Corona und kein Ende – vor gut einem Jahr gab es die ersten Impfstoffe und damit die Hoffnung, der Pandemie mit Impfungen bald zu entkommen. Das ist nicht gelungen, aus mannigfachen Gründen. Wir hängen immer noch in der Pandemie, eine neue Virusvariante wird uns eine fünfte Infektionswelle bescheren – wie massiv sie ausfallen wird, wird auch davon abhängen, ob die Politiker und die neue Bundesregierung wirklich aus den vergangenen zwei Jahren gelernt haben. Und ob sie ihre Entscheidungen und Maßnahmen so kommunizieren können, dass die Menschen ihnen folgen.
Aber lenken wir den Blick auf die Themen und Ereignisse, die Weichen gestellt haben für Veränderungen in der dentalen Welt. Im Jahr zwei der Pandemie haben die Zahnarztpraxen in Deutschland das Thema Praxishygiene weiter offensichtlich bestens im Griff gehabt – die Menschen vertrauen ihnen und sind wieder zur Kontrolle, zu Behandlungen und auch zur Professionellen Zahnreinigung in die Praxen gekommen. Dass Mundgesundheit wichtig und die Zahnmedizin Teil der Medizin ist, auch diese Erkenntnis hat sich durch die Pandemie und die zahnärztliche Öffentlichkeitsarbeit verbreitet und gefestigt.
Parodontologie ist ein Eckpfeiler
Ein Eckpfeiler dafür ist die Parodontologie – die jahrzehntelange Arbeit der Wissenschaftler und Praktiker in Forschung und Aufklärung und die gerade in den vergangenen zehn Jahren national und international intensivierte Öffentlichkeitsarbeit haben Früchte getragen. Die neuen Klassifikationen, die internationalen und nationalen Leitlinien haben die Grundlage für eine wissenschaftliche und moderne Parodontaltherapie geschaffen. Dass sich das nun auch in der neuen, zum 1. Juli 2021 in Kraft getretenen PAR-Richtlinie im Bema wiederfindet und abgerechnet werden kann, ist in seiner langfristigen Auswirkung für die Mundgesundheit/Allgemeingesundheit der Patienten und nicht zuletzt die wirtschaftliche Zukunft der Praxen kaum hoch genug einzuschätzen. Auch dass es in der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Standespolitik mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) an der Spitze zusätzlich gelungen ist, eine auf die besondere Situation von Pflegebedürftigen abgestellte PAR-Therapie in einer eigenen Richtlinie zu verankern, ist ein großer Erfolg. Zahnärztinnen und Zahnärzte begleiten mit ihren Teams ihre Patienten oft über Jahrzehnte – und noch zu oft bricht die Betreuung mit zunehmender Gebrechlichkeit und Multimorbidität ab, auch weil adäquate Therapieoptionen bislang nicht abgebildet waren.
Sprechende Zahnmedizin vergütet
Die PAR-Richtlinie honoriert erstmals die sprechende Zahnmedizin, das medizinische Beratungsgespräch mit dem Patienten. Das ist ein weiterer Meilenstein, der in die Zukunft wirken wird – über diese Richtlinie hinaus. Auch die neuen Leistungen für Unterkieferprotrusionsschienen bei Schlafapnoe, die erstmals die Zusammenarbeit von Arzt – hier Schlafmediziner – und Zahnarzt in einer Richtlinie in der GKV beschreiben und honorieren, setzen über die reine neue Leistung hinaus ein Signal für eine präventionsorientierte ZahnMedizin.
Die Zahlen zu den abgerechneten Leistungen und der Alltag in den Praxen zeigen es deutlich: Die praktizierte ZahnMedizin verändert sich. In der Masse immer weniger Karies, Extraktionen und Füllungen, weniger neue Prothetik, dafür mehr Parodontalerkrankungen, PZR und Erhaltungstherapie. Die Karies konzentriert sich stärker auf Risikogruppen wie Kleinkinder oder Senioren.
