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Frühzeitige Diagnose, Behandlung und das Wissen um Ätiologie und physiologische Vorgänge sind wichtig für den Zahnerhalt

Isolierung mit Kofferdam zur Verdrängung der prominenten Zunge und Darstellung der Resorptionslakunen und der Perforation zur Pulpa

Externe invasive zervikale Resorptionen (engl.: external cervical resorption, ECR) sind multifaktoriell bedingt und können zu irreparablen dentalen Schäden und zum Zahnverlust führen. Das Wissen um die Ätiologie und physiologischen Vorgänge von ECR sind für die erfolgreiche Therapie von großer Bedeutung. Zusätzliche Wurzelkanäle können bei allen Zahntypen auftreten und ihr Auffinden und ihre endodontische Behandlung können über den Therapieerfolg entscheiden. Autor Dr. Johannes Stemmann zeigt in seinem Fallbericht für die Endodontie 3/2022 das Management einer ECR mit anschließender Wurzelkanalbehandlung eines Unterkiefermolaren mit der anatomischen Besonderheit von vier mesialen Wurzelkanälen.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.

Einleitung

ECR verursachen lange Zeit keine Symptome, schreiten daher oft unbemerkt voran und können zum Zahnverlust führen1−3. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können die Chance auf Zahnerhalt erhöhen2. Mit einem Anteil von 14 Prozent sind Unterkiefermolaren nach mittleren Ober­kieferfrontzähnen am zweithäufigsten betroffen4. Am Resorptionsprozess sind das Parodont, die Zahnhartsubstanzen und im fortgeschrittenen Stadium ebenfalls die Pulpa beteiligt5,6. Klinisch findet sich häufig das pathognomische Erscheinungsbild eines „Pink Spot“7,8.

Die Existenz zusätzlicher mittlerer Wurzel­kanäle in der mesialen Wurzel von Unterkiefermolaren (engl.: middle mesial canal, MMC) ist in der Literatur ausführlich beschrieben. Dies gilt nicht für die Prävalenz doppelter mittlerer me­sialer Kanäle (DMMC). MMC liegen oft in oder unter Isthmen verborgen und sowohl ihr Auf­finden als auch ihre Präparation können sich komplex gestalten9,10. Beides entscheidet aber unter Umständen über den Therapieerfolg11.

Der vorgestellte Fall zeigt das Management einer ECR sowie die anschließende Wurzelkanalbehandlung eines Zahnes 46 mit vier mesialen Wurzelkanälen.

Falldarstellung

Spezielle Anamnese

Der 53-jährige Neupatient stellte sich mit pro­gredienten Beschwerden im rechten Unterkiefer vor. Anamnestische Besonderheiten waren eine Bypass-Operation vier Jahre zuvor und eine Allergie gegen Gräser und Tierhaare. Der Patient gab die regelmäßige Einnahme von Aspirin 100 und Novo­pulmon an. Des Weiteren gab er an, in psychischer Behandlung zu sein und mit den Zähnen zu knirschen beziehungsweise zu pressen. Eine vor Jahren alio loco angefertigte Schiene hatte der Patient für unkomfortabel gehalten und nicht getragen. Nach klinischer Untersuchung und Erstel­lung einer Einzelzahnaufnahme (Abb. 1) wurde die Verdachtsdiagnose einer Resorption für Zahn 46 gestellt.

Klinischer Ausgangsbefund und Diagnose

Zum Folgetermin stellte sich der Patient mit nun starken, spontan auftretenden, teilweise bis in das Ohr ziehenden Beschwerden im rechten Unter­kiefer vor. Zahn 46 wies eine klinisch suffiziente Teilkrone aus Keramik auf und reagierte auf den Kältetest mit einer starken, reizüberdauernden Schmerzsensation. Der Perkussionstest fiel ne­gativ aus und distolingual zeigte sich eine rosa­farbene Verfärbung (Abb. 2). Die parodontalen Sondierungswerte waren zirkulär unauffällig, jedoch trat im Bereich der Verfärbung eine pro­fuse Blutung auf und es konnte horizontal eine sondenharte Läsion ertastet werden. Klinisch wurde für Zahn 46 die Diagnose einer invasiven ECR mit nachfolgender akuter und irreversibler Pulpitis gestellt. Zur Abschätzung der Prognose und Behandlungsplanung wurde dem Patienten die Erstellung einer digitalen Volumentomografie (DVT) mit kleinem Volumen empfohlen.

