Der Fokus sollte in der Praxis noch stärker auf die Prävention parodontaler Erkrankungen gelegt werden. Das betonen die internationalen Expertinnen und Experten, die am 5. April 2024 auf Einladung der spanischen parodontologischen Fachgesellschaft Sepa in Madrid zusammengekommen waren. In einer Pressekonferenz wurden die Ergebnisse des Meetings und die Empfehlungen für die Praxis vorgestellt.
Die Priorisierung der Prävention und Behandlung parodontaler Erkrankungen und die Förderung der parodontalen Gesundheit sind von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der allgemeinen Gesundheit, den Erhalt natürlicher Zähne, die Senkung der Gesundheitskosten, die Verbesserung der Lebensqualität und die Förderung der öffentlichen Gesundheit. Dies wurde auf einem internationalen Expertengipfel im Casa de las Encías in Madrid, Spanien, dem Hauptsitz der Sepa Foundation, hervorgehoben. Der Gipfel bündelte aktuelles Wissen und analysierte die wissenschaftliche Literatur sowie die vorherrschenden internationalen Richtlinien gründlich, um die Rolle bestimmter Mundspüllösungen bei der Mundhygiene, der Behandlung von Gingivitis und der Prävention von Parodontitis zu klären.
Mundgesundheit der Bevölkerung verbessern
Das Treffen war Teil der Initiative „Prinzipien für Mundgesundheit“, die aus einer globalen Vereinbarung zwischen der Sepa Foundation und Listerine Oral Care (Kenvue) hervorgegangen ist und darauf abzielt, Mundgesundheitsfachkräften Zugang zu den neuesten Grundlagen und Erkenntnissen zur Prävention von Parodontalerkrankungen zu verschaffen.
„Parodontale Erkrankungen sind weltweit weit verbreitet und betreffen Hunderte Millionen Menschen“, sagt die Koordinatorin des Treffens, Dr. Paula Matesanz, Vizepräsidentin der Sepa. Die Konzentration auf die Prävention und die Förderung der Parodontitisbehandlung in der breiten Öffentlichkeit könne dazu führen, die Belastung durch diese Krankheit zu verringern, die Mundgesundheit in allen Bevölkerungsgruppen zu verbessern und die allgemeine öffentliche Gesundheit zu fördern. Allerdings gebe es wirksame und sichere Ressourcen, die derzeit noch zu wenig genutzt werden, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen.
Die Bildung von Plaque und Biofilm hemmen
Orale Antiseptika, im Allgemeinen antimikrobielle Mundwässer oder Mundspüllösungen, können eine Schlüsselrolle bei der Vorbeugung von Parodontalerkrankungen und deren Wiederauftreten spielen, da sie die Bildung von Plaque und Biofilmen reduzieren können, so die Experten. Abhängig von ihren Wirkstoffen können sie, wie eine Analyse der wissenschaftlichen Literatur ergab, dazu beitragen, die Bakterienlast zu reduzieren, die tägliche Mundhygiene zu ergänzen, Plaque- und Entzündungsraten zu reduzieren oder sogar als zusätzliche Ressourcen in parodontale Erhaltungsprogramme einbezogen werden – und so zur Erhaltung des Zahnhalteapparats beitragen und den langfristigen Erfolg einer Parodontalbehandlung unterstützen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse besser zugänglich machen
Daher bestehe die Notwendigkeit, Leitlinien für die klinische Praxis, die von der Europäischen Föderation für Parodontologie (EFP) entwickelt und von den nationalen Fachgesellschaften für die Verwendung in ihren Regionen angepasst wurden, den Mundgesundheitsfachkräften, Ärzten, Apothekern, Patienten und der allgemeinen Bevölkerung auch zugänglich zu machen, so Matesanz.
Es sei wichtig, dass Zahnärzte praktische, einfache und leicht verständliche Empfehlungen zur Verwendung oraler Antiseptika erhalten. Diese ersetzen „das Zähneputzen nicht, können aber eine wertvolle Ergänzung zur Unterstützung der parodontalen Gesundheit sein“, so die Sepa-Vizepräsidentin.
Die Gefahr von dauerhaften Schädigungen oder negativen Einflüssen auf ein gesundes orales Mikrobiom oder von Resistenzbildungen durch den Einsatz oraler Antiseptika sehe man nicht, erklärte Dr. Filippo Graziani, Professor für Parodontologie an der Universität Pisa (Italien) und Honorarprofessor am University College London (Vereinigtes Königreich), auf Nachfrage in der Pressekonferenz. Dafür seien die Konzentrationen der antiseptischen Wirkstoffe in den empfohlenen Mundspüllösungen nicht hoch genug, und bei anderen Antiseptika wie Chlorhexidindigluconat gebe es entsprechende Anwendungsempfehlungen, um negative Folgen zu vermeiden oder zu minimieren.