Zugleich gibt es ein steigendes Interesse der Patientinnen und Patienten an funktional-ästhetischen Korrekturen – nicht umsonst haben fast alle großen Dentalunternehmen in die Aligner-Kieferorthopädie investiert und drängen gewerbliche Anbieter der genuin in Zahnärztehand gehörenden Aligner-Behandlungen auf den Markt. Das Bewusstsein vieler Menschen für ihre Mundgesundheit und für die Ästhetik ist deutlich gestiegen – auch dank der Arbeit der Zahnärztinnen und Zahnärzte und ihrer Teams. Mehr Auskunft dazu wird die sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie bringen, die auch in diesem Jahr gestartet wurde.
Wichtige Positionspapiere für die ZahnMedizin
Die ZahnMedizin der Zukunft wird wissenschaftlicher, medizinischer, minimal-invasiver und präventionsorientierter sein – und sein müssen. Auch das ist ein Signal dieses Jahres – mit den wichtigen Papieren der DGZMK „Perspektive Mundgesundheit 2030“, die „Agenda Mundgesundheit 2025“ der KZBV und die „Mundgesundheitsziele für Deutschland bis zum Jahr 2030“ des IDZ und der BZÄK, die die Hintergründe und Ziele dieser Entwicklung darlegen. Die Prävention als umfassende medizinische Leistung „über den Mund hinaus“ gehört in die Hand der Zahnärztinnen und Zahnärzte, denn sie ist mehr als Professionelle Zahnreinigung. Nur so wird auch den Patientinnen und Patienten der Wert dieser Leistung, ihre Bedeutung deutlich. Und sie muss adäquat honoriert werden.
Ohne qualifiziertes Personal geht es nicht
Das heißt nicht, dass damit dem qualifizierten zahnmedizinischen Fachpersonal etwas weggenommen werden soll, ganz im Gegenteil: Ohne dieses qualifizierte Personal ist eine erfolgreiche präventionsorientierte ZahnMedizin auch in Zukunft nicht möglich. Dieses Personal aus- und fortzubilden und mit attraktiveren Arbeitsbedingungen langfristig im Beruf zu halten, ist und bleibt eine Herausforderung für die Zahnärzteschaft.
Ein weiterer Punkt: Im jetzt zu Ende gehenden Jahr hat sich die politische Landschaft verändert – wir haben eine neue Bundesregierung, die sich im Bereich Gesundheit das Leitbild Prävention in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. Wann und wie sie angesichts der Pandemie und der drohenden Finanzierungsprobleme in der GKV hier tatsächlich gestaltend tätig werden wird, bleibt abzuwarten. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen wird weitergehen, ob auch bei der Telematikinfrastruktur mit mehr Augenmaß und Nachhaltigkeit als bisher? Der Stopp beim E-Rezept kurz vor Jahresschluss ist zumindest ein Signal in die richtige Richtung.
„Es gibt nur eine ZahnMedizin“
Und auch in der Standespolitik hat sich etwas getan – es gibt (etwas) mehr Frauen in Führungspositionen von Kammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, und es gibt einen jüngeren und weiblicheren Geschäftsführenden Vorstand der Bundeszahnärztekammer. Wissenschaft und Standespolitik suchten in diesem Jahr erneut den Schulterschluss. Jetzt gilt es für DGZMK, KZBV und BZÄK den so oft zitierten Satz „Es gibt nur eine ZahnMedizin“ mit Leben, gegenseitiger Unterstützung und gemeinsamem Agieren zu erfüllen – in die Politik wie in den Berufsstand hinein.
Das Jahr 2021 wird also nachwirken, nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Es wird bei diesen und vielen weiteren Themen – auch die Nachhaltigkeit der Zahnmedizin ist in diesem Jahr auf die Agenda gehoben worden – darauf ankommen, sich fachlich wie organisatorisch und wirtschaftlich auf diese sich verändernde Welt der Zahnmedizin einzustellen. Das ist herausfordernd, aber auch spannend und lohnend. Wir werden diesen Wandel weiter für Sie und mit Ihnen begleiten – mit zuverlässigen Informationen, Kommentaren, Einordnungen und Hilfestellungen.
„Über Vergangenes mach Dir keine Sorgen, dem Kommenden wende Dich zu.“ (Zhuangzi) Mit diesem Gedanken wünsche ich Ihnen einen versöhnlichen Abschluss für dieses Jahr und einen guten Start in das neue Jahr 2022 – mit Gesundheit, Tatkraft und Zuversicht.
Dr. Marion Marschall, Berlin