Eines muss man Prof. Dr. Karl Lauterbach zugestehen: Mit Kleinigkeiten hält er sich nicht auf, vor allem wenn er vor der Bundespressekonferenz mal wieder eines seiner Gesetze erläutert. Verbal frei drehend und unbelastet von jedwedem realistischen Alltagsbezug in der ambulanten Versorgung gibt er dann den wirkmächtigen Gesundheitsminister, den Retter des Systems.
Witzig sind die in vollem Ernst vorgetragenen Einsichten zur zukünftig möglichen Homeoffice-Tätigkeit der Hausärzte dank zeitsparender Digitalisierung und Telemedizin nicht, vielmehr erschreckend angesichts der überdeutlich sichtbaren Absenz jedweder praktischer Erfahrungen des studierten Mediziners im Umgang mit Patienten.
Nun findet die Erstvorstellung von Gesetzen etc. üblicherweise in ritualisierter Form vor der Bundespressekonferenz in Berlin statt. Das läuft dann so ab: Minister auf dem Podium, Erläuterungen, Fragen, Antworten, manchmal keine, Medienrauschen. Wer Zeit für 37 Minuten findet, sollte sich so eine Veranstaltung wie die Bundespressekonferenz zum kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurfs zum lange erwarteten Gesundheitsversorgungsstärkungsgetz (GVSG) einfach mal ansehen. Es ist durchaus lehrreich und bestätigt zudem die seitens der KZBV zur Vertreterversammlung in Frankfurt getätigten Äußerungen. Doch dazu später mehr.
„Das GVSG ist ein großes Gesetz“
Des Gesundheitsministers Resümee vor den Hauptstadtjournalisten zum GVSG in der vom Kabinett verabschiedeten Rumpf-Fassung des ursprünglich angekündigten Gesetzes: „In der Summe ist das Gesetz, was wir heute beschlossen haben, ein großes Gesetz. Es ist ein Gesetz, dass die kassenärztliche Versorgung, die Versorgung durch kommunale MVZ und die Psychotherapie deutlich verbessern wird, und zwar genau dort, wo wir derzeit schon Unterversorgung haben. Das wird langfristig eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht: Wie lebt man in der Stadt, wie lebt man auf dem Land, haben wir medizinischen Banlieues oder nicht. Und somit ist das ein Gesetz, was einen Beitrag leistet für die gleichen Lebensverhältnisse deutschlandweit“. Wie war das? Wenn man sich Dinge – auch wider besseres Wissen – nur oft genug einredet, glaubt man sie irgendwann selbst?
Kampfansage an die „Lobby“ der Selbstverwaltung
Man kann sicher sein, dass die in der Bundespressekonferenz akkreditierten und bei solchen Themen anwesenden Journalisten mit der gesundheitspolitischen Materie tief vertraut sind. Und natürlich wurde gefragt, ob es sich angesichts des Sicherstellungsauftrages der KVen bei den Vorstellungen des Ministers zu kommunalen MVZ um eine Kampfansage handeln würde. Eine konkrete Antwort Lauterbachs gab zwar nicht, aber erneut seine Einschätzung des KV-Systems: „Es geht hier nicht um die die Stärkung oder Schwächung einzelner Lobbygruppen des KV-Systems.“ Da war es wieder, das unschöne Lobby-Wort für die Selbstverwaltung der Ärzte. Man darf sich sicher sein, dass Lauterbach die zahnärztlichen Pendants nicht anders werten wird.
Mehr Eigeninitiative des KV-Systems gefragt?
Nun sind kommunale MVZ ja nicht das, was den KVen schlaflose Nächte bereiten würde, sind diese doch bereits seit 2015 durch das GKV-VSG möglich. Derzeit gibt es 48 kommunale MVZ in Deutschland, davon fünf im Osten. Allerdings sollen mit dem GVSG die Haftungsrisiken deutlich reduziert werden (wer diese dann tragen soll, steht weder im Gesetzentwurf noch gab es Auskunft dazu vom Minister) bei gleichzeitigem Abbau der damit verbundenen Bürokratie. Bei Unterversorgung, so der Minister, „werden wir es leichter machen, dass die Kommunen dort eigene medizinische Versorgungszentren aufbauen.“ Er hätte auch sagen können, dass gemäß Paragraf 105 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung die zuständigen KVen hier aktiver werden sollen, gar müssen. Tat er aber nicht, sondern implementierte lieber einen weiteren Schritt in Richtung staatszentrierter Medizin.
Ein merkwürdiges Politikverständnis
Doch zurück zu der Bundespressekonferenz, bei der das Politikverständnis des Gesundheitsökonomen in aller Deutlichkeit offenbar wurde. Anlass waren Fragen zu den Investoren-MVZ und zu den Gesundheitskiosken, die ja entgegen Lauterbachs Ankündigungen zur Verwunderung vieler keinen Eingang in seinen vom Kabinett schlussendlich abgesegneten Gesetzentwurf gefunden hatten. Diesbezüglich äußerte sich Lauterbach vor den Journalistinnen und Journalisten wie folgt: „Bei den von Investoren betriebenen MVZ werden wir uns im parlamentarischen Verfahren einigen. Die werden also zum Schluss verboten werden. Wir wollen die derzeit ausufernde Kommerzialisierung der Praxen unterbinden. Aber das ist im parlamentarischen Verfahren noch zu besprechen. Aber das ist genauso wie die Gesundheitskioske, die passen auch in das Modell, was ich gerade beschrieben habe – Vermeidung medizinischer Banlieues. Die werden im parlamentarischen Verfahren noch beraten und beschlossen werden.“ So kann man auch den bezüglich der Gesundheitskioske und insbesondere hinsichtlich investorengetragener MVZ sperrigen Koalitionspartner FDP ausmanövrieren.
