Die opto-elektronische beziehungsweise digitale Abformung entwickelt sich immer häufiger zum zentralen Element in vielen zahnärztlichen Praxen. Die erzeugten Daten werden nicht mehr nur als reine Grundlage zur Herstellung von Zahnersatz genutzt, sondern unterstützen die Zahnärztin oder den Zahnarzt auch in der sich immer weiter entwickelnden digitalen, vernetzten Welt. Diese Idee ist nicht neu. Ein Vorreiter und Entwickler zur ganzheitlichen Nutzung der digitalen Daten in der Dentalwelt ist Dr. Bernd Reiss mit der Entwicklung des „Digitalen dynamischen Modells“. Präzision und Genauigkeit, gekoppelt mit einer hohen Scan-Geschwindigkeit, machen es nun erstmals möglich, einen Komplett-Scan des Gebisses zum integralen Bestandteil einer zahnärztlichen Untersuchung werden zu lassen. Zu Verfügung steht damit ein „Dynamisches Digitales Modell“. Autor Dr. Hendrik Zellerhof beschreibt in seinem Beitrag für das Quintessenz Team Journal 5/21 den praktischen Ablauf des digitalen Scans und die dafür erforderlichen Voraussetzungen bei den Anwendenden und in der Infrastruktur.
Den Erfordernissen einer modernen Zahnarztpraxis entsprechend, wendet sich das „Quintessenz Team-Journal“ an das gesamte zahnärztliche Team: Zahnärztinnen, Zahnärzte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von Auszubildenden bis zur Dentalhygienikerin. Neben dem Basiswissen für die Auszubildende sorgen Beiträge aus dem klinischen Bereich für ein Kompetenz-Plus. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
Die Vorteile liegen für jeden Anwender klar auf der Hand und auch Patienten kommt diese Technik sehr zu Gute. Durch die opto-elektronische Abformung fallen das Anmischen des Abformmaterials, das Vorbereiten des Abformlöffels, die Aufbereitung der benutzen Materialien und die aufwendige und leider oft fehlerhafte Prozedur der Abformung weg. Außerdem muss kein Verbrauchsmaterial teuer gekauft und später wieder aufwendig entsorgt werden. Stattdessen wird in kurzer Zeit berührungslos sehr genau gescannt. Die aktuellen Intraoralscanner können mit einer Genauigkeit von unter 50 Mikrometer den gesamten Kiefer erfassen.
Mit einem Kamerakopf wird dabei die Oberfläche der Zähne und der Schleimhäute erfasst und diese Daten von der Software in Echtzeit umgesetzt und in einem 3-D-Bild auf dem Bildschirm dargestellt.
Dieser Datensatz kann für vieles benutzt werden. Gerade nur schwer einschätzbare und messbare Prozesse in der Mundhöhle können so berührungsfrei, ohne Strahlenbelastung erfasst und dokumentiert werden. Dazu gehören Zahnabrasionen, Materialverschleiß, Artikulationsstörungen, Zahnwanderungen, Gingivarezessionen, Schwellungen im Bereich des Alveolarkamms sowie Verlaufskontrollen unter anderem in der Parodontologie, Funktionstherapie und Implantologie. Die Kariesdetektion, welche manche Scanner schon leisten können, ist ein neues nützliches Hilfsmittel. Natürlich kann der Scan auch zur Planung und anschließenden Herstellung von kieferorthopädischen Alignern benutzt werden (Abb. 1).
Der digitale Scan
Ursprünglich diente der digitale Scan aber lediglich als Vorlage um ein, wie auch immer geartetes Werkstück passgenau herzustellen, egal ob Kronen, Brücken, Inlays, Teleskopversorgungen, Implantatversorgungen, Modellgussprothesen oder Provisorien. Im Anschluss wird der Scan entweder über ein Case Center oder direkt per Mail an das zahntechnische Partnerlabor übermittelt. Der Scan muss dabei nicht wie eine konventioneller Alginat- oder Silikonabformung verschiedene thermische oder traumatische Zonen auf dem Weg ins Labor überstehen. Er muss auch nicht termingerecht ausgegossen werden, um erst Stunden später nach dem Versäubern begutachtet werden zu können. Die Daten stehen dem Labor direkt zur Verfügung, während der Patient noch im Stuhl des Zahnarztes sitzt und können zeitgleich vom Zahntechniker bewertet werden. Der ungeliebte Anruf des Technikers mit der Bitte um eine weitere Korrekturabformumg oder einer späteren Nachpräparation entfällt.
Der Rücklauf von zahntechnischen Arbeiten ins Labor ist nach digitalen Abformungen deutlich geringer als nach herkömmlichen Abformungen. Der Zahntechniker kann dann aus den digitalen Daten ein physisches Modell erstellen und analog weiterarbeiten. Einfacher aber über verschiedene Schnittstellen die Daten in das Standartprogramm des Labors übertragen und den Zahnersatz rein digital ohne Modell anfertigen. Modelle dienen oft nur noch zur Kontrolle oder als Arbeitsbühne zum individuellen Verblenden oder Ähnlichem. Ziel der digitalen Zahnmedizin ist es von Behandlungsbeginn bis Abschluss durchgehend digital zu arbeiten. In vielen Praxen werden die Scans aber nicht nach Extern versendet, sondern Inhouse genutzt. Bei dieser sogenannten Chairsidedentistry werden die zu behandelnden Zähne und das gewünschte Material in der Software eingepflegt. Der Zahnarzt muss nach dem Scan lediglich noch die Präparationsgrenzen überprüfen und den Zahnersatz minimal seinen Bedürfnissen und an den Patienten anpassen. Wie etwa Approximalkontakte, Okklusion, Zahnstellungen oder Zahnform. Dazu stehen diverse einfache virtuelle Werkszeuge zur Verfügung. Die Erstvorschläge der Software sind aber mittlerweile so gut, dass sie meistens auch 1:1 übernommen werden können (Abb. 2).
