An zwei Tagen am heimischen Rechner auf dem aktuellen Stand gebracht – dieses Fazit konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen DGZMK/APW-Jahrestagung anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Akademie Praxis und Wissenschaft (APW) ziehen. Sie bot im Online-Format am 13. und 14. September 2024 einen umfassenden Überblick über aktuelle Entwicklungen in nahezu allen zahnmedizinischen Disziplinen – auch wenn der im Kongresstitel „Zahnmedizin 2024: Welche Qualität müssen wir uns leisten?“ für viele sicher mitschwingende betriebswirtschaftliche Hintergrund einer modernen Zahnmedizin eher seltener in Spiel kam.
„Wir wollen im Rahmen des wissenschaftlichen Programms den Blick nach vorne richten und zentrale Fragen zur Qualität der Zahnmedizin von morgen mit führenden Expertinnen und Experten diskutieren,“ sagte DGZMK-Präsident Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang bei der Begrüßung zur Tagung. Der APW-Vorsitzende Dr. Dr. Markus Tröltzsch hatte gemeinsam mit seinen Stellvertretern Dr. Markus Bechtold und Prof. Dr. Christian Gernhardt für die DGZMK/APW-Jahrestagung in Kooperation mit dem Deutschen Zahnärztetag ein hochkarätiges Programm zusammengestellt. Die Referentinnen und Referenten nahmen dabei immer wieder Bezug auf die Empfehlungen in aktuellen Leitlinien, gemäß dem Tagungsmotto „Zahnmedizin 2024: Welche Qualität müssen wir uns leisten?“
Steigende Zahl gesundheitlich kompromittierter Patienten
Die chirurgischen und implantologischen Vorträge nahmen immer wieder Bezug auf die älter werdende Bevölkerung und die steigende Zahl an gesundheitlich kompromittierten Patienten, die zukünftig versorgt werden müssen. In der Implantologie beschreiben aktuelle Leitlinien einen Paradigmenwechsel. Viele Situationen, die in früheren Lehrbüchern als Kontraindikation für dentale Implantate galt, werden heute eher als Ausnahme-Indikation gesehen. Die implantologischen Leitlinien seien dahingehend immer wieder aktualisiert worden, führte Prof. Dr. Dr. Knut Grötz, Wiesbaden, in seinem Vortag aus. Prof. Dr. Matthias Schneider, Dresden, gab in seinem Vortrag viele Hinweise für eine chirurgische Therapie unter Antikoagulanzien.
„Königsdisziplin“ Diagnostik von Mundschleimhauterkrankungen
Als „Königsdisziplin der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ bezeichnete Prof. Dr. Jochen Jackowski aus Witten die oft herausfordernde Diagnostik von Mundschleimhauterkrankungen. „Man stirbt nicht an Zahnlosigkeit, aber möglicherweise an einem nicht oder nicht rechtzeitig erkannten Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle“, unterstrich er die Bedeutung des Themas, zu dem er ein praxisnahes Update gab und noch einmal an die Grundlagen einer sorgfältigen Inspektion der gesamten Mundhöhle erinnerte. Eine frühe Diagnostik führe zu einer deutlich höheren Überlebensrate. Mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz könnte es vielleicht künftig leichter machen, ein standardisiertes Screening durchzuführen. Sein Vortrag dürfte vielen einen Anstoß gegeben haben, sich noch einmal intensiver mit Mundschleimhauterkrankungen zu befassen.
