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Neuer Bericht zur Behandlungsfehlerbegutachtung 2023 des Medizinischen Dienstes Bund – 1.156 Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern in der Zahnmedizin

(c) MaximP/Shutterstock.com

12.438 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern hat der Medizinische Dienst im Jahr 2023 bundesweit erstellt. In jedem 4. Fall stellten die Gutachter einen Behandlungsfehler fest, durch den Patientinnen und Patienten zu Schaden gekommen sind. In jedem 5. Fall war der Fehler ursächlich für den erlittenen Schaden. Auf den Bereich Zahnmedizin entfielen von den Gutachten 9,3 Prozent oder 1.156 Fälle. Angesichts der Zahl der sogenannten Never Events, also Fehler, die keinesfalls passieren dürfen, fordert der MD Bund jetzt dafür eine Meldepflicht.

Vorgestellt wurde die aktuelle Jahresstatistik zur Behandlungsfehlerbegutachtung des Medizinischen Dienstes am 22. August 2024 in Berlin. Es handele sich dabei grundsätzlich um vermeidbare Schadensfälle, so die Experten. In 151 Fällen lagen zudem „Never Events“ vor, also Ereignisse, die durch Präventionsmaßnahmen sicher verhindert werden könnten. Darunter fallen folgenschwere Fehler wie Patienten-, Seiten- oder Medikamentenverwechslungen. „Um solche Ereignisse zu verhindern, brauchen wir eine Meldepflicht“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund. Die Never Events stehen schon seit Jahren im Fokus des Medizinischen Dienstes, ebenso die Forderung, diese Events durch geeignete Präventionsmaßnahmen weiter zu reduzieren.

Im vergangenen Jahr hat der Medizinische Dienst bundesweit 12.438 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In jedem 4. Fall (3.160 Fälle) wurde ein Fehler mit Schaden bestätigt. In jedem 5. Fall (2.679 Fälle) war der Fehler Ursache für den erlittenen Schaden – nur dann haben Patientinnen und Patienten Aussicht auf Schadensersatz. Die Zahl der Gutachten lag dabei geringfügig unter dem Niveau der Vorjahre.

Nur ein kleiner Ausschnitt der tatsächlichen Ereignisse

„Unsere Begutachtungszahlen zeigen nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens“, erläutert Dr. Gronemeyer. „Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt: Fachleute gehen davon aus, dass es in etwa 1 Prozent aller stationären Behandlungen zu Fehlern und vermeidbaren Schäden kommt. Demnach sind jedes Jahr 168.000 Patientinnen und Patienten davon betroffen. Die Experten gehen von ca. 17.000 fehlerbedingten, vermeidbaren Todesfällen aus.“

Medikamenten- und Seitenverwechslungen, vergessenes OP-Material im Patienten

In der Jahresstatistik 2023 seien 151 Fälle (2022: 165) als sogenannte Never Events eingestuft worden, also Schadensereignisse, die eigentlich nie passieren dürften. Dazu gehören schwerwiegende Medikationsfehler, unbeabsichtigt zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen oder Verwechslungen von Patientinnen und Patienten, die zu schweren Schäden führen können. So wurde zum Beispiel bei einer 39-Jährigen, die wegen einer Zyste operiert werden sollte, versehentlich eine Sterilisation durchgeführt. Das häufigste Never Event ist in der aktuellen Statistik ein in der Klinik/Einrichtung erworbener schwerer Dekubitus.

Patientensicherheit verbessern – Meldepflicht für Never Events notwendig

„Wenn solche Fehler passieren, dann bestehen Risiken im Versorgungsprozess, denen systematisch nachgegangen werden muss, um sie in Zukunft zu vermeiden und Schaden an Patienten zu verhindern“, so Gronemeyer. „Dafür brauchen wir eine Meldepflicht für Never Events.“

Never Events seien für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen besonders wichtig und würden daher in vielen anderen Ländern bereits für die Prävention erfolgreich genutzt. In Deutschland stehe eine Umsetzung nach wie vor aus. Hier sei nach wie vor die Politik gefordert, international anerkannte Konzepte zur systematischen Fehlervermeidung auch für Patientinnen und Patienten in Deutschland umzusetzen.

Privater Klinikbetreiber als Vorbild

Die Meldung von Never Events diene ausschließlich der Verbesserung der Patientensicherheit. „Sie muss für die medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, die solche Ereignisse an eine Vertrauensstelle melden, sanktionsfrei und pseudonymisiert erfolgen“, hieß es in Berlin. Gronemeyer hob einen privaten Klinikbetreiber in Deutschland hervor, der diese Never Events für seine Häuser öffentlich mache. Die Never Events gehörten auch in den von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach geschaffene Klinik Atlas. Mit dieser Forderung habe man sich aber im Gesetzgebungsverfahren bei ihm nicht durchsetzen können, hieß es auf der Pressekonferenz.

Fehlervorwürfe in vielen Fachgebieten und bei unterschiedlichsten Eingriffen

In der aktuellen Jahresstatistik bezogen sich zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe auf Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (8.177 Fälle). Ein Drittel bezog sich auf den ambulanten Bereich (4.233 Fälle). „Die meisten Vorwürfe beziehen sich auf operative Eingriffe. Da diese häufig im Krankenhaus erfolgen, werden sie dem stationären Sektor zugeordnet“, erläutert Dr. Christine Adolph, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern.

