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Biokompatible Materialien können eine apikale Barriere generieren und eine definitive Wurzelkanalfüllung in ermöglichen

Trepanationsöffnung an Zahn 21 nach Entfernung der medikamentösen Einlage; die umgekehrte Papierspitze zeigt die anhaltende Blutung aus der Apikalregion.

Dieser Fallbericht von Dr. Anna-Louisa Holzner und Dr. Eva Maier für die Endodontie 02/2022 beschreibt die komplexe Durchführung eines apikalen Verschlusses eines Oberkieferfrontzahns, welcher aufgrund der fehlenden apikalen Konstriktion deutlich erschwert war. Dabei können biokompatible Materialien wie Biodentine (Septodont) oder Mineral-Trioxid-Aggregat (MTA) zum Einsatz kommen, um eine apikale Barriere zu generieren und eine definitive Wurzelkanalfüllung zu ermöglichen. Die klassische Apexifikation durch mehr­malige Einlagen mit Kalziumhydroxid konnte somit umgangen, multiple Sitzungen bei vorhandener Leidensgeschichte der jungen Patientin konnten vermieden und die Behandlung zügig zum Abschluss gebracht werden.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endotontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.

Anamnese und Vorgeschichte

Die 10-jährige Patientin stellte sich in Begleitung ihrer Mutter im Februar 2020 erstmals zur Weiterversorgung des Zahns 21 vor. Die Patientin berichtete von einem Frontzahntrauma im Juli 2017 im Alter von sieben Jahren, welches jedoch weder von ihr noch von der Mutter (auch aufgrund sprach­licher Probleme) genauer beschrieben werden konnte. Die Tochter erzählte jedoch von einem Fahrradsturz im Bereich einer Baustelle. Die Mutter gab an, dass in den vergangenen Monaten und Jahren zahlreiche Termine beim Hauszahnarzt stattgefunden hatten, bei welchen der Zahn 21 immer wieder gespült, aber weder adhäsiv auf­gebaut noch definitiv endodontisch versorgt worden war. Mehrmals wurde der Familie zur Entfer­nung des Zahns 21 geraten.

Befund bei Erstvorstellung

Am Tag der Erstvorstellung in der Zahnklinik war der Zahn 11 leicht gedreht, sonst jedoch unauffällig. Die Patientin berichtete über leichte Schmerzen und ein apikales Druckgefühl im Bereich der Wurzelspitze des Zahnes 21. Sie war sehr unglücklich, da die Schneidekante des Zahnes 21 seit dem Unfall vor fast 3 Jahren nicht rekonstruiert worden war und der Wurzelkanal frei lag (Abb. 1a bis c). Somit sammelten sich hier stets Speisereste und sowohl der Mutter als auch der Tochter war seit einigen Wochen ein unangenehmer Geruch aufgefallen. Zuletzt war das Medikament beim Hauszahnarzt vor ca. 2 Monaten ausgewechselt worden. Dieser bat nun laut Überweisung um eine „Wurzelkanalbehandlung des Zahnes 21 bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum“. Der Röntgenbefund zeigte eine deutliche apikale Aufhellung und einen offenen Apex an Zahn 21 (Abb. 1d).

Diagnose und Therapieplanung

Zum Unfallzeitpunkt befand sich die damals siebenjährige Patientin in der ersten Wechselgebissphase. Der aktuelle Befund ließ vermuten, dass der Zahn 21 eine Schmelz-Dentin-Fraktur mit Pulpabeteiligung erlitten hatte, wahrscheinlich in Kombination mit einer schweren Dislokationsverletzung. Aufgrund der massiven Verletzung kam es vermutlich in der Folge zur Pulpanekrose und zum Stillstand des Wurzelwachstums.

