Was macht man als Bundespolitiker im Januar und Februar abends in Berlin? Nun, zum Start des neuen Jahres und der ersten parlamentarischen Sitzungswochen trifft man sich auf einem der vielen Neujahrsempfänge – inhaltliche Nähe vorausgesetzt – mit denen, die man regiert. (In der Regel an besonderen Orten, so tagt die Ärzteschaft traditionell in der „Fressetage“ des KaDeWe.) Nachdem das Pflichtprogramm einer mehr oder minder wohlmeinenden politischen Wortspende für die Anwesenden abgespult ist, netzwerkt man ebenso mehr oder minder zwanglos oder hält, sofern im Ministerrang, Hof. Sagen wir lieber: Beehrt die Veranstaltung der jeweiligen Gastgeber mit seiner Anwesenheit und gibt dieser Glanz und Gloria.
Wer etwas bewegen will, muss im Gespräch bleiben
Was ja auch nicht das Schlechteste ist. Denn wer etwas bewegen will, muss ins Gespräch kommen oder bleiben. Die sogenannten Neujahrsempfänge wirken ja nicht nur nach außen in die Öffentlichkeit, sondern auch nach innen in die sogenannte Fachöffentlichkeit. Für die Veranstalter, zumeist Verbände und Lobbygruppen, sind diese so etwas wie ein Kick-off für die im neuen Jahr anzugehenden Aufgaben. Entsprechend gestalten sich die Inhalte der Reden: Bewertung des vergangenen Jahres, Ausblick auf die kommenden Monate, Statements mit den wichtigsten Stichworten. Es liegt auf der Hand, dass die dabei ausgetauschten Botschaften die Zusammenarbeit im neuen Jahr möglichst wenig belasten sollten.
Was geht ab?
Warum schreibe ich das? Weil genau so die derzeitigen Aussagen von Karl Lauterbach zur Entbudgetierung der Hausärzte und all den anderen angekündigten Reformen einzuordnen sind. Deren Anzahl im Übrigen stetig steigen. Hinter immer neuen Reformideen versteckt der Minister seine Planlosigkeit, besser: seine fehlende Priorisierungsfähigkeit. Die stete Ankündigung von Reformen ist letztlich nichts anderes als Pflaster auf die Seelen der so zahlreichen Funktionäre der Leistungserbringer. Oder besser gesagt: auf deren Mund.
Kurze Halbwertzeit der ministeriellen Bekenntnisse
Dass das immer noch funktioniert, kann einen nur noch verwundern. Keine zehn Tage nach seinem Krisentreffen – manche nannten es auch Krisengipfel – mit den Spitzenvertreten der Ärzteschaft wiederholt der Minister anlässlich des Neujahrsempfangs der deutschen Ärzteschaft seine Aussage, dass er „gute Reformen für die gesamte Ärzteschaft“ will und betont, dass er keinesfalls die Fachärzte und Hausärzte gegeneinander ausspielen will. Das gilt natürlich nur so lange, wie man die Kreise des Ministers nicht zu sehr stört.
Sozialneid schüren als Strategie
Nun sind Zuhören und Verstehen generell nicht die Stärke des Ministers, der im Übrigen immer erst und nur dann reagiert, wenn der Druck in der Öffentlichkeit steigt. Um die Lufthoheit im öffentlichen Diskurs zu behalten, haben er und sein Ministerium bereits im vergangenen Jahr angesichts der aufkommenden Streikandrohungen seitens der Leistungserbringer die Strategie umgestellt. Lauterbach redet nun nicht mehr über gutverdienende Leistungserbringer – im ambulanten System in der großen Mehrheit Selbstständige und eben keine Angestellten –, sondern geht mit konkreten Angaben zum Einkommen der jeweiligen Berufsgruppe in die Öffentlichkeit. Dass er dabei auch über Bande mit geneigten Medien spielt, wie der FAZ, und es zudem mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, haben die Apotheker Ende vergangenen Jahres bitter erfahren müssen. Die vom Ministerium rechtzeitig zu dem angedrohten Streik in die Öffentlichkeit gespielten angeblichen Einkommen lassen jedweden Streikaufruf zu einem Aufstand von Überprivilegierten werden, denen es an moralischer Integrität mangelt.
Lufthoheit ist wichtiger als Probleme lösen
Überbürokratie, zweifelhafte Retaxierungen, Medikamentenmangel, Mehrbelastung durch das E-Rezept, massive Kostensteigerungen, Personalmangel – alle Problembereiche sind real, werden aber unwichtig, weil es die Apotheker ja schließlich „haben“. Und bei den Ärzten kommentierte Lauterbach auf „X“ am Samstag (20. Januar 2024), nur zwei Tage nach dem Neujahrsempfang der Ärzteschaft einen Beitrag des „Spiegel“(€): „Realistische Darstellung der Einkommenslage eines Hausarztes. Er verdient etwas mehr als 240.000 € vor Steuern nach Abzug Praxiskosten. Zwar Einzelfall, aber nicht untypisch. Unsere Reform wird Einkommen leicht erhöhen, aber auch die Versorgung verbessern“. In Bayern gibt es für so eine Aktion eine treffende Bezeichnung: hinterfotzig. Das klingt besser als hinterlistig oder hinterhältig, meint aber trotzdem dasselbe. Aber so behält der Minister die Lufthoheit in der Öffentlichkeit.
