Einzelzahnimplantate stellen Zahnarzt und Zahntechniker vor große ästhetische Herausforderungen. Der Beitrag von Dr. Patrice Margossian et al. für die Quintessenz Zahntechnik 08/20 stellt bei der Implantatpositionierung im Frontzahnbereich eine Möglichkeit vor, die Schraubenzugangsöffnung auf die Palatinalfläche des Zahns zu bringen. Damit werden ein ästhetisches Erscheinungsbild sichergestellt und mehr Freiheiten bei der Implantatpositionierung ermöglicht. Die Schneidekante wird hier zum Bezugspunkt für den Austritt der Implantatachse oberer Frontzahnimplantate.
Einleitung
Einzelzahnimplantate im Frontzahnbereich sind aufgrund ihrer Lage eine erhebliche ästhetische Herausforderung. Behandlungsziel ist die Wiederherstellung einer idealen dentogingivalen Situation in Symmetrie mit dem homologen kontralateralen Zahn. In diesem Zusammenhang ist eine prothetische Planung vor der chirurgischen Behandlung unverzichtbar, um die Position des künftigen Implantats mit dem vorhandenen Hart- und Weichgewebevolumen abgleichen zu können (Abb. 1a und b)3,9.
In bestimmten Situationen ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, den Knochen und den Weichgeweberahmen zu rekonstruieren (Abb. 2a und b). Daneben ist die durch den Belastungspunkt, die Achse und die Insertionstiefe definierte Implantatposition ein Faktor mit großem Einfluss auf das Behandlungsergebnis.
Aus diesem Grund haben zahlreiche Autoren Definitionen für diese ideale Implantatposition geliefert2,5. Der Punkt der Belastung liegt gegenüber dem Cingulum des künftigen Frontzahns. Die Implantatachse sollte durch die Palatinalfläche des Zahns verlaufen. Schließlich sollte die Implantatplattform 4 mm apikal des idealen Gingivaniveaus am betreffenden Zahn zu liegen kommen. Ein schlecht positioniertes Implantat verursacht kurz- oder mittelfristig eine Reorganisation der Gewebe im Bereich seiner biologischen Breite: Nach einer Knochenremodellierung nehmen die Weichgewebe eine neue Position ein, was sehr häufig zu einer vestibulären Rezession mit Verlust der Interdentalpapillen führt4.
Die im Frontzahnbereich geforderte spezifische Implantatposition und die Notwendigkeit eines Schraubenzugangs auf der Palatinalfläche des Zahns machen es mitunter problematisch, das Implantat innerhalb der Knochenanatomie der Prämaxilla zu platzieren. Die Folge einer solchen Position ist eine enge Lagebeziehung des Implantatapex zur vestibulären Kortikalis, verbunden mit der Gefahr einer Knochenfenestration (operativer Eingriff mit dem Ziel, ein Fenster in den Knochen zu bohren) und deren Folgen (Abb. 3).
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Achsenkompensation als Lösung für verschraubten implantatgetragenen Einzelzahnersatz
Die Markteinführung neuer Lösungen für einen Achsenausgleich eröffnet für die definitive wie auch für die provisorische Versorgung neue Perspektiven. Die neuen Komponenten ermöglichen einen Paradigmenwechsel bei der Implantatpositionierung im Frontzahnbereich, indem besser auf die Anatomie des Oberkieferknochens Rücksicht genommen werden kann.
Die Hauptachse eines zentralen Schneidezahns verläuft durch den Wurzelapex und die Schneidekante. Seine Position und Orientierung im Knochen hängen von der skelettalen Angle-Klasse des Patienten und dem parodontalen Biotyp ab. So erleichtert eine Klasse II die Implantation im Oberkiefer-Frontzahnbereich, da der Alveolarknochen stärker vertikal orientiert ist und ein Achsenverlauf durch die Palatinalfläche problemlos erreicht werden kann. Dagegen besteht bei einer Klasse III aufgrund der Neigung des Processus alveolaris nach anterior ein deutlich erhöhtes Risiko für eine apikale Perforation der vestibulären Kortikalis durch die Implantatbettbohrung1,8.
Der Einsatz neuartiger provisorischer oder definitiver implantatprothetischer Komponenten mit Achsenkompensation gestattet es nun in vielen Fällen, die Schraubenzugangsöffnung auf die Palatinalfläche des Zahns zu bringen. Damit wird ein ästhetisches Erscheinungsbild sichergestellt und die gesamte implantatprothetische Rekonstruktion kann innerhalb der Konturen des ersetzten natürlichen Zahns und seines Alveolarknochenvolumens zu liegen kommen (Abb. 4).
