Eigentlich sollten Analysen und Positionierungen mit Blick auf die neue rot-gelb-grüne Bundesregierung und ein Signal der Geschlossenheit des Berufsstands im Fokus der Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) am 24. und 25. November 2021 in Düsseldorf stehen. Das bestimmende Thema vor allem des 1. Tags war allerdings das Infektionsschutzgesetz mit seinen verschärften Testanforderungen, Dokumentationspflichten und Belastungen für die Arzt- und Zahnarztpraxen.
So bekamen die an den Anfang gesetzte standespolitische Standortbestimmung aus Sicht der KZBV, der Bundeszahnärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und die nachfolgende Diskussionsrunde weniger Gewicht, als ihnen zukommen sollte. Schon auf der Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer Ende Oktober hatte der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer die Hand zur Zusammenarbeit in Richtung BZÄK – und DGZMK – ausgestreckt. Er umriss in seinem Eröffnungsstatement die aktuelle Situation mit Analyse der gesundheitspolitischen Vorhaben im neuen Ampel-Koalitionsvertrag und der Anknüpfungspunkte für die (Vertrags-)Zahnärzteschaft.
Eigenes Präventionskonzept angekündigt
Eßer bewertete die bereits mit dem Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP erfolgte klare Absage an eine Bürgerversicherung als gute Nachricht und begrüßte, dass Prävention und Vorsorge ein wichtiges Thema der künftigen Ampel-Regierung sein wird, ebenso wie das Ziel einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung in der Stadt und auf dem Land. Er kündigte an, gemeinsam mit BZÄK und Wissenschaft ein evidenzbasiertes Präventionskonzept auf die Beine stellen zu wollen. Damit solle der Anspruch der Zahnärzteschaft als Innovationstreiber der Prävention untermauert werden.
Kein Wort zur Stärkung der Selbstverwaltung
Eßer kritisierte die aus Sicht der Zahnärzteschaft bedauernswerte Tatsache, dass die bekannte „Endfassung“ des Textes der AG Gesundheit und Pflege kein Wort zur Stärkung von Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung enthalte und weder zur Eindämmung der fortschreitenden Vergewerblichung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens durch Hedgefonds und Private Equity-Gesellschaften Stellung beziehe noch Maßnahmen zur Förderung der Niederlassungsbereitschaft von jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten enthalte.
„Gerade in der aktuellen Corona-Krise hat sich einmal mehr bewiesen, von welch entscheidender Bedeutung die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist“, sagte Eßer. Anders als die Politik sei sie nahe am Versorgungsgeschehen und trage mit ihrer Expertise, Kompetenz und Leistungsfähigkeit wesentlich dazu bei, selbst Krisensituationen wie die aktuelle zu bewältigen. „Gefragt ist jetzt ein enges Zusammenspiel von Politik und Selbstverwaltung. Während sich der Gesetzgeber auf eine sinnvolle Rahmensetzung beschränken sollte, muss der Selbstverwaltung der notwendige Gestaltungsspielraum gegeben werden - ohne kleinteilige Regelungsvorgaben und Sanktionen.“
In seiner Rede, die auch auf der Webseite der KZBV eingesehen werden kann, forderte Eßer darüber hinaus eine an der Berufswirklichkeit der Heilberufe ausgerichtete Digitalisierungsstrategie der neuen Bundesregierung: „Die Praxen brauchen eine stabile, sichere und alltagstaugliche TI.“ Außerdem verlangte Eßer unter dem Motto: „Weg mit Bürokratie, mehr Zeit für unsere Patientinnen und Patienten“ wirksame Maßnahmen gegen die überbordende Bürokratie.
Spektrum der zahnärztlichen Versorgung verändert sich
Der BZÄK-Präsident Dr. Christoph Benz hob auf die Veränderungen in der Zahnmedizin und in der Mundgesundheit ab, die die zahnärztliche Berufsausübung verändern und das Behandlungsspektrum in den Praxen verschieben werden. Angesichts rückläufiger Zahlen bei Extraktionen, Füllungen, Wurzelbehandlungen und Prothetik und zugleich steigendem Bedarf bei Parodontalerkrankungen, in der Alterszahnmedizin und in der Prävention müssten die Zahnärztinnen und Zahnärzte ihre Tätigkeit in Zukunft auf andere Themen fokussieren. Gerade die Prävention werde eine immer umfassendere zahnärztliche Leistung und keine, die man einfach nur delegieren könne. Zahnmedizin sei alles, was der Mundgesundheit nützt und wissenschaftlich-fachlich begründet sei, so Benz.
