„Aus, aus, das Spiel ist aus!“ Diesen Schlusssatz des Fußball-WM-Finales 1954 von Reporter Herbert Zimmermann kennt auch heute noch fast jeder, der sich in Deutschland für Fußball interessiert. Es folgte kollektiver Jubel, Glücksgefühle – Deutschland war Fußballweltmeister. „Aus, aus, die Wahl 2021 ist aus“ – endlich ist dieser blutarme, inhaltsleere und nichtssagende Wahlkampf am Sonntagabend um 18 Uhr abgepfiffen worden.
Ein Wort wird jedoch in Erinnerung bleiben: Triell! „Erfunden“ als Bezeichnung für den medialen Diskussionsshowdown der wie auch immer zu bezeichnenden Kanzlerkandidaten zu bester Sendezeit, doch angesichts des Wahlergebnisses geradezu von prophetischer Qualität.
Wer hätte angesichts dieser faden Pseudodiskussionen – trotz Wechselstimmung in der Bevölkerung und dem deutlichen Wunsch vieler nach Veränderungen – jedoch gedacht, dass dieses Wort geradezu deterministisch für Wahlkampf und für die Konsequenzen aus dem Wahlergebnis werden würde: 25 Prozent Union, 25 Prozent SPD, 15 Prozent Grüne, 11 Prozent FDP, 11 Prozent AfD, so die erste Hochrechnung um 18 Uhr am Sonntagabend.
Am Montagmorgen zeigten sich in den Prozentzahlen keine wesentlichen Veränderungen, aber dann doch zwei weitere Überraschungen: SPD 25,7 Prozent, CDU/CSU 24,1 Prozent, Grüne 14,8 Prozent, FDP 11,5 Prozent, AfD 10,3 Prozent und Linke mit 4,9 Prozent. Der Anspruch von Scholz auf Führung ist damit untermauert und die Linken werden mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Bundestag angehören – drei gewonnene Direktmandate machen es nämlich möglich. (Für eine rot-grün-rote Bundesregierung wird es aber trotzdem nicht reichen.)
„Triell“ mit prophetischer Qualität
Doch zurück zum Triell: Das Triell, so ist es bei Wikipedia nachzulesen, „ist eine Variante des Duells mit drei anstatt mit zwei Kämpfern (jeder gegen jeden, nicht zwei gegen einen). Bekannt wurde das Triell durch seine paradoxe Eigenschaft, dass unter bestimmten Bedingungen gute Schützen gegenüber schlechten Schützen im Nachteil sind. Die Idee des Triells stammt aus der Mathematik“. Und weiter: „Der Begriff wird auch im übertragenen Sinn angewandt. So wurde er einer breiten Öffentlichkeit durch die Bundestagswahl 2021 bekannt, bei der sich drei statt wie gewohnt zwei Kanzlerkandidaten mit realistischen Chancen um das Amt bewerben“.
Spannend der Nachsatz: „Wie ein Duell kann ein Triell auf unterschiedliche Arten und Weisen ausgetragen werden. So muss beispielsweise vereinbart werden, ob nur ein Schuss abgegeben werden darf, (ob in die Luft schießen erlaubt ist) oder ob so lange geschossen wird, bis nur noch ein Schütze überlebt“. Oder keiner – denn die Messe ist angesichts der Möglichkeiten von Ampel und Jamaika für die beiden Spitzenkandidaten noch nicht gelesen.
Nun denn. Ohne den medialen Überschmäh stetig neuer Umfrageergebnisse und darauf basierender Prognosen, die für knallige Headlines und ausgiebige Spekulationen sorgten, aber so gut wie nie Inhalte oder gar Argumente zu den allgegenwärtigen Themen der Zeit brachten, wäre es zu einem Triell gar nicht erst gekommen. Und das angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungskraft von Themen wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, Digitalisierung oder der finanziellen wie wirtschaftlichen Folgen der Pandemie.
Wahlkampf ohne Folgen für Spahn
Ja, das Gesundheitssystem war trotz immer noch nicht beendeter Coronapandemie, Betonung auf Pandemie, bei dieser Wahl medial so gut wie außen vor. Für Jens Spahn ein Glück, trotz so mancher „Böcke“ im Amt. Ob Impf,- Masken- oder diversen Immobilienaffären (Skandale wäre das richtige Wort) samt Rechtsstreit mit Medien etc. pp. – nichts wurde wahlkampfwirksam thematisiert. Selbst die massiven Eingriffe in die Grundrechte, vulgo Freiheitsrechte der Bürger wurden in der großen Mehrheit schweigend ertragen. Und für Erfolgsmeldungen kommt es bekanntermaßen nur auf den Vergleichsmaßstab an. Lenkt man nämlich den Blick auf so manch anderen Minister oder Ministerin – vornehmlich südlich des Weißwurstäquators – aus Merkels Kabinett, so war seine Performance durchaus beeindruckend.