Wirksamkeit und Wert von Antiseptika
Derzeit verfügbare wissenschaftliche und klinische Erkenntnisse, systematische Studienübersichten und Referenzhandbücher für Zahnärzte belegen die Wirksamkeit und den Wert von Antiseptika als Ergänzung zur täglichen Mundhygiene. Ihr Einsatz kann im Rahmen der Vorbeugung und Behandlung von Parodontalerkrankungen in Betracht gezogen werden. Die Leitlinien für die klinische Praxis zur Behandlung von Parodontitis im Stadium I bis III und die Schlussfolgerungen des XI. Parodontologie-Workshops der EFP böten Empfehlungen und Hinweise für die Verwendung dieser Ressourcen. Allerdings seien diese Empfehlungen für das Mundgesundheitsteam manchmal zu komplex, was ihre Anwendung in der Praxis einschränke.
Irritationen durch weniger zuverlässige Quellen
Wissenschaftliche Informationen, die die Wirkung bestimmter Mundwässer und Zahnpasten mit antiseptischen Formulierungen belegen, sind seit Jahrzehnten verfügbar und Teil der zahnmedizinischen Ausbildung. Doch wie Dr. David Herrera, Treuhänder der Sepa Foundation und Co-Direktor der Forschungsgruppe „Ätiologie und Therapeutik von Parodontalerkrankungen“ (ETEP) an der Complutense-Universität Madrid (UCM), betont, „werden wissenschaftliche Informationen oft mit weniger zuverlässige Quellen vermischt“, was bei Oral Health Professionals zu Irritationen führe.
Systematische Analysen für orale Antiseptika überzeugend
Die von der European Federation of Periodontology entwickelten, in zahlreiche Sprachen übersetzten und für die Verwendung in vielen Ländern der Welt angepassten „Clinical Practice Guidelines for the Treatment of Parodontitis in Stages I–III“ sind eine der wichtigsten Informations- und Orientierungsquellen zum Thema Prävention und Behandlung von Parodontitis. In diesem Fall „waren die Beweise aus systematischen Überprüfungen zur begleitenden Verwendung oraler Antiseptika überzeugend.“ Das erläuterte der per Video zugeschaltete Dr. Iain Chapple, Professor für Parodontologie und Forschungsleiter am Institute of Clinical Sciences der University of Birmingham im Vereinigten Königreich. Es habe aber in der Leitlinienerstellung einen Konsens gegeben, aufgrund der Kostenauswirkungen, Umweltfaktoren und des Alkoholgehalts in vielen Mundwässern die Empfehlung von einer sehr positiven Empfehlung auf eine „offene“ Empfehlung zu reduzieren. Mit diesem Aspekt und seiner Korrektur befasste sich daher auch das Expertentreffen in Madrid und erstellte einen Bericht, der demnächst veröffentlicht werden soll und dann, so die Hoffnung, weltweit verbreitet und umgesetzt wird.
Primäre und sekundäre Prävention
In vielen Studien, darunter zahlreichen randomisierten klinischen Studien, wurde gezeigt, dass einige antimikrobielle Mundspülungen wirksam bei der Bekämpfung von Biofilm und Zahnfleischentzündungen (Gingivitits) sind. Es ist jedoch wichtig, ihre Auswirkungen auf die Primärprävention von Parodontalerkrankungen (Verhinderung ihres Auftretens) und auf die Sekundärprävention (Verringerung des Risikos eines erneuten Auftretens nach der Behandlung von Parodontitis) zu verstehen.
Nicht auf die Parodontitis warten
Ein entscheidender Aspekt, der von den Teilnehmern dieses Gipfels diskutiert wurde, ist die Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit auf die Prävention von Parodontitis zu richten und daher schon die Gingivitis angemessen zu behandeln. Dr. Iain Chapple fasste dies so prägnant zusammen: „Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel: Wir müssen die Gingivitis kontrollieren und dürfen nicht warten, bis sich eine Parodontitis entwickelt.“
Die Experten-Empfehlungen auf einen Blick
- Orale Antiseptika und ihre Rolle werden als Verbündete bei der Prävention parodontaler Erkrankungen hervorgehoben.
- Globale Experten fordern die Kontrolle der Gingivitis, anstatt darauf zu warten, dass sich eine Parodontitis entwickelt.
- Das begrenzte Wissen der Mundgesundheitsteams über die derzeit verfügbaren Empfehlungen und Erkenntnisse zu oralen Antiseptika (die sich klinisch als wirksam erwiesen haben) beeinträchtigt deren Umsetzung. Daher werden praktischere und einfachere Tipps vorgeschlagen.
