Die Ergebnisse bleiben aktuell, auch wenn die Veranstaltung – inzwischen mit Kultstatus – schon etwas her ist: Alljährlich treffen sich im Spätherbst die Absolventen des Masterstudiengangs Orale Implantologie von DGI und Steinbeiß-Hochschule. Zum elften Treffen im November 2017 hatten die Organisatoren Dr. Derk Siebers M.Sc. , Dr. Jörn Werdelmann M.Sc. und Peter Albrecht M.Sc. erneut renommierte Referenten eingeladen und konnten mehr als 100 Teilnehmer in Berlin begrüßen.
Einladung zum gemeinsamen Nachdenken
„Jeder Misserfolg ist eine willkommene Gelegenheit, das Denken nachzuholen“, mit diesem Satz lud Siebers die Teilnehmer der Reunion 2017 zum gemeinsamen Nachdenken ein. Unerlässlich sei dabei der offene, wissenschaftlich begleitete Erfahrungsaustausch, die Kommunikation mit Kollegen – aber auch mit den betroffenen Patienten.
Prof. Dr. Bjarni Pjetursson war mit gleich zwei fachlichen Hüten auf dem Kopf aus Reykjavik angereist. Er beleuchtete den implantologischen Misserfolg einerseits aus der Sicht des Parodontologen – satirisch markiert durch das Tragen einer Krawatte – und andererseits aus dem Blickwinkel des Prothetikers, in diesem Part des Vortrags ohne Krawatte auf der Bühne.
Vorsicht bei allzu hohen Erfolgsraten
Zunächst aber konfrontierte er das Auditorium mit der Relativierung der Erfolgszahlen in der Literatur. Typisch für Studien seien Überlebensraten zwischen 92 und 99 Prozent. Eine Erfolgsrate von 99 Prozent bedeute fünf Misserfolge auf 500 gesetzte Implantate. Bei einer Erfolgsrate von 90 Prozent gehen dann bereits 50 von 500 Implantaten verloren. Hinzu kommt der sogenannte Publication-Bias, also die Tatsache, dass überwiegend Arbeiten mit guten Erfolgsraten publiziert werden. „Wer berichtet schon gerne über Misserfolge?“, so seine rhetorische Frage, und so legte er gleich mit einer Warnung nach: Vorsicht sei daher geboten bei Untersuchungen mit allzu hohen Erfolgsraten.
„Schraube noch im Kiefer“ noch kein Erfolg
Pjeturssons zweite Botschaft: „Überleben ist nicht gleich Erfolg.“ Zwar säße in erfolgreichen Fällen die Schraube noch im Kiefer, doch die Frage sei, wie sie aussieht. Das war die Überleitung zum Thema Komplikationen. Eine systematische Übersichtsarbeit von Pjetursson und Kollegen bescheinigt den Zahnärzten an Hand von steigenden Erfolgsraten zwar eine positive Lernkurve, doch die ästhetischen, biologischen und technischen Komplikationsraten seien mit 13,5 Prozent noch immer hoch.
Um Komplikationen zu reduzieren und Überlebensraten zu steigern, könnte man natürlich allen Risikopatienten eine Implantation verweigern – „denn genau dies geschieht in den Studien mit den hohen Erfolgsraten“, betonte der Referent. „Doch wenn sie dies machen, haben Sie keine Patienten mehr.“ Die Alternative: „Um Komplikationsraten zu mindern, sei es wichtig, darüber zu sprechen und sie zum Thema zu machen, was inzwischen umfangreich geschieht“, so Pjetursson.
Risiko nach nicht erfolgreicher PA-Behandlung hoch
Deutlich machte er dies am Beispiel parodontal kompromittierter Patienten. Man brauche ein System, um diese Patienten zu identifizieren. Dies geschieht bei ihm bei einer parodontalen Grunduntersuchung zur Erhebung des Parodontalen Screening Indexes (PSI), die nicht länger als zwei Minuten dauert. Studien zeigen, dass die Misserfolgsraten nach acht bis zehn Jahren bei PA-Patienten höher sind als bei parodontal Gesunden. Auch das Periimplantitis-Risiko ist höher. Grundsätzlich gelte jedoch, dass eine Implantattherapie dann erfolgreich ist, wenn ihr eine erfolgreiche Behandlung der Parodontitis vorausging. Sei die parodontale Situation nach erfolgter PA-Behandlung schlecht, warnte Prof. Pjetursson, sollte nicht implantiert werden.
