Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie die angeblich ach so harte Oppositionsbank ehemalige Regierungsparteien zu großer Erkenntnis verhilft. Zum Beispiel bei den Gebührenordnungen von Ärzten. Dann reichen bei CDU/CSU schon wenige machtlose Monate, um 16 Jahre lang – ich behaupte planvoll – ausgesessene Aufgaben und Pflichten der aktuellen Regierung anzulasten.
Immerhin ist der CDU/CSU im Mai 2022 eingefallen, dass die Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) in ihren Grundzügen 40 Jahre alt ist und auch die jetzige Ampelkoalition offensichtlich kein Interesse zeigt, diese zu novellieren. Nur zur Erinnerung: CDU und CSU waren vier Legislaturen hintereinander die führende Partei in der Bundesregierung. Seit 2005 steht die Novellierung auf der Agenda, die Zahnärzte sind mit der GOZ in der schwarz-gelben Koalition gerade noch durchgerutscht, danach hat man die Ärzte hingehängt – erst unter Daniel Bahr, dann unter Gröhe und dann unter Spahn. Wenn sie gewollt hätten, hätten sie längst gekonnt. Es wollte aber keiner …
Kleine Anfrage der CDU/CSU Fraktion zur GOÄ
Doch jetzt geht’s los. Für das parlamentarische Lamento, vulgo Klagelied, gibt es unter anderem das Instrument der „Kleinen Anfrage“ an die Regierung. Und manchmal produziert so eine Kleine Anfrage Antworten der Regierung mit verblüffenden Einsichten – aber eben keine Antworten. Oder frei nach Goethes Faust: „Da steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“
Verblüffende Einsicht …
Hier nun die Feststellung der Ampelkoalition in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion CDU/CSU von Ende Juli dieses Jahres zur möglichen Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ): „Es ist unbestritten, dass die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) das medizinische Leistungsgeschehen nicht mehr hinreichend abbildet.“ Soweit die Einsicht.
… aber ohne Folgen
Wie nicht anders zu erwarten, folgt jedoch kein mit der Einsicht verbundener Schritt der Besserung. „Sobald der gemeinsame Vorschlag von PKV und BÄK (von den privaten Krankenversicherern und der Bundesärztekammer, die Red.) vorliegt, wird dieser geprüft und entschieden, ob beziehungsweise inwiefern eine Reform der GOÄ auf dieser Grundlage erfolgen kann. Dabei werden insbesondere auch mögliche Auswirkungen auf das duale Versicherungssystem berücksichtigt.“
Zurück auf Los
Deutlicher kann man die nächste lange Bank nicht aufzeigen. Ob man nun die neue Gebührensystematik der GOÄ gut findet oder nicht, es handelt sich hier um ein Opus magnum mit mehr als zehnjähriger Schöpfungsgeschichte: Gemeinsam von den Ärzten mit der PKV entwickelt, abgestimmt und mühsam in der Ärzteschaft konsentiert. Eigentlich ist es unglaublich, aber die Politik behält sich weiter vor – obwohl in der GOÄ-Novelle auch die Kernempfehlungen der von der Bundesregierung 2019 eingesetzten Kommission für ein modernes Vergütungssystem, wie die Förderung der Sprechenden Medizin, bereits eingearbeitet sind – über die Geeignetheit zu entscheiden. Und dies auch noch mit der neuen, weil im Koalitionsvertrag der Ampel zementierten Einschränkung, dass die Rahmenbedingungen des dualen Krankenversicherungssystems nicht berührt werden. Zitat: „Veränderungen in der Vergütung von ärztlichen Leistungen können mittelbar Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen des dualen Krankenversicherungssystems haben, etwa bei der Frage des individuellen Zugangs zu ärztlichen Leistungen, aber auch bei systemischen Fragen des Wettbewerbs.“
Niemand weiß nichts Genaues nicht
Das ist im Kern nichts anderes als die merkwürdige Äußerung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei seinem Auftritt auf dem Deutschen Ärztetag in Bremen. Als man ihm dort die fast fertige GOÄ als dickes Buch überreichte, sagte er in der ihm eigenen professoral-chaotischen Sprechweise, dass „man in der Bundesregierung abgemacht habe, dass man nichts unternehmen wolle, was das Gleichgewicht zwischen der PKV und der GKV verschiebe“. Was für ein Gleichgewicht ist denn überhaupt gemeint? Das derzeitige etwa, in dem die Honorare, die mangels fehlender aktueller Leistungsbeschreibungen mit für den Patienten teils absurden Analogziffern bewertet werden müssen und zunehmend unter den Honoraren der GKV liegen? Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, ja, bei der GOZ ist es kaum anders.
Bundesregierung sieht ebenfalls Defizite
Immerhin teilt die Bundesregierung die Einschätzung zu den Defiziten der GOÄ, dass „die aktuell gültige Fassung der GOÄ das aktuelle medizinische Leistungsgeschehen weder hinsichtlich der Leistungsbeschreibungen noch hinsichtlich der Bewertung der ärztlichen Leistungen adäquat abbildet …. Dadurch erhöht sich zunehmend aber auch das Risiko der Intransparenz und Streitanfälligkeit der Abrechnung privater Leistungen.“
Vom Wert der Worte von Heilberuflern
Und was sind Konsequenzen aus dieser Erkenntnis aufseiten der Bundesregierung? Sie antwortete sibyllinisch: „Zum hierauf zurückführbaren Umfang des Mehraufwandes oder zur Anzahl der Streitfälle liegen der Bundesregierung keine systematisch erhobenen Daten vor. Die Einschätzung, dass es zunehmend zu Problemen kommt, beruht im Wesentlichen auf Informationen der Ärzteschaft, der privaten Versicherungsunternehmen und den Vertretern der Beihilfekostenträger sowie auf Anfragen an das Bundesministerium für Gesundheit.“ Das war's. Nichts weiter!
Weit entfernt von Realpolitik
Mit Realpolitik hat das alles nichts mehr zu tun. Diese Art von Politik ist allerdings schon sehr lange her, zumindest wenn man der Definition auf Wikipedia folgen will: „Realpolitik orientiert sich eng an den als real anerkannten Bedingungen und Möglichkeiten. Sie ist auf das rasche Treffen von Entscheidungen gerichtet“.
Der geneigte Leser möge sich diese Definition auf der geistigen Zunge zergehen lassen und gleichzeitig an den Status quo der Gebührenordnungen GOZ und GOÄ denken. Überschlägig brauchen dann sogenannt rasche Entscheidungen der gesundheitspolitischen Realpolitiker bei der notwendigen Überarbeitung und Anpassung einer Gebührenordnung nach einem Jahrzehnt der Anwendung 30 Jahre. Dagegen war Goethes Faust ein Blitzmerker: „Heiße Magister, heiße Doktor gar, und ziehe schon an die zehn Jahr', herauf, herab und quer und krumm, meine Schüler an der Nase herum.“
Nein, mit diesem Vers hat Goethe keinesfalls aktuelles gesundheitspolitisches Spitzenpersonal gemeint – auch wenn sich Ihnen dieser Eindruck jetzt vielleicht aufdrängt.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.