Jegliche radiologische Bildgebung basiert primär auf der Darstellung von Aufhellungen und Verschattungen, die sorgfältig zu interpretieren sind. Autor Prof. Sebastian Bürklein stellt in seinem Beitrag für die Rubrik „Radiologische Diagnostik“ in der Endodontie 2/19 eine mögliche Diagnose bei multiplen Aufhellungen und Verschattungen vor. Treten multiple Aufhellungen und Verschattungen insbesondere im Unterkiefer auf, so ist eine mögliche Diagnose die „periapikale zemento-ossäre Dysplasie“ (COD = cemento-osseous dysplasia). Es handelt sich um eine seltene, nicht-neoplastische knochenassoziierte Läsion, die ihren Ursprung wahrscheinlich im parodontalen Ligament hat. Synonym werden auch die Bezeichnungen „periapikale Zementdysplasie“, „periapikale fibröse Dysplasie“, „ossäre Dysplasie“ und „Zementom“ verwendet. Im Wesentlichen beinhaltet dieses Krankheitsbild einen pathologischen Prozess, der primär klinisch-radiologisch diagnostiziert wird, mit periapikalen Aufhellungen und Verschattungen assoziiert ist und daher leicht mit apikalen Parodontitiden, Granulomen und Zysten verwechselt werden kann1–3.
Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.
Kasuistik
Ein 39-jährige Frau stellte sich in der Zentralen Interdisziplinären Ambulanz des Universitätsklinikums Münster mit der Überweisung zur Abklärung und etwaigen weiteren Therapie bei multiplen unklaren periapikalen Aufhellungen mit Begleitverschattungen vor. Die Allgemeinanamnese war vollständig unauffällig.
Die Patientin hatte keinerlei Beschwerden und bei der klinischen Untersuchung ergaben sich keine Auffälligkeiten. Alle Zähne zeigten einen positiven Sensibilitäts- sowie einen negativen Perkussionstest, bis auf Zahn 12, mit Zustand nach Wurzelkanalbehandlung und Wurzelspitzelresektion, der einen negativen Sensibilitätstest aufwies. Die periapikale Palpation ergab keine Druckdolenzen. Das mitgebrachte Orthopantomogramm (OPG, Abb. 1) zeigte an den UK-6ern und in der Unterkiefer-Front (Regio 33 bis 43) osteolytische Bereiche mit Verschattungsanzeichen. Mit der Verdachtsdiagnose einer zemento-ossären-Dysplasie wurden ein neues OPG und neue Einzelzahnaufnahmen in Auftrag gegeben, um eine zeichnungsschärfere Darstellung der periapikalen Strukturen zu erhalten und auch eine Aussage bezüglich einer etwaigen Progredienz der Läsionen treffen zu können.
Die neuen Aufnahmen (Abb. 2 bis 4) sowie das OPG (Abb. 5) zeigen deutlich die periapikalen Strukturen mit beginnenden fokalen Verdichtungen. Der Parodontalspalt ist bei allen Zähnen gut differenzierbar. Folglich wurde die primäre Verdachtsdiagnose der periapikalen zemento-ossären Dysplasie bestätigt.
Periapikale zemento-ossäre Dysplasie
Die COD tritt häufiger im Unterkiefer auf, gelegentlich aber auch im Oberkiefer. Die höchste Inzidenz liegt bei Frauen über 40 Jahren4,5. Die Läsionen können vereinzelt oder multifokal auftreten und sind meist asymptomatisch und beinhalten keine Veränderungen am Parodontalgewebe. Die vorherrschende Läsionsstelle ist der vordere Bereich des Unterkiefers, in der Nähe der Wurzelspitze der unteren Schneidezähne und Eckzähne. Die betroffenen Zähne bleiben vital6,7. Typischerweise entwickelt sich die Läsion durch drei Phasen: osteolytisch (Abb. 2 und 4), zementoblastisch (Abb. 2 und 4) und reif (Abb. 3 – distale Wurzel). Radiologisch hängt das Auftreten der Läsion also primär vom Beobachtungszeitpunkt ab. In der ersten oder osteolytischen Phase ist eine kreisförmige röntgenstrahlendurchlässige Läsion an der Wurzelspitze sichtbar; in der zweiten oder zementbildenden Phase nimmt die zementbildende Aktivität zu, sodass die röntgenstrahlendurchlässige Läsion ein gemischtes Aussehen (Aufhellungen und Opazitäten) annimmt. Im letzten oder reifen Stadium entsteht eine vollständig röntgenopake Läsion7–10.
