Wen interessiert es, wenn in China ein Sack Reis umfällt? Nach landläufiger Meinung niemanden. Ergänzen könnte man: Jedenfalls so lange kein Hunger herrscht. Dieses Jahr stehen in den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) Wahlen zur Vertreterversammlung (VV) und damit bei fast allen auch den neuen Vorständen an. Um bei dem eingangs erwähnten Spruch zu bleiben: Wen interessiert‘s? Leider, leider viel zu wenige der Niedergelassenen.
Nun standen KZV-Wahlen auf der Beliebtheitsliste der Vertragszahnärzteschaft, also nahezu 100 Prozent der Niedergelassenen, zwar nie ganz oben –- aber so weit unten? Kein gutes Signal, vor allem in Zeiten wie diesen.
„Ändert sich ja eh nichts“
Denn wenn in einer für ihre Servicequalität und offene Kommunikation bekannten KZV wie der Baden-Württembergs sich nur 35 Prozent der Kolleginnen und Kollegen an der Wahl beteiligen, ist das für jeden zukünftigen Vorstand in der politischen Kommunikation so, als ob mit einer ans Bein geketteten Kugel ein 100-Meter-Lauf gewonnen werden soll. Selbst wenn man der Meinung ist, dass die KZVen aufgrund ihrer Eigenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts und kleinteiliger rechtlicher Regelungen so eingehegt sind, dass sie wenig bis nichts bewegen könnten, engt man den ohnehin begrenzten politischen Manöverraum für den eigenen Berufsstand als Nichtwähler sozusagen freiwillig weiter erheblich ein.
Für das politische Geschäft, also den Füllstand der Interessenswaagschalen, ist es jedoch ein erheblicher Unterschied, ob Bayern oder das Saarland etwas fordern. Ganz abgesehen davon, dass Wahlbeteiligungen auf diesem niedrigen Level auch als Signal verstanden werden können, dass alles bestens sei, als „bitte weiter so“. Ach wirklich, auch perspektivisch?
KZBV-Chef Eßer wurde deutlich
Angesichts des unausgegorenen Entwurfs des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ging sogar der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Wolfgang Eßer, mit deutlichen Worten an die Öffentlichkeit und sprach angesichts der im Gesetz vorgesehen Maßnahmen – Stichwort Budgetierung – von einem „Frontalangriff auf die zahnärztliche Versorgung“. Viel deutlicher kann man angesichts der Begleitumstände einer Inflationsrate jenseits der 7 Prozent bei gleichzeitig deutlichen Kostensteigerungen bei Personal wie auch Material die Problemlage nicht benennen.
Nur die TI ist außen vor
Doch auch die Kassen haben nichts zu verschenken. Eingezwängt zwischen wenig rosigen Aussichten in der Wirtschaft, einem angesichts der politischen Veranlassung von Ausgaben immer noch nicht kostendeckenden Zuschuss des Bundes und dem Versprechen (nicht nur) Lauterbachs, dass die Leistungen des „Systems“ für die Patienten (Versicherte sind es ja immer weniger) nicht angetastet werden sollen, bleibt nichts anderes als die Vollbremsung bei denen, die man Leistungserbringer nennt, und deren „Lieferanten“, zum Beispiel der Pharmaindustrie. Da muss man fast schon von Glück reden, dass das politische Steckenpferd TI kostenmäßig sakrosankt ist. Kosten, die im Übrigen die Kassen ebenfalls aufzubringen haben.
Der Speck von gestern
Mithin können die Voraussetzungen für Honorarverhandlungen schlechter nicht sein, oder? Auch wenn das Gesundheitswesen von außen so wirkt wie ein geschlossenes System, ist es das nicht. Dafür sorgt die Politik – und zwar in jedweder Richtung. Und deshalb ist Appeasement besonders in schwierigen Zeiten der falsche Ansatz. Die Rede ist von berechtigten und begründeten Forderungen, um die Leistungserbringung, vulgo Versorgung, auf dem gegebenen Niveau halten zu können.
