Der Vorschlag für eine „GOÄneu“ sorgt in der Ärzteschaft für Kontroversen – das Spektrum reicht von Zustimmung über die Warnung vor finanziellen Einbußen bis zu Forderungen nach einem kompletten Neustart des Prozesses und zum Rücktritt von Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt. Gegenstand ist der vor kurzem von der Bundesärztekammer vorgelegte, auch in der finanziellen Ausgestaltung mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) abgestimmte Entwurf für eine neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).
Vorausgegangen ist diesem Entwurf eine lange Strecke mit Novellierungsbemühungen seit Ende der 2000er-Jahre. Während die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) 2011 unter der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung noch eine (Teil-)Novellierung erfuhr, blieb die GOÄ auf der Strecke. Die Forderung der Politik lautete, dass Ärzteschaft und PKV einen abgestimmten Entwurf vorlegen sollten. Beide machten sich daraufhin in einem längeren Prozess an die Arbeit, ein in den Leistungsbeschreibungen abgestimmter Entwurf lag bereits seit einigen Jahren vor. Die Politik forderte in der „Großen Koalition“ dann aber auch eine finanziell ausgearbeitete Vorlage.
Novellierung von GOÄ und GOZ nicht im Koalitionsvertrag
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampel-Regierung ist eine Novellierung von GOÄ und GOZ nicht enthalten, weil es zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zwischen dem Konzept einer Bürgerversicherung und dem Beibehalten des dualen Systems aus Gesetzlicher und privater Krankenversicherung keine Einigung über die Zukunft des Gesundheitssystems gab. Mit dieser Begründung hatte der SPD-Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach eine Novellierung der GOÄ lange Zeit abgelehnt, zuletzt unter dem Druck einer Bundestagsanhörung und der Ärzteschaft aber eine „Prüfung“ eines Entwurfs in Aussicht gestellt.
Entwurf am 11. September vorgestellt
Nun hat die BÄK am 11. September 2024 diesen Entwurf vorgestellt und den Verbänden und Fachgruppierungen zur Begutachtung übergeben. Er enthält keine Steigerungsfaktoren und Analogien mehr, insgesamt 5.500 Gebührennummern und Zuschläge sind aufgeführt. Bei technischen Fächern werden die Leistungen für Anwendungen abgesenkt, die sprechende Medizin soll besser bewertet werden.
Kritik von den „technischen“ Fächern
Gerade vonseiten der eher „technischen Fächer“ wie Radiologie, Labormedizin, Orthopädie und Chirurgie kommt daher deutliche Kritik am vorgelegten Vergütungsmodell. Auch vonseiten der MKG-Chirurgie wurde Kritik geübt. Über die Röntgenpositionen, für die aus der GOZ auf die GOÄ verwiesen wird, wären von der abgesenkten Vergütung der GOÄneu auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte betroffen, die schon aus forensischen Gründen eine hohe Frequenz bei bildgebenden Verfahren haben.
Sonder-Ärztetag gefordert
In die Diskussion hat sich auch der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) eingemischt. Dr. Andreas Gassen forderte im Gespräch mit dem „Ärztenachrichtendienst“ einen Sonder-Ärztetag zur GOÄ. Beim EBM habe es in den vergangenen Jahren ein Plus von 20 Prozent gegeben, im privaten Bereich gebe es daher großen Nachholbedarf, so Gassen. Auch dass einzelne Bereiche unterschiedlich berücksichtigt würden, sei zu tolerieren. Allerdings dürften die Vergütungen dabei nicht unter das Niveau von 1996 (Zeitpunkt der letzten GOÄ-Novelle) fallen, erklärte er.
Die Delegierten der Ärztekammer Niedersachsen wollen ebenfalls einen Sonder-Ärztetag und fordern parallel in einem Antrag den Rücktritt von BÄK-Präsident Reinhardt, wie die „Ärzte-Zeitung“ berichtet. Die Ärztekammer Westfalen-Lippe dagegen stellte sich hinter Reinhardt und würdigte das transparente Abstimmungsverfahren.