Therapie

Nach ausführlicher Befunderhebung, Röntgendiagnostik und Fotodokumentation wurden Mutter und Tochter über das weitere Prozedere aufgeklärt. Kofferdam wurde angelegt und der Wurzelkanal des Zahnes 21 mit Natriumhypochlorit (3 Prozent) und Zitronensäure (30 Prozent) gespült. Eine elektrische Längenmessung war aufgrund des weit offenen Apex nicht möglich; ein korrektes Messergebnis wurde nicht angezeigt. Daher wurde eine Messaufnahme angefertigt und die Arbeitslänge zunächst auf 14 mm geschätzt (Abb. 2).

Nach einer ausführlichen Zwischenspülung mit Ethanol (70 Prozent) kam zusätzlich eine Chlorhexidinspülung (2 Prozent) zum Einsatz. Die Lösungen wurden vorsichtig schallaktiviert (Eddy, VDW). Die anschließende Trocknung gestaltete sich schwierig, da permanent Exsudat aus dem apikalen Gewebe in den Wurzelkanal aufstieg. Als medikamentöse Einlage kam Kalziumhydroxid zum Einsatz. Der Verschluss des Wurzelkanals erfolgte mit Cavit W (3M Espe); anschließend wurde der Zahn adhäsiv mit Komposit aufgebaut und auch die Trepanationsöffnung wurde adhäsiv verschlossen. Es wurde ein zeit­naher Termin zur Weiterbehandlung vereinbart, der sich jedoch unter anderem aufgrund des Lockdowns in Deutschland verschob. Somit wurde die Therapie erst am 25. Mai 2020 fortgeführt. 

Nach drei Monaten stellte sich die Patientin erneut vor. Sie gab keine Schmerzen mehr an und auch das Druckgefühl in der Apikalregion des Zahnes 21 hatte nachgelassen. Mit dem adhäsiven Aufbau war die Patientin funktionell und ästhetisch zufrieden. 

Alle Behandlungsschritte erfolgten stets unter Kofferdam und mithilfe eines Dentalmikroskops (Zeiss). Nach der Trepanation des Zahnes und ausführlicher Spülung mit Natriumhypochlorit (3 Prozent) und Zitronensäure (30 Prozent) war nach dreimonatiger Kalziumhydroxideinlage immer noch deutlich von apikal aufsteigendes Exsudat zu erkennen, welches sich eitrig-gelb darstellte. Es wurde in dieser Sitzung eine medikamentöse Einlage mit einer Triple-Antibiotika-Paste (Ciprofloxacin, Cefuroxim, Metronidazol) appliziert, welche auf einer Glasplatte angemischt und mit einer Spritze in den Wurzelkanal appliziert wurde. Etwaige Allergien auf Antibiotika wurden vor dem Beginn der Behandlung ausgeschlossen. Der Zahn wurde erneut mit Cavit und Komposit dicht verschlossen und ein neuer Termin nach einer Woche vereinbart, den die Patientin leider nicht wahrnahm. Für die nächsten Wochen war die Patientin telefonisch nicht erreichbar, weswegen die Weiterbehandlung erst am 26. August 2020 erfolgen konnte.

Vor der weiteren Therapie erfolgte eine Röntgenkontrolle, um die apikale Region zu beurteilen und den Erfolg des Langzeitmedikaments (zunächst Kalziumhydroxid für drei Monate, dann Triple-Antibiotika-Paste für drei Monate) zu überprüfen. Leider war jedoch röntgenologisch keine Verkleinerung der apikalen Läsion zu erkennen (Abb. 3).

Aufgrund der anhaltenden Beschwerdefreiheit erfolgte in dieser Sitzung die definitive Wurzelkanalfüllung. Nach der Trepanation (Abb. 4a und b) wurde das Wurzelkanalsystem des Zahns 21 erneut intensiv desinfiziert. Um vor der Wurzelkanalfüllung ein apikales Widerlager zu generieren, kam ein Gelastypt-Schwamm (Sanofi) zum Einsatz, welcher mithilfe eines sterilen Skalpells zurechtgeschnitten (Abb. 4c), in den Wurzelkanal eingebracht (Abb. 4d) und unter Verwendung eines Pluggers nach apikal vorgeschoben wurde.