Radiologischer Ausgangsbefund

Die ECR an Zahn 46 stellt sich im Röntgenbild mit orthoradialem Strahlengang als zentral gelegene, rundliche Aufhellung dar. Nach Einwilligung des Patienten erfolgte die Erstellung der DVT (PaX-Duo 3D,  Orangedental). In dieser zeigt sich die Resorption im distolingualen Anteil der Zahnkrone mit weniger als 90° zirkumferenter epikrestaler Ausdehnung und mutmaßlicher Beteiligung der Pulpa (Abb. 3). Die Resorption entsprach damit einer Heithersay-Klasse 212 und einer Klasse 1Ap in der Klassifikation nach Patel et al.13.

Therapieempfehlung und Aufklärung

Dem Patienten wurden die verschiedenen The­rapiemöglichkeiten aufgezeigt. Nach Abwägung aller Möglichkeiten und Erläuterung des Behandlungsablaufs und der Kostenaufklärung entschied er sich für den Versuch der Zahnerhaltung.

Aufgrund der starken Schmerzen wurde die Behandlung mit der Resorptionsdeckung und Vital­exstirpation bis in das mittlere Wurzelkanal­drittel am selben Tag begonnen.

Resorptionsdeckung

Nach Leitungsanästhesie wurde unter dem Mi­kroskop distolingual an Zahn 46 ein Mukoperiost­lappen zur Defektdarstellung präpariert. Hierfür wurde eine marginale Schnittführung von Zahn 45−47 gewählt, welche einen ausreichenden Zugang zur Läsion gewährleistete. Nach initialer Defektdarstellung wurde Kofferdam angelegt und das Resorptionsgewebe mithilfe einer chirurgischen Kürette und Langschaft-Rosenbohrern (Munce Bohrer, HanChaDent) entfernt (Abb. 4). Es wurden die für Resorptionen typischen fingerförmigen Resorptionskanäle dargestellt und entfernt. Aus einer Verbindung zum Pulpakavum kam es zu einer anhaltenden Blutung (Abb. 5). Um den Defekt adhäsiv decken zu können, wurden daher zunächst eine koronale Pulpotomie und aufgrund der unvermindert starken, nicht zu stillenden Blutung in allen Wurzel­kanälen eine Exstirpation der Pulpa aller Wurzelkanäle bis in das mittlere Drittel durchgeführt. Es erfolgte eine Medikamenteneinlage mit Ledermix (Riemser); die Trepanationsöffnung wurde provisorisch mit Cavit (Espe) verschlossen. Aufgrund der krestalen Ausdehnung der Resorption konnte die Kofferdamklammer nicht ideal positioniert werden, weshalb der Kofferdam lingual mit Polytetrafluorethylen-Band (PTFE, Teflon) zusätzlich abgedichtet und unter dem Flügel der Kofferdamklammer eine Watte­rolle positioniert wurde. Die adhäsive Deckung des Defekts erfolgte mit Komposit in Säure-Ätz- Technik, wobei das Cavit als intrakoronales Wider­lager genutzt wurde. Nach Abnahme des Kofferdams erfolgte die sorgfältige Entfernung des noch verbliebenen Rests an granulomatösem Resorptionsgewebe vom marginalen Parodont. Der Lappen wurde repositioniert und mit zwei Einzelknopfnähten mit monofilamentärem Faden fixiert. Der Patient wurde instruiert, dass er für die nächsten 2 Tage das Wundgebiet nicht und danach nur behutsam mit einer Handzahnbürste putzen sollte. Zusätzlich wurden zweimal täglich Spülungen mit 0,2 -prozentigem Chlorhexidin angeordnet.

