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Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem kieferorthopädischen Labor


Jonas Hostettler

In den vergangenen Jahren ist die Digitalisierung in der Zahnmedizin angekommen. Das hat Zahnmedizinern und Zahntechnikern ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. In einem Beitrag für die Quintessenz Zahntechnik 10/2017 beschreiben ZTM Jonas Hostettler, ZTM Jürg Hostettler und Nicole Meier, auf welchem Stand die Digitalisierung in der Kieferorthopädie ist und wie sie sich auf die Arbeitsprozesse des kieferorthopädischen Labors auswirkt. Die Veröffentlichung dieses Beitrags liegt schon ein wenig zurück – er ist dafür ein interessanter Abgleich zur aktuellen Quintessenz Zahntechnik 10/2019, die ebenfalls den Schwerpunkt Kieferorthopädie hat und den aktuellen Stand wiederspiegelt.

Die Quintessenz Zahntechnik, kurz QZ, ist die monatlich erscheinende Fachzeitschrift für alle Zahntechniker und zahntechnisch interessierte Fachleute, die Wert auf einen unabhängigen und fachlich objektiven Informationsaustausch legen. Im Vordergrund der Beiträge und Berichterstattung steht die Praxisrelevanz für die tägliche Arbeit. In dieser Zeitschrift finden sich Zahntechniker, Dentalindustrie und die prothetisch orientierte Zahnarztpraxis mit ihren Anliegen nach einer hochwertigen Fortbildung gleichermaßen wieder. Zur Online-Version erhalten Abonnenten kostenlos Zugang. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.


Die Digitalisierung in der Kieferorthopädie macht große Fortschritte. Es gibt Praxen, die bereits heute ohne Modelle und Abformmaterialien auskommen. Die Kieferorthopäden können dank Intraoralscanner die gesamte Anamnese, Vermessung, Fallplanung und Archivierung der Fälle selbstständig mit wenigen Klicks in der eigenen Praxis am Computer erstellen und in der nächsten Sitzung mit dem Patienten besprechen. Die Herstellung von physischen Studienmodellen wird mittelfristig verschwinden oder massiv minimiert.


Abb. 1 Lingualbogen im Lasermeltingverfahren, Planung und Resultat, Abformung Intraoralscan.

Die heutige Genauigkeit der Intraoralscanner ist völlig ausreichend für die kieferorthopädischen Apparaturen. Die Herstellung dieser Apparaturen wird durch CNC-/Lasersintermaschinen ermöglicht. Der Zahntechniker kann die Arbeit in mehreren Teilschritten planen und abschließen (Abb. 1). Ein interessanter Nebeneffekt der digitalen Planung und Übermittlung von Daten ist die Möglichkeit für spezialisierte Labore, international tätig zu werden, da Verzögerungen durch Postversand entfallen. 

Ein Frästechnik-Auftrag aus Australien

Der Auftrag kam von einem Kieferorthopäden aus Aus­tralien, die Bestellung lautete: Einen Hybrid-Hyrax-Distalizer aus Titan herstellen, da der Patient an einer starken Nickelallergie leidet. Wir arbeiten seit 26 Jahren mit Titan und haben uns in diesem Sektor stark gemacht. 

Früher wäre es unmöglich gewesen, über diese große Distanz zusammenzuarbeiten, die Apparatur in einer vertretbaren Frist herzustellen und zu versenden. Mit der modernen Kommunikation und der digitalen Abformung ist heute aber fast alles machbar. Dank moderner Fertigungstechnologien ist Titan zu einem einfach zu verarbeitenden Metall geworden, da das schwere Gussverfahren unter Argonsphäre wegfällt.

Ablauf der Arbeitsschritte

Der Kunde übermittelt dem Produktionszentrum nach der Abklärung der speziellen Wünsche die Intraoralscans. Der STL-Datensatz der Kiefer kann per E-Mail versendet werden, da er wenige Megabyte groß ist. Die digitalisierten Kiefer können nun in verschiedenen CAD-Softwares weiter zu Modellen verarbeitet werden. Dies ist insofern notwendig, als für die Fertigstellung ein physisches Modell benötigt wird. Nur so kann bei vielen kieferorthopädischen Geräten die passgenaue Herstellung gewährleistet werden. 