Weiß der Angestellte Lauterbach wirklich, wovon er redet?
Im Übrigen sollte man seinen letzten Satz genau lesen. Lauterbach schrieb: „Unsere Reform wird die Einkommen leicht erhöhen, aber auch die Versorgung verbessern“. Wie er das angesichts der in allen Bereichen deutlich gestiegenen Praxiskosten schaffen will, steht in den Sternen. Konkrete, will heißen belastbare Aussagen gab es seitens des Ministers weder nach dem Krisengipfel „Wir werden entbudgetieren“ noch bei gutem Rotwein im KaDeWe anlässlich des Neujahrsempfangs.
Kleiner Einschub: Da muss man fast schon froh sein, dass Lauterbach die Zahnärzteschaft immer wieder „vergisst“. Außer bei der Budgetierung. Sie wissen schon: Die verdienen eh zu gut … Ironie aus.
Deutliche Klatsche vom Verwaltungsrat des Kassenverbands
Wahrscheinlich aus gutem Grund. Denn nur einige Tage nach dem Krisentreffen, aber kurz vor dem Neujahrsempfang veröffentlichte der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands – in seiner Funktion vergleichbar mit dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft – eine mehr als deutliche Erklärung. Ich zitiere aus der Pressemitteilung: „Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes fordert den Gesundheitsminister entschieden auf, die nachhaltige finanzielle Stabilisierung auf die Prioritätenliste zu nehmen. Im Rahmen einer Reform müssen sowohl die Einnahme- wie auch die Ausgabenseite angegangen werden. Daran wird der Verwaltungsrat die weiteren Vorhaben des Ministers messen. Die Reformen der Notfallversorgung und des Krankenhausbereiches müssen endlich vorankommen. Statt einer ungesteuerten Finanzierung ineffizienter Strukturen muss die Krankenhausversorgung bedarfsgerecht, qualitäts- und zukunftsorientiert ausgestaltet werden. Außerdem sind Maßnahmen auszuschließen, die die ohnehin angespannte Finanzsituation weiter verschärfen und zu weiteren Beitragserhöhungen führen, wie z. B. die Entbudgetierung ärztlicher Leistungen […]. Es ist stark zu bezweifeln, dass die (vom Minister, -Red.) genannten Maßnahmen tatsächlich die erhofften Effizienzverbesserungen erzielen […]“
Weiter heißt es in der Meldung: „Ähnliches gilt auch für die aktuell vorgestellten Pläne zur ambulant ärztlichen Versorgung. Die finanzielle Situation der niedergelassenen Ärzteschaft ist unverändert sehr gut. Vor einer Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen würden nicht Versorgerpraxen im ländlichen Raum profitieren, sondern vor allem Praxen in ohnehin überversorgten Gebieten. Für Patientinnen und Patienten ergeben sich daraus keine Vorteile in der Versorgung […] Völlig indiskutabel sind Forderungen nach einer Entbudgetierung für die fachärztliche Versorgung“.
Wenig Aussicht auf finanzielle Zuwächse
Das sind selten deutliche Ansagen seitens des Verwaltungsrats. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, aber die finanziellen Bäume auf der Versorgerseite werden entgegen der Ankündigung des Ministers eher Büsche bleiben. Erschreckend ist jedoch die Feststellung seitens der Zahlerseite, dass die vom Minister genannten Maßnahmen zur Effizienzverbesserung tatsächlich wenig zielführend sein werden. Hoffentlich haben die nicht die Segnungen der TI gemeint.
Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung
Fakt ist, dass des Ministers bisherige Leistungen lediglich aus zusätzlichem Bürokratieaufbau und wenig intelligenter Kostendämpfung bestehen. Das sich daran etwas ändern wird, ist trotz Lauterbachs derzeitiger ärztefreundlicher Ankündigungen nahezu auszuschließen. Wo soll auch die Lernfähigkeit des Ministers im Hinblick auf die Einschätzung der Versorgungsrealität sowie der Folgen seiner praxisfernen Vorhaben und Entscheidungen denn herkommen? Denn vor die Einsicht haben die Götter die Erkenntnis gesetzt.
Er wird es nicht ändern, weil er es nicht kann
Angesichts der weiterhin zunehmenden Komplexitäten im deutschen Gesundheitswesen, zu der eben auch die TI als ein wesentlicher Treiber gehört, muss man leider feststellen, dass der theoriestarke Professor auf dem Ministersessel es nicht ändern wird, weil er es nicht kann.
Oder um es mit Steve Jobs zu sagen, der Apple zu dem machte, was es heute ist: „Einfach ist schwieriger als kompliziert“.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.