Für junge Ärztinnen und Ärzte ist die Konfrontation mit der Realität der medizinischen Versorgung oft ein „Realitätsschock“. Nicht nur die hohe Arbeitsbelastung auch durch Aufgaben, die nichts mit der direkten Patientenversorgung und ärztlichem Handeln zum Wohle der Patienten zu tun haben, und der Personalmangel in den Kliniken ist aus ihrer Sicht kritisch. Auch das Beeinflussen des ärztlichen Handelns durch die betriebswirtschaftliche Nutzenoptimierung in den Kliniken und großen Praxisstrukturen – nicht zuletzt durch Investoren und ihr Renditeinteresse – belastet sie.
Das wurde in den Statements und Diskussionen beim „Dialogforum Junger Ärztinnen und Ärzte“ zum Thema „Die Macht des Geldes über ärztliche Entscheidungen“ im Vorfeld des Deutschen Ärztetags in Bremen am 23. Mai 2022 deutlich. Vor allem die jungen Ärztinnen und Ärzte aus Klinik und Praxis übten Kritik an der immer noch üblichen Praxis mit unbezahlten Überstunden und am Druck der Krankenhausbetreiber auf Ärzteschaft und Personal, so die beiden Vertreter des „Bunten Kittels“, die alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen auffordern, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen.
Ob Reformen im bestehenden System erfolgreich möglich seien oder doch eine „Revolution“ nötig sei, blieb dabei offen. Klar wurde aber, dass immer mehr junge Ärztinnen und Ärzte den Druck – vor allem den ökonomischen – auf ihre Berufsausübung und das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht mehr ohne Kritik und Diskussion hinnehmen wollen.
Weg in die Praxis – ins Angestelltenverhältnis
Für viele ist der Wechsel aus der Klinik in die Praxis eine Fluchtmöglichkeit aus dem Dauerdruck. Allerdings gehen dann die meisten doch wieder in ein Angestelltenverhältnis und erleben gerade in großen Strukturen ähnlichen wirtschaftlichen Druck auf ihr ärztliches Handeln. Durch die bewusste Entscheidung für die Selbstständigkeit und die passende Berufsausübungsform könne man aber viele Faktoren positiv beeinflussen, berichtete die junge Ärztin Lara Serowinski von ihren Erfahrungen mit der Niederlassung in einer Gemeinschaftspraxis. Natürlich müsse auch sie die Praxisabläufe optimieren, aber dies geschehe in erster Linie, um mehr Zeit für die Patienten zu schaffen.
Persönlicher Druck durch die Patientenversorgung
Dem persönlichen Druck durch die Patientenversorgung könnte man sich als Arzt kaum entziehen, dies sei ein Kern des Berufs, so die thüringische Ärztekammerpräsidentin und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Ellen Lundershausen. Was die Einflussnahme von Drittinteressen – Krankenhausträgern, privaten Investoren in Kