Die 105 gesetzlichen Krankenkassen haben im 1. bis 3. Quartal 2020 insgesamt ein Defizit von knapp 1,7 Milliarden Euro verbucht. Vor allem für ärztliche Behandlungen, Krankengeld und Krankenhausleistungen sowie Schutzimpfungen sind die Ausgaben gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Rückläufig waren dagegen die Ausgaben für zahnärztliche Behandlungen, insbesondere Zahnersatz, Rehabilitationsmaßnahmen und Früherkennungsuntersuchungen.
Das geht aus dem aktuellen Bericht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zu den Kassenfinanzen hervor, der am 4. Dezember 2020 veröffentlicht wurde. So sind im Vergleich zum 1. bis 3. Quartal die zahnärztlichen Behandlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) insgesamt um 0,4 Prozent geringer ausgefallen, beim Zahnersatz waren es jedoch 7,2 Prozent weniger. Inklusive der Zuzahlungen der Patienten wurden im 1. bis 3. Quartal 2020 in diesem Bereich 222 Millionen Euro weniger aufgewendet als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, davon entfiel ein Minus von 33 Millionen Euro auf die zahnärztlichen Behandlungen. Insgesamt wurden in diesem Jahr bislang 10,971 Milliarden Euro für Leistungen bei Zahnärzten inklusive Zuzahlungen angenommen. Bei Reha-Leistungen gab es ein Minus von 15,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, bei den Früherkennungsmaßnahmen waren es -2,2 Prozent.
Noch vielfach Schätzungen
Die Ausgaben für ärztliche Behandlungen stiegen dagegen, ebenso wie die für die Krankenhäuser und das Krankengeld. Nach einem Ausgabenrückgang im 2. Quartal sei es im 3. Quartal im Zuge einer Normalisierung des Leistungsgeschehens – teilweise verbunden mit erwartbaren „Nachholeffekten“ – wieder zu steigenden Ausgaben gekommen, so das Ministerium. Das gilt insbesondere für den Bereich der ärztlichen Behandlung, deren Zuwachs nach einem Anstieg von 4,5 Prozent im 1. Halbjahr auf 7,4 Prozent für das 1. bis 3. Quartal gestiegen ist, so das Ministerium. „Da für das 2. und 3. Quartal noch keinerlei Abrechnungsdaten der Ärzte vorliegen, sind diese Veränderungsraten noch sehr unsicher und in hohem Maße von Einschätzungen der Krankenkassen geprägt.“ Nach der deutlichen Steigerung der Corona-Fallzahlen seit Mitte Oktober und dem damit verbundenen erneuten schrittweisen Lockdown müsse erneut mit einer rückläufigen Leistungsinanspruchnahme außerhalb der Versorgung von Covid-19-Patienten gerechnet werden, so das BMG.
Finanzreserven der Kassen – Zuschüsse benötigt
Die Finanzreserven der Krankenkassen lagen zum Stichtag 30. September bei 17,8 MilliardenEuro. Dies entspricht 0,81 Monatsausgaben und damit im Durchschnitt etwa dem Vierfachen der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve. Der Gesundheitsfonds erzielte in den Monaten von Januar bis September ein Defizit von -5,1 Milliarden Euro. Die Kassen sollen daher Hilfen bekommen, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Die aktuellen Zahlen zeigen: Die Pandemie hinterlässt immer deutlichere Spuren bei den Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen. Daher werden wir der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem und auch im nächsten Jahr durch einen zusätzlichen Bundeszuschuss unter die Arme greifen. So verteilen die Lasten fair und leistungsgerecht auf verschiedene Schultern. Das ist in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein gutes und richtiges Signal an Beitragszahler und Arbeitgeber.“
Finanzentwicklung nach Krankenkassenarten
Bis auf die landwirtschaftliche Krankenversicherung, die einen Überschuss von rund 45 Millionen Euro erzielte, verbuchten alle Krankenkassenarten im 1. bis 3. Quartal Defizite: die Ersatzkassen erzielten ein Minus von 280 Millionen Euro, die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) von 1,09 Milliarden Euro, die Betriebskrankenkassen (BKK) von 95 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen (IKK) von 156 Millionen Euro und die Knappschaft von 101 Millionen Euro.
Ergebnis des Gesundheitsfonds
Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2020 über eine Liquiditätsreserve in einer Größenordnung von rund 10,2 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im 1. bis 3. Quartal 2020 ein Defizit von rund 5,1 Milliarden Euro. Dieses Defizit ist neben den üblichen saisonalen Effekten maßgeblich auf konjunkturbedingte Mindereinnahmen sowie auf Ausgleichszahlungen an Leistungserbringer zurück zu führen.
Für die Ausgleichszahlungen für freigehaltene Krankenhausbetten sowie zum Ausgleich von Belegungsrückgängen von Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, den Ausbau von Intensivbetten, sowie zum Ausgleich von Einkommenseinbußen für Heilmittelerbringer und die Zuschüsse für Sozialdienstleister wurden aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds bis Ende September insgesamt rund 10,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Davon hat der Bund als Kompensation für die Ausgleichszahlungen aufgrund von Belegungsrückgängen in Krankenhäusern für das 1. bis 3. Quartal rund 8,8 Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds erstattet.
Geringerer Zuwachs bei den Beitragseinnahmen
Der Zuwachs der Beitragseinahmen blieb mit lediglich 2,1 Prozent – trotz der Stabilisierung der Sozialversicherungseinnahmen durch die Regelungen beim Kurzarbeitergeld – erheblich hinter den Veränderungsraten der Vorjahre mit durchschnittlich deutlich über vier Prozent zurück. „Deshalb war es wichtig, dass der Bund die Einnahmen des Gesundheitsfonds durch einen ergänzenden Bundeszuschuss in Höhe von 3,5 Milliarden. Euro in der zweiten Jahreshälfte 2020 stabilisiert hat“, so das BMG.
Weitere Entwicklung: Entlastungseffekte möglich
Die bisherigen Ausgabenzuwächse der Krankenkassen von 4,2 Prozent im 1. bis 3. Quartal bewegen sich bislang im Rahmen der Prognose des GKV-Schätzerkreises, der für das Gesamtjahr 2020 eine Veränderungsrate von 4,3 Prozent prognostiziert hat.
Die vorläufigen Finanzergebnisse der Krankenkassen für das Gesamtjahr 2020 werden erst Anfang März 2021 vorliegen. „Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Frühjahr 2020 ist aber davon auszugehen, dass es in der laufenden zweiten Corona-Welle wieder zu deutlichen Entlastungseffekte auf der Ausgabenseite der Krankenkassen kommen wird, die auch im ersten Quartal 2021 anhalten könnten. Eine in der Realität günstigere Ausgabenentwicklung im Vergleich zur Prognose des Schätzerkreises erscheint deshalb sowohl für das laufende als auch für das kommende Jahr nicht unwahrscheinlich“, so das BMG. Mit den jüngst beschlossenen Maßnahmen sollen die Kassen unterstützt und auch die Sozialabgaben unter der Grenze von 40 Prozent gehalten werden.