Diese implantatprothetische Entwicklung eröffnet damit auch etwas mehr Freiheiten bei der Implantatpositionierung und verringert das Risiko einer apikalen Fenestration der vestibulären Kortikalis im Oberkiefer-Frontzahnbereich. Ein weiterer Vorteil: die Schneidekante wird zum idealen Bezugspunkt für den Austritt der Implantatachse oberer Frontzahnimplantate, was den Verhältnissen beim natürlichen Zahn nahekommt. Dieser Paradigmenwechsel bei der Implantatpositionierung verringert zudem den Bedarf an Knochenaugmentationen im Bereich der Prämaxilla, da die Anatomie des Zahns und seiner knöchernen Umgebung stärker berücksichtigt werden kann.
Auf jeden Fall darf die Implantatachse nicht über die Inzisalkante hinaus nach vestibulär geneigt werden. Dies hätte bereits nach kurzer Zeit eine Gingivarezession zur Folge, da die prothetischen Komponenten zuviel Druck auf das Weichgewebe im Bereich des Gingivadurchtritts ausüben.
Die Systeme mit Achsenkompensation verwenden Kardan-Schraubendreher, sodass im Kronenanteil der Restauration eine große Abweichung des Schraubenzugangs von der Implantatachse möglich wird, während näher zum Implantathals hin, im Bereich des Gingivadurchtritts, kaum noch ein Unterschied besteht. Die Schneidekante kann also zum neuen Bezugspunkt für die Implantatachse werden. Damit kann die Implantatrekonstruktion, insbesondere im transgingivalen Abschnitt, innerhalb des Volumens des zu ersetzenden Zahns verbleiben.
Provisorische Abutments mit anguliertem Schraubenzugang
Gleichgültig, ob bei der Freilegung eines zweizeitig gesetzten Implantats oder im Rahmen einer Sofortimplantation – die provisorische Versorgung ist ein Schlüsselschritt für die Konditionierung des anatomischen Weichgewebeprofils. Zudem ist ein vestibulär vernähtes Weichgewebetransplantat bei diesen Protokollen im Frontzahnbereich obligat (Abb. 5a und b).
Das Provisorium steuert dabei unter Ausnutzung der Heilungsdynamik die Ausformung der Mukosa. Durch Verwendung angulierter Mesostrukturen (10°, 15° und 25°) lässt sich im Provisorium dieselbe Achsenkompensation realisieren, wie sie für den CAD/CAM-gefertigten definitiven Zahnersatz möglich ist (Abb. 6). Damit ist auch bei einer durch die Inzisalkante verlaufenden Implantatachse eine Lage der Schraubenzugangsöffnung im Bereich des Cingulums möglich (Abb. 7). Die hier gezeigte Mesostruktur (AxIN Temporary Angulated Abutment, Anthogyr, Sallanches, Frankreich) besteht aus drei Teilen: einer Basis, einer Schraube und einem provisorischen Abutment mit verschiedenen Angulationen (10°, 15° und 25°) für die Achsenkompensation.
Das Neue an diesem Systems besteht darin, dass die Schraube bereits vor dem Aufsetzen des Abutments in die Basis gesteckt wird. Dies hat den Vorteil, dass der Durchmesser der Öffnung im Abutment auf den des Schraubendrehers reduziert werden kann. Da die Schraube nicht durch das Abutment geführt werden muss, muss sie auch keinen gekrümmten Weg nehmen, der einen größeren Durchmesser des Schraubenkanals erfordern würde6. Vielmehr ist der Zugang zur Schraube zylindrisch und hat einen geringen Durchmesser, der auch auf der Palatinalfläche beibehalten wird, was die funktionelle Justierung erleichtert.
Da die Position der Basis durch die Form der Implantatverbindung indexiert ist, muss letztere unbedingt sorgfältig ausgerichtet werden, wenn das Implantat gesetzt wird. Beim Anthogyr-System sollte eine der drei Ecken des Rotationsschutzes (Tri-Lobe) der Implantatplattform vestibulär zu liegen kommen. Die zweite Besonderheit des Systems ist die Möglichkeit, verschiedene Durchmesser und Höhen der Basis zu wählen. Durch die Wahl der Höhe (1 oder 2 Millimeter) kann in Situationen mit tief liegender Implantatplattform die flächige Verbindung zwischen der Basis und dem Abutment vom Knochen wegbewegt werden. Die Wahl des Basisdurchmessers (4 oder 5 Millimeter) ermöglicht eine gewisse Anpassung an den Durchmesser des zu ersetzenden Zahns.