Intrakoronale Diagnostik und Wurzelkanalbehandlung

Eine Woche nach der Schmerzbehandlung stellte sich der beschwerdefreie Patient zur Weiterbehandlung vor. Die Wundverhältnisse waren reizlos und die Nähte wurden entfernt (Abb. 6). Nach Leitungs- und zusätzlicher bukkaler Infiltrationsanästhesie wurde Kofferdam angelegt und der Zahn retrepaniert. Die intrakoronale und intrakanaläre Diagnostik14 zeigten eine suffizient erscheinende Teilkrone und Isthmen in der mesialen und distalen Wurzel. Der mesiale Isthmus wurde nach apikal verfolgt. Ungefähr 2−3 Millimeter sub­kres­tal konnten zwischen dem mesiolingualen (ml) und mesiobukkalen (mb) Kanal zwei weitere Kanäle, ein mittlerer mesiolingualer (mml) und ein mittlerer mesiobukkaler (mmb) Kanal, mit einem Microopener der Größe ISO 10 (Fa. Dentsply, Konstanz) ertastet werden (Abb. 7 und 8). Das Erstellen des Gleitpfades (bis ISO 15) erwies sich aufgrund der Grazilität und apikalen Krümmungen der Kanäle als sehr zeitintensiv. Die Längen der sechs Wurzelkanäle wurden endometrisch (Root ZX mini, Fa. Morita, Dietzenbach) bestimmt. Nach ultraschallaktivierter Spülung mit 10 Milli­litern 3-prozentiger Natriumhypochlorit-Lösung pro Wurzelkanal wurde Kalziumhydroxid eingelegt und der Zahn temporär verschlossen.

Knapp zwei Wochen später erschien der Patient beschwerdefrei zur Wurzelkanalfüllung. Das marginale Parodont stellte sich reizlos und regelrecht ausheilend dar. Nach Anlegen des Kofferdams und Retrepanation des Zahns wurde ddie medikamentöse Einlage entfernt; Röntgenkontrastaufnahmen in mesial- und distalexzentrischen Projektionen wurden angefertigt (Abb. 9), die die elektrisch ermittelten Längen und vermuteten Kanalkonfigurationen bestätigten. In der mesialen Wurzel konfluierten mb mit mmb und ml mit mml, was vier Kanaleingängen (Abb. 10) mit zwei apikalen Foramina und damit einem Typ XIV nach durch Sert und Bayirli modifizierter Vertucci-Klassifikation entspricht15. Die maschinelle Präparation erfolgte mit dem WaveOne Gold-System (Dentsply). Die Wurzelkanalfüllung wurde in Continuous wave-Technik (Guttapercha und AH Plus Jet, Dentsply) durchgeführt und radiologisch kontrolliert (Abb. 11). Der definitive Verschluss der Trepanationsöffnung erfolgte intrakanalär verankert in Säure-Ätz-Technik.

Recall

Bei der Sechs-Monats-Kontrolle war der Patient beschwerdefrei und sowohl klinisch (Abb. 12) als auch radiologisch (Abb. 13) wurde ein regelrechter Heilungsverlauf festgestellt. Ein Rezidiv wurde bis dato ausgeschlossen.

Diskussion

Die technische Durchführbarkeit der Behandlung von ECR und damit auch die Prognose hängen entscheidend von der Lokalisation und Ausdehnung ab2,8. Um diese möglichst präzise einschätzen und den Eingriff optimal planen zu können, ist eine präoperative DVT empfehlenswert2,16. Die Einordnung der Ausdehnung und Lokalisation in allen drei Raumebenen auf Basis einer DVT in der Klassifikation nach Patel et al.13 kann hierbei hilfreich sein und weist Vorteile gegenüber der zweidimensionalen Klassifikation nach Heithersay12 auf8.

