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Diskussionsbeitrag des Masterkurses „Parodontologie und Implantattherapie“ der DG Paro und DIU

Abb. 2  Qualitative Veränderung der Immunantwort mit der Alterung. B = B-Zellen, Th = T-Helferzellen, Tc = zytotoxische T-Zellen, Tfh = follikuläre T-Helferzellen, Tmem = T-Memory-Zellen, Bmem = B-Memory-Zellen, Bnaive = naive B-Zellen, Tnaive = naive T-Zellen. (Quelle: modifiziert nach Ebersole et al.2).

Mit zunehmendem Alter tritt eine qualitative und quantitative Veränderung der Immunzellen auf, wodurch die Fähigkeit, effektiv auf Infektionen zu reagieren, abnimmt. Daher können das Alter und das Vorliegen einer Parodontitis eine kumulative und sich gegenseitig verstärkende Wirkung haben. Die Funktion der Chemotaxis und die Anzahl der naiven Lymphozyten verringern sich mit zunehmendem Lebensalter, während die Anzahl der Gedächtniszellen sowie die Produktion proinflamatorischer Zytokine zunehmen, was zur verstärkten Aktivierung von Osteoklasten führen kann. Das Mikrobiom geriatrischer Patienten weist einen signifikant höheren Gehalt an Aktino­myceten und Fusobakterien auf. Epigenetische Veränderungen begleiten das Altern auf genetischer Ebene und sind gekennzeichnet durch Genominstabilität, Proteasen-Aktivitätsverminderung, Stammzellerschöpfung und veränderte Zellkommunikation. Mechanismen, die auf epigenetischer Ebene zu diesen Veränderungen und zum Altern führen, sind zum Beispiel Methylisierung der DNA, Acetylisierung und Methylisierung von Histonen sowie anderen chromatinassozierten Proteinen. Der Artikel des Masterkurses „Parodontologie und Implantattherapie“ der DG Paro und DIU aus der Parodontologie 01/2022  diskutiert Risikofaktoren für chronisch-entzündliche Erkrankungen, Alte­rungsmechanismen des Immunsystems und Veränderungen, die im Parodont im Senium auftreten.

Die Zeitschrift „Parodontologie“ vermittelt dem interessierten Zahnarzt in Praxis und Klinik die neuesten Erkenntnisse, Entwicklungen und Tendenzen auf dem Gebiet der Parodontologie. Die hochwertige Ausstattung mit vielen, meist farbigen Abbildungen und der ausgeprägte Fortbildungscharakter sprechen für diese Fachzeitschrift. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Gemäß des statistischen Bundesamtes1 hat der Anteil älterer Erwachsener in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland und Europa erheblich zuge­nommen. Die Anforderungen dieses wachsenden Bevölkerungssegments haben das Gesundheitswesen beeinflusst. Die Prävention und Behandlung von oralen und systemischen Gesundheitsproblemen bei älteren Erwachsenen stellt Forscher und Kliniker vor neue Herausforderungen. Die Parodontologie ist ein Fach der Zahnmedizin, in dem die Auswirkungen besonders spürbar sind. Evidenzen deuten auf ein komplexes Zusammenspiel von Immunantwort und Alterung hin. 

Die Immunantwort spielt nicht nur eine große Rolle bei der Ätiologie und Pathogenese von Parodon­talerkrankungen, sondern auch bei der Anti-Aging-Reaktion. Altern führt zu quantitativen und qualitativen Veränderungen des Immunsystems2. Immunoseneszenz ist eine fortschreitende Veränderung des Immunsystems, welche zu einer höheren Anfälligkeit für Infektionen, Neoplasien und Manifestationen von Autoimmunerkrankungen führt. Diese Vorgänge sind als Ergebnis von längerer antigener Stimulation und/oder Stressreaktionen über die gesamte Lebensdauer zu betrachten2. Die Verringerung der Fähigkeit, mit antigenen Reizen und/oder Stressoren umzugehen, ist normalerweise mit einer progressiven Erhöhung des proinflammatorischen Status, bezeichnet als „Inflammaging“, verbunden3,4.