Unter dem Mikroskop wurde anschließend ein ca. 5 mm dicker apikaler Verschluss aus MTA (Harvard) appliziert. Die Ap­plikation des MTA-Präparats erfolgte zu Beginn in kleinen Portionen mit dem MAP-System (Dentsply) (Abb. 5) und anschließend großzügig mit einem Heidemann­spatel. Zur Kompaktion nach apikal kamen um­gedrehte Papierspitzen (ISO 90 und 100) zum Einsatz (Abb. 4e). Die Adapta­tion und Verdichtung des MTAs mit großen Papierspitzen gelingt sehr gut, wenn das zu füllende Lumen sehr groß und die Sicht somit gut ist. Gleichzeitig lassen sich überschüssige Flüssig­keit und Exsudat mit umgedrehten Papierspitzen aufsaugen und das MTA dadurch zusätzlich verdichten.

Die erste Röntgenkontrolle des MTA-Plugs zeigte noch kein zufriedenstellendes Resultat (Abb. 6). Es erfolgten daher eine erneute Kompaktion des Plugs nach apikal (um ca. 3 mm) und eine erneute Röntgenkontrolle, welche das Ergebnis der Röntgenmessaufnahme widerspiegelte und somit als zufriedenstellend bewertet wurde (Abb. 7a und b).

Abschließend wurde eine Panoramaschichtaufnahme angefertigt, um die Anlagen der bleiben­den Zähne zu kontrollieren und gegebenenfalls bei Verlust des Zahns 21 eine Prämolarentransplantation in Betracht zu ziehen. Hierfür soll zeitnah eine kieferorthopädische Beratung erfolgen. Des Weiteren muss kieferorthopädisch die Lage und Einstellung des Zahns 43 besprochen und geplant werden (Abb. 8). Mutter und Tochter wurden hierüber ausführlich aufgeklärt.

Die Patientin wurde zufrieden und beschwerdefrei entlassen. Langfristige röntgenologische Kontrollaufnahmen werden zeigen, ob die große apikale Läsion ausheilen kann.

Recall

Anfang November 2021,14 Monate nach der Wurzelkanalfüllung, stellte sich die Patientin erneut zur klinischen und röntgenologischen Nachkontrolle vor. Der Zahn 21 war beschwerdefrei, nicht gelockert und klinisch frei von Entzündungszeichen (Abb. 9a). Das Röntgenbild (Abb. 9b) zeigte eine rückläufige apikale Aufhellung im Bereich der Wurzelspitze des Zahns 21. Der langfristige Erhalt des Zahnes ist nach wie vor fraglich; eine Vorstellung in der Kieferorthopädie zur Besprechung weiterer Therapieoptionen ist nicht erfolgt.

Diskussion

Der durchgeführte apikale Verschluss ist eine endodontische Behandlungsmaßnahme, die bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum zum Einsatz kommt, wenn Wurzelwände sehr dünn sind und das weit offene apikale Foramen keine konventionelle Wurzelkanal­behandlung zulässt1,2. Zudem kann der apikale Verschluss mit MTA oder anderen biokompa­tiblen Materialien zeitlich überschaubar in ein bis zwei Sitzungen abgeschlossen werden und stellt somit auch eine gute Therapieoption bei Kindern und jugendlichen Patienten dar3,4. Auf wiederholte medikamentöse Einlagen mit Kalzium­hydroxid kann in der Regel verzichtet werden. Im vorliegenden Fall kamen dennoch zwei medikamentöse Einlagen (Kalziumhydroxid und Triple- Antibiotika-Paste) zum Einsatz, da der Zahn monatelang offen und unversorgt war und die Patientin da­rüber hinaus Beschwerden angab. Im Fokus der Behandlung stand die gründliche Des­infektion des Wurzelkanalsystems mit anschließender Applikation einer mechanischen Barriere im Wurzelspitzen­bereich, die eine weitere Obturation des Wurzelkanalsystems ermöglichte. Auf eine mechanische Präparation der Kanalwände sollte bei jungen Patien­ten mit dünnen Kanal­wänden verzichtet werden, um die Zahnhartsubstanz nicht unnötig weiter zu schwächen. Die intensive chemische Reinigung durch schallaktivierte Spülung ist hierbei besonders wichtig und der mechanischen Präpara­tion vor­zuziehen.