Entscheidend ist, wie lange der Zahn hält
„Ist es wichtig, wie lange eine Füllung hält?“, fragte Prof. Dr. Roland Frankenberger in seinem Vortrag etwas provokant. Im Grunde ist sei es viel wichtiger, wie lange der Zahn hält, war seine Antwort. Und dazu könne eine bestenfalls minimalinvasive Füllungstherapie einen großen Beitrag leisten, so Frankenberger, der damit auch einen Blick auf die möglichen Amalgamalternativen ab 2025 warf. Die klassische Kompositfüllung sah er nicht als Kassenleistung. Auch eine konkrete Produktempfehlung sei nicht hilfreich – die Kolleginnen und Kollegen sollten verwenden, was sie gut beherrschen. Und Silberdiaminfluorid hat in einer minimalinvasiven Zahnmedizin einen neuen Stellenwert bekommen, so Frankenberger: „Das mache ich 1.000 Prozent häufiger als noch vor zehn Jahren“, so Frankenberger. Vor allem bei alten Patienten und Kindern biete es viele Vorteile und werde sogar explizit nachgefragt.
Selektive Kariesexkavation keine Lösung für alle
Prof. Dr. Till Dammaschke, Münster, warf einen kritischen Blick auf die zeitweise sehr propagierte selektive Kariesexkavation. Der Zustand nach selektiver Kariesexkavation sei eher eine „klinische Symptomlosigkeit“, wobei das Pulpagewebe allerdings langfristig auf histologischer Ebene betrachtet nicht gesund bleibe. Eine Auffassung, die auch die American Association of Endodontists (AAE) teilt. Eine Indikation für eine selektive Kariesexkavation sieht Dammaschke im Milchgebiss oder bei sehr alten Patienten mit Grunderkrankungen.
Kritischer Blick auf Tests in der Parodontologie
Über die medizinische Bedeutung der Parodontologie referierte Prof. Dr. Henrik Dommisch aus Berlin und ging dabei im Besonderen auf die Pathomechanismen der Adipositas und des Diabetes in Wechselwirkung mit einer Parodontitis ein. Prof. Dr. Peter Eickholz aus Frankfurt dröselte das Thema aMMP-8-Tests auf. Diagnostisch böten diese Tests in der Hand erfahrener Zahnärzte oder gar Parodontologen keinen Mehrwert. „Wenn Sie mich fragen: Bei mir hat der keine Aufgabe in meinem Therapiekonzept“, so Eickholz.
Ob solche Tests in der Hand von Ärzten hilfreich seien, wie oft beworben, auch daran setzte er ein Fragezeichen. Für Patienten, die nicht zum Zahnarzt gingen, sei das vielleicht noch eine Option, aber diese Tests seien privat zu bezahlen und am Ende lande der Patient dann doch beim Zahnarzt. Sinnvoller seien eher systematische Fragebögen auch zur Mundgesundheit.
Prävention der Nekrose wichtiger als Zahnerhalt
Interdisziplinäre Ansätze verfolgten die Vorträge zum Thema Paro-Endo- und Endo-Paro-Läsionen, zur Periimplantitistherapie und zur Frage der Sanierung von Patienten vor oder nach einer Antiresorptiva-Behandlung. Hier komme es darauf an, um welche Art der Behandlung es gehe. Gerade bei Tumorpatienten, die kurzzeitig mit hohen Dosen behandelt würden, trete ein möglicher Zahnerhalt bei fraglichen Zähnen hinter die Prävention einer Kiefernekrose zurück. Bei Patientinnen und Patienten, die Antiresorptiva oral oder nur zeitweise/in geringer Dosierung zum Beispiel bei Osteoporose erhielten, sei das anders zu werten, so Prof. (apl.) Dr. med. Dr. med. dent. Oliver Ristow.
Sportmundschutz nur individuell gefertigt sinnvoll
Das Thema Zahnschienen beleuchtete ZA Stavros Avgerinos, Oberhausen, aus protektiver Sicht der Sportzahnmedizin. Er stellte Kriterien für die Herstellung und die Funktion eines Sportmundschutzes vor, der vom Zahnarzt/Zahntechniker mit Hilfe von Arbeitsmodellen gefertigt sein sollte. Den noch häufig genutzten vorgefertigten oder mit „boil and bite“-Verfahren hergestellten Mundschutz-Versionen erteilte er eine klare Absage.
