Zahnärztinnen und Zahnärzte werden gebraucht – nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land. Und nicht nur für den Erhalt der Mundgesundheit, sondern auch für die Gesamtgesundheit. In diesen Punkten waren sich Politik und Standespolitik auf dem Neujahrsempfang der Zahnärzteschaft am 24. Januar 2023 in Berlin einig.
Bei der ersten Auflage des traditionell in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ausgerichteten Empfangs nach zwei Pandemiejahren versammelten sich nur gut ein Drittel der früher üblichen Gäste aus Politik, Standespolitik, Ministerien, Wissenschaft, Lobbyorganisationen und Medien. Dies war nicht einem mangelnden Interesse, sondern den strengen neuen Vorgaben des Veranstaltungsorts für die maximale Teilnehmerzahl geschuldet, wie zu erfahren war. Das veränderte auch das gewohnte Setting – es sprachen nicht mehr Gesundheitspolitiker aller Bundestagsfraktionen ein Grußwort zum Jahresbeginn.
Die inhabergeführte Einzelpraxis als Goldstandard
BZÄK-Präsident Prof. Dr. Christoph Benz hob in seiner Begrüßung hervor, dass die Verteilung der Zahnärzte auch im ländlichen Raum eine ganz aktuelle Herausforderung sei. Die inhabergeführte Einzelpraxis sei hierfür der Goldstandard, profitorientierte Investoren brauche es dafür nicht. Die Einzelpraxis sei in den vergangenen Jahren immer kleingeredet, große Strukturen als die Zukunft propagiert worden. Aber das sei falsch. 80 bis 90 Prozent der zahnärztlichen Leistungen könnten in der allgemeinzahnärztlichen Praxis abgebildet werden, nur für den deutlich kleineren Teil brauche es Spezialisten, die es ja zur Genüge gebe.
Benz verwies auf den Aufstieg der Zahnärzteschaft in Sachen Mundgesundheit „aus der Kreisliga“ vor 40 Jahren jetzt in die Champions League der Prävention. Nach der erfolgreichen Eindämmung der Karies habe man nun endlich auch den Kampf gegen die Volkskrankheit Parodontitis mit modernen, wissenschaftlich basierten Therapiekonzepten angehen können. Aber gerade jetzt habe die Politik mit dem GKV-Finanzstärkungsgesetz der Zahnärzteschaft dafür sozusagen den Strom abgestellt. Als einen „Silberstreif am Horizont“ bezeichnete der BZÄK-Präsident hier – auch mit einem Dank an den anwesenden Verbandsdirektor des PKV-Verbands, Dr. Florian Reuther – die gemeinsam erarbeitete Umsetzung der modernen PAR-Therapie in der GOZ.
Schwierige Situation beim Fachpersonal
Als großes Problem für die Zahnarztpraxen führte er den Fachkräftemangel an. Der Arbeitsmarkt könne den Bedarf an Zahnmedizinischen Fachangestellten und Auszubildenden nicht decken, der überall herrschende Fachkräftemangel stelle die Praxen in den Wettbewerb mit großen Unternehmen und dem Öffentlichen Dienst. Durch rasant steigende Energie- und Materialkosten und die nun wieder eingeführte Budgetierung der Honorare seien die Praxen bei der Lohnentwicklung nicht mehr konkurrenzfähig. Gleichzeitig sorge die nach wie vor überbordende Bürokratie dafür, dass das Fachpersonal mit Verwaltungsaufgaben und neuen, unausgereiften TI-Anwendungen überlastet werde. Hier sei das von den Zahnärzten selbst entwickelte Elektronische Beantragungswesen endlich ein Lichtblick und eine große Hilfe für die Praxen. Ohne Hilfe der Politik werde der Fachkräftebedarf in Deutschland angesichts der demografischen Entwicklung nicht zu decken sein.
