Zur Retention koronaler Restaurationen wurzelkanalbehandelter Zähne werden häufig nicht nur konfektionierte Metall- oder Faserstifte verwendet, sondern auch individuell angefertigte gegossene Stiftaufbauten. Insbesondere Wurzelkanäle mit irregulären Querschnittsanatomien, in denen runde konfektionierte Stifte keinen ausreichenden Halt fänden, gelten als Indikation für gegossene Aufbauten. Dr. Nanett Cirkel und Prof. Michael Hülsmann untersuchen in ihrer Übersichtsarbeit für die Endodontie 3/2022 die Erfolgsquote unterschiedlicher Arten gegossener Stiftaufbauten und werten dazu klinische Studien zur Überlebensrate, zur Verlustrate und zu den Gründen eines Misserfolges aus.
Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.
Einleitung
Die Wurzelkanalbehandlung ermöglicht häufig die langfristige Erhaltung auch stark kompromittierter Zähne und gehört daher seit den 1950er Jahren zur zahnärztlichen Standardtherapie1. Bei endodontisch behandelten Zähnen mit reduzierter Menge an verbleibender Zahnhartsubstanz wurden gegossene Stiftaufbauten lange Zeit routinemäßig zur postendodontischen Restauration verwendet1 (Abb. 1). Nach Entwicklung von Faserstiftsystemen mit zahnähnlicheren physikalischen und mechanischen Eigenschaften werden die Vorteile und Indikationsbereiche gegossener Stiftaufbauten allerdings immer kritischer diskutiert.
Indikationsstellung
Bei der Indikationsstellung zur Insertion von Stiften sind mehrere Faktoren zu beachten, eindeutige und allgemeingültige Leitlinien liegen bis heute nicht vor. Peroz et al. fassten 2005 die Indikationen für die Insertion von Stiftaufbauten zusammen: Ein Stift sollte nur dann für die Retention des Aufbaumaterials eingebracht werden, wenn nur noch eine oder keine Kavitätenwand mehr vorhanden ist2.
Ferrule
Um die Frakturresistenz eines tief zerstörten Zahns zu erhöhen und den Zahn langfristig zu erhalten, ist – auch bei Restauration mit Stiftaufbauten – die Präparation eines Fassreifens (Ferrule-Effekt) unumgänglich2. Der Ferrule ist definiert als eine zirkuläre 360°-Metallfassung um den Zahn, wobei 1 mm des koronalen Dentins über der Schulter liegen soll. Für das Maximum an Widerstand sollen die koronalen Wände möglichst parallel präpariert werden3. Sterzenbach et al. stellten fest, dass ein 2-mm-Ferrule bei einem Zerstörungsgrad der Klasse 4 die Belastbarkeit des Zahns um das 2,5−3fache heraufsetzt4. In einer Finite-Element-Analyse bewiesen Chen et al., dass eine Dentinhöhe des Ferrule von 3 mm zur Stressreduktion in einem Zirkonstift und an der Stift-Dentin-Grenzfläche beiträgt. Auch verändert sich die Stressverteilung vom Apex und mittleren Wurzeldrittel hin zum zervikalen Wurzeldrittel5. Aus diesem Grund ist die Präparation eines Fassreifens unbedingt zu empfehlen.
Für den Stiftaufbau wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche Materialien auf den Markt gebracht, die jeweils spezifische Vor- und Nachteile aufweisen. Materialien mit einem höheren Elastizitäts-Modul (E-Modul), hierzu zählen Metallstifte, zeigen in In-vitro-Studien mehr Wurzelfrakturen als beispielsweise Glasfaserstifte6. Der Bruch verläuft häufig im apikalen bis mittleren Drittel der Wurzel und ist irreparabel7 (Abb. 2).
Das Vorhandensein eines Ferrule-Effekts ist maßgebend für die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Zahns mit einem gegossenen Stiftaufbau8. Dennoch liegen noch weitere Einflussfaktoren vor, die bei einem endodontisch behandelten Zahn das Frakturrisiko verringern. Caplan et. al. stellten fest, dass ein endodontisch behandelter Zahn mit keinem oder nur einem Approximalkontakt dreimal so häufig verloren geht wie ein Zahn mit zwei Kontaktpunkten9. Auch die okklusale Belastung spielt eine Rolle10.
Endodontisch behandelte Frontzähne oder Eckzähne weisen eine doppelt so hohe Versagensrate auf wie ebenso behandelte Prämolaren oder Molaren11. Dies kann durch die nichtaxiale Belastung der Frontzähne erklärt werden12,13.