- Die Prävention und Förderung der parodontalen Gesundheit in der Öffentlichkeit kann nicht nur die wachsende Belastung durch Zahnfleischerkrankungen verringern, sondern auch die Gleichstellung der Mundgesundheit verbessern und die öffentliche Gesundheit fördern.
- Antiseptische Wirkstoffe, die in einigen Mundwässern enthalten sind, bieten erhebliche ergänzende Vorteile bei der Entfernung von Zahnbelag und der Reduzierung von Zahnfleischentzündungen.
- Bei Patienten mit Parodontitis, die ein parodontales Erhaltungsprogramm durchlaufen (nach Abschluss der aktiven Behandlung) und an mehr als 10 Prozent der Stellen Entzündungen oder Blutungen aufweisen, können spezifische Antiseptika helfen, ein Wiederauftreten zu verhindern.
Plaque-Entfernung mit Hindernissen
Das primäre Verfahren zur Behandlung von Gingivitis und Parodontitis ist die mechanische Entfernung von Plaque. Allerdings ist es nicht möglich, den Biofilm zu 100 Prozent zu entfernen, und bei manchen Menschen mit einem hohen Risiko für Parodontitis ist die Plaque-Ansammlungsschwelle extrem niedrig. „Manchmal ist es für Hochrisikopatienten nicht realistisch, täglich genügend Plaque zu entfernen, um parodontal gesund zu bleiben“, so Chapple.
Unterstützung für die mechanische Plaquekontrolle
Dr. Filippo Graziani, Professor für Parodontologie an der Universität Pisa (Italien) und Honorarprofessor am University College London (Vereinigtes Königreich), betont: „Es besteht kein Zweifel, dass die mechanische Plaquekontrolle durch Zähneputzen der Grundstein für die Mundgesundheit ist.“ Es erfordere jedoch die richtige Technik und eine konsequente tägliche Motivation. „Mangelnde Technik ist ein wesentlicher Faktor, weshalb wir die ergänzende Verwendung von Mundwasser empfehlen.“ Laut Graziani ist „Mundwasser einfacher anzuwenden als Zähneputzen und kann selbst die am schwersten zugänglichen Stellen erreichen.“ Daher kommt er zu dem Schluss: „Für diejenigen, denen es an manueller Geschicklichkeit mangelt oder wo diese verloren gegangen ist, können Mundspülungen die Mundhygieneroutine ergänzen.“
Systematische Reviews
In den vergangenen fünf Jahren habe die EFP systematische Reviews befürwortet (Serrano et al., 2015; Figuero et al., 2020), die zeigen, dass die mechanische Plaquekontrolle durch Patienten zwar weiterhin von grundlegender Bedeutung für eine erfolgreiche parodontale Behandlung ist, aber antiseptische Wirkstoffe, einschließlich bestimmter Mundwässer, bei der Entfernung von Plaque und der Reduzierung von Zahnfleischentzündungen wirksamer sein können als Zahnpasta, hieß es. Kürzlich veröffentlichte die Forschungsgruppe von Graziani die Ergebnisse einer großen randomisierten klinischen Studie, die zeigten, dass die Hauptfaktoren bei der Therapie von Gingivitis ein hohes Maß an Plaque-Kontrolle und der Einsatz geeigneter Hilfsmittel sind. Ihm zufolge „sind Mundspülungen nicht nur wegen ihrer Anti-Plaque-Eigenschaften wirksam, sondern auch wegen ihrer Fähigkeit, Entzündungen zu modulieren.“
Antiseptika in der UPT
Die in diesem Forum versammelten Experten haben auch über die Möglichkeiten von Antiseptika bei Patienten berichtet, die sich einer unterstützenden Parodontalbehandlung (UPT) unterziehen und für die diese sekundäre Prävention das Ziel hat, ein Rezidiv der Parodontitis zu verhindern. „Eine der Hauptkomponenten dieser Prävention ist die Kontrolle des supragingivalen Biofilms, die im Wesentlichen auf mechanischer Kontrolle basiert“ (Reinigung der Interdentalräume etc.), betonte Dr. David Herrera. Er wies darauf hin, dass „bei Patienten mit mehr als 10 Prozent Blutungen zusätzliche Maßnahmen in Betracht gezogen werden können, einschließlich der Verwendung von Antiseptika.“
Wachsende Auswirkungen von Parodontalerkrankungen
Die aktuellen sozioökonomischen Auswirkungen von Parodontitis sind enorm und ihre Prävalenz und Inzidenz stehen in engem Zusammenhang mit gesundheitlichen Ungleichheiten. „Die am stärksten Benachteiligten sind am stärksten gefährdet: Ein niedriges Bildungsniveau ist mit einem um 86 Prozent höheren Risiko für Parodontitis verbunden“, berichtete Dr. Chapple. Dies wurde im White Paper „Es ist Zeit, Zahnfleischerkrankungen ernst zu nehmen“ von Economist Impact aus dem Jahr 2021 herausgearbeitet. Darin wurde auch hervorgehoben, dass die Parodontalbehandlung für viele Menschen einfach unerschwinglich sei. Es wurden wichtige Probleme beim Zugang zu grundlegenden Ressourcen für die Mundgesundheit festgestellt. Weltweit gibt es vier Millionen Fachkräfte für Mundgesundheit, davon sind etwa 2,5 Millionen Zahnärzte. Etwa 80 Prozent dieser Zahnärzte arbeiten in Ländern mit höherem oder oberem mittlerem Einkommen, während nur 1,4 Prozent in Ländern mit niedrigem Einkommen praktizieren.