Ausnahme und Überraschung
Doch es kam noch besser. Auf die Nachfrage, ob vorgenanntes Verfahren tatsächlich eine realistische Chance habe, antwortete Lauterbach: „Wir haben in den Gesetzen der letzten Monate immer wesentliche zusätzliche Anteile in unsere Gesetze im parlamentarischen Verfahren eingebracht. Somit wäre das, wenn es nicht klappen würde, die Ausnahme und Überraschung. Wir werden in jedem Fall […] im parlamentarischen Verfahren noch Punkte einbringen, das war in den Kabinettsbesprechungen immer so vorgesehen.“
Postfaktische parlamentarische Demokratie
Man mag dieses Vorgehen eine politische Scharade nennen oder den pragmatischen Umgang mit einer in vielen Punkten dissenten Ampelkoalition, die den Koalitionspartner FDP das Gesicht wahren lässt. Allerdings ist die Vorstellung, dass ein Minister schon im Vorfeld weiß, wie im Parlamentarischen Verfahren die Abstimmungen zu bestimmten Inhalten ausgehen werden, mehr als nur ein tiefer Kratzer im Glauben an eine funktionierende parlamentarische Demokratie.
Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“
Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.
Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.
Wundersame Aussagen zu den iMVZ
Was mich jedoch wirklich verwundert hat, waren Lauterbachs absolute, keinen Verhandlungsspielraum zulassenden Aussagen zu den iMVZ. Nun ist die Situation in der Medizin weitaus fortgeschrittener im Vergleich zu der Zahnmedizin. Dort sind die Marktanteile von iMVZ in bestimmten Versorgungsbereichen wie in der Dialyse oder Spezialisierung auf bestimmte Leistungen, zum Beispiel in der Ophthalmologie, bereits so hoch, dass Lauterbach das Rad bestenfalls verlangsamen, aber keinesfalls zurückdrehen kann. In der Zahnmedizin gehen die Uhren jedoch anders. Die Zahnmedizin ist von gutausgebildeten Generalisten geprägt, ohne eine Vielzahl an fachzahnärztlichen Spezialsierungen. Hohe Marktanteile mittels Übernahmen in Fachgebieten wie in der Medizin sind mangels Masse nur schwerlich möglich.
iMVZ-Verschärfung als reine Verhandungsmasse
Ich gehe davon aus, dass Lauterbach zu den iMVZ eine öffentliche Position aufbaut, die im Zuge der Verhandlungen zur Rettung der Koalition dann ohne Gesichtsverlust (sicher auch unter Verweis auf die rechtlich schwierigen Bedingungen) aufgegeben werden kann. Schließlich sind Investoren und Großindustrie doch genau sein Ding. Von der Privatisierung des Kliniksektors (sind das keine Investoren?) bis hin zu Versandapotheken war Lauterbach immer dabei. Und mit der „Levelisierung“ der Krankenhäuser schafft er neue Wachstumspotenziale für die privaten Klinikbetreiber, um das böse Wort der Investoren einmal zu vermeiden.
Scheinheiliges Agieren bei den Versandapotheken
Apropos Versandapotheken. Gemäß den einschlägigen Vorgaben im SGB V wie auch dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) dürfen die sogenannten Hollandversender – also investorengetragene Versandapotheken mit grenznahem Standort in den Niederlanden – keine Rabatte, genauer Boni, auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren. Im Zuge der Einführung des E-Rezepts hatten diese das ganz große Geschäft gewittert. Weil das sogenannte Rx-Geschäft trotz E-Rezept noch immer nicht richtig boomen will, wird halt erneut mit Rabatten nachgeholfen. Aktuell soll ein niederländischer Versender zehn Euro Rabatt bei der Nutzung des CardLink-Verfahrens (das übrigens von den Minderheitsgesellschaftern der Gematik abgelehnt wurde) für ein E-Rezept gewähren. Der Betrag wird dann direkt auf die Zuzahlung angerechnet. Aus dem Ministerium hört man dazu nichts. Obwohl dort alle wissen, dass jeden Tag eine öffentliche Apotheke schließen muss und für die Versorgung unwiederbringlich verloren ist.
Mit den nächsten Gesetzen kommt es noch dicker
Aber wenn man sich den Gesetzentwurf zu Lauterbachs nächstem Reformgesetz, dem Gesetz zur Reform der Notfallversorgung, betrachtet, wird es für die Apotheker noch dicker kommen. Im Übrigen für die Vertragsärzte auch, denn deren Belastung wird nochmals steigen – der Minister hätte unter anderem gerne eine 24/7-Dienstbereitschaft mit Hausbesuchen für die niedergelassenen Ärzte. Und dann ist da noch dieses Gesetz zur Gematik mit „interessanten“ Sanktionen bei nicht zertifizierter Interoperabilität der eingesetzten PVS.
Auf dem Weg zum NHS
Wie das nun mit Lauterbachs Botschaft zusammen passt, dass das GVSG für die Hausärzte das Wichtigste, nämlich den Spaß an der Arbeit zurückbringen wird, ist schleierhaft. Wenn so seine Förderung der Lust auf die Niederlassung als Hausarzt aussieht, finden wir uns bald in einer Versorgungswelt wie im britischen staatlichen National Health Service.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.