Nachteile gegossener Stiftaufbauten
Folgende Misserfolge können bei der Versorgung endodontisch behandelter Zähne mit gegossenen Stiftaufbauten auftreten:
- endodontische Misserfolge,
- Kronendislokationen,
- Stiftfrakturen,
- Stiftdezementierungen,
- Sekundärkaries,
- Wurzelfrakturen,
- Rissbildungen und
- koronale Undichtigkeiten („coronal leakage“).
Überlebensraten gegossener Stiftaufbauten
Die zwölf ausgewählten Studien untersuchten den Erfolg gegossener Stiftaufbauten über einen Untersuchungszeitraum von 2,1−17 Jahren. Stiftaufbauten aus verschiedenen Materialien wurden mit gegossenen Stiftaufbauten verglichen. Unterschiedliche Legierungen bwziehungsweise Materialien (hochgoldhaltige, Gold-Palladium, Gold-Silber-Palladium, Silber, Kobalt-Chrom) wurden zur Herstellung der gegossenen Stiftaufbauten eingesetzt. Sie wurden verglichen mit Stiftaufbauten aus Glasfasern, Titanstiften, Radixankern, Metallstiften mit Kompositaufbau, Carbonfaserstiften mit gegossenem Goldaufbau und Kompositaufbauten ohne Stift14–25.
Über Kontrollgruppen mit Zähnen ohne Stiftaufbauten und nur mit Kompositrestauration berichten nur drei Studien15−17. Das Evidenzlevel der Studien variiert zwischen Level 114, Level 215–19 und Level 320–25.
Die Zahlen von Stiftaufbauten und Patienten variieren in den betrachteten Studien über einen sehr langen Untersuchungszeitraum sehr stark14,25 und die Studien verzeichneten verständlicherweise (Zahnarztwechsel, Umzug etc.) nur eine geringe Recallrate (nach 15 Jahren 20,8 Prozent14, nach 17 Jahren 28 Prozent25). Pro Untersuchungsjahr ging die Zahl der nachkontrollierten Stiftaufbauten zurück.
Mit der zeitlichen Dauer der Studie verminderte sich die Erfolgsquote der gegossenen Stiftaufbauten. Die Erfolgsquote fiel bei Hikasa et al.14 von 92,7 Prozent nach den ersten fünf Jahren auf 75,5 Prozent nach zehn Jahren und auf nur noch 55,4 Prozent nach 15 Jahren. Gomez-Polo et al.21 geben nach zehn Jahren eine Erfolgsquote von 82,6 Prozent an. Ellner et al.18beschreiben wiederum nach zehn Jahren eine Überlebensquote von 92−100 Prozent. In den übrigen Studien schwankt die Quote zwischen 73−96 Prozent (Tab. 1 und 2).
Hikasa et al.14 stellten auch bei den Vergleichsgruppen einen Abfall der Erfolgsquoten über die Jahre fest. In der Kontrollgruppe wurde ein Metallstift mit Kompositaufbau verwendet. Auch dieser zeigte nach 15 Jahren einen erheblichen Abfall von 95 Prozent nach fünf Jahren auf 78,7 Prozent nach 15 Jahren14. Ein Titanstift mit einem Kompositaufbau wies nach 10 Jahren nur noch eine Erfolgsquote von ca. 65 Prozent auf20 (Tab. 3).
Die häufigsten Komplikationen bei gegossenen Stiftaufbauten verursachten Dezementierungen (1,3−23,3 Prozent), Karies (0−11,6 Prozent), apikale Parodontitis (1,7−12,2 Prozent) (Abb. 3a und b), parodontale Probleme (1,1−14,6 Prozent), Wurzelfrakturen (1−12 Prozent) und Stiftfrakturen (0,4−9 Prozent) (Tab. 3).
Die Versagensraten unterscheiden sich in einigen Studien geschlechtsabhängig, in anderen war dieser Unterschied nicht zu erkennen14,21.
Für die Erfolgsquote gegossener Stiftaufbauten bezeichnen viele Studien den Ferrule-Effekt als maßgebend8. Bei stark zerstörten Zähnen erwiesen sich gegossene Stiftaufbauten als haltbarer, verglichen mit Metallstiften mit Kompositaufbauten25. Viele Studien erwähnen die Stärke der stehengebliebenen Dentinwand nicht, die sich in einigen Arbeiten jedoch als entscheidend für die Lebensdauer des behandelten Zahnes erwies15,25. Häufig unerwähnt bleibt in den meisten Studien der genaue Ablauf der Wurzelkanalbehandlung14,15,17–23,25.