Prävention spart Kosten
Es gebe also mehrere wirtschaftliche und gesundheitliche Faktoren und gute Gründe, den Wandel hin zur Prävention umzusetzen. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Beseitigung der Gingivitis und damit die Verhinderung des Fortschreitens der Parodontitis über einen Zeitraum von zehn Jahren erhebliche Kosteneinsparungen im Vergleich zum „Business-as-usual“-Verfahren mit sich bringen würde. Hinzu kämen die Auswirkungen parodontaler Erkrankungen auf Allgemeinerkrankungen. Aufgeschlüsselt wurden diese Kosten unter anderem im neuen White Paper von The Economist im Auftrag der EFP.
Zusammenarbeit von Sepa und Kenvue/Listerine
Die Zusammenarbeit von Kenvue (Listerine) und Sepa ziele darauf ab, „eine Synergie zu schaffen, die letztlich den Patienten zugute kommt“, so Soha Dattani, Direktorin und Leiterin des wissenschaftlichen Engagements bei Listerine Oral Care, EMEA. Ziel sei es, die Verbreitung relevanter wissenschaftlicher Informationen zur Prävention parodontaler Erkrankungen an Zahnmediziner zu verbessern.
„Diese illustre Gruppe globaler Experten zusammenzubringen, um die wissenschaftliche Literatur und Leitlinien zu analysieren und ihre umfangreichen klinischen und Forschungserfahrungen auszutauschen, ist von entscheidender Bedeutung, um die bestehenden Herausforderungen in der Parodontalpflege anzugehen“, betonte Dattani. Ihrer Meinung nach stellt „diese Zusammenarbeit einen wichtigen Schritt zur Aus- und Weiterbildung von Mundgesundheitsfachkräften dar, damit diese optimale Unterstützung erhalten, um ihre Patienten auf ihrem Weg zur parodontalen Gesundheit zu unterstützen.“
Bei der Entwicklung dieser Initiative habe man sich zum Ziel gesetzt, die Wissenschaft in den Dienst der Zahnmedizin zu stellen, insbesondere in den Dienst der Prävention. „Die Idee ist, klare Aufklärungsinhalte und -materialien zu schaffen, die Zahnärzten helfen, den wahren Mehrwert der Verwendung von Antiseptika bei der Prävention und Behandlung von Parodontalerkrankungen in den verschiedenen Stadien der parodontalen Gesundheit und Krankheit zu verstehen –und zu verstehen, wie diese Produkte der Allgemeinheit mit guter parodontaler Gesundheit, Gingivitis oder Parodontitis (ob behandelt oder nicht) helfen können“, so Dr. Paula Matesanz.
Literatur
- Sanz M, et al. Treatment of stage I-III periodontitis-The EFP S3 level clinical practice guideline. J Clin Periodontol 2020 Jul;47 (Suppl 22):4-60 (version adapted by SEPA available in https://portal.guiasalud.es/gpc/periodontitis)
- Herrera D, et al. Treatment of stage IV periodontitis: The EFP S3 level clinical practice guideline. J Clin Periodontol 2022 Jun:49 Suppl 24:4-71 (version adapted by SEPA available at https://portal.guiasalud.es/gpc/tratamiento-periodontitis-estadio-iv)
- Chapple I, Time to take gum disease seriously. British Dental Journal 2022; volume 232, pages 360–361
- Serrano J, et al. Efficacy of adjunctive anti-plaque chemical agents in managing gingivitis: a systematic review and meta-analysis. J Clin Periodontol 2015 Apr:42 Suppl 16:S106-38
- Figuero E, et al. Efficacy of adjunctive anti-plaque chemical agents in managing gingivitis: A systematic review and network meta-analyses. J Clin Periodontol 2019 Jul;46(7):723-739