sollten, in denen die Trockenlegung problematisch ist. Die sogenannte atraumatische restaurative Füllungstechnik („Atraumatic restorative treatment“, ART) ist eine Methode zur restaurativen Kavitätenversorgung, die ohne den Einsatz von rotierenden Instrumenten auskommt. Prinzipiell ist diese Methode also dafür geeignet, eine Füllungstherapie bei Patienten auch außerhalb der Zahnarztpraxis durchzuführen, zum Beispiel im Pflegebett. Da diese Restaurationstechnik jedoch mit höheren Misserfolgsraten als konventionelle Füllungen behaftet ist3, sollte der Einsatz dieser Methode nur infrage kommen, wenn keine Behandlungseinheit zur Verfügung steht.

Ausblick

Die meisten der hier vorgestellten Maßnahmen sind im Prinzip nichts Neues und bereits für Risikopatienten jüngeren Alters in der täglichen Praxis etabliert. Dennoch fällt es sicherlich schwer, die Empfehlungen insbesondere bei pflegebedürftigen Patienten umzusetzen. Ein Hauptproblem aus Sicht der Zahnärzte ist vor allem die eingeschränkte Behandlungsmöglichkeit in Pflegeeinrichtungen oder beim Patienten zu Hause sowie der aufwendige Transport der Patienten in die Praxis2. Neben der Erarbeitung von evidenzbasierten Empfehlungen müssen also neue Versorgungskonzepte etabliert werden, damit die empfohlenen Maßnahmen überhaupt greifen können.

Telemedizinische Ansätze können in Zukunft die Chance bieten, die Versorgungsqualität bei pflegebedürftigen Senioren zu verbessern. So könnten beispielsweise die Diagnostik und das Monitoring pflegebedürftiger Patienten auf diesem Wege unterstützt werden. Auch könnte ein Behandlungsbedarf der Patienten vor einem etwaigen Besuch besser abgeschätzt werden. Denkbar wäre beispielsweise, dass entsprechend geschultes Personal die Mundhöhlensituation der Senioren mittels einer Intra­oralkamera oder einem 3-D-Scanner erfasst (vgl. Abb. 4a und b) und die Befundung durch den Zahnarzt an einem Monitor in der Zahnarztpraxis anhand der gewonnenen Bilddaten erfolgt. Möglicherweise können Dia­gnostikprogramme, die Methoden der künstlichen Intelligenz nutzen, hier unterstützend eingreifen.

Schlussfolgerung

Wurzelkaries ist die dominierende Kariesform bei älteren Patienten. Durch den zunehmenden Zahn­erhalt bis ins hohe Alter, verbunden mit einer steigenden Zahl der Senioren in Deutschland, wird der Versorgungsbedarf von Wurzelkaries weiter ansteigen. 

Eine Reihe von Präventions- und Behandlungsmaßnahmen sind heute verfügbar, entsprechend konsentierte Empfehlungen zu ihrer Anwendungen wurden in dem vorliegenden Beitrag zusammen­gefasst. Um die zahnmedizinische Versorgungs­qualität bei pflegebedürftigen Senioren insgesamt zu verbessern, könnten telemedizinische Ansätze sinnvoll sein.

Ein Beitrag von Priv.-Doz. Dr. Gerd Göstemeyer, Prof. Dr. Sebastian Paris und Prof. Dr. Falk Schwendicke, Berlin

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 08/21 Zahnmedizin

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