Alternative Behandlungsoptionen

Die Langzeitprognose endodontisch behandelter Zähne ist im Vergleich zu vitalen Zähnen herabgesetzt. Im Falle eines Misserfolges nach endodontischer Therapie stellt die Zahntransplantation bei Verlust traumatisch geschädigter Zähne häufig eine gute Behandlungsalternative zur Implantation dar5. Somit könnte auch im vorliegenden Fall – nach ausführlicher kieferorthopädischer Konsultation – gegebenenfalls die Transplantation eines Prämolaren in Betracht gezogen werden. Die Erfolgsrate für autotransplantierte Zähne ohne abgeschlossenes Wurzelwachstum liegt nach zehn Jahren bei mehr als 90 Prozent. Mögliche Komplikationen sind neben Resorptionen auch Ankylosen oder Pulpanekrosen6. Eine schonende Extraktion und Transplantation ohne Schädigung des parodontalen Ligaments sind entscheidend für die erfolgreiche Einheilung des Transplantats ohne Ankylose7. Hierfür müssen die Indikation zur Extraktion eines Prämolaren sowie die Festlegung des Transplantationszeitpunktes nach Rücksprache mit erfahrenen Kieferorthopäden erfolgen. Optimalerweise sollte das Wurzelwachstum des zu transplantierenden Zahnes zu circa zwei Dritteln abgeschlossen sein. 

Auch die Versorgung mit einer einflügeligen, palatinal befestigten Adhäsivbrücke ist nach Zahnverlust im Frontzahnbereich eine ästhetisch und funktionell ansprechende Lösung. Hierbei wird das Kieferwachstum nicht gehemmt und dennoch eine festsitzende, minimalinvasive Versorgung ermöglicht8. So kann die Zeit bis zu einer Implantation im Erwachsenenalter ästhetisch ansprechend überbrückt werden9

Auch ein provisorischer Lückenschluss durch ein an den Nachbarzähnen befestigtes Glasfaserband und einen Kunststoffzahn kann im Falle des Zahnverlustes eine kurzfristige Lösung sein10.

Fazit

Die korrekte Erstversorgung eines dentalen Traumas ist entscheidend für den langfristigen Zahn­erhalt. Hierbei ist eine strukturierte Vorgehensweise am Unfalltag und im Rahmen der Nachkontrolltermine hilfreich. Die meisten notwendigen Therapiemaßnahmen zur Sicherstellung einer korrekten Erstversorgung sind am Unfalltag schnell und einfach durchzuführen und geben anschlie­ßend Zeit für eine ausführliche weitere Therapieplanung. Jedoch wurde im vorliegenden Fall die Prognose des Zahns 21 massiv herab­gesetzt, da monatelang keine Desinfektion des Kanalsystems durchgeführt und auch ein bak­teriendichter Verschluss des Zahns versäumt wurde. Durch eine zeitnahe Versorgung von Pulpa- und Dentin­wunden beziehungsweise durch die Repo­sitionierung und Schienung dislozierter Zähne am Unfalltag lässt sich in vielen Fällen die Primär­therapie einfach durchführen. Sie ist die Basis für den langfristigen Zahnerhalt und eine Aus­heilung der verletzten Strukturen.

Danksagung

Wir danken Herrn Achim Greß für die Unterstützung bei der Fotodokumentation.

Ein Beitrag von Dr. Anna-Louisa Holzner, Zirndorf und Dr. Eva Maier, Erlangen

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Reference: Endodontie

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