 

Quelle: MD Bund

 

29,5 Prozent der Vorwürfe (3.665 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie; 11,5 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.426 Fälle); 9,3 Prozent die Zahnmedizin (1.156 Fälle) und jeweils 9 Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.119 Fälle) sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.118 Fälle). 5,8 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf Pflege (726 Fälle). 26 Prozent der Vorwürfe entfielen auf 29 weitere Fachgebiete (3.228 Fälle).

In der Jahresstatistik 2023 sind 12.438 Verdachtsfälle zu insgesamt 994 verschiedenen Diagnosen erfasst. Die Vorwürfe betreffen fehlerhafte Behandlungen bei Hüft- und Kniegelenksverschleiß, Knochenbrüchen, Zahnwurzelbehandlungen, Druckgeschwüren und vieles andere mehr.

Fälle in der Zahnmedizin

Von den 1.156 Fällen in der Zahnmedizin wurden bei 30,9 Prozent Fehler festgestellt. 336 Fälle bezogen sich auf ICD K04, Krankheiten des Zahnmarks und der Zahnwurzel, davon wurden bei gut einem Drittel (120 Fälle/32,8 Prozent) Fehler festgestellt. Bei ICD K02 Karies waren es 295 Fälle, davon 94 oder 31,9 Prozent als Fehler gewertet. Für K08, sonstige Krankheiten der Zähne, wurden 186 Fälle begutachtet, davon bei 57 (30,6 Prozent) Fehler erkannt. Für Kieferorthopädische Erkrankungen (K07) waren es 117 Fälle insgesamt, davon 34 (29,1 Prozent) als Fehler begutachtet. Im Gebiet K05 „Gingivitis und Krankheiten des Parodonts“ hatten 82 Patienten einen Fehler vermutet, bei 21 Fällen (25,6 Prozent) wurde das bestätigt.

Die Fehler wurden in der Zahnmedizin folgenden Maßnahmen zugeordnet: Wurzelspitzenresektion und Wurzelkanalbehandlung, Zahnersatz, Zahnentfernung, operative Zahnentfernung (durch Osteotomie), Replantation, Transplantation, Implantation und Stabilisierung eines Zahns, Zahnsanierung durch Füllung und Osteotomie und Korrekturosteotomie.

Anonymes Fehlermeldesystem für die Zahnmedizin

Für die Zahnmedizin haben Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit „CIRS dent – jeder Zahn zählt“ ein Fehlermelde- und Lernportal etabliert, um der Zahnärzteschaft ein Forum zu bieten, strukturiert Probleme und Fehler melden,sich austauschen und durch Lernen vom Beispiel vermeiden zu können. CIRS dent ist anonym und sanktionsfrei.

Kein Bezug zur Sicherheit in einem Gebiet

Die Zahlen der Jahresstatistik seien nicht repräsentativ, sie zeigten lediglich die Begutachtungszahlen und -ergebnisse des Medizinischen Dienstes. „Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sagt nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus“, erklärt Adolph. Dies zeige vielmehr, dass Patientinnen und Patienten reagieren, wenn eine Behandlung nicht ihren Erwartungen entspricht. „Fehler bei chirurgischen Eingriffen sind für Patienten in der Regel leichter zu erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler, weshalb auch eher Fehler bei Operationen vorgeworfen werden als bei anderen Behandlungen“ hieß es.

Zwei Drittel der kausalen Schäden sind vorübergehend – ein knappes Drittel dauerhaft

Bei knapp zwei Drittel (65,5 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patientinnen und Patienten vorübergehend − eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt waren notwendig. Die Patienten sind jedoch vollständig genesen.

Bei einem knappen Drittel der Betroffenen (29,7 Prozent) wurde ein Dauerschaden verursacht. Wie international üblich, unterscheiden die Medizinischen Dienste zwischen leichten, mittleren und schweren Schäden. Ein leichter Dauerschaden kann eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion sein. Ein schwerer Dauerschaden liegt vor, wenn Geschädigte pflegebedürftig geworden sind oder sie aufgrund eines Fehlers erblinden oder dauerhafte Lähmungen erleiden. In 2,8 Prozent der vom Medizinischen Dienst begutachteten Fälle (75 Fälle) hat ein Fehler zum Tod geführt.

Kostenfreie Begutachtung für Patienten

Wenn Patientinnen und Patienten einen Verdacht auf einen Behandlungsfehler haben, dann können sie sich an ihre Krankenkasse wenden. Diese kann dann den Medizinischen Dienst beauftragten, ein Sachverständigengutachten zu erstellen. Die Gutachterinnen und Gutachter gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und mit aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den der Versicherte erlitten hat, durch den Fehler verursacht worden ist. Nur dann bestehen Schadensersatzansprüche. Auf der Basis des Sachverständigengutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Den Versicherten entstehen durch die Begutachtung keine Kosten.

Portal zur Patientensicherheit beim VdEK

Noch relativ neu ist ein im April 2024 gestartetes und beim Verband der Ersatzkrankenkassen (VdEK) angesiedeltes Online-Portal zur Patientensicherheit, auf dem Patientinnen und Patienten ihre Fälle mit negativen wie positiven Erfahrungen und Problemen mit ärztlichen/zahnärztlichen Behandlungen etc. einreichen können. Die Fälle werden dann gesichtet und mit Kommentierung veröffentlicht und für eine bessere Patientensicherheit ausgewertet. Auch Berichte aus dem Bereich Zahnmedizin (negative wie positive) sind dort veröffentlicht. Nach dem Portal befragt, erklärte Gronemeyer, dass man solche Angebote grundsätzlich begrüße.

Reference: Interdisziplinär Zahnmedizin Praxis Team Politik

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