Zahnersatz muss gut zu putzen sein
Auch die Prothetik spielt bei Erfolg und Misserfolg einer Implantattherapie eine große Rolle. Um einen langfristigen Erfolg zu erzielen, ist es besonders wichtig, dass der Zahnersatz gut zu putzen ist. Sei dies nicht der Fall, steigt die Periimplantitisrate. Zementreste sollten daher, betonte Pjetursson, immer gründlich entfernt werden, da diese schon innerhalb von vier Wochen zu einem Knochenverlust führen. Misserfolge in der Implantologie können aber auch verursacht werden durch Material- und Implantatbrüche. Implantate, Abutments und Schrauben könnten sich lockern und biologische Komplikationen verursachen.
Drei entscheidende Fragen bei Komplikationen
Mit drei Fragen, die man sich bei Komplikationen immer stellen sollte, beendete der isländische Wissenschaftler seine Präsentation: Warum ist das passiert? Können wir das behandeln? Wie können wir verhindern, dass es wieder passiert? Nur so ließe sich der allergrößte Fehler vermeiden, nämlich jener, dieselben Fehler wieder und wieder zu machen – nur mit größerem Selbstvertrauen.
Fehler vermeiden, Komplikationen managen
Dass bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen nicht immer alles glatt laufen muss, zeigte Dr. Puria Parvini, Frankfurt. Anhand von beeindruckenden Kasuistiken präsentierte er mögliche Komplikationen und gab Hinweise zum Komplikationsmanagement und – eigentlich noch wichtiger – zur Fehlervermeidung. Beispiel: die arterielle Blutung. In der anterioren Region im Unterkiefer können etwa die A. sublingualis und A. submentalis sowie deren Anastomosen verletzt werden. Die bidigitale Kompression ist der erste Schritt, eine Arterienklemme erlaubt es anschließend, die Arterie zu umnähen.
Dies ist auch das Vorgehen, wenn bei operativen Eingriffen in der Gaumenregion die A. palatina verletzt wird. Um Beschädigungen der Arterien zu vermeiden, sollten Länge und Breite des scharfen Anteils der verwendeten Instrumente bekannt sein. Zudem gäbe es, so der Experte, Richtwerte, welche die Lokalisation der Arterien beschreiben.
Medikamente – was schluckt der Patient?
Einem chirurgischen Eingriff vorausgehen muss die Medikamentenanamnese des Patienten – Stichwort: Antikoagulantien und Thrombozytenaggregationshemmer. „Der Zahnarzt oder Oralchirurg sollte allerdings nie die Medikamente eigenständig absetzen“, warnte Parvi, sondern die Medikation mit dem Hausarzt besprechen. Moderne orale Antikoagulantien (NOAK) ermöglichen auch die Anpassung des OP-Zeitpunkts an das medikamentöse Therapieschema.
Bei Operationen im Oberkiefer kann der N. infraorbitalis, bei Operationen im Unterkiefer der N. alveolaris inferior in Mitleidenschaft gezogen werden. Vermutet der Behandler, dass im Unterkiefer ein Implantat in den Nervenkanal inseriert wurde, sollte sofort eine DVT angefertigt werden.
Offen und fachlich über Fehler reden
Fehler machen ist die eine Sache – darüber reden, die andere. Prof. Dr. Günter Dhom, Ludwigshafen, präsentierte Konzepte für die Kommunikation mit Patienten im Falle eines Misserfolgs. Was darunter zu verstehen ist, hängt von der Perspektive ab. Was für Patienten ein Misserfolg ist, kann aus Arztsicht durchaus anders wahrgenommen werden – und umgekehrt. Sicher ist sich Dhom jedoch aufgrund seiner langjährigen Erfahrung, dass rund 90 Prozent der Prozesse, bei denen Zahnärzte von Patienten verklagt werden, sich vermeiden ließen, wenn da nicht irgendwann ein kommunikativer Bruch stattgefunden hätte.
Auf die Sicht des Patienten kommt es an
„Es kommt nicht darauf an, wie ich es sehe, sondern wie der Patient es sieht.“ Das war die Botschaft Nummer eins. Es gehe nicht darum zu zeigen, wer der Arzt ist. „Arroganz und Überheblichkeit sind fehl am Platz“, so Dhom. Vielmehr gelte es, Gefühle des Patienten zu kennen, die bei einem Misserfolg klar sind, Emphatie zu zeigen, diese Gefühle zu bestätigen und dabei authentisch sein. Es gehe dabei nicht darum, sich zu entschuldigen oder zu verteidigen, sondern darum, Vertrauen aufzubauen, dass da jemand ist, der die Situation des Patienten versteht.
