„Einteilige Keramikimplantate auf Zirkoniumdioxidbasis, deren Erfolgs- und Überlebensraten in wissenschaftlichen Studien positiv bewertet wurden, sind ein valides und einsatzreifes Therapieverfahren und können als alternative Therapieoption empfohlen werden.” So lautet die Empfehlung Nr. 1 der Fachleute von 18 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Organisationen, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI e.V.) die weltweit erste Leitlinie zum Thema Keramikimplantate entwickelt haben und die die DGI am Donnerstag, den 15. Februar in einer Online-Pressekonferenz vorstellte . Als Experten geladen waren Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz als Koordinator der Leitlinie (LL), Dr. Dr. Anette Strunz als DGI-Pressesprecherin und PD Dr. Dr. Daniel Thieme als federführender Autor der LL.
Titanimplantate als Träger von Zahnersatz sind seit 1982 in Deutschland wissenschaftlich anerkannt und eine etablierte Option für Patienten nach Zahnverlust. Umfangreiche prospektive Langzeitstudien und Erfahrungswerte haben sie seitdem zum Goldstandard in der oralen Implantologie gemacht. Gleichwohl wünschen sich viele Patientinnen und Patienten alternative Versorgungskonzepte mit Keramikimplantaten. Heute ist Zirkoniumdioxid der Standardwerkstoff für diese Implantate.
Wichtig: Die Kompetenz des Herstellers
Im Unterschied zu Implantaten aus Titan hängen die wesentlichen Eigenschaften der Keramikimplantate von den individuellen Produktionsverfahren der Hersteller und der Art und Menge beigefügter chemischer Zusatzstoffe ab. Ein mit dem chemischen Element Yttrium stabilisiertes Zirkoniumdioxid ist aufgrund seiner besonderen mechanischen Eigenschaften mittlerweile die am häufigsten verwendete Variante. Die jüngste Generation von Keramikimplantaten enthält zusätzlich geringe Mengen von Aluminiumoxid, um die Biegefestigkeit zu erhöhen. Nicht minder bedeutsam ist jedoch auch der Herstellungsprozess. „Die Expertise des Herstellers spielt bei Keramikimplantaten eine große Rolle“, betonen die Fachleute.
Das Problem: Fehlende Langzeitdaten
Bislang noch fehlende Langzeitdaten aus Studien sind das größte Problem, wenn Expertinnen und Experten die Qualität und Stabilität von Keramikimplantaten einschätzen wollen. Weiterentwickelte Produktionsverfahren, Nachfolgemodelle mit veränderter Zusammensetzung der Materialien und der Produktionsstop für die in Studien verwendeten Implantattypen verzögern den Erkenntnisgewinn. Doch die Forschung geht weiter. „Trotz vielversprechender Materialeigenschaften scheint die Entwicklung noch leistungsfähigerer Keramiken nicht abgeschlossen”, schreiben die Autorinnen und Autoren der Leitlinie. Denn optimierte Herstellungsverfahren und Methoden, um die Implantate beispielsweise mit mikrorauen Oberflächen zu versehen, scheinen einen entscheidenden Einfluss auf deren Langzeitstabilität zu haben.
Erschwerte Bedingungen für die Leitlinien-Entwicklung
So erfreulich die kontinuierliche Weiterentwicklung der Implantatsysteme einerseits ist, so problematisch ist dies für die Leitlinienarbeit. Das erste Statement der Fachleute in der neuen Leitlinie lautet darum: „Die Langzeitstabilität von Keramikimplantaten auf Zirkoniumdioxidbasis über fünf Jahre hinaus kann aufgrund fehlender klinisch-prospektiver Langzeitstudiendaten noch nicht abschließend beurteilt werden.”
Das zweite Statement liefert dafür die Begründung: Die Materialzusammensetzung ist – wie auch die jeweilige Werkstückqualität – herstellerabhängig und somit multivariat. Dynamische Werkstoffmodernisierungen und Designänderungen führen häufig zu ersetzenden Produktnovellierungen, was den Wert existierender Studiendaten reduziert. Denn was nützen Empfehlungen, wenn die getesteten Produkte so nicht mehr auf dem Markt sind.
Präklinische und klinische Studien weisen auf ein ähnliches Verhalten bei der Osseointegration von Keramik- und Titanimplantaten hin (Statement 3). Aufgrund der Studienlage ist jedoch eine evidenzbasierte Aussage bezüglich der Plaqueakkumulation und des Periimplantitis-Risikos bei der Behandlung mit Keramikimplantaten nicht möglich (Statement 4).
Keramikimplantate können als alternative Therapieoption empfohlen werden. Trotz aller Schwierigkeiten betonen die Fachleute in ihrer ersten von zwei Empfehlungen, dass kommerziell erhältliche einteilige Keramikimplantate auf Zirkoniumdioxidbasis, deren Erfolgs- und Überlebensraten in wissenschaftlichen Studien positiv bewertet wurden, ein valides und einsatzreifes Therapieverfahren sind und als alternative Therapieoption empfohlen werden können.
Kein abschließendes Urteil zu zweiteiligen Keramikimplantaten
Zu den noch „jungen“ zweiteiligen Keramikimplantaten haben die Expertinnen und Experten ihre zweite Empfehlung formuliert: „Kommerziell erhältliche zweiteilige Keramikimplantate auf Zirkoniumdioxidbasis scheinen eine Therapieoption zum Ersatz fehlender Zähne zu sein. Eine abschließende Beurteilung ist jedoch aufgrund der niedrigen Evidenzlage aus klinischen Studien nicht möglich.”
Besondere Aufklärung erforderlich
Darum betonen die Fachleute, dass im Gespräch mit Patientinnen und Patienten eine besondere Aufklärung nötig sei, bei der die Therapie mit zweiteiligen Keramikimplantaten – im Vergleich zu jener mit Titanimplantaten – erläutert und dabei auf die Problematik der bislang fehlenden Langzeitdaten verwiesen wird.
Insgesamt zeigen sich Prof. Knut Grötz als Koordinator der Leitlinie als auch DGI-Pressesprecherin Dr. Dr. Anette Strunz froh über diese Leitlinie, denn sie gibt – wie alle Leitlinien – eine klare Empfehlung aufgrund aktuellem Wissensstand ab. „Leitlinien sind keine Überzeugungen“, so Prof. Grötz. „Die Intension dieser Leitlinie war, zwischen polarisierenden Ideen eine Position zu finden, die wissenschaftlich haltbar ist.“ Und auch Dr. Strunz berichtet, dass die Patienten sich im Gespräch sehr erleichtert zeigen über die Tatsache, dass Leitlinien überhaupt existieren, und nun auch das Thema Keramikimplantate darin erfasst wurde.
Die DGI hat dazu ebenfalls vor, ihre Informationen speziell für Patienten auf ihrer Seite weiter auszubauen und zu überarbeiten.