Es gibt die Möglichkeit, die Modelle mit einer CNC-­Maschine zu produzieren. Jedoch ist das besonders in der Kieferorthopädie nicht wirklich lukrativ, da ein 3-D-Drucker im Vergleich viele Modelle auf einmal produzieren kann und eine CNC-Maschine nur ein oder zwei Modelle zur gleichen Zeit.

Während die Modelle im 3-D-Drucker Schicht um Schicht entstehen, werden in der CAD-Software die individuellen Präzisionsteile von einem erfahrenen CAD/CAM-Zahntechniker designt und die Designvorschläge per E-Mail dem Kunden zur Beurteilung übermittelt. Nachdem der Kunde das Design bestätigt hat, werden die Teile (zum Beispiel Molarenbänder, Implantatanschlüsse) mit einer CNC-Maschine produziert. 

Die fertig gefrästen Teile werden nun ausgearbeitet und auf dem Modell reponiert. Danach kann der Zahntechniker die konfektionierten Teile wie Dehnschrauben oder Quadrantschrauben aufpassen und mittels Lasertechnik unter Argonsphäre verbinden. Wenn das Schweißen abgeschlossen ist, wird die Arbeit von einem erfahrenen Zahntechniker aufpoliert und an den Klebeflächen mit Aluminiumoxid (Al2O3) sandgestrahlt. Dann wird sie mit internationalen Logistikunternehmen verschickt. Der Kunde kann die kieferorthopädische Apparatur dank der patientenspezifischen Individualität ohne Probleme einsetzen und muss nicht noch langwierige Anpassungen im Mund des Patienten vornehmen (Abb. 2 und 3).

Vorteile der CAD-CAM-Produktion

Die Vorteile der CAD/CAM-Produktion liegen auf der Hand:

  • Statt ein Gipsmodell herzustellen, kann der 3-D-Datensatz um die ganze Welt geschickt und, wenn nötig, mittels 3-D-Drucker hergestellt werden. Es ist möglich, ohne Duplikat immer und immer wieder dasselbe Modell zu herzustellen, was auf lange Zeit Material spart.
  • Die Modellation muss nicht aus Wachs gemacht werden. Auch ist kein handwerkliches Geschick mehr vonnöten, sondern es wird im Computer in einer CAD-Software anhand von Erfahrungswerten modelliert. Vorteil dabei ist, dass die Modellation erhalten bleibt. Fachliches Wissen und die Kenntnis von Funktion und Design sind aber weiterhin unumgänglich. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass die Planung kieferorthopädischer Geräte mittels CAD-Software neue Problemfelder birgt, die der Techniker zunächst kennenlernen und bearbeiten muss. Es ist sehr wichtig, Erfahrungen auf diesem Gebiet zu sammeln. Dies alles braucht Zeit.
  • Einbetten, Gießen, Ausbetten, Ausarbeiten sowie Gussfehler (Lunker, Verunreinigungen, sonstige Handhabungsfehler) gehören teilweise der Vergangenheit an. Apparaturen können mittels CAD geplant und dann lasergesintert oder in einem rückstandslos verbrennenden Wachs geprintet und dann gegossen werden. Oder der im CAD erstellte STL-Datensatz wird in der CAM-Software mit der richtigen Strategie berechnet, dann fräst die CNC Maschine die Teile aus dem vollen Material heraus. Diese müssen noch überarbeitet werden, was aber nichts mit dem mühseligen Ausarbeiten und Aufpassen einer gegossenen Arbeit zu tun hat. Allerdings bedeutet aus dem Vollen fräsen immer auch viel Materialverlust und einen höheren Verschleiß der Werkzeuge. Der größte Vorteil der CAD-CAM-Produktion jedoch ist, dass die Modellation während der Produktion nicht mehr verloren gehen kann. Der STL-Datensatz lässt sich immer und immer wieder verwenden, nicht so die Wachsmodellation.
  • Die Zerspanungstechnik ermöglicht, Teile aus reinem Titan Grade 5 Eli zu produzieren. Sie erleichtert auch Fügetechniken wie Laserschweißen.
  • Der Kunde erhält keine Gipsmodelle mehr, sondern der Zahntechniker speichert die Datensätze der Kieferscans ab und schickt die fertige Arbeit an den Kunden. Dabei spart er Verpackungsmaterial und Lieferkosten, weil die Pakete kleiner und leichter werden. Falls der Kunde trotzdem irgendwann die Grundlage der Apparatur benötigt, kann das Modell ausgedruckt und zugestellt werden. Andernfalls kann auch nur der STL-Datensatz übermittelt werden.

