Die noch junge Deutsche Gesellschaft für SportZahnmedizin, kurz DGSZM, ist gut am Start – und die von ihren Mitgliedern betreuten Sportler waren es bei der diesjährigen Winterolympiade auch. Das erste Curriculum läuft ebenfalls bereits erfolgreich. Dr. Siegfried Marquardt, Zahnarzt am Tegernsee und als Vorstandsmitglied zuständig für die Pressearbeit, gibt im Interview mit „Quintessence News“ Auskunft über die Sportzahnmedizin und die Aufgaben der DGSZM.
Die Olympischen Winterspiele im Februar dieses Jahres waren für die deutschen Athleten sehr erfolgreich – und fast alle lachten mit sehr gepflegten Zähnen in die Kameras. Da scheint ja alles ok zu sein in Sachen Zahngesundheit, oder?
Dr. Siegfried Marquardt: Außen hui – innen pfui? Nein, ganz so schlimm ist es nicht, aber eine interessante Studie an Profisportlern hat ergeben, dass 76 Prozent an Zahnfleischentzündungen und 55 Prozent an Karies leiden. Also leider steht es in der Tat nicht allzu gut mit der Zahngesundheit bei Sportlern.
Warum brauchen Sportler eine spezielle zahnmedizinische Versorgung? Wirken sich Probleme mit Zähnen und Zahnfleisch bei ihnen anders aus als beim „normalen“ Patienten?
Marquardt: Anders wirken sich die Probleme nicht aus, aber die Relevanz für die Leistung ist bei Sportlern deutlich größer als beim Normalpatienten. Eine Parodontitis bedeutet eine erhebliche Belastung für den Organismus, die Entzündungszellen haben direkten Einfluss auf den Stoffwechsel und auch auf den Säure-Basen-Haushalt.
Ist ein Sportler übersäuert, geht dies direkt auf die Muskulatur und hat dadurch negative Auswirkungen auf die Performance. Daher spielt die gesunde Ernährung eine entscheidende Rolle und eben eine gesunde Mundhöhle.
Weitere Studien haben gezeigt, dass die Mundgesundheit Einfluss auf die Konzentration und das Gleichgewicht des Sportlers hat. Beispielsweise können Fehlbelastungen im Kiefer muskuläre Irritationen im Nacken-, Rücken- und Hüftbereich erzeugen (absteigende Kette). Dadurch wird die wichtige Balance gestört und die Verletzungsanfälligkeit erhöht.
Balance und Zahnschutz
Betrifft das alle Sportarten oder gibt es Sportarten, die Zähne, Zahnfleisch und Kiefer besonders belasten, zum Beispiel Kontaktsportarten oder Schwimmen?
Marquardt: Das ist nicht nur abhängig von der Sportart, sondern auch vom Sportlertypus selbst. Aber es ist schon richtig, dass Kontaktsportarten mehr zum „Zähne zusammenbeißen“ (Knirschen) verleiten und die Krafteinwirkungen deutlich größer sind als bei Einzelsportarten wie dem Schwimmen. Daher sind auch die Therapiemöglichkeiten unterschiedlich. Zum Beispiel spielt bei einer Mannschafts- und Kontaktsportart neben der Kieferbalance auch der Zahnschutz eine Rolle, sodass zumeist im Oberkiefer Schienen angefertigt werden. Im Training oder beim Individualsport reicht häufig eine leichtere und grazilere Balanceschiene im Unterkiefer aus.
Ganzheitliche Sichtweise ist wichtig
Was verlangt das an „Mehrwissen“ beim Zahnarzt?
Marquardt: Der Sportzahnarzt befasst sich vor allem mit den Themen Funktion und Traumatologie. Dabei gibt es in der Tat spezifische Aspekte zu beachten, die beim Leistungssportler mehr zu berücksichtigen sind als beim normalen Patienten. Aber auch der Amateursportler kann dadurch profitieren. Entscheidend ist die ganzheitliche Sichtweise vom „Scheitel bis zur Sohle“. Alles hängt zusammen und die Auswirkungen des Kauorganes auf den Organismus sind beim Sportler einfach deutlicher ausgeprägt. Zudem ist ein enges interdisziplinäres Netzwerk zwischen Internisten, Kardiologen, Orthopäden, Physiotherapeuten und eben Sportzahnärzten wichtig.
Es gibt ja viele Hobbysportler, die ihre Sportarten sehr ambitioniert betreiben. Sollten Zahnärzte darauf besonders achten?
Marquardt: Natürlich können die Erkenntnisse aus dem Leistungssport 1:1 auf den Hobbysportler übertragen werden. Das Ziel der DGSZM ist es ja gerade, Zahnärzte auf das besondere und immer wichtiger werdende Thema Sportzahnmedizin stärker aufmerksam zu machen.