Risikofaktoren

Risikofaktoren wie Rauchen und ungesunde Ernährung tragen zu einem Anstieg der systemischen Entzündungsmarker bei und können die Genregulation durch eine Vielzahl von bio­logischen Mechanismen (zum Beispiel epigenetische Modifika­tionen) verändern. Parodontitis und andere häufige chronisch-entzündliche Erkrankungen haben mehrere gemeinsame Risikofaktoren (Abb. 1). Hierzu zählen Tabakrauchen, psychischer Stress und Depressionen, Alkoholkonsum, Fettleibigkeit, Diabetes mellitus und Osteoporose. Interventionen, die auf veränderbare Risikofaktoren abzielen, können das Risikoprofil für Parodontitis sowie für andere häufige chronische Krankheiten verbessern.

Mechanismen des Immunagings

Immunaging bei Parodontitis umfasst zellphysiologische Mechanismen wie die Komponenten des angeborenen und adaptiven Immunsystems. Die Zusammensetzung immunkompetenter Zellen verändert sich im Laufe des Alterns4. Im Gegensatz zur Quantität nimmt die Qua­lität der Immunantwort ab2. Die Fähigkeit der Leukozyten, Antigene zu erreichen, Keime zu pha­gozytieren oder abzutöten und die Befähigung zur Chemotaxis werden mit zunehmendem Alter eingeschränkt. Die Chemokinese (Geschwindigkeit der Bewegung von Neutrophilen zum In­fek­tionsort) ist jedoch bei älteren Personen unverändert. Im Gegensatz dazu ist ihre Fähigkeit zur Chemotaxis (Bewegung entlang eines Gradienten des Stimulus) signifikant beeinträchtigt6. T- und B-Zellen kommt eine zentrale Rolle bei der Alterung des Immunsystems zu.

Die Anzahl der naiven Lymphozyten nimmt ab, die der Gedächtnislymphozyten mit steigendem Lebensalter zu. Die naiven Lymphozyten reagieren auf antigenpräsentierende Zellen unter anderem mit der Produktion von Antikörpern und speichern diese Information für zukünftige Konfrontationen mit dem gleichen Antigen2. Folglich nimmt in Relation die Zahl der naiven Lympho­zyten ab, die Mehrheit der Lymphozyten agiert als Gedächtniszellen und die Immunabwehr kann weniger auf neue exogene Einflüsse oder Pathogene reagieren (Abb. 2).

Darüber hinaus geht die angeborene Barrierefunktion des gingivalen Epithels durch molekulare Veränderungen der „Tight Junctions“ zurück. Patho­gene können somit leichter in das Gewebe eindringen. Folglich ist auch die parodontale Barrierefunktion eingeschränkt und gingivale beziehungsweise parodontale Entzündungen können sich leichter etablieren. Die altersbedingt erhöhten Spiegel proinflammatorischer Zytokine einerseits und andererseits die reduzierte Produktion antiinflammatorischer Zytokine tragen ebenfalls zum Inflammaging bei. Eine verstärkte parodontale Entzündungsreaktion im Alter ist somit laut Ebersole et al. ein sekundärer Effekt, da, anders als im jugendlichen Alter, eine weniger effektive adaptive Immunantwort die Infektion parodontaler Gewebe nicht mehr effektiv kontrollieren kann2.

Während des Alterns sind zellphysiologische Mechanismen am Immunaging parodontaler Gewebe beteiligt. Molekulare Änderungen im Zellaufbau parodontaler Gewebe intensivieren die alveoläre Knochenresorption bei Individuen im Senium. Eine verstärkte Immunantwort auf die mikrobiologische Flora, unter Umständen modifiziert durch Umweltstressoren, führt zur Sekretion von Zytokinen/Chemokinen, die an der Knochen­resorption beteiligt sind. Eine Erhöhung der RANK/L(„Receptor activator of nuclear factor kappa-B“(RANK)/RANK-Ligand)-Expression von Osteoklasten und von deren Progenitorzellen und mesenchymalen Stammzellen hat eine Verschiebung des Verhältnisses von Osteoklasten zu Osteoblasten zugunsten einer proosteoklastischen Umgebung und damit eine potenzielle Knochenresorption zur Folge. Dabei werden spezielle Gene zur Modulation der Osteoklasten hochreguliert, wodurch „Bone Morphogenetic Protein 3“ (BMP3), „Matrix Metalloprotein 8“ (MMP8) und das „Secreted Phosphoprotein 1“ (SPP1) verstärkt synthetisiert werden2.

