Die Überschrift klingt für Sie anmaßend? Und zwar wegen der Verwendung des Wortes Verhunzung im Zusammenhang mit Sars-CoV-2? Nun, in Anbetracht der teils abenteuerlichen Wortschöpfungen in der politischen, vor allem aber der massenmedialen „Behandlung“ der Coronapandemie ist das alte deutsche Wort noch eine eher freundliche Umschreibung. Oder können Sie beispielsweise Brückenlockdown erklären? Wenn nicht, werden es auch die allermeisten ihrer Patienten nicht verstanden haben.
Das Thema liegt mir auf der Seele: Müssen nach 15 Monaten Coronapandemie immer noch vollkommen unverständliche Worte in steter dramatischer Inszenierung verwendet werden, um zu informieren oder gar aufklären zu wollen? Aufklärung mit nicht verständlichen Worten ist wie im dichten Nebel mit einer Landkarte und ohne Kompass das Ziel auf kürzestem Wege finden zu wollen …
Mehr als 1.000 „Neuworte“ in der Pandemie
Bei der Recherche zu einer schlüssigen Erklärung für das von Armin Laschet – immerhin Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands und Kanzlerkandidat von CDU/CSU – in die Debatte gebrachte Wort „Brückenlockdown“ bin ich auch auf eine umfassende wissenschaftliche Zusammenstellung des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache für Wortneuschöpfungen im Zusammenhang mit der Coronakrise gestoßen, die ich Ihnen keinesfalls vorenthalten möchte. Die Zahl der diesbezüglichen „Neuworte“ geht mittlerweile an die 1.000 Worte und Neologismen. Ein Neologismus ist eine in den allgemeinen Gebrauch übergegangene sprachliche Neuprägung, ein Neuwort oder eine neue Bedeutung für ein bereits vorhandenes Wort, um sogenannte Benennungslücken zu schließen.
Witzige und treffende Wortschöpfungen
Manche davon sind durchaus witzig, wie „Coronaer“ (Person die sich mit dem Coronavirus angesteckt hat), „Wirrologe“, „Wuhanshake“ (Begrüßung mit dem Fuß), „Schniefscham“ oder „Seuchensheriff“. Dass seit über einem Jahr nur noch „Microweddings“ möglich sind, finden die Heiratenden wahrscheinlich nicht witzig. Und für diejenigen, die unter „Holistay“ oder „Staycation“ (Urlaub zu Hause oder nur in der näheren Umgebung) leiden, ist bekanntlich der „Pieks“ oder die „Anti-Corona-Spritze“ die Rettung vor dem „Corönchen“ oder „Coronatier“ (hier ist das Virus gemeint) und nicht nur eine Impfung, die in der Natur der Sache liegend eben auch Nebenwirkungen hat.
In diesem Zusammenhang sei ein kleiner Gedankenschlenker erlaubt: Ich wage die Prognose, dass die im Vergleich zu den Apothekern als schmerzhaft zu empfindende Nichtberücksichtigung der Zahnärzte für das Corona-Impfprogramm durch die Politik sich rückblickend als Vorteil erweisen wird. Wenn man es denn richtig positioniert.
Wortgirlanden und Ausgangssperren-Synonyme
Doch zurück zu all den Wortgirlanden, die mit und um den „Lockdown“ erfunden wurden. Das Wort bedeutet nicht mehr oder weniger als Ausgangssperre oder Abriegelung! Um dieses Wort zu vermeiden, finden sich alleine in der Liste des Leibniz-Instituts 48(!) Worte. An dieser Stelle nur eine kleine Auswahl der Ausgangssperren-Synonyme in alphabetischer Reihenfolge: „abgespeckter Lockdown, dorfscharf, Endloslockdown, Flockdown, Hammerlockdown, harter Lockdown (kann es einen weichen Lockdown geben? Kann es, heißt dann Softlockdown), Jahreswechsellockdown, Jo-Jo-Lockdown, Kurzzeitlockdown, Lockdownchen, Megalockdown, Salamilockdown, Volllockdown, Wellenbrecherlockdown, Zwangslockdown“.
Des verbalen Overkills müde
Alles klar? Mir nicht. Und das von den „Lockdownern“ (Politiker) ebenfalls häufig als Synonym verwendete Wort „Shutdown“ bezeichnet im Englischen die Betriebsstillegung oder einen (angeordneten) Produktionsstopp.
Und das ganze x-fach wiederholt und neu abgemischt, lässt letztlich nur noch ein schwarz oder weiß zu. Und so wundert es wenig, dass viele Menschen des steten Dramas und verbalen Overkills müde sind.
Vorbild Zahnärzteschaft: Klare und mit dem Handeln kongruente Kommunikation
So betrachtet, hat die Zahnärzteschaft in der Coronapandemie sehr viel richtig gemacht. Klare und in der Verbalisation zurückhaltende Kommunikation, die mit dem Handeln kongruent ist, schafft nicht nur, sondern erhält(!) das Vertrauen der Patienten. Und das nachgewiesenermaßen. Denn gemäß der BGW-Statistik (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege) waren die Zahnärzte im gesamtem Jahr 2020 der mit Abstand coronaärmste Gesundheitsberuf. Dass manches auch kontrovers diskutiert werden kann – Stichwort Spray und Aerosole –, dafür braucht es keine neuen Worte oder gar Drama. Sondern belastbare neue Erkenntnisse. Vor allen Dingen aber: Weniger Labern, mehr machen!
Doch was bedeutete denn nun das von Armin Laschet im April (es ist wirklich gerade einmal vier Wochen her) in den politischen Diskurs eingeführte Wort „Brückenlockdown“? Der Kanzlerkandidat der CDU wollte einen „kurzen, aber wirksamen Lockdown im April, der die Brücke bildet hin zu mehr Geimpften, zu einer niedrigeren Inzidenz und mehr Tests“.
Alles klar? Mir nicht, ich bin verwirrt.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.