Freie Ärzteschaft verlangt kompletten Neustart
Die „Freie Ärzteschaft“ geht so weit, dass sie einen kompletten Neustart des GOÄ-Prozesses fordert. Ihr Vorstandschef Wieland Dietrich erklärte im Interview mit dem „Ärztenachrichtendienst“: „Der Entwurf ist insgesamt untragbar. Zum einen strukturell, was die Änderung der Bundesärzteordnung angeht, zum anderen in Bezug auf die Vergütungshöhe und -struktur. In dem Punkt ist er sogar schlimmer als befürchtet.“ Er sehe eine „GKV-isierung“ der Privatleistungen. „Die BÄK stellt die offene Frage, ob diese GOÄneu von der Ärzteschaft akzeptiert oder abgelehnt wird. Dann sollte sie auch offen für die Antwort sein. Ich bin für klare Ablehnung“, so Dietrich. Die BÄK solle die mit dem PKV-Verband 2013 geschlossene Rahmenvereinbarung kündigen und den Prozess neu aufsetzen.
Internisten unterstützen die BÄK
Vom Bundesverband der Internistinnen und Internisten dagegen kommt eine weitgehende Zustimmung zum vorgelegten Entwurf. „Der Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI) stimmt dem konsentierten Entwurf für eine neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), den die Bundesärztekammer (BÄK) vor rund zwei Wochen vorgelegt hat, grundsätzlich zu. Gleichzeitig übt der Verband deutliche Kritik an den teils unverhältnismäßigen Abwertungen technischer Leistungen und dem unzureichenden Inflationsausgleich. Zudem fordert der Verband die Politik auf, die GOÄ-Novellierung sofort umzusetzen – als wichtigen Beitrag zur medizinischen Versorgungssicherheit.“
BÄK-Präsident Reinhardt reagiert auf Kritik
Überwiegende Zustimmung hatte BÄK-Chef Reinhardt auch bei der ersten Präsentation des Entwurfs wahrgenommen. Nun reagierte er am 25. September mit einer Erklärung auf die harsche Kritik und kündigte eine verlängerte Diskussionsphase an. „Es ist wichtig und wünschenswert, dass sich die ärztlichen Verbände und Fachgesellschaften gründlich mit dem vor knapp zwei Wochen vorgestellten Angebot der PKV für eine neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) befassen. Wir haben die beteiligten 165 Verbände ausdrücklich darum gebeten, sich bei Fragen beziehungsweise möglichem Korrekturbedarf direkt an die Bundesärztekammer zu wenden, um mögliche ungewollte Inkongruenzen oder Verwerfungen hinsichtlich der Bewertungen zu vermeiden. Diese enge Einbindung der maßgeblichen ärztlichen Organisationen ist für Qualität und Akzeptanz der neuen GOÄ unerlässlich; sie steht für mich charakteristisch für den gesamten Novellierungsprozess der vergangenen Jahre.“
Man habe in den vergangenen Jahren unter detailliertem Einbezug der Verbände als ärztliche Gemeinschaftsaufgabe arzteigene Bewertungen erarbeitet, die als Ausgangspunkt und Grundlage für die Preisverhandlungen mit der PKV dienten. „Dass es nicht möglich ist, alle 165 Verbände auch an diesen zeitintensiven Gesprächen zur Finalisierung eines Angebotes zu beteiligen, versteht sich nach unserem Dafürhalten von selbst. Das wäre weder mit einem realistischen Zeitplan noch mit dem Charakter solcher Gespräche vereinbar gewesen“, so der BÄK-Präsident.
