„Das Zähneknirschen selbst wird nicht als Krankheit angesehen, es kann jedoch ernsthafte Folgen für die Gesundheit der Zähne, Kaumuskulatur und Kiefergelenke haben“, so Prof. Dr. Ingrid Peroz zur Kernaussage der ersten deutschen Leitlinie zum Bruxismus. Diese neue S3-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von Bruxismus“ wurde am 6. Juni 2019 in Berlin auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) vorgestellt.
Die S3-Leitlinie wurde von DGFDT, DGZMK sowie 30 involvierten Fachgesellschaften und Institutionen erarbeitet. Diese Zusammenfassung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse auf abgesichertem Niveau sei ein Meilenstein und trage zu mehr Sicherheit beim Umgang mit dem häufigen Phänomen Bruxismus bei, hieß es auf der Pressekonferenz.
Schützende Funktion für die Gesundheit
Ingrid Peroz, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) und Professorin an der Charité Berlin, erläuterte gemeinsam mit Dr. Matthias Lange (Europäische Akademie für kraniomandibuläre Dysfunktionen, Berlin) den aktuellen wissenschaftlichen Stand. Neben Schädigungen an der Zahnhartsubstanz oder Funktionsstörungen im Kauorgan könne Bruxismus auch schützende Funktionen für die Gesundheit erzeugen.
Wachbruxismus häufiger als Schlafbruxismus
Zähneknirschen ist wie das Zähnepressen oder das Anspannen der Kiefer ohne Zahnkontakt eine wiederholte Aktivität der Kaumuskulatur, die man unter dem Begriff Bruxismus zusammenfasst. Diese Aktivitäten können rhythmisch verlaufen (phasischer Bruxismus) oder aber über einen gewissen Zeitraum andauern (tonischer Bruxismus). Zudem unterscheidet man, ob Bruxismus im Wachzustand auftritt (Wachbruxismus) oder während des Schlafs (Schlafbruxismus). Bruxismus kann bereits mit dem Durchbruch der ersten Zähne beginnen, tritt am häufigsten im zweiten bis dritten Lebensjahrzehnt auf und nimmt mit zunehmendem Alter eher ab. Wachbruxismus ist bei Erwachsenen häufiger als Schlafbruxismus. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen.
Ursachen nicht eindeutig identifiziert
Die Ursachen für Bruxismus sind nicht eindeutig identifiziert. Während man früher noch annahm, dass fehlerhafte Zahnkontakte Auslöser seien, stehen heute zentrale Faktoren im Vordergrund, wie emotionaler Stress, Angststörungen, Schlafstörungen (zum Beispiel Insomnie), Reflux, Nikotin-, Alkohol-, Koffein- und Drogenkonsum, Nebenwirkungen von Medikamenten oder genetische Faktoren.
Wachbruxismus scheint eher psychologisch bedingt (emotionaler Stress und andere emotionale Faktoren), während Schlafbruxismus eher als zentralnervöse Störung angesehen wird. Es wird diskutiert, dass Bruxismus eine stressabbauende Funktion hat. Dies wäre eine Erklärung für eine physiologische Funktion des Bruxismus in Zusammenhang mit Stress.
In der Regel harmlos
Gelegentlich durchgeführte wiederholte Muskelaktivitäten sind ein völlig harmloses Verhalten. Häufig sind sich Patienten dieser Muskelaktivitäten gar nicht bewusst. Jeder kennt aber Situationen, in denen solche Muskelanspannungen vorkommen. Auch Sprachbilder weisen auf Bruxismus hin: „die Zähne zusammenbeißen“, „sich in ein Problem verbeißen“, „zerknirscht sein“.
Bruxismus kann auch protektive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. So tritt er häufig in Verbindung mit schlafbezogenen Atmungsstörungen auf (zum Beispiel Schlafapnoe), wobei die Muskelanspannungen die oberen Atemwege offenhalten. Bei Sodbrennen (Reflux) bewirkt Bruxismus eine vermehrte Speichelproduktion und damit eine Reduktion der Säurewirkung.
Entstehen von Funktionsstörungen möglich
Bruxismus ist ein Risiko für das Entstehen von Beschwerden und/oder Funktionsstörungen an den Zähnen, der Kaumuskulatur oder den Kiefergelenken (craniomandibuläre Dysfunktionen). Durch die Überbelastung der Zähne und durch den Abrieb von Zahnsubstanz werden die Zähne überempfindlich auf Heiß und Kalt, Süß oder Sauer. Die Kaumuskulatur kann auf die wiederholten Aktivitäten mit Muskelbeschwerden reagieren, wobei die Regionen der Wange und der Schläfe am häufigsten betroffen sind. Es sind die weniger starken Muskelanspannungen, die zu schmerzhaften Muskelreaktionen oder zur morgendlicher Muskelsteifigkeit führen.