Mit Blick auf den jüngst unterzeichneten Klimapakt Gesundheit dankte Benz dem Bundesgesundheitsminister für diese Initiative für mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz: eine Transformation zu einem ressourcenschonenden und umweltbewussten Arbeiten sei ein Gebot der Zeit.
Sein Dank galt aber auch den Zahnärztinnen und Zahnärzten für ihre große Hilfsbereitschaft für die Menschen in der Ukraine. Sehr viele seien dem Spendenaufruf von BZÄK und Hilfswerk Deutscher Zahnärzte gefolgt und hätten damit eine in dieser Höhe nicht erwartete Spendensumme zusammengebracht, aus der jetzt sehr viel Hilfe finanziert werden könne, die auch ankomme.
Überalterung der Zahnärzteschaft als Problem
Sepp Müller (CDU/CSU), MdB, dankte Zahnärzteschaft und Zahnmedizinischen Fachangestellten für ihren Einsatz in der Pandemie. Zudem sprach er über die Überalterung der Zahnärzteschaft im ländlichen Raum und damit einhergehenden zukünftigen Versorgungsproblemen. Dieses Thema könnte man noch zeitgerecht angehen, wenn endlich ein Masterplan Medizinstudium käme, nicht nur für die Human- und Tiermedizin, sondern auch für die Zahnmedizin. Man brauche Zahnmedizin nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum. Deutschland bestehe zu 70 Prozent aus ländlichem Raum, auch hier müsse es eine zahnmedizinische Versorgung geben. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel müsse auch die schnellere und bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt vorangetrieben werden.
Rolle für Gesamtgesundheit zu wenig beachtet
Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), MdB, die derzeit als stellvertretende Vorsitzende faktisch dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags vorsitzt (der Vorsitz stünde laut parlamentarischen Gepflogenheiten der AfD zu, allerdings erreichte bislang keiner der Kandidaten die nötige Mehrheit bei der Wahl des Vorsitzenden) betonte, Einzelpraxen seien ein wichtiger Teil der medizinischen Versorgung. Zahnmedizinische Versorgung müsse bei den Menschen ankommen, auch im ländlichen Raum.
Sie lenkte den Blick darauf, dass Zahnmedizin auf den ganzen Körper und die Gesamtgesundheit wirke. Das würde in Öffentlichkeit und Politik viel zu wenig beachtet. Die Arbeit am Zahn sei zusätzlich Arbeit an der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie danke der Zahnärzteschaft dafür.
Vage Vorschau auf Beschränkungen für Investoren
Kappert-Gonther setzte sich auch mit der Forderung nach einer Begrenzung der Aktivitäten von Fremdinvestoren in der Medizin und Zahnmedizin auseinander und kündigte dazu zeitnah einen Gesetzentwurf an. Die Forderungen der Zahnärzteschaft seien berechtigt. Allerdings weckten ihre dazu recht schwammigen Ausführung hinsichtlich der möglichen Grenzen für Investoren bei den anwesenden Standespolitikern durchaus die Befürchtung, dass keine deutlichen Einschränkungen für Fremdinvestoren zu erwarten seien und es sich auf das Thema Transparenz beschränken könnte.
Zum Thema Digitalisierung wies sie auf das Zehn-Punkte-Papier der BZÄK und darauf hin, dass Ausgangspunkt nicht die Technik sei, sondern der Patient.
„Klimawandel“ im Verhältnis zum Minister
Den Abschluss der offiziellen Reden bildete traditionell das Statement des Vorstandsvorsitzenden der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Wolfgang Eßer. Er benannte den „Klimawandel“, das schwierige Verhältnis des amtierenden Bundesgesundheitsministers Prof. Karl Lauterbach zur Selbstverwaltung, als ein belastendes Thema. Die Einstufung der Akteure der Selbstverwaltung als Lobbyisten, das Ausgrenzen aus Kommissionen und Arbeitsgruppen, wie bei der Krankenhausreform, bezeichne einen Tiefpunkt in der Gesundheitspolitik. Es stelle sich schon die Frage, ob aus Sicht des Ministers das Subsidiaritätsprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgegeben werden soll.