Moderne Technologien 

In vielen kieferorthopädischen Praxen ist die Digitalisierung Alltag. Am Markt existieren verschiedene Software-Programme, die digitale Set-ups, Planungen für kieferorthopädische Behandlungen und natürlich auch das Designen verschiedener Geräte ermöglichen. Diese Programme werden immer ausgefallener, präziser und einfacher in der Bedienung.

Durch sie hat sich in den vergangenen Jahren die Aligner-/Schienentechnik etablieren können. Fachpersonal mit der nötigen Ausbildung kann gemeinsam mit dem Zahnarzt eine sequenzierte Schienentherapie herstellen, deren Grundlage ein intraoraler Scan ist. Das Ergebnis kann direkt mit dem Patienten am Bildschirm besprochen werden.

Es lassen sich so fast alle Variationen von Schienen herstellen: Schnarchschienen, Aufbissschienen, Michiganschienen, Positioner, Aligner, Transfermasken für die Bracketplatzierung, die vorher am Computer geplant wurden, und vieles mehr. Je nach Schienentyp werden heute die Modelle oder die Schienen selbst gedruckt. Es sind fast keine Grenzen gesetzt, außer der Biokompatibilität der neuen Kunststoffe für den 3-D-Druck. Allerdings ist anzumerken, dass sich Aligner und Positioner noch nicht volldigital im normalen Dentallabor herstellen lassen (Stand 10/2017). Silikone lassen sich in der Zahnmedizin noch nicht so präzise plotten und die notwendigen Schichtstärken für Aligner können noch nicht ganz mit der nötigen Stabilität gedruckt werden.


Abb. 4 Platte auf 3-D-Modell, Abformung Intraoralscan.

Es ist heute möglich, auf gedruckten Modellen eine konventionelle herausnehmbare Apparatur herzustellen. Es muss nur je nach Druckflüssigkeit die richtige Isolierung gewählt werden, damit sich der gestreute Kunststoff nicht mit dem Modellkunststoff verbindet. Dies funktioniert wie bei der konventionellen Technik. Die Erfahrung hat mittlerweile gezeigt, dass die Passgenauigkeit von Streukunststoffen bei geprinteten Modellen größer ist als auf Gipsmodellen. Die prozentuale Schrumpfung ist eindeutig kleiner (Abb. 4). Wie bereits angedeutet, wird durch die neuen Technologien auch das Problem der Langzeitlagerung der Modelle gelöst, weil die Situationsmodelle nun in digitaler Form auf Festplatten gespeichert werden können.

Beispiel aus dem Lasermelting

Die Herstellung einer Hybrid-Kombiapparatur ist für Zahntechniker eine interessante und spannende Arbeit. Jedoch ist manches oft kaum realisierbar oder besser gesagt: manuell kaum zu biegen. Eine Kombiapparatur dient der transversalen Dehnung und gleichzeitig der Distalisation der Molaren. Dies bedeutet, dass eine Hyraxschraube sowie Distalisationsschrauben eingebaut werden müssen. Aufgrund der eingeschränkten Platzverhältnisse im Gaumen des Patienten ist die Platzierung und Anfertigung diffizil. 

Wird die Apparatur auf herkömmlichem Weg hergestellt, dann müssen diverse Teile von Hand gebogen werden. Bestimmte Teile – wie konfektionierte Schraubenarme – müssen abgetrennt werden, weil sie so nicht biegbar sind. Andere hingegen müssen gebogen und geschweißt werden. Dies führt zu etlichen zusätzlichen Schweißarbeiten, die die Apparatur schwächen, wenn sie nicht ganz korrekt ausgeführt werden. Liegt die zu schweißende Stelle in einem Winkel, ist es oftmals kaum möglich, mit dem Laser die richtige Stelle zu erreichen. Es ist also sicherer und besser, die Hybrid-­Kombiapparatur auf digitalem Wege herzustellen. 