Das Management einer ECR ist abhängig vom Grad der Ausprägung und reicht von minimalinvasiver Defektdeckung über größere Eingriffe mit oder ohne parodontalchirurgische und endodontische Maßnahmen bis hin zur Extraktion2,8. Die aus Prädentin bestehende, perikanaläre und resorptionsresistente Schicht (engl.: pericanalar resorption-resistant sheet, PRRS) umgibt die Pulpa und verhindert bis in ein fortgeschrittenes Stadium ihre Einbeziehung in den Resorptionsprozess4,6. Wird sie durchbrochen, kommt es über den Speichel zur direkten bakteriellen Penetration. Erst zu diesem Zeitpunkt kann der Vorgang symptomatisch werden8. Die PRRS ist zwischen 70 und 490 µm dick6 und oftmals gut auf Kleinbildröntgenaufnahmen oder in der DVT zu identifizieren. Eine Behandlung der Resorption mit Defekt­deckung ohne endodontische Maßnahmen kam im vorliegenden Fall aufgrund der Pulpaexposition nicht mehr infrage. Um ein Rezidiv zu vermeiden, müssen möglichst das gesamte parodontale und intrakoronale Resorptionsgewebe entfernt und alle Eintrittspforten (engl.: portal of entry, POE) und Resorptionskanälchen verschlossen beziehungsweise behandelt werden2. Zu diesem Zweck kann der Einsatz von Trichloressigsäure sinnvoll sein, um mechanisch nicht zu entfernendes Resorptionsgewebe zu erreichen2,12. In dem vorliegenden Fall konnte dank der guten Zugänglichkeit und des begrenzten Ausmaßes des Resorptionsdefekts darauf verzichtet werden.

Zur Prävalenz von DMMC in der mesialen Wurzel erster Unterkiefermolaren wurden lediglich eine Studie und vier klinische Fallberichte gefunden17−21. Nach einer indischen Studie20 liegt die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein von vier Wurzelkanälen in mesialen Wurzeln erster Unterkiefermolaren bei 3,3 Prozent. Allerdings ist die Anzahl mit 60 untersuchten Zähnen eher klein und die Wurzelkanalanatomie und das Vorliegen von MMC sind abhängig von der ethnischen Herkunft22,23 und damit für den kaukasischen Patienten im vorliegen Fall nicht zwingend repräsentativ. Die Prävalenz von MMC wird in der Literatur je nach Studie und Probandengut zwischen 0,26 Prozent und 53,8 Prozent angegeben23. Eine amerikanische Studie24 ermittelte einen Wert von 16,4 Prozent für das Vorliegen von MMC bei Unterkiefermolaren, wobei 26 Prozent der MMC in ersten und 8 Prozent in zweiten Molaren gefunden wurden. Einen Einfluss auf die Prävalenz mittlerer mesialer Kanäle in Unterkiefermolaren scheint auch das Alter zu haben. Ein gehäuftes Auftreten ist in der jüngeren bis mittleren Lebensspanne zu erwarten25,26.

Die Wahrscheinlichkeit von Isthmen in ersten Unterkiefermolaren liegt nach einem systematischen Review in der mesialen Wurzel durchschnittlich bei 55 Prozent und in der distalen Wurzel bei 20 Prozent22. Das Bearbeiten und Nachverfolgen der Isthmen unter Einsatz eines dentalen Operationsmikroskops (DOM) erhöht hierbei die Wahrscheinlichkeit für die Detektion von MMC9. Eine türkische Studie10 zeigt, dass 77,4 Prozent der Eingänge von MMC auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze liegen. 5,4 Prozent liegen jedoch einen Millimeter, 9,7 Prozent 2 Millimeter und 7,5 Prozent sogar mehr als 2 Milli­meter weiter apikal und bedürfen, wie in dem vorlie­genden Fall, einer Freipräparation. Da viele Studien zur Prävalenz von MMC auf die Auswertung von in vivo angefertigten DVT zurückgehen, kann deren Einsatz möglicherweise hilfreich sein. Jedoch sind hierbei die Qualität, das Volumen und die Voxelgröße des eingesetzten Gerätes entscheidend. Selbst bei einer höher auflösenden DVT dürften kleinvolumige Wurzelkanäle, wie im hier dargestellten Fall, schwer zweifelsfrei auf­zufinden sein. Daher ist ihre routinemäßige Er­stellung zur Detektion von MMC nicht indiziert. Im Gegensatz dazu stellt die Behandlung unter dem DOM ein geeignetes Mittel dar27,28.

Die Einmündung von MMC in einen der Hauptkanäle stellt die häufigste Konfiguration dar23. In diesen Fällen ist im Bereich der Konfluenz häufig ebenfalls mit einem (nicht einsehbaren) Isthmus zu rechnen.

Ein Beitrag von Dr. Johannes Stemmann, Hamburg

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Endodontie 03/2022 Endodontie

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