Von Hightech-Produkten in Optik, Telekommunikation, Chemie und Medizin bis hin zu alltäglichen Gegenständen wie Flaschen und Fenstern – Glas ist allgegenwärtig. Die Formgebung von Glas beruht jedoch hauptsächlich auf Prozessen wie dem Schmelzen, Schleifen oder Ätzen. Diese Prozesse sind jahrzehntealt, technologisch anspruchsvoll, energieintensiv und im Hinblick auf die realisierbaren Formen stark eingeschränkt.
Ein Team um Prof. Bastian Rapp von der Professur für Prozesstechnologie am Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg hat gemeinsam mit dem Freiburger Start-up Glassomer ein Verfahren entwickelt, das es erstmals ermöglicht, Glas einfach, schnell und in nahezu beliebigen Formen mittels Spritzguss zu formen. Ihre Ergebnisse stellen die Forschenden in der Fachzeitschrift Science vor.
Kunststoff- und Glasverarbeitung miteinander verbunden
„Seit Jahrzehnten sind Gläser oft zweite Wahl bei der Materialfrage in Herstellungsprozessen, da ihre Formgebung zu kompliziert, energieintensiv und ungeeignet ist, hochaufgelöste Strukturen herzustellen“, erklärt Rapp. „Kunststoffe erlauben all dies, jedoch sind ihre physikalischen, optischen, chemischen und thermischen Eigenschaften Gläsern unterlegen. Wir haben die Kunststoff- und die Glasverarbeitung miteinander verbunden. Mit unserem Verfahren werden wir sowohl Massenprodukte als auch komplexe Kunststoffstrukturen und -bauteile schnell und kostengünstig durch Glas ersetzen können.“
Spritzguss und Wärmebehandlung spart Energie
Spritzguss ist das wichtigste Verfahren in der Kunststoffindustrie und ermöglicht die schnelle und kostengünstige Herstellung von Bauteilen im sogenannten Hochdurchsatz in nahezu beliebigen Formen und Größen. Transparente Gläser konnten bislang nicht in diesem Verfahren geformt werden. Mit der neu entwickelten Glassomer-Spritzgusstechnologie aus einem selbstentworfenen speziellen Granulat können Gläser ebenfalls im Hochdurchsatz bei nur 130 °C geformt werden. Die spritzgegossenen Komponenten aus dem 3-D-Drucker werden anschließend in einer Wärmebehandlung in Glas umgewandelt: Das Resultat ist reines Quarzglas. Dieser Prozess benötigt weniger Energie als das herkömmliche Glasschmelzen. Die resultierenden Glasbauteile weisen eine hohe Oberflächengüte auf, so dass Nachbehandlungsschritte, zum Beispiel das Polieren, nicht erforderlich sind.
Großes Potenzial bei kleinen High-Tech-Komponenten
Die neuartigen Designs, welche durch die Glasspritzgusstechnologie ermöglicht werden, haben ein breites Anwendungsspektrum von Datentechnologie, Optik und Solartechnik bis hin zu einem so genannten Lab-on-a-Chip und Medizintechnik. „Wir sehen großes Potenzial insbesondere für kleine Hightech-Glaskomponenten mit komplizierten Geometrien. Neben der Transparenz macht auch der sehr geringe Ausdehnungskoeffizient von Quarzglas diese Technologie interessant. Sensoren und Optiken arbeiten bei jeder Temperatur zuverlässig, wenn die Schlüsselkomponenten aus Glas bestehen“ erklärt Dr. Frederik Kotz, Gruppenleiter an der Professur für Prozesstechnologie und wissenschaftlicher Leiter von Glassomer. „Wir haben zudem zeigen können, dass mikrooptische Glasbeschichtungen den Wirkungsgrad von Solarzellen steigern können. Mit dieser Technologie können jetzt kostengünstige Hightech-Beschichtungen mit hoher thermischer Stabilität hergestellt werden. In der Industrie gibt es dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten“.
• Originalpublikation:
Markus Mader, Oliver Schlatter, Barbara Heck, Andreas Warmbold, Alex Dorn, Hans Zappe, Patrick Risch, Dorothea Helmer, Frederik Kotz und Bastian E. Rapp (2021): „High-throughput injection molding of transparent fused silica glass“. Science. DOI: 10.1126/science.abf1537
• Video zum Spritzgussverfahren: https://videoportal.uni-freiburg.de/video/Glassomer-Glas-mit-Kunststoffvorlage-B...
• Professur für Prozesstechnologie/Neptun Lab: https://www.neptunlab.org
• Glassomer Gmbh: https://www.glassomer.com
Das Team um Frederik Kotz und Markus Mader, Doktorand der Professur für Prozesstechnologie, lösten bisher bestehende Probleme beim Spritzguss von Glas wie Porosität und Partikelabrieb. Darüber hinaus wurden wichtige Prozessschritte des neuen Verfahrens auf Wasser als Basismaterial ausgelegt, wodurch die Technologie umweltfreundlicher und nachhaltiger wird.