Alles Weitere wird sich in den Verhandlungen ergeben, gerade weil die Kassen derzeit gerne den Weg des Schiedsamts beschreiten und auch vor Klagen gegen das dort erzielte Ergebnis nicht zurückschrecken. Und auch gerne verbal schweres Geschütz auffahren. An dieser Stelle seien die nur als unverschämt zu bezeichnenden Äußerungen seitens der Kassen, dass Ärzte und Apotheken durch Corona ja ein erhebliches Honorarplus zu verzeichnen gehabt hätten und mithin jetzt durchaus mal verzichten könnten, nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Bibbern auf dem Behandlungsstuhl
Wie man angesichts dieser verfahrenen Situation seitens der Kassenärztlichen Bundesvereingiung (KBV) nur 6 Prozent Erhöhung des Orientierungswerts (Punktwert maßgeblich für das Honorar) fordern kann, versteht nicht mal der Hugo. Schließlich kommen zu der Inflationsrate noch die realen Kostensteigerungen von Lohn bis Mietnebenkosten für den Betrieb einer Praxis hinzu, ganz abgesehen vom Einkommen. Nach dem kleinen Einmaleins wären 11 bis 12 Prozent zu fordern gewesen. Und apropos Mietnebenkosten: Für die Praxisräume werden die der Politik wohlfeilen Empfehlungen zur Temperaturabsenkung auf 18 Grad wohl kaum gelten.
Blaues Auge für nichts – KBV geht mit unglücklichem Beispiel voran
Zurück zu den Kassen und der Honorarforderung der KBV. Das Angebot der Kassenseite lautete wenig verwunderlich: Nullrunde! Im Ergebnis der ersten Runde rufen nun beide Seiten den Erweiterten Bewertungsausschuss an. Und mit dem hat die KBV bei ihren Honorarforderungen der vergangenen Jahre, sagen wir es mal so, im Sinne ihrer Mitglieder nur selten performt.
In der entsprechenden Pressemeldung lässt sich der KBV-Vorsitzende Gassen so zitieren: „Man muss es immer wieder sagen: Es geht um den Erhalt der Struktur der ambulanten Versorgung und um die Finanzierung von Leistungen für die Gemeinschaft der über 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten.“ Um noch nachzusetzen: „Und daran müssen doch gerade die Krankenkassen eigentlich ein großes Interesse haben. Sollte dafür kein Geld erübrigt werden wollen, sprechen wir gerne mit den Kassen darüber, wie das Leistungsangebot für die Versicherten dem finanziellen Rahmen angepasst und damit reduziert werden kann.“ Letzteres war wohl als Beruhigung für die Vertragsärzteschaft gedacht. Ich fürchte, das Gegenteil wurde erreicht.
Ärzte und Zahnärzte müssen Gewicht in die Interessenwaage bringen
Daran wird auch die kürzlich gestartete Unterschriftenaktion gegen die Folgen des Lauterbach‘schen GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes wenig ändern. Es sei denn, die Menge der das Bundesgesundheitsministerium erreichenden Briefe zeigt, dass die Ärzteschaft weitestgehend hinter den Aussagen und Forderungen ihrer Standesvertretungen steht. Denn für die politische Interessensabwägung kommt es auf das Gewicht, vulgo die Menge der in den Waagschalen befindlichen Stimmen an.
Insofern ist es positiv, dass auch die Zahnärzteschaft mitmacht. Ausweislich der Pressemeldung der KZV Baden-Württemberg vom 5. August haben rund 1.500 Zahnärzte sich mit einem entsprechenden Protestschreiben beteiligt. Im kleinen Sachsen-Anhalt waren es mehr als 640. Womit wir wieder bei dem Ausgangsthema der Wahlbeteiligung wären. Ja, es ist klasse, dass sich auch die Zahnärzteschaft an dem Protest beteiligt. Zahnärzteschaft? In Baden-Württemberg waren es zum Zeitpunkt der Pressemeldung 1.500 Protestschreiben. Allein die Anzahl der Niedergelassenen beträgt im Ländle rund 8.100. Damit ist die Prozentzahl der Unterzeichner noch geringer als die Wahlbeteiligung zur VV.
Situation in allen Bereichen unbefriedigend
Komme keiner auf die Idee, hier würde BaWü- oder gar KZV-Bashing betrieben. Die Situation bei den Kammern ist kaum anders. An dieser Stelle geht es um einen wesentlichen, das politische Gewicht der zahnärztlichen Standesvertreter ausmachenden Faktor. Leider lag die Beteiligung der Vertragszahnärzte bei der Wahl der Vertreterversammlung der KZV Berlin noch tiefer: 30,52 Prozent. Ob das als Ausweis für den Erhalt der Struktur der ambulanten Versorgung gelten kann, wage ich zu bezweifeln.
Jede Stimme bringt politisches Gewicht
Jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt trägt ihren/seinen Teil zum politischen Gewicht der Zahnärzteschaft in der politischen Arena bei. Wie schwer die Waagschale der Zahnärzteschaft wahrgenommen wird, wie viel Rückendeckung und politisches Gewicht die Standespolitik in Verhandlungen (Stichwort Honorar) und politisches Geschäft einbringen kann, liegt also auch bei Ihnen.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.