Digitalisierung massiv vorangetrieben
Dass er die (Prozess-)Digitalisierung im Gesundheitswesen massiv vorangetrieben hat, auch um den Preis der Aufgabe „eherner“ Grundsätze zum „besonderen“ Datenschutz der sensiblen Gesundheitsdaten, zum Beispiel dezentrale versus zentrale Datenhaltung, ist unstreitig. Auch die fast schon als brutal zu bezeichnende Durchsetzung der TI bei Vertragsärzte- und Zahnärzteschaft – Stichwort Honorarabzug – geht auf seinen Deckel.
Gleiches gilt auch für die Kaperung der Gematik im Stil eines Freibeuters. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, DKG, Krankenkassen düpierte er ohne Rücksicht. Allerdings war es ein kluger strategischer Schachzug, wenn man den nachfolgenden Umbau der Gematik und deren Aufrüstung zur zentralen Schaltstelle der Digitalisierung betrachtet.
Die noch ausstehende breite Umsetzung des E-Rezepts ab 2022 wird, so wie es derzeit aussieht, die Nachfolge im Amt an der berühmten Backe haben. Und auch die damit einhergehenden Verwerfungen bei den Apotheken, wenn der digitale Wettbewerb durch Großkonzerne den Arzneimittelmarkt umkrempeln wird.
Großkonzerne werden Verwerfungen bringen
Apropos Großkonzerne: Augenheilkunde, Dialyse, Labor – alles Bereiche, in denen GmbH-Strukturen bereits breit Fuß gefasst haben und bei denen die zweite Konsolidierungswelle durch international agierende Konzerne und Fonds zu erwarten ist. Ein Szenario, welches auch für die Zahnärzteschaft nicht ganz unwahrscheinlich ist. Man denke nur an ertragsrelevante Bereiche wie die Behandlung mit Alignern. Eine Entwicklung, die auch bei den Tierärzten gewaltig an Fahrt aufnimmt. Hier sind es die großen (Tierfutter-)Konzerne wie Mars und Nestle. Die Gründe? Haargenau dieselben wie Ärzten und Zahnärzten.
Dass Jens Spahn mit seiner großen Nähe und guten Beziehungen zu internationalen Großkonzernen auch vor exklusiver Zusammenarbeit mit amerikanischen Big-Tech-Unternehmen wie Google nicht zurückschreckte, sollte Mahnung sein. Das Wahlprogramm der Grünen spricht diesbezüglich ebenfalls Bände.
Angesichts des vorläufigen Endergebnisses wird entweder eine Ampel- oder Jamaika-Koalition die nächste Regierung stellen. Oder doch die große Koalition? Egal wie: „Digital Health“ wird eines der Hauptthemen der neuen Regierung sein. Und zwar in dem Sinne eines datenbasierten effizienten Versorgungsmanagements, allein schon um Kosten zu sparen. Die notwendige Basis hat Jens Spahn mit der Gesundheitsakte bereits gelegt.
Mit Spahn und Lauterbach wird weiter zu rechnen sein
Und damit erhält das Wort des Digitalisierungsgewinns auch eine sehr persönliche Dimension. Die allerdings dem Fortgang (s)einer politischen Karriere nicht im Wege stehen muss, sondern sogar eher förderlich sein wird. Die Voraussetzungen hat er wieder geschaffen und erneut das Direktmandat in seinem Wahlkreis im westlichen Münsterland geholt. Wie Karl Lauterbach seinen Wahlkreis Köln-Süd und Leverkusen im Übrigen auch.
Apropos Jamaika: Schleswig-Holstein hat gezeigt, dass CDU, Grüne und FDP gut und konstruktiv zusammenarbeiten können. Zwei Herren sollen damals diese Koalition maßgeblich vorangetrieben haben: Der Grüne Habeck und Kubicki von der FDP. Keine schlechten Voraussetzungen, zumindest unterhaltsam wird es werden. Dafür wird Kubicki schon sorgen, „Spacken“ Lauterbach weiß warum …
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.