Der Gesundheitsteil des Koalitionsvertrags sei so vage gehalten, als ob keine der drei Parteien dieses Ressort wirklich übernehmen und die eigenen Forderungen umsetzen wolle. Dies biete allerdings auch Chancen, mit der Zahnärzteschaft wichtige Themen gemeinsam aktiv zu besetzen und anzugehen, so der BZÄK-Präsident.
Schwierige Situation an den Universitäten
Prof. Dr. Roland Frankenberger lenkte den Blick auf die schwierige Situation der Zahnmedizin in Lehre und Forschung an den deutschen Universitäten. Es gebe eine große Doppelbelastung durch Lehre und geforderte Forschung, ohne deren Nachweis auch schwer finanzielle Mittel für die Zahnmedizin an den chronisch unterfinanzierten Universitätskliniken zu bekommen seien. Allerdings stehe die deutsche Zahnmedizin wissenschaftlich international gut da– auch wenn dies von den Medizinern oft nicht so wahrgenommen werde.
Er thematisierte die neue Approbationsordnung und die Konsequenzen daraus für den zahnärztlichen Nachwuchs und den Berufsstand selbst. Die vom ersten Semester an mehr auf die Praxis orientierte Ausrichtung erlebe er als absolut positiv. Die engere Verbindung zur Medizin in den ersten Studiensemestern lasse sich aber nicht mehr wie ursprünglich angedacht durch einen sogenannten Common Trunk realisieren. Hier müssten neue Wege gegangen werden.
Es geht nicht ohne Quote
In der Diskussion führten sie diese Positionen weiter aus. Eßer hatte mit Verweis auf die eigenen Initiativen in der KZBV politische Vorgaben der Ampel-Koalition für die Stärkung von Frauen in den Gremien als überflüssig bezeichnet. Dr. Ute Maier, KZV-Vorstandsvorsitzende in Baden-Württemberg, hatte sich in einem Interview mit den zm allerdings für konkretere Vorgaben bis hin zur Quote ausgesprochen – und bekräftigte diese Aussage in der Vertreterversammlung. Es sei bislang kaum etwas von den 2020 beschlossenen Maßnahmen zur Frauenförderung umgesetzt worden. Dafür höre man immer noch nur die altbekannten Argumente wie „fehlende Erfahrung“, wenn es um Frauen gehe.
Mit einer Stimme nach außen auftreten
Einig waren sich Benz, Eßer und Frankenberger, dass es nur gemeinsam und mit einem abgestimmten Agieren nach außen gelingen werde, die Interessen der Zahnärztinnen und Zahnärzte in allen wichtigen Bereichen gegenüber Politik und Gesellschaft zu vertreten und die gemeinsamen Anliegen erfolgreich in die Öffentlichkeit zu tragen. Natürlich müsse man intern um den besten Weg streiten, nach außen aber müsse man mit einer Stimme sprechen. Frankenbergers Satz „Es gibt nur eine Zahnmedizin“ wurde als gemeinsames Credo postuliert.
UPS im Bema, elektronisches Beantragungsverfahren vor dem Start
Die beiden stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Martin Hendges und Dr. Karl-Georg Pochhammer berichteten am zweiten Tag der KZBV-VV aus ihren Arbeitsbereichen (die Reden sind auf der Internetseite der KZBV eingestellt). Hendges berichtete von den erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen zu den Leistungsbeschreibungen und Punktwerten für die neue Richtlinie zu Unterkieferprotrusionsschienen, die am 1. Januar 2022 für die Praxen wirksam werden soll. Verhandelt wurden auch die Gebührenpositionen für das Aktualisieren der elektronischen Patientenakte.