Das Provisorium wird dann chairside hergestellt, indem ein Kunststoffzahn mit dem Abutment verbunden wird. Die Technik bietet zwei Vorteile: Sie ermöglicht es, den Zahn bezogen auf die faziale Ästhetik optimal zu positionieren, und vor allem das transgingivale Profil des Provisoriums zu beurteilen. Die transgingivale Form des Provisoriums wiederum hat zwei mögliche Funktionen: Die bestehende gingivale Architektur bei Sofortimplantationen mit einem rein ästhetischen Sofortprovisorium zu erhalten sowie, die Weichgewebeheilung mit bei einem funktionellen Provisorium zu steuern. Ein konkaves vestibuläres Profil stabilisiert das zervikale Weichgewebsniveau, indem der Druck minimiert wird, während konvexe Approximalbereiche die Interdentalpapillen unterstützen (Abb. 9)12. Dieses Konzept der Achsenkompensation im Provisorium (AxIN, Anthogyr) vereint somit alle wichtigen Vorteile: Verschraubung (keine Zementreste), Achsenkorrektur (0° bis 25°) sowie Wahlmöglichkeit bei der Höhe und dem Durchmesser der Basis. Da die Retention zwischen Basis und Abutment rein mechanisch ist, entfällt ein zytotoxischer Kleber in der subgingivalen Zone.
Dank dieses Ansatzes lässt sich nach zweimonatiger Gewebereifung häufig eine annähernd ideale Ausformung der Weichgewebe um das Provisorium beobachten (Abb. 10a und b).
Herstellung der definitiven Restauration
Nach Abschluss der Hart- und Weichgewebereifung kann definitiv versorgt werden. Mit der Abformung werden die Implantatposition in Relation zum restlichen Zahnbogen und das mit dem Provisorium konditionierte transgingivale Profil erfasst (Abb. 11). Durch einen individuellen Transferpfosten, der mithilfe einer Abformung der transgingivalen Kontur des Provisoriums hergestellt wird, lassen sich die Informationen an das Labor übermitteln (Abb. 12a bis c)7. Der individuelle Transferpfosten unterstützt das Weichgewebe perfekt und ermöglicht es, ein der klinischen Realität entsprechendes Arbeitsmodell herzustellen (Abb. 13a bis c).
Nach dem Scannen des so hergestellten Modells im Labor wird das Zirkonoxidgerüst digital konstruiert. Wenn das Provisorium vollkommen zufriedenstellend war, kann mit einem Cut-back ausgehend von der äußeren Form des Provisoriums leicht die ideale Gerüstform gewonnen werden, die gewährleistet, das die Verblendkeramik optimal unterstützt wird. Die Öffnung des Kanals für den Schraubendreher ist mit Rücksicht auf die okklusalen, mechanischen und ästhetischen Anforderungen optimal auf der Palatinalfläche positioniert (Abb. 14a bis d).
Die Achsenkompensation in der definitiven Restauration kann dank CAD/CAM-Technik (Siméda) izwischen 0° und 25° liegen. Wie bei der provisorischen Versorgung wird die Schraube vor dem Platzieren des keramischen Abutments in die Basis eingesetzt. Dadurch wird ein gekrümmter Zugangskanal vermieden, der einen großen Teil der Keramik zerstören müsste, um die Passage der Schraube zu ermöglichen11. Das innovative Konzept des Anthogyr-Systems ermöglicht so, ein Maximum an Keramik zu erhalten, da der Schraubenzugangskanal auf ein Minimum reduziert ist. Die ästhetischen Vorteile sind erheblich. Da das Abutment mehr Materialvolumen behält, kann die vestibuläre Zirkoniumdioxidwand stark reduziert werden, sodass genügend Platz bleibt, um Verblendkeramik aufzutragen, womit das ästhetische Bild optimiert werden kann (Abb. 15).
Im Frontzahnbereich ist Zirkoniumdioxid aufgrund seiner hohen mechanischen Festigkeit das Material der Wahl. Die Verwendung eines mehrfarbigen Multilayer-Rohlings eröffnet dank der Transluzenzabstufungen optimale ästhetische Möglichkeiten. Die ästhetischen Daten werden mithilfe des Ditramax-Systems10 inklusive intra- und extraoralen Fotoaufnahmen und Modellmarkierungen an das Labor geschickt (Abb. 16a und b). Der Dentalkeramiker bestimmt die Farbe auf konventionelle und digitale Weise (Abb. 17a und b). In jedem Fall ist es möglich, nur durch den Arbeitsschritt der Verblendung die Formen und Farben der benachbarten Zähne perfekt zu reproduzieren, sodass eine optimale Ästhetik erreicht wird (Abb. 18 a und b).
Schlussfolgerungen
Kontinuierliche Weiterentwicklungen in der Implantologie ermöglichen es, biologische, ästhetische und funktionelle Ergebnisse zu optimieren. Die hier gezeigten jüngsten Fortschritte bei der Achsenkompensation machen verklebte Versorgungen obsolet. Über eine einfache prothetische Innovation hinaus handelt es sich hierbei um einen Paradigmenwechsel bei der Implantatpositionierung im Frontzahnbereich, der sich gegenwärtig zum Nutzen der Anatomie und Biologie vollzieht.
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de
Ein Beitrag von Dr. Patrice Margossian, Dr. Manon Vuillemin, Dr. Adrien Sette, Émilie Goemaere Dumazet und Gille Philip, alle Marseille, Frankreich