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Die von Lauterbach geplante Krankenhausreform wird auch die Praxen mit in den Strudel der Veränderungen ziehen – die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Kira_Yan/Shutterstock.com

Neujahr hat, abgesehen von den Folgen einer durchfeierten Silvesternacht, auch etwas Schönes: Das neue Jahr liegt, begleitet von vielen guten Wünschen, wie ein unbeschriebenes Blatt weißen Papiers vor einem. Leider hat dieses Gefühl eigener Wirkmächtigkeit eine zwar individuell unterschiedliche, aber letztlich doch recht kurze Halbwertszeit – und damit meine ich nicht nur die obligatorischen guten Vorsätze zum Jahreswechsel.

Damit willkommen in einem neuen Jahr, für das ich Ihnen gerade wegen der voraussehbaren Veränderungen im Gesundheitswesen Zufriedenheit und Gesundheit wünschen möchte. Vor allem aber positiven Gestaltungswillen für das eigene berufliche Umfeld und dessen Zukunft als Teil einer gesamthaft, also im Kontext aller Leistungserbringer und Kostenträger sinnhaften Patientenversorgung. Denn im Jahr 2023 werden aller Voraussicht nach entscheidende – und eben auch einschneidende – Änderungen für das deutsche Gesundheitssystem erfolgen, deren Strudel sich die Zahnmedizin wird nicht entziehen können.

Das Gesundheitssystem und der „Tipping point“

Das ganze System läuft deutlich wahrnehmbar mit schnellen Schritten auf seinen Kipppunkt zu. Gemäß Wikipedia ist dieser definiert als „ein Punkt oder Moment, an dem eine vorher geradlinige und eindeutige Entwicklung durch bestimmte Rückkopplungen abrupt abbricht, die Richtung wechselt oder stark beschleunigt wird“.  Klingt fast wie die Arbeitsweise oder besser das „Reformprogramm“ von Prof. Dr. Karl Lauterbach.

Die Folgen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes werden in diesem Jahr wirksam, das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz startet und der Bundesgesundheitsminister bastelt an einer tiefgreifenden Krankenhausreform, um die sich zuspitzenden fundamentale Krise der Kliniken in den Griff zu bekommen. Die Vorschläge der von Lauterbach eingesetzten Regierungskommission werden absehbar massive strukturelle Änderungen in der Versorgungslandschaft zu Folge haben. Und zwar nicht nur bei den Kliniken, sondern eben auch im ambulanten System. Wo es für das Letztere hingehen soll, gab das Wahlprogramm der Grünen zur Niedersachsenwahl ja bereits einen deutlichen Fingerzeig.

Die Prämissen der Krankenhausreform

Falls Sie sich fragen, was die Krankenhausreform mit der ambulanten Versorgung und damit auch mit der Zahnmedizin zu tun haben wird, ein komprimierter Überblick über die vorgeschlagenen Maßnahmen der Regierungskommission. Zukünftig sollen die Krankenhäuser in drei Versorgungsstufen eingeteilt werden. Jeder Stufe sind Mindestanforderungen zugeordnet, die sich in 128 neu gestalteten Leistungsgruppen darstellen. Die Finanzierung soll sich aus den beiden Komponenten Vorhaltepauschale in Abhängigkeit von den zugewiesenen Leistungsgruppen und leistungsabhängigen Fallpauschalen zusammensetzen.

Das sind die Level 1 bis 3

Um das Ganze bundesweit zu vereinheitlichen – Voraussetzung ist hier jedoch eine Einigung mit den Bundesländern – sollen die Krankenhäuser in drei Level eingeteilt werden: Level 1 betrifft die Grundversorgung, Level 2 die Regel- und Schwerpunktversorgung und Level 3 die Maximalversorgung. Für die jeweiligen Level werden strikte Mindestvoraussetzungen im Sinne von Strukturqualität vorgegeben. Der Medizinische Dienst soll die Voraussetzungen der einzelnen Häuser prüfen und folglich einem Level zuordnen.