Diagnostik
Besonders im Frühstadium der COD sind Fehlinterpretationen der Röntgenbilder möglich11, wie zum Beispiel periapikale Abszesse, Granulome oder Zysten, was in eine unnötige endodontische Behandlung münden kann11. Sensibilitätstests sind daher besonders wichtig für die Differenzialdiagnose. Prinzipiell stellen alle zemento-ossären Läsionen eine komplexe Gruppe von Läsionen mit ähnlichem histologischem Erscheinungsbild und damit oft eine diagnostische Herausforderung dar. Die Diagnose muss auf klinischen, radiologischen und gegebenenfalls histologischen Merkmalen basieren. Die verschiedenen infrage kommenden Läsionen unterscheiden sich in ihren klinischen Erscheinungsformen und ihrem biologischen Verhalten und werden daher mit unterschiedlichen Ansätzen behandelt. Deshalb ist die Abgrenzung zu folgenden Differenzialdiagnosen besonders wichtig: Morbus Paget12, chronische (diffuse) Osteomyelitis13 und Zementom14.
Zwischen „lang genug“ und „zu lang“ liegt bei der endodontischen Arbeitslänge nur ein feiner Unterschied: Welche Methoden es aktuell gibt, die Arbeitslänge für die endodontische Therapie präzise zu bestimmen, und wie sie funktionieren, fasst Prof. Dr. Sebastian Bürklein im Video vom 34. Berliner Zahnärztetag im Februar 2020 zusammen. (Video: Quintessence News/QTV)
Abgrenzung zur COD
Die Paget-Krankheit ist polyostotisch und mit erhöhten alkalischen Phosphatasewerten verbunden, was kein wesentliches Merkmal der periapikalen COD darstellt12. Die chronisch diffus sklerosierende Osteomyelitis beschränkt sich nicht nur auf zahntragende Bereiche, sondern ist ein primärer entzündlicher Zustand des Unterkiefers mit eher zyklischen Episoden einseitiger Schmerzen und Schwellungen. Die betroffene Läsion des Unterkiefers weist eine diffuse Opazität mit schlecht definierten Rändern auf13. Das Zementom präsentiert sich röntgenographisch als eine gut definierte röntgenopake, dichte Masse mit einem röntgenstrahlendurchlässigen Rand, der die Wurzel eines Zahnes umschließt, meist mit Anzeichen von Wurzelresorptionen und Verlust des Parodontalspaltes14.
Therapie
In der Regel ist keine Behandlung erforderlich. Der therapeutische Ansatz für die periapikale COD ist rein konservativ und besteht aus regelmäßigen klinischen und radiologischen Nachuntersuchungen15. Die Resektion der Läsion ist nur Fällen vorbehalten, in denen wiederholte chronische Entzündungen oder Abszesse auftreten, da sie das Risiko der Entwicklung einer chronischen sklerosierenden Osteomyelitis beinhalten können. Wenn Symptome auftreten sollten, beginnen sie meist mit Entzündungszeichen; in diesen Fällen kann der betreffende Zahn endodontisch behandelt werden. Eine Extraktion wird in der Regel nicht empfohlen, da die Heilung der Alveole aufgrund etwaiger Durchblutungsstörungen im betroffenen Knochenbereich schlecht sein kann. Umfangreiche chirurgische Resektionen kommen als Behandlungsoption nur äußerst selten in Betracht, wenn die Läsionen sehr ausgedehnt und symptomatisch sind10. Allerdings ist die zementoossäre Dysplasie fest mit dem umgebenden Knochen verbunden und schwer zu entfernen. Deshalb – aber auch wegen der möglichen Differentialdiagnosen – sollte bei unklaren Befunden, vor chirurgischen Interventionen oder bei Zweifeln an der Diagnose eine Biopsie zur histologischen Verifizierung erfolgen.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Sebastian Bürklein, Münster
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