Welche Informationen bringen Studien über Materialien und Therapieverfahren in der Praxis? Was können praxisbasierte Forschungsnetzwerke hier an – wissenschaftlicher und praktischer Evidenz – für den Alltag leisten? Dieses scheinbar trockene Thema bereitete Prof. Dr. Hendrik Meyer-Lückel, Bern, in seinem Vortrag auf dem diesjährigen Häupl-Kongress in Köln auf.
Und dieser Vortrag erwies sich als deutlich spannender, als es das Vortragsthema vermuten ließ. Nicht zuletzt, weil Meyer-Lückel als einen Aufhänger für seine grundsätzlichen Aussagen zu Leitlinien, Studien, wissenschaftlicher und praktischer Evidenz ein aktuelles Thema gewählt hatte: Die Diskussion um Fluorid und neue, heftig beworbene fluoridfreie Zahnpasten.
SIC-Syndrom und „klinisch getestet“
Nach einem kurzen Blick auf das Problem der Evidenz und der Leitlinien und der Warnung vor dem in Wissenschaft und Praxis leider weit verbreiteten SIC-Syndrom (S wie Selbstschutz oder „defensive Medizin“, I wie Innumeracy oder Zahlenblindheit und C wie Conflict of Interest) ging es in medias res: Was heißt eigentlich „klinisch getestet“ in Produktinformationen und Werbeaussagen?
Zumindest in Europa sind hierfür keine Studien mit einem für das Produkt positiven Ergebnis nötig. Es reicht, dass es eine klinische Studie gibt. Diese Aussage ist also aus seiner Sicht ein reines Scheinargument.
In der Forschung sind In-vitro-Studien die unterste Studienstufe. Solche Labordaten hätten für die Praxis keinen echten Aussagewert. Ihr müssten als „Pilotstudie/Fallstudie“ In-vivo-Untersuchungen folgen und im Anschluss daran In-vivo-Untersuchungen in der Breite mit vielen Fällen/Anwendungen – mit randomisierten, kontrollierten (RCT) und wenn möglich doppelverblindeten Studiendesigns.
Wirkung – Wirksamkeit – Effektivität – Effizienz
Die Kaskade der gewonnenen Erkenntnisse ist Wirkung – Wirksamkeit – Effektivität – Effizienz. „Wirkung ist nicht Wirksamkeit“, so Meyer-Lückel. Wirkung werde nur in vitro untersucht. Für die Wirksamkeit („kann es funktionieren?“) sei bereits eine randomisierte klinische Studie nötig. Die Effektivität („wirkt das im Alltag?“) lasse sich nur in großen (Kohorten-)Studien messen. Und wenn es um die Effizienz geht, müssten auch noch die Kosten herangezogen werden.
Für fluoridierte Zahnpasten gebe es über die lange Zeit eine Vielzahl von Untersuchungen zur Wirksamkeit, ihre Wirksamkeit und Effektivität sei gut belegt, wie Meyer-Lückel anhand zahlreicher Studien zeigte. Ein Studiendesign ohne eine fluoridierte Zahnpasta in einer Kontrollgruppe sei aus ethischen Gründen heute daher gar nicht mehr möglich.
„Eine Studie ist keine Studie“
Für Produkte wie Karex oder Curodont repair fehlten solche Nachweise der Wirksamkeit oder gar Effektivität bislang. Zwar gebe es randomisierte Studien zu Karex, wie Meyer-Lückel zeigte, aber diese hätten nicht die Wirksamkeit gegen Karies, sondern mit der Plaque nur ein Surrogat gemessen. Und auch hier gelte der alte Satz: „Eine Studie ist keine Studie“.
Studien in Praxisnetzwerken
Für Praktiker spannend und durchaus zu empfehlen sind praxisbasierte RCTs, wie sie von Praxisforschungsnetzwerken in den USA, aber auch in Deutschland immer häufiger durchgeführt und organisiert werden. Als Beispiel nannte er das National Dental Practice-Based Research Network, kurz The Nation’s Network. So ließen sich aus diesen Studien zum Beispiel zu Füllungen hilfreiche Erkenntnisse ableiten – „der wichtigste Faktor für den Erfolg einer Füllungstherapie liegt in der korrekten Applikation in der Zahnarztpraxis“, so Meyer-Lückel im Fazit. In diesem Bereich der praxisbasierten Studien sei vieles in Bewegung, es würden immer mehr Ergebnisse veröffentlicht, die enger am Praxisalltag seien als die klassischen klinischen Studien.
Der Weg zur Entscheidung
Wie kommt man nun zu einer Entscheidung in der eigenen Praxis? Hier empfehle er immer noch den klassischen Weg, so Meyer-Lückel: Fachliteratur und zuverlässige Übersichtsarbeiten heranziehen, in die einschlägigen Leitlinien schauen und gute Fachbücher zum Thema heranziehen.