Veränderungen der parodontalen Flora während des Alterns

Beim Vergleich dreier verschiedener Altersgruppen von 20 bis 83 Jahren (< 35 Jahre = jung, ≤ 64 Jahre = adult, > 64 Jahre = alt) wurde festgestellt, dass die Zusammensetzung des subgingivalen Biofilms hinsichtlich untersuchter 40 Spezies bei gealterten parodontal gesunden Individuen sehr ähnlich der Mikroflora von jungen Erwachsenen ist7. Der einzige statistisch relevante Unterschied ergab sich aufgrund einer vergleichsweise höheren Proportionalität und höherer Level von Actinomyceten in der Gruppe der älter als 64-Jährigen7. Weiterhin fanden sich deutlich höhere Zahlen von Fusobakterien in der Gruppe der über 64-Jährigen parodontal gesunden Probanden, was auf eine populative protektive Wirkung schließen lässt, die vor dem Überhandnehmen parodontalpathogener Spezies schützt7.

Die Rolle (epi-)genetischer Mechanismen und ihr Einfluss bei der Alterung des Immunsystems

Das Alter ist eines der größten Risiken für viele Krankheiten, unter anderem orale Erkrankungen wie orale Karzinosen8, Xerostomie9 und par­odontale Erkrankungen10. Des Weiteren hat das Alter durch den Anstieg systemischer und lokaler Entzündungen auch Einfluss auf pathologische Vorgänge im Mund. Das Altern ist darüber hinaus auf genetischer und Zellebene durch Genomin­stabilität gekennzeichnet. Ferner treten ein Verlust von Proteasen, Stammzellerschöpfung und eine veränderte Zellkommunikation auf. Schlüssel­gene und/oder genetische Variationen scheinen Einfluss auf den Alterungsprozess zu haben. DNA- Schäden, die durch exogene (chemisch, UV-/IR- Strahlung) oder endogene (Sauerstoffradikale, Replikationsfehler, Spontanmutationen)2 Ursachen im Laufe des Lebens entstanden sind, werden nicht mehr repariert und reproduzieren sich, was zu einer fehlerhaften Informationsweitergabe und beispielsweise zu fehlerhafter Proteinsynthese führen kann2 (Abb. 3). 

Diese Fehler bei der Informationsweitergabe können unter anderem die Synthese von Zytokinen modulieren, die wiederum Einfluss auf Entzündungen und damit auf das Altern nehmen.

Interleukin 6 (IL-6) kann als Marker für die Abnah­me der Muskelkraft und die Zunahme von Gebrechlichkeit beim Anstieg im Plasma gesehen werden und gilt als Zeichen für das Vorliegen von Entzündungen, falls die Werte im Serum erhöht sind. Patienten mit einem „Cytosin Cytosin“(CC)- Genotyp von IL-6 zeigen eine verringerte Lebensdauer, ein erhöhtes Risiko für Atherosklerose sowie ein erhöhtes Risiko für Abstoßungen bei Transplantationen und Parodontitis2.

Ein bestimmter Polymorphismus des Tumornekrosefaktors α (TNF-α) führt zu einem erhöhten Risiko für Abstoßungen bei Nierentransplantationen, Autoimmunerkrankungen, kardiovaskulären und chronischen Erkrankungen2. Mechanismen, die auf epigenetischer Ebene zu Veränderungen und zum Altern führen, sind zum Beispiel Methylisierung der DNA, Acetylisierung und Methylisierung von Histonen sowie anderer chromatinassozierter Proteine2 (Abb. 4).

Ein Diskussionsbeitrag der Masterstudenten des DG PARO und DIU-Master of Science in Paradontologie und Implantattherapie von Sabina Gumbatova, Frankfurt am Main, Dr. Robert Spallek, Lüneburg, Matthias Vogelsang, Osnabrück, Sebastian Ditscher, Zeitz, Dr. Christian Maischberger, München und Dr. Sabine Gröger, Gießen

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenze Parodontologie 01/2022 Parodontologie

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