In einer aktuellen Studie wird das Potenzial von gesundem Zahnfleisch beschrieben, das den Schweregrad einer Covid-19-Erkrankung reduzieren kann. Die Studie wurde kürzlich im Journal of Oral Medicine and Dental Research veröffentlicht [1].
Die Arbeit ging Belegen nach, die Anfang des Jahres im Journal of Clinical Periodontology, der offiziellen Publikation der European Federation of Periodontology (EFP), veröffentlicht wurden. Demnach entwickeln Patienten mit Covid-19 dreimal häufiger Komplikationen, wenn sie auch eine Zahnfleischerkrankung haben [2]. Zahnfleischerkrankungen wie Parodontitis betrifft weltweit fast die Hälfte aller Erwachsenen [3]. Die Autoren haben aufgrund der gesammelten Fakten einen möglichen Infektionspfad entwickelt, der erklärt, wie das Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) in die Lunge gelangt und dort eine Covid-19-Lungenerkrankung verursacht.
Krankes Zahnfleisch ist durchlässiger
Sie vermuten, dass das das Virus durch die oberen Atemwege (Nase und Mund) in den Körper gelangt. Im Mund reichert es sich im Speichel an und gelangt schließlich in den Zahnbelag unter dem Zahnfleisch. Über das Zahnfleisch wandert es weiter in die Blutgefäße, wo es zu den Arterien in der Lunge gelangt. Dieser Weg unterscheidet sich von dem bisher angenommenen direkten Weg über die Atemwege in die Lunge. In ihrer Studie skizzieren die Autoren die biologischen Grundlagen für diesen Infektionsweg. Darüber hinaus stellen sie die These auf, dass krankes oder beschädigtes Zahnfleisch die Schleimhautbarriere im Mund schwächen könnte und das Virus so leichter in die Blutbahn gelangen kann.
„Wenn es sich bestätigt, könnte dieses hypothetische Modell eine Erklärung dafür liefern, warum manche Menschen eine Covid-19-Lungenerkrankung entwickeln und andere nicht“, heißt es in der Studie. „Es würde auch die Art und Weise, wie Covid-19 gehandhabt wird, grundlegend verändern und neue Behandlungsansätze liefern, die auf die Quelle des viralen Reservoirs, den Mund, abzielen."
Die Autoren fügen hinzu, dass, wenn dies richtig ist, „einfache antimikrobielle Mundpflegemaßnahmen nicht nur mit dem Ziel implementiert werden könnten, das Risiko der Übertragung zwischen Individuen zu reduzieren“, sondern auch als „ein Mittel, um das Risiko der Entwicklung einer Lungenerkrankung und damit der schwersten Form der Krankheit zu mindern.“
Atemwege oft entzündungsfrei
Erstautor Dr. Graham Lloyd-Jones, Radiologe am Salisbury District Hospital, Großbritannien, erklärte: „Die Forschung deutet darauf hin, dass das Virus zunächst die oberen Atemwege (Nasengang und Mund) infiziert, ein Reservoir im Speichel im Mund bildet und dann in die Lunge gelangt – jedoch ohne eine sichtbare Entzündung der Atemwege zu verursachen. Anatomisch betrachtet scheint es naheliegend, dass das Virus im Speichel über das Zahnfleisch in die Blutgefäße sickert und direkt in die Lunge gelangt, und zwar genau in die Bereiche, die wir auf Röntgenbildern und Computertomographien (CT) der Brust als von der Covid-19-Lungenerkrankung betroffen sehen."
Co-Autor Prof. Iain Chapple von der University of Birmingham, UK fügte hinzu: „Zahnbelag enthält Milliarden von Mikroben und muss täglich entfernt werden. Andernfalls entzündet sich das Zahnfleisch und es bilden sich kleine Geschwüre zwischen Zahnfleisch und Zähnen, die direkt mit dem Blutkreislauf kommunizieren. Diese ermöglichen es Mikroben wie Viren, in den Blutkreislauf zu gelangen. Die Plaque unter dem Zahnfleisch bildet einen Biofilm, eine komplexe Mischung aus Bakterien, Proteinen und Zuckern, die als selbstschützende Umgebung für viele Mikroben dient, um zu überleben und zu gedeihen. Angesichts der hohen Sars-CoV-2-Viruslast im Speichel ist dieser Übertragungsweg über das Blut in die Lunge sehr plausibel.“
Prof. Lior Shapira, EFP-Präsident, bekräftigte: „Diese neue Arbeit belegt die biologische Plausibilität der Beobachtung, dass Covid-19-Patienten mit einer Zahnfleischerkrankung schwerwiegendere Komplikationen haben als parodontal gesunde Personen [2]. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Entzündung im Zahnfleisch das Gefäßsystem für das Virus öffnen kann, was zu einer Lungenfunktionsstörung führt. Die Studie unterstreicht die Bedeutung der parodontalen Gesundheit im Allgemeinen und insbesondere während der laufenden Pandemie.“
Plädoyer für tägliche Mundpflege
Laut Prof. Nicola West, EFP-Generalsekretärin ist „mehr Forschung nötig, um diese Theorie zu untermauern, aber in der Zwischenzeit scheint es vernünftig zu sein, unsere Zähne und unser Zahnfleisch besonders sorgfältig zu pflegen, sich regelmäßig untersuchen zu lassen und sich bei Bedarf behandeln zu lassen.“
Das Papier schließt mit den Empfehlungen: „Bis zum Beweis oder zur Widerlegung sollten die tägliche Mundhygiene und andere Maßnahmen zur Plaquekontrolle zusammen mit der Mundgesundheitspflege für die Allgemeinheit Priorität haben, da diese Maßnahmen nicht nur die Mundgesundheit und das Wohlbefinden verbessern, sondern im Zusammenhang mit der Pandemie auch potenziell lebensrettend sein könnten." In diesem Zusammenhang hat die EFP einen kurzen Animationsfilm „Gum disease and Covid-19 complications“ auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlicht.
Literatur
[1] Lloyd-Jones G, Molayem S, Pontes CC, Chapple I. The COVID-19 pathway: A proposed oral-vascular-pulmonary route of SARS-CoV-2 infection and the importance of oral healthcare measures. J Oral Med and Dent Res. 2021;2(1)-S1. It is publicly available at https://www.genesispub.org/j-oral-med-and-dent-res/the-covid-19-pathway-a-proposed-oral-vascular-pulmonary-route-of-sars-cov-2-infection-and-the-importance-of-oral-healthcare-measures.
[2] Marouf N, Cai W, Said KN, et al. Association between periodontitis and severity of COVID-19 infection: a case-control study. J Clin Periodontol. 2021. doi:10.1111/jcpe.13435.
[3] Nazir MA. Prevalence of periodontal disease, its association with systemic diseases and prevention. Int J Health Sci. 2017;11:72–80.