Termin und Thema der 12. Reunion stehen bereits fest: Am 9. und 10. November 2018 nehmen die DGI-Master im Ellington-Hotel in Berlin die Schnittstellen zwischen Implantologie und Prothetik ins Visier. Informationen gibt es unter www.masterakademie.de.
Wege aus der parodontalen Niederlage
Wege aus den parodontalen Niederlagen wies Dr. Gerd Körner,Bielefeld. Generell plädiert er eher für eine rekonstruierende als für eine resektive Parodontologie. Seine strikt fallspezifische Therapie basiert auf einer akribisch erhobenen Diagnostik und Risikobewertung. Faktoren wie Bleeding on Probing (BOP), Taschentiefen, bisherige Zahnverluste, Knochenverlust, systemische oder genetische Erkrankungen und das Rauchen liefern die Basis der Risikoabschätzung. Bei Patienten mit vorausgegangenen Parodontitiden sind ein engerer Recall und die unterstützende Parodontitistherapie erforderlich. Ein Wiederauftreten der Parodontitis ist bei Hochrisikopatienten jedoch trotz einer unterstützenden Parodontitistherapie nur teilweise vermeidbar.
Auch große Substanzverluste regenerierbar
Das ästhetische Ergebnis einer Behandlung ist für Körner entscheidend. An erster Stelle steht der Aufbau verloren gegangenen Gewebes. Hier wendet er GBR-Techniken in Verbindung mit der plastischen Parodontalchirurgie an. Eindrucksvoll dokumentierte er, dass selbst große Substanzdefekte – auch hervorgerufen durch Misserfolge beim Versuch der parodontalen Regeneration – rekonstruierbar sind. Ist die Ästhetik noch nicht zufriedenstellend, können Korrekturen der weißen Ästhetik – Farb- oder Formkorrekturen – hilfreich sein. Kommt ein Knochenaufbau nicht in Frage, ließen sich, so Dr. Körner, extreme Defekte auch rein prothetisch mit befriedigendem ästhetischen Ergebnis lösen.
Den Faktor Mensch nicht unterschätzen
Prof. Dr. Bertil Friberg aus Göteborg nahm die Teilnehmer mit auf eine Reise durch mehr als 40 Jahre Implantatgeschichte und ein rasant gewachsenes Wissen. Doch nicht nur die Implantateigenschaften und die Indikation beeinflussen Erfolg und Fehlschlag einer Behandlung. Das vorhandene Knochenangebot, die Knochendichte, systemische Erkrankungen entscheiden mit über den Erfolg einer Therapie. Nicht zuletzt spielt auch die Lernkurve des Operateurs und die seines professionellen Umfelds eine wesentliche Rolle. Der Rat von Prof. Friberg: „Schicken Sie Ihre Assistenz in Fortbildungskurse. Dies ist wichtig, damit die Mitarbeiter lernen, Ihnen immer einen Schritt voraus zu sein.“
Gestresste Operateure machen eher Fehler
Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss von Stress des Operateurs während einer Behandlung auf das Therapieergebnis. Es überrascht nicht, dass erfahrende Behandler während der Operation weniger Stress haben als Anfänger. Allerdings beeinträchtigt Stress – unabhängig von der Ursache – bei einem Eingriff auch die nicht-technischen Fähigkeiten des Operateurs, wie Untersuchungen zeigen. Prof. Friberg: „Wenn ich gestresst bin, zittere ich vielleicht nicht, aber ich treffe falsche Entscheidungen.“
Bewältigungsstrategien kennen und nutzen
Der Stresslevel lässt sich mit verschiedenen positiven psychologischen Bewältigungsstrategien reduzieren. Dazu gehören insbesondere die Neubewertung der Situation, das Behalten der Kontrolle während einer schwierigen Prozedur, die intraoperative Planung und Vorbereitung sowie der Erhalt der Teamkommunikation und -führung. Dann lassen sich folgenschwere Fehler oft vermeiden oder korrigieren. Dies hat auch bereits Konfuzius erkannt: „Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“