Profitieren auch ganz normale Patienten von einer sportzahnmedizinischen Ausrichtung des Zahnarztes?
Marquardt: Natürlich profitieren auch unsere Alltagspatienten von den sportphysiologischen, ernährungswissenschaftlichen und sportzahnmedizinischen Erkenntnissen. Denn jeder Patient sollte sich sportlich betätigen und versuchen, gesund zu leben.
Mehr Wissenschaftlichkeit und geprüfte Standards
Vor kurzem wurde die Deutsche Gesellschaft für SportZahnmedizin (DGSZM) gegründet. Warum gerade jetzt?
Marquardt: Bis dato wurde das Thema speziell in Europa und besonders in Deutschland sehr stiefmütterlich behandelt. Aufgrund vieler neuer bewegungsphysiologischer Erkenntnisse – vor allem aus den USA, wo der Sportzahnmediziner längst fester Bestandteil in jedem Verein ist, aber vermehrt auch aus den Sporthochschulen Europas – werden die Leistungssportler heute professioneller betreut. Und gerade die Vereine wissen die modernen Möglichkeiten zu schätzen, durch gesunde Zähne und ausbalanciertes Kauen Verletzungen zu minimieren und die Leistung zu steigern.
Der Bedarf wächst stetig und die Nachfrage ist bedeutend. Um mehr Wissenschaftlichkeit zu etablieren, Studien zu betreuen und vor allem den Athleten direkt kompetente und erfahrene Ansprechpartner vermitteln zu können, die einheitlichen und geprüften Standards entsprechen, wurde die DGSZM gegründet. Sie möchte durch ihre gezielten Fortbildungsangebote wie Curricula, Continuum, Spezialist – was bisher einmalig in Deutschland ist, den interessierten Zahnärzten die Möglichkeit geben, ihr Wissen zu spezifizieren. Und so auch den Spitzensportlern und Vereinen eine erhöhte Sicherheit zu bieten – nach dem Vorbild und den Standards der etablierten Sportmedizin –, diese auch von Seiten der Zahnmedizin zu bekommen.
Curriculum ist die Basis
Die DGSZM hat bereits ihr erstes Curriculum mit der APW/DGZMK erfolgreich gestartet. Welche weiteren Fortbildungsmöglichkeiten gibt es für Zahnärzte, die sich jetzt für Sportzahnmedizin interessieren?
Marquardt: Das Curriculum ist die Basis, um sich mit dem Thema Sportzahnmedizin vertraut zu machen und die verschiedenen Spezifikationen und Aspekte zu verinnerlichen. Darüber hinaus wird es auch Sonderkurse zu einzelnen Themengebiete geben (Continuum).
Nach erfolgreichem Abschluss des Curriculums kann der Spezialistentitel angestrebt werden. Dieser erfordert neben dem Nachweis entsprechender Erfahrung mit Teamsportarten oder der Betreuung von Leistungssportlern auch mehrere Falldokumentationen und eine Prüfung.
Wo haben Sie selbst Ihre Qualifikationen erworben?
Marquardt: Seit etwa vier Jahren bin ich Teamsportzahnarzt der Deutschen SkiCross-Nationalmannschaft und betreue Einzelsportler aus dem Profibereich. Zudem konnte ich mir in Kooperation mit Sportphysiotherapeuten ein genaues Bild über die Zusammenhänge des Bewegungsapparats mit dem Kauorgan bei all unseren Patienten machen.
Die wunderbare Zusammenarbeit mit der Praxis „edel&weiss“ um Dr. Florian Göttfert in Nürnberg hat für zusätzliche wertvolle Wissensvermittlung gesorgt, und natürlich bin ich auch Teilnehmer des ersten Curriculums für Sportzahnmedizin.
Sie sind am Tegernsee zuhause, da liegt Wintersport nahe. Waren unter den deutschen Olympioniken Sportler, die Sie betreuen?
Marquardt: Ja, die SkiCrosser waren mit sechs Starten in Südkorea und trugen ihre Balanceschiene gewissenhaft. Mein Kollege Göttfert kann sich sogar mit Medaillen schmücken – er betreute unter anderem die Olympiasieger im Rennrodel-Doppelsitze, Tobias Arlt und Tobias Wendel. Das hat uns alle und die DGSZM natürlich besonders gefreut.
Dr. Siegfried Marquardt ist in eigener Praxis in Tegernsee niedergelassen. Er ist selbst als Teamzahnarzt der Deutschen Skicross-Nationalmannschaft tätig. Marquardt ist auch Spezialist für Ästhetik und Funktion in der Zahnmedizin (DGÄZ) und Spezialist für Implantologie (EDA, BDIZ-EDI). In der neu gegründeten Deutschen Gesellschaft für SportZahnmedizin (DGSZM) ist er Referent für Öffentlichkeitsarbeit. (Foto: Marquardt)