Zudem stehe man kurz davor, erste Anwendungen des Elektronischen Beantragungs- und Genehmigungsverfahrens in die Praxistest zu bringen. Da man nicht die gleichen Fehler machen wolle wie die Gematik, stünden für die KZBV ausführliche Praxistests aller neuen Anwendungen vor dem Überführen in den Wirkbetrieb. Der elektronische Heil- und Kostenplan soll zum 1. Juli 2022 für alle Praxen verfügbar sein und dann noch ein Jahr Zeit zu Fehlerkorrekturen bleiben vor der definitiven Einführung.
Positive Meldungen gab es von Hendges auch für die große Beteiligung der Praxen am Zahnärzte-Praxis-Panel (ZäPP), das durch das auf online umgestellte Verfahren viel Zuspruch erfahren habe. Und auch im Bereich Qualität habe es eine deutliche Verbesserung in den Stichproben gegeben.
Telematikanwendungen nach wie vor unzureichend getestet
Pochhammer stellte die nach wie vor nicht erfreulichen Entwicklungen bei der Telematikinfrastruktur und neuen Anwendungen dar, die nach wie vor ohne ausreichende Testungen und stark fehlerbehaftet von der Gematik und dem Bundesgesundheitsministerium in die Praxis gedrückt werden. Weder die elektronische Patientenakte, noch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch das elektronische Rezept funktionierten bislang reibungslos bei allen beteiligten Anwendern. Die KZBV stelle den Praxen Informationen und Leitfäden für die Praxis zur Verfügung. Gerade beim E-Rezept müssten die Praxen ab 1. Januar 2022 aber weiterhin auf Papier zurückgreifen.
Antrag zum Infektionsschutzgesetz
Zu den Test- und Dokumentationspflichten aus dem geänderten Infektionsschutzgesetz überschlugen sich die Informationen (siehe dazu auch die gesonderten Beiträge). In einem einstimmig verabschiedeten Antrag forderten die Delegierten den Gesetzgeber auf, diese Regelungen umgehend zurückzunehmen. Zugleich wurden Umsetzungshilfen für die Praxen bereitgestellt. Hinsichtlich des politischen Neuanfangs in Deutschland formulierte die Vertreterversammlung dann – im engen Schulterschluss mit Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) – grundlegende Forderungen und Erwartungen an die künftige Bundesregierung.
Kernthemen weiterer Beschlüsse waren Forderungen an die neue Bundesregierung zur zahnärztlichen Versorgung, die Stärkung der Selbstverwaltung, das Eindämmen der Fremdinvestoren und die Digitalisierung. Alle politischen Beschlüsse sowie die Reden der drei Vorstände sind auch auf der Internetseite der KZBV zum Nachlesen eingestellt.
Wie immer standen auf der Agenda der VV auch Beschlüsse zum Haushalt, zur Satzung und zu nicht politischen Angelegenheiten der KZBV. Nach mehreren Jahren, in denen die KZBV gemäß Anordnung des Bundesministeriums für Gesundheit für die Finanzierung ihrer Aufgaben auf ihre finanziellen Rücklagen zugegriffen hatte, ist dies jetzt wegen der erforderlichen Sanierung/Umbau des Zahnärztehauses in Köln, die aus den Rücklagen finanziert werden soll, nicht mehr möglich. Daher wurde nach acht Jahren erstmals wieder eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrags der KZVen an die KZBV um 2,60 Euro je aktives Mitglied beschlossen.
Dank an Dr. Peter Engel
Ganz zu Beginn der Vertreterversammlung gab es noch eine besondere Würdigung: Wolfgang Eßer dankte vor den Delegierten in sehr persönlichen Worten Dr. Peter Engel, dem langjährigen Präsidenten und Ehrenpräsidenten der Bundeszahnärztekammer und Mit-Streiter von Eßer – beide sind Nordrheiner – für sein Engagement im Dienst der Zahnärzte und seine Freundschaft, die über die sehr lange Zeit des gemeinsamen berufspolitischen Arbeitens gehalten habe und gewachsen sei. Lang anhaltender Beifall der Delegierten bekräftigte seinen Dank.
Dr. Marion Marschall, Berlin
Einen Kommentar zur KZBV-VV lesen Sie hier: „Bei den Zahnärzten den ersten Eindruck verpatzt“.