Überlastung der Kiefergelenke möglich
Die Anspannung der Kaumuskulatur kann auch zur Überlastung der Kiefergelenke führen. Als Symptome treten Schmerzen im Bereich der Kiefergelenke auf, zum Beispiel beim Kauen harter Speisen, bei weiter Kieferöffnung oder bei Seitwärtsbewegungen des Unterkiefers. Kiefergelenkgeräusche oder blockierte Kiefergelenke sind ebenfalls häufiger mit Bruxismus verknüpft.
Diagnose durch Screening
Mit Hilfe eines kurzen Screenings können Anzeichen für Bruxismus aufgedeckt werden. Die DGFDT stellt dazu auf ihrer Website eine Checkliste zur Verfügung. Erste Hinweise liefern Berichte von Patienten, die von ihrer Familie oder ihrem Partner auf Knirschgeräusche im Schlaf aufmerksam gemacht werden oder nachts mit zusammengebissenen Zähnen erwachen. Typische Anzeichen, wie Schäden und Abnutzungserscheinungen an den Zähnen, Schmerzen in der Kaumuskulatur und Berichten über kurzzeitige Schwierigkeiten bei der Mundöffnung oder im Tagesverlauf auftretender Überempfindlichkeit der Zähne ergänzen das Bild. Die klinische Untersuchung beginnt mit der Beurteilung der Kaumuskulatur. Es folgt eine Bestandsaufnahme der durch das Knirschen und Pressen verursachten Schäden an der Zahnhartsubstanz und die Bewertung des Zahnabnutzungsgrades.
Therapie zielt auf Schutz der Zähne
Da gegenwärtig keine Therapie zur Heilung oder zur Beseitigung von Bruxismus bekannt ist, zielt die Behandlung vor allem auf den Schutz der Zähne und der Restaurationen, die Reduktion der Bruxismusaktivität und die Linderung von Schmerzen ab. Als Interventionsmaßnahmen werden Aufklärung/Beratung, Schienen, Verhaltenstherapie und Biofeedback empfohlen. Botulinumtoxininjektionen können erwogen werden, sie wirken aber nur zwölf Wochen und sind nicht ohne Nebenwirkungen. Physiotherapie kann je nach Schwere der Symptome unterstützen. Hilfreich für das Monitoring des Wachbruxismus ist auch eine App (Brux App), die zugleich Daten für die Forschung sammelt. Gerade beim Wachbruxismus fehlt es noch an Daten für die Forschung, so die Referenten.
Ob und wie Bruxismus therapiert wird, sollte gemeinsam mit dem Patienten besprochen werden. Auf jeden Fall sollten ein Screening und ein Monitoring zum Bruxismus bei den zahnärztlichen Kontrolluntersuchungen etabliert werden, so Peroz und Lange.
Bruxismus gilt als eine Ursache für die übermäßige Abnutzung der Zähne. Ob und wann eine zahnärztliche Intervention eingeleitet werden muss, hängt neben dem Grad der Abnutzung und der Anzahl der betroffenen Zähne auch vom Alter der Patienten, der Abnutzungsgeschwindigkeit und der Art der auslösenden Faktoren ab. Im Fokus stehen dabei zunächst kleinere Reparaturen mit Komposit, Glätten von Ausbrüchen und reversible Restaurationen. Große, umfangreiche Restaurationen stehen am Ende der Therapieoptionen und brauchen eine begleitende Funktionsdiagnostik.
Anschauliche Patienteninformation
Der aktuelle Wissensstand steht auch in einer anschaulichen Patienteninformation zum Zähneknirschen kostenfrei hier zur Verfügung. Sie klärt über die Diagnose und mögliche Folgen des Bruxismus auf und stellt verschiedene, wissenschaftlich fundierte Therapieansätze (auch zur Selbsthilfe) vor. (DGZMK/MM)
Zum neuen Verständnis von Bruxismus: „Nicht automatisch eine Störung – ein Update zu Bruxismus“
„Physiotherapie bei Bruxismus“ – in der Ausgabe 2/2019 der Zeitschrift für kraniomandibuläre Funktion
Fachzeitschriften: Journal of Craniomandibular Function, Journal of Oral & Facial Pain and Headache