Keine Positionen vorschnell aufgegeben
Er verwahrte sich auch gegen Kritik, Positionen vorschnell aufgegeben zu haben. „Wir haben die ärztlichen Positionen in diesen Verhandlungen mit aller Entschiedenheit und Härte vertreten. Auch die PKV hat ihre Positionen entschieden vertreten und die arzteigenen Bewertungen an vielen Stellen nicht nachvollzogen. Insofern kann es niemanden überraschen, dass am Ende ein für beide Seiten nicht einfacher Kompromiss stehen musste. Der finanzielle Gesamtrahmen dieses Kompromisses sei in den Verbändegesprächen am 28. August und am 11. September erläutert worden. Bei diesen Terminen habe keine Abstimmung stattgefunden. Das eingeholte Stimmungsbild habe sich nur auf eine erste, unverbindliche Rückmeldung zum Gesamtrahmen der Einigung bezogen, man habe „klar deutlich gemacht, dass die Verbände nach der Durchsicht der neuen GOÄ selbstverständlich frei sind, auch zu einer Ablehnung zu kommen.“
Längere Beratungsfrist angekündigt
„Als Präsident der Bundesärztekammer habe ich über all die Jahre dafür eingestanden, die neue GOÄ in Abstimmung mit den ärztlichen Verbänden und Fachgesellschaften zu erreichen. Deswegen habe ich nicht nur im Verbändegespräch, sondern auch gegenüber der PKV stets klar gemacht, dass wir den jetzt vorliegenden Entwurf als ein Angebot sehen, über das die Ärzteschaft befinden muss. Die PKV weiß, dass wir uns zu diesem Angebot erst verhalten werden, wenn es von den Verbänden geprüft und bewertet worden ist“, erklärte Reinhardt weiter und kündigte eine offene Frist für die Rückmeldung der Verbände an: „Wir haben die Verbände darum gebeten, auf uns zuzukommen, wenn sie grundlegende Probleme bei den Preisen sehen, damit wir diese Hinweise gemeinsam prüfen können. Von mehreren Verbänden war im Vorfeld des Termins ein Zeitraum von 14 Tagen für eine Durchsicht vorgeschlagen worden. Einige Verbände sind nun zu dem Ergebnis gekommen, dass sie mehr Zeit benötigen.
Diese Zeit werden wir uns gemeinsam nehmen. Da inzwischen in einigen öffentlichen Verlautbarungen Verunsicherungen und auch Missverständnisse erkennbar waren, werde ich die Verbände noch einmal zu einem klärenden Austausch einladen. Wir stehen gemeinsam vor einer wichtigen Weichenstellung und sollten gemeinsam erörtern, welchen Weg wir gehen wollen.“
Keine Chance für geforderten „Neustart“
Diese Standpunkte bekräftigte und erläuterte er auch in einem Interview mit dem „Deutschen Ärzteblatt“, das am Samstag, 28. September 2024, veröffentlicht wurde. Einen „Neustart“ der Gespräche sehe er nicht, so Reinhardt: „Die Verhandlungen mit der PKV sind über mehr als zehn Jahre mit unterschiedlichen Verhandlungsteams und Strategien geführt worden. Jetzt gibt es erstmals die Option für einen Kompromiss. Wir haben mit der PKV vereinbart, dass wir in dem vereinbarten Rahmen natürlich noch sachlich begründete Korrekturen vornehmen können.
Jenseits dessen aber hat die PKV deutlich signalisiert, dass es keinen weiteren Verhandlungsspielraum geben kann. Und ob ein ‚Neustart‘ der Gespräche mit der PKV möglich wäre, daran habe nicht nur ich erhebliche Zweifel.
Das politische Junktim steht. Mit einer Einigung hätten wir allerdings nun die Möglichkeit, endlich wieder Bewegung in den politischen Prozess für eine GOÄ-Novellierung zu bringen.
Zuletzt ist die parteiübergreifende Erkenntnis gewachsen, dass nach jahrzehntelangem Stillstand Handlungsbedarf besteht. An einem gemeinsamen Vorschlag von BÄK und PKV kommt die Politik nicht leicht vorbei. Dies gilt umso mehr, als auch die Beihilfe eingebunden wurde. Und alle Sachargumente ohnehin auf unserer Seite liegen. Ein solcher Vorschlag muss jedoch von der Breite der Ärzteschaft getragen werden können. Vor dieser Frage stehen wir nun. Es ist nichts entschieden. Wir stehen vor einer wichtigen Weichenstellung, am Ende heißt es immer irgendwann Ja oder Nein. Ich rate dazu, sorgfältig abzuwägen.“
Dr. Marion Marschall, Berlin