Der Zahnärzteschaft sei es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, die Mundgesundheit in Deutschland deutlich zu verbessern und dabei gleichzeitig den Anteil an den Gesamtausgaben der Krankenkassen zu senken. „Während in anderen Versorgungsbereichen die Ausgaben stetig gewachsen sind, haben wir gleichzeitig die anteiligen Ausgaben der Krankenkassen für die zahnärztliche Versorgung um gut ein Drittel gesenkt. Statt aber diese Erfolge seitens der Politik zu honorieren, hat uns die Ampelkoalition mit dem GKV-FinStG die strenge Beschneidung des Honorarwachstums und die Wiedereinführung der strikten Budgetierung auferlegt. Und das nach zwei Jahren großer wirtschaftlicher Einbußen aufgrund der Pandemie und in Zeiten grassierender Inflation und Energiekostenexplosion“, so Eßer.
„Meilenstein für die Mundgesundheit“ zur Disposition gestellt
Er hob erneut auf das Thema PAR-Therapie ab. Die hier gemeinschaftlich erreichte und von allen Seiten in Konsens und mit großer Zustimmung – auch hinsichtlich der damit verbundenen Ausgaben der Kassen – eingeführte neue PAR-Richtlinie stehe „dank“ des Agierens des Ministers und seinem GKV-FinStG nun wieder in Frage. Im Zielkonflikt zwischen notwendiger Versorgung und dem Stopfen der Finanzlücken hätten Minister und die Ampel „diesen von allen Seiten gefeierten „Meilenstein“ für die Mund- und Allgemeingesundheit quasi über Nacht und per Federstrich zur Disposition gestellt und damit auch die Empfehlungen des Bundesrates in den Wind geschlagen“, so Eßer weiter. „Dass der Minister im Wissen um die unausweichlichen negativen Folgen der fehlenden Finanzierung im Hinblick auf die Versorgung den Menschen immer wieder versprochen hat, es würde keine Leistungskürzungen geben, kann in diesem Zusammenhang nur als politischer Zynismus bewertet werden. Die Leidtragenden dieser Politik sind die Patientinnen und Patienten“, sagte er unter Beifall.
Er appelliere „in aller Dringlichkeit an die Verantwortlichen und den Minister“, diese Fehlentscheidung im angekündigten Folgegesetz zu korrigieren und schnellstmöglich auch die strikte Budgetierung wieder rückgängig zu machen.
„Vorsichtig optimistisch“ beim Thema Fremdinvestoren
Beim Thema Fremdinvestoren zeigte sich der KZBV-Vorstandsvorsitzende auch angesichts des im Vortrag von Kappert-Gonther gehörten nur „vorsichtig optimistisch“. Lauterbauch habe zwar angekündigt, dass er „den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen“ unterbinden wolle. „Nachdem die Politik über Jahre die Augen verschlossen hat und wir uns obendrein solch groteske Sätze anhören mussten, wie ‚Es ist gleichgültig, wer versorgt, Hauptsache es wird versorgt‘, stimmt mich diese jüngste Ankündigung des Ministers zumindest vorsichtig optimistisch – gerade weil bei diesem Thema mittlerweile nicht nur große Teile der Ärzteschaft, sondern auch die Länder geschlossen unsere Sorgen teilen und derzeit sogar selbst an einer gesetzlichen Initiative arbeiten,“ so Eßers Bewertung.
„Selbst höchstkarätige Rechtskundige“ hätten bestätigt, dass die Politik die erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen „rechtssicher umsetzen kann, wenn sie nur will“. Man brauche jetzt dringend eine räumlich-fachliche Gründungsbeschränkung für Krankenhäuser und ein Transparenzregister für MVZ. „Nur so kann das bislang ungehinderte Wachstum investorengeführter MVZ endlich effektiv begrenzt werden“, sagte Eßer und erhielt dafür viel Beifall.
Dr. Marion Marschall, Berlin