Bei der Bewertung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass zum Teil eine große Anzahl von Zahnärzten (bis zu 45 Zahnärzte) mit unterschiedlicher Qualifikation die Behandlungen durchführten14.
Hikasa et al.14 und Muanga et al.24 stellten eine höhere Erfolgsquote bei Metallstiften mit Kompositaufbau gegenüber gegossenen Stiftaufbauten fest. Die übrigen Studien fanden keinen signifikanten Unterschied. Mit gegossenen Stiftaufbauten soll der stark zerstörte Zahn häufig vor einer Extraktion bewahrt und mit einer Krone versorgt werden. Über den Erfolg der Versorgung bestimmen sowohl die durchgeführte Wurzelkanalbehandlung als auch Geschick und Erfahrung des Zahnarztes und die Qualität der Restauration. Die Studien gehen meistens nicht auf den Ablauf der Wurzelkanalbehandlung sowie die häufig sehr unterschiedlichen Qualifikationen der behandelnden Zahnärzte ein. In den Studien von Gomez- Polo et al.21 und Salvi et al.16 wurden alle Behandlungen immer vom selben Zahnarzt durchgeführt.
Diskussion
Wurzelkanalbehandelte Zähne neigen zu Längsrissen (13,4 Prozent26); der genaue Grund konnte bislang noch nicht eindeutig identifiziert werden. Verschiedene Faktoren sind wahrscheinlich hierfür verantwortlich, darunter vermehrter Stress auf die Dentinwände nach exzessiver Erweiterung des Wurzelkanalsystems oder zu hoher Druckaufwand bei der Obturation27.
Einige In-vitro-Studien zeigten, dass wegen des höheren E-Moduls Zähne mit Stiften aus Metall eher zu Frakturen neigen als mit Glasfaserstiften restaurierte Zähne6. Die in dieser Übersichtsarbeit ausgewerteten Studien beziffern den Verlust gegossener Stiftaufbauten durch Wurzelfrakturen mit 1,7−12 Prozent17. In einer Kontrollstudie von Ricucci et al.28 an endodontisch behandelten Zähnen ohne Stiftversorgung erlitten in einem Fünf-Jahreszeitraum 3,3 Prozent der Zähne vertikale Frakturen, 2,5 Prozent der Zähne wurden wegen einer nicht mehr restaurierbaren Karies gezogen und 1,2 Prozent von insgesamt 878 Zähnen wurden aus unbekanntem Grund extrahiert28.
Leider liegen nur wenige Studien vor, in denen Erfolgs- oder Überlebensraten einer Kontrollgruppe (nur Wurzelfüllung mit Kompositaufbau) mit den Erfolgsquoten von gegossenen Stiftaufbauten verglichen werden. In einigen Studien (ohne Stiftinsertion) wurden Zähne ausgeschlossen, die im Beobachtungszeitraum wegen Frakturen extrahiert wurden. Die Erfolgsquoten gegossener Stiftaufbauten schwanken zwischen 55 Prozent und 96 Prozent. Die Erfolgsquoten von endodontisch versorgten Zähnen liegen zwischen 73 Prozent und 97 Prozent (siehe Tabelle 3).
Skupien et al.29 stellten an wurzelkanalbehandelten Zähnen eine höhere Zahnüberlebensrate für Kompositrestaurationen als für Kronen fest. Dies lässt sich dadurch erklären, dass Zähne mit einer Kronenrestauration in der Regel eine deutlich geringere Restzahnhartsubstanz aufweisen als Zähne, die noch mit Kompositfüllungen restauriert werden können29. Dies betrifft auch Zähne, die einen gegossenen Stumpfaufbau erhalten. Auch Karies und parodontale Probleme vermindern stark die Überlebenswahrscheinlichkeit gegossener Stiftaufbauten. Diese Ursachen stehen aber nicht mit der Stiftbohrung in Zusammenhang. Dezementierung stellt ebenfalls eine häufige, aber reparable Komplikation dar.
Viele Studien liefen nur über eine vergleichsweise kurze Zeit. Hikasa et al.14 stellten einen drastischen Abfall der Erfolgsquote nach 15 Jahren fest. Die Belastung eines Zahns wächst über die Jahre mit der Anzahl der Belastungszyklen. Daher sind Aussagen über den Erfolg und Misserfolg einer Behandlung nach kurzer Zeit wenig aussagekräftig.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass gegossene Aufbauten die Prognose endodontisch behandelter Zähne nicht verbessern und mit zahlreichen Risiken assoziiert sind.
Ein Beitrag von Dr. Nanett Cirkel, Nürnberg und Prof. Dr. Michael Hülsmann, Zürich
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