Level 1 „Grundversorgung“ macht die Sache spannend

So weit, so gut. Spannend wird es nun bei den Level-1-Krankenhäusern, denn diese werden nochmals unterteilt, und zwar in Level 1i und 1n. 1n steht für die Sicherstellung der Notfallversorgung, 1i jedoch für sektorenübergreifende Versorgung. Bei Letzteren stellt man sich vor, dass diese „Einheiten“ unter Leitung „qualifizierter Pflegefachpersonen“ akutpflegerische Leistungen samt Akutpflegebetten vorhalten und eng mit den niedergelassenen Ärzten der Umgebung kooperieren sollen. Doch nun kommt es: Diese sollen auch Ärzte fest anstellen können.

Damit sind wir in der Struktur der „alten“ Polikliniken“ angekommen, die bereits vor knapp 20 Jahren die Blaupause für die fachübergreifenden Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) nach dem Muster der früheren Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihres Lieblingsberaters Karl Lauterbach waren.

Polikliniken als Kooperationsnetzwerke

Diese Verschmelzung von stationärer und ambulanter Versorgung zu „Kooperationsnetzwerken“ wäre in der Tat der Start in eine echte Neustrukturierung der ambulanten Medizin. Denkt man nun noch die bereits erwähnte Rolle der kommunalen MVZs hinzu, die nach Julia Willie Hamburg, Bündnis 90/Die Grünen, und seit November 2022 stellvertretende Ministerpräsidentin Niedersachsens sowie die niedersächsische Kultusministerin ja die Zukunft einer von finanziellen Interessen befreiten patientenzentrierten Ausübung der Medizin und Kooperationsnetzwerke seien, werden auch Karl Lauterbachs verbale Ausfälle gegenüber den Investoren-MVZ nachvollziehbar.

Mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen

Unterstellt, die hier dargelegten Überlegungen gehen in die richtige Richtung, dann relativiert sich die berufs- und standespolitische Freude über das von Lauterbach lautstark intonierte und für das erste Quartal des neuen Jahres geplante Gesetz gegen den Aufkauf von Praxen durch Investoren gewaltig. Natürlich klingt es gut, wenn der Minister „einen Riegel davorschieben will, dass Investoren medizinische Versorgungszentren mit unterschiedlichen Facharztpraxen aufkaufen“. Seine Begründung sollte allerdings aufmerken lassen. Denn diese bezog sich gemäß seinem Interview in der Bild am Sonntag auf „den fatalen Trend, dass Investoren medizinische Versorgungszentren aufkaufen, um sie anschließend mit maximalem Gewinn zu betreiben“. Das klingt eher danach, den „neuen“ Polikliniken den Wettbewerb vom Hals zu halten. Von fachgruppengleichen MVZ sprach er definitiv nicht.

Trennung Hausarzt – Facharzt: wo bleibt die Zahnmedizin?

Nun sind vorgenannte politische Vorstellungen kein wirklicher, schon gar nicht wirksamer Ersatz für die medizinische Grundversorgung in der Fläche durch die Hausärzte. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die ambulante Hausarztversorgung erhalten bleibt. Genau an diesem Punkt käme die Zahnmedizin ins Spiel. Das Stichwort lautet: orale Gesundheit! Diese ist jedoch elementarer Bestandteil einer umfassenden medizinischen Grundversorgung. Damit stellt sich dann die Frage nach der Rolle der Zahnärzteschaft in dem von Lauterbach und Co. angestrebten Gesundheitssystem. Bevor also die Diskussion um Hauszahnärzte und Fachzahnärzte aufbrandet, sollte dazu eine Antwort von den zahnärztlichen Institutionen gefunden worden sein.