Das Ziel einer Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) dagegen ist die Erweiterung der oberen Atemwege bei obstruktiver Schlafapnoe. Dr. Horst Kares, St. Ingbert, erläuterte als Experte für Schlafzahnmedizin, wie eine UPS durch Vorschub des UK und Stabilisierung des Mundschlusses Schnarchen unterbinden kann.
Aspekt der Okklusion beim Bruxismus im Hintergrund
Beim Thema Bruxismus wies Prof. Dr. Ingrid Peroz darauf hin, dass der Aspekt der Okklusion im Gegensatz zu früherer Betrachtung in den Hintergrund getreten ist. Das Zähneknirschen und -pressen gilt heute eher als zentralnervöse Störung. So zitierte sie aus der aktuellen Leitlinie, dass definitive okklusale Behandlungen zur kausalen Therapie von Bruxismus nicht eingesetzt werden sollen.
Frühe Therapie in der Kieferorthopädie
Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner aus Marburg plädierte für den frühzeitigen Beginn einer kieferorthopädischen Therapie. Aus der aktuellen Leitlinie über die idealen Behandlungszeitpunkte kieferorthopädischer Anomalien zitierte sie unter anderem die „Sollte-Empfehlung“ für einen frühen Behandlungsbeginn der Klasse-III-Anomalie in der frühen Wechselgebissphase.
Weitere Vorträge befassten sich mit umfangreichen, funktionalen und ästhetischen Rehabilitationen mithilfe von CAD/CAM-Technologie, der digital unterstützten Implantologie und modernen Intraoralscannern, die mehr können, als nur digitale Abformungen zu erstellen.
Impulse für den Berufsstart
Neben dem wissenschaftlichen Hauptprogramm verfolgten viele junge Kolleginnen und Kollegen die Vorträge des kostenlosen Studierenden- und Assistententages am Bildschirm.
Ein besonderer Schwerpunkt des Kongress-Samstags lag auf den jungen Kolleginnen und Kollegen in der Zahnmedizin. In einer speziell auf Studierende und Assistenzzahnärzte ausgerichteten kostenlosen Online-Session erhielten die Teilnehmer wertvolle „Insider-Tipps“ für den Berufsstart. Die Vorträge von Dr. Dilara Arslan (Assistenzzahnärztin, Düsseldorf) und Dr. Stefan Ries (Praxisinhaber aus Wertheim und Mitglied des DGZMK-Vorstandes) boten praxisnahe Einblicke und gaben Orientierungshilfen. Themen wie Restauration, digitaler Workflow und Patienten-Kommunikation wurden gezielt für das junge Publikum aufbereitet und trafen damit den Nerv des zahnärztlichen Nachwuchses.
Der Online-Tagung war eine sehr erfolgreiche Webseminar-Reihe mit Kooperationspartnern von Mai bis August 2024 vorausgegangen. „Wir waren überrascht und erfreut, dass diese Online-Seminare seither über 20.000-mal aufgerufen wurden,“ sagte Wiltfang. Die Webseminare sind noch auf der Veranstaltungsseite abrufbar.
Ausblick DGZMK-Gemeinschaftstagung 2025
Im nächsten Jahr findet der Deutsche Zahnärztetag als Gemeinschaftstagung aller wissenschaftlichen Fachgesellschaften unter dem Dach der DGZMK vom 30. Oktober bis 1. November 2025 in Berlin statt. Die Interdisziplinarität der Zahnheilkunde wird im Mittelpunkt des Kongresses stehen. Die Therapie von sechs zahnmedizinischen Patientenfällen aus unterschiedlichen Blickwinkeln bilden das gemeinsame Hauptpodium. Die großen Fachgesellschaften veranstalten an dem Datum auch ihre Jahrestagungen. Wer zudem den ein oder anderen interessanten Vortrag kleinerer Arbeitskreise der DGZMK verfolgen möchte, werde in Berlin im kommenden Jahr kurze Wege haben. Nähere Informationen sollen in Kürze auf der Kongress-Homepage zur Verfügung stehen. MM
Mit Material der DGZMK.