Der Zahnersatz wird wünschenswert direkt am Patienten designed, dies schafft Vertrauen beim Patienten zu der neuen Technik. Die fertigen Daten werden dann über das Praxisnetzwerk an eine 4- oder 5-Achsfräsmaschine drahtlos weitergegeben.
Diese Schritte können problemlos an eine ausgebildete CAD/CAM Helferin delegiert werden. In vielen Praxen wird der gesamte digitale Workflow inklusive dem Scan von ausgebildetem Fachpersonal durchgeführt. Nur das Design sollte noch von Zahnärztin oder Zahnarzt geprüft werden. Die Kronen/Inlays oder auch Brücken werden dann innerhalb von wenigen Minuten aus einem Block herausgeschliffen oder gefräst. Dies passiert entweder unter Wasserkühlung oder bei Zirkonoxiden durch Trockenfräsung mit einer Absaugung des Frässtaubs (Abb. 3).
Materialien
Es stehen mittlerweile sehr viele verschiedene Restaurationsmaterialien zu Verfügung. Die Spanne reicht von provisorischen Kunststoffen über mittelfeste Keramiken bis hin zu hochfesten Zirkonoxiden. Jede Materialklasse erfordert eine andere Herangehensweise und hat eine spezifische Indikation. Hybridkeramiken zum Beispiel sind für einen schnellen Einsatz prädestiniert, da sie minutenschnell ausgeschliffen und nur poliert werden müssen. Lithiumdisilkate eignen sich besonders als Material für hochästhetische Kronenversorgungen oder kleinere Brückenversorgungen. Diese müssen aber zwingend nach dem Ausschleifen noch kristallisiert werden. Die neuesten Materialien dieser Materialklasse der mittelfesten Keramiken durchlaufen diese Kristallisation jetzt schon < 5 Minuten in einem speziellen Ofen. In den vergangenen Jahren gewann Zirkonoxid immer größere Bedeutung. Dies hat zwei Gründe: Das Handling mit Zirkonoxiden wurde vereinfacht und die Sinterzeiten wurden von mehreren Stunden auf wenige Minuten reduziert. Sintern bedeutet, das mechanische Eigenschaften wie Oberflächenbeschaffenheit, Biegefestigkeit und Opaziät durch eine Wärmebehandlung verändert werden (Abb. 4). Die Ästhetik wurde stark verbessert (Abb. 5).
Diese Zirkonoxide sind auch für Brückenversorgungen im Seitenzahnbereich zugelassen. Der Indikationsbereich ist dadurch sehr breit. Außerdem sind die einzuhaltenden Schichtstärken sehr gering und eine konventionelle Befestigung ist legitim.
Bei eingehaltenen Schichtstärken sind übrigens auch Lithiumdisilkate konventionell einsetzbar. Wenn die Möglichkeit einer adäquaten Trockenlegung besteht, empfiehlt es sich aber alle vollkeramischen Restaurationen adhäsiv einzusetzen. Die besseren Haftwerte sprechen einfach dafür.
Die Restaurationen können grundsätzlich im gleichen Termin eingesetzt werden. Dies hat den großen Vorteil, dass der Patient keinen Folgetermin und somit auch kein Provisorium benötigt. Bei größeren Arbeiten gibt es die Möglichkeit, Provisorien aber auch mit der Schleifmaschine kurzzeitig aus PMMA zu erstellen. Die Chairsidebehandlung hat noch weitere Vorteile. Der Behandlungsstuhl muss nicht ein zweites oder drittes Mal vorbereitet werden. Die Patienten benötigen nur einmal eine Anästhesie und es gibt kein Provisorium, das herausfallen könnte. Problematisch ist im Übrigen auch der provisorische Befestigungswerkstoff, da er nur schwer wieder entfernbar ist und dadurch einen späteren definitiven Haftverbund der finalen Restauration reduziert. Für eine vollständige Entfernung sämtlicher Kontaminationen auf der Zahnoberfläche und nach einer Aufbaufüllung sollte immer ein Pulverstrahlgerät mit einem Strahlmittel wie Aluminium und Siliziumoxidpulver (Korngröße 20–80 µm) bei 1-2 bar zum Einsatz kommen (Abb. 6). Dieses wird ohnehin benötigt, da viele Werkstoffe vor dem Einsetzen unbedingt gestrahlt werden müssen. Dazu gehören die Zirkonoxide und die Hybridkeramiken. Die anderen Keramiken müssen streng nach jeweiligem Protokoll mit Flussäure und Silan vorbehandelt werden.
In den modernen Praxen wird durch die digitale Abformung und die Herstellung von Zahnersatz in allen denkbaren Ausführungen die Wertschöpfungskette stark erweitert und die Praxis erfährt einen Digitalisierungsschub (Abb. 7 und 8). Die Patienten sind oft nach einer „digitalen Zahnbehandlung“ über die Geschwindigkeit und den angenehmen Ablauf der Behandlung überrascht und die Empfehlungsrate der Praxis nimmt dadurch immens zu (Abb. 9).
Fazit
Die Einbindung in den digitalen Workflow steigert auch die Motivation des Praxisteams – ein Umstand, der in der heutigen Zeit nicht hoch genug bemessen werden kann. Wie der geschätzte Kollege Dr.Ingo Baresel schon sagte: Die Vorteile der digitalen Abformung überwiegen so stark, das man sich mittlerweile nicht mehr die Frage stellt, ob man sich ein solches System zulegt, sondern nur welches.
Ein Beitrag von Dr. Hendrik Zellerhoff, Laer
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de