Abb. 5 Fertiggestellte Hybrid-Hyrax im Lasermeltingverfahren, Planung und Resultat, Abformung Intraoralscan.

Beispiel Hybrid-Hyrax mit Distalisation des 1. und 2. Quadranten (= Kombiapparatur): Die Bänder werden konventionell gesetzt, die Abformung wird mittels Intraoralscan durchgeführt. Spezielle Scanbodies helfen, die bereits eingesetzten Miniscrews lagegenau dreidimensional abzubilden, damit sie im anschließenden 3-D-Druck entsprechend nachgebildet werden können (Abb. 5). 


Abb. 6 Eingeschweißte Schraube.

Die Produktion der Hybrid-GNE erfolgt nach der CAD-Zeichnung im Lasermeltingverfahren. Zur Fertigstellung des Gerätes werden die konventionell gefertigten Schrauben eingeschweißt und die Bänder auf dem vorher kopierten Modell mit der Hybrid-GNE verbunden (Abb. 6).


Abb. 7 Straumannimplantat und Palatinalschlösser, Abformung Intraoralscan.

Variante: Anstelle der gescanten Bänder lassen sich diese auch im Lasermeltingverfahren herstellen. Mit dieser Methode werden aufwendige Zwischenschritte eliminiert, was die Kosten deutlich minimiert. Vorteil dieser Herstellungsmethode ist, dass nahezu alle Teile aus einem Stück hergestellt werden. Schwierigkeiten, dass sich Drähte in oft fast unzugänglichen und sehr engen Gaumensituationen nicht anpassen lassen, entfallen. Viele Schweißverbindungen, die in oft problematischen Positionen durchgeführt werden müssen, entfallen ebenfalls. Der Zahntechniker muss nur noch komplexe Teile wie Brackets oder Dehnschrauben mit den digital gefertigten Teilen verbinden. Die individuelle Planung ermöglicht dem Behandler, in jedem nur erdenklichen Fall präziser zu arbeiten. Selbst Miniimplantate, Gaumenimplantate, Lingual- und Palatinalschlösser bei fest einzementierten Bändern lassen sich heute dank speziell entwickelter Scanbodies präzise auf 3-D-Modelle übertragen. Die anschließende Fertigstellung erfolgt in der üblichen handwerklichen Verarbeitung durch den Zahntechniker (Abb. 7). 

Fazit

Die digitale Technik bedeutet für die Zahnmedizin Vorteile, und sie ermöglicht es, neue Lösungswege zu finden. Doch sollte jede Zahnarztpraxis oder jedes zahntechnische Labor mit Vorsicht an die eigene Digitalisierung herantreten und die am Markt angebotenen Produkte genau prüfen, ob auch wirklich alles so einfach ist, wie der Hersteller verspricht. Es hat sich gezeigt, dass im Zusammenhang mit neuer Software Informatikwissen und dementsprechende Anwendungskenntnisse von Vorteil sind. Zahntechniker kennen die Bedürfnisse und Anforderungen der Zahnmediziner an Design und Funktion. Ein ausgebildeter Informatiker oder Mediamatiker kann viele logische Abläufe in der Informatik vorbereiten und vereinfachen. Diese Kombination von Wissen ist grundlegend wichtig, in der Aus- und Weiterbildung sollte zukünftig ein großes Augenmerk darauf gerichtet werden.

Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Kieferorthopäden Dr. Nour Tarraf, Chatswood Orthodontics, Australien.

Ein Beitrag von Jonas Hostettler, Jürg Hostettler, Nicole Meier, alle Uuttwil, Schweiz, und Heinz Meier, Nesselnbach, Schweiz

Bilder: Orthomeier
Quelle: Quintessenz Zahntechnik, Ausgabe 10/17 Kieferorthopädie Zahntechnik

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