Klinikreform als Hebel zur grundlegenden Umgestaltung

Über den Hebel Klinikreform kann Lauterbach den politischen Systemstreit für „sich“ respektive sein politisches Lager entscheiden. Und damit auch das von ihm im Zusammenhang mit der Investorenproblematik beklagte „absurde Gewinnkonzept ändern“. Schmankerl zum Schluss: „Wenn Sie 10 Prozent Rendite oder mehr herausholen, dann ist das mit seriöser Medizin kaum möglich“. (zitiert nach Ärztenachrichtendienst) Bei dieser Denke liegt es dann auch nahe, alsbald den Praxisgewinn vorzugeben.

Lauterbach schlägt einen Haken nach dem anderen

Soweit die perspektivischen Überlegungen zu den Vorstellungen unseres argumentativ wie auch handelnd hakenschlagenden Bundesgesundheitsministers. Der hat zwar einen gehörigen Anteil an der Misere, in der das bundesdeutsche Gesundheitswesen steckt – mit Blick auf die ganze derzeitige Krankenhausproblematik (Stichwort DRGs) sogar einen sehr großen. Womit wir wieder im Hier und Heute angekommen wären, in dem die aktuellen, durch das GKV-FinStG ausgelösten Probleme aktiv angegangen werden müssen.

Vier-Tage-Woche für Niedergelassene

Von Seiten des Virchow-Bundes kam daher in der ersten Januarwoche ein Vorschlag, der aufhorchen lässt: die Vier-Tage-Woche! Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag sollen die Praxen geöffnet haben und die GKV-übliche Versorgung stattfinden. Der Mittwoch soll der Bewältigung von Bürokratie und Fortbildung vorbehalten bleiben. Vorteile? Die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich mache den Beruf der Medizinischen Fachangestellten (MFA) wieder attraktiver und nachgefragter. Im Hinblick auf die Unterfinanzierung und Budgetierung des ambulanten Bereiches sei die Konzentration auf vier Tage zur Patientenversorgung ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Praxisführung und Kostensenkung. Nicht zuletzt könnten Praxen durch den Schließtag auch einen Teil der Energiekosten abfangen, da diese – anders als die Kliniken – kein staatliches Hilfspaket erhalten. Und last but not least sei die Vier-Tage-Woche, so der Virchowbund, familienfreundlicher und mache die Niederlassung für junge Ärztinnen und Ärzte, speziell gegenüber der Anstellung im Krankenhaus attraktiver.

Die Lösung auch für Zahnarztpraxen?

Ein brauchbarer Vorschlag auch für niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte? Nun ist die Situation bei den niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzten nur bedingt vergleichbar. So gibt es im zahnärztlichen keine Vorgabe von 25 Stunden Mindestöffnungszeit. Für mich liegt der Charme des Vorschlags jedoch darin, die Ausübung des Berufs auch und gerade im Sinne der Selbstständigkeit zu überdenken und aktiver selbst zu gestalten – im Sinne von „das Glück liegt nicht nur in den eigenen Händen, sondern auch im Kopf“.

Wie wäre es also mit der Überlegung, den Mittwoch (oder welchen Tag auch immer) zu einem besonderen Behandlungs- und Servicetag zu erklären, sei es für Kostenerstattungs- oder Privatpatienten? Ein Tag an dem man sich bewusst mehr Zeit nimmt für seine Patienten als in der üblichen Praxisroutine und die dann auch bereit sind, dieses im wahrsten Sinne des Wortes zu honorieren? Bei vier ZFAs hätte jede nur alle vier Wochen Dienst… Dieses soll nur ein Beispiel dafür sein, die Gestaltung des eigenen Praxisalltags in dem Sinne zu überdenken: Wie kann ich meinem Patientenklientel am besten gerecht werden?

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Start in das Jahr. Und wer sich ob Lauterbachs Obsessionen grämt: Druck erzeugt Gegendruck. Und den kann die Zahnärzteschaft, sofern sie als Gruppe geschlossen und aktiv auf der politischen Planche auftritt, sehr gut erwidern. Zumal sie nicht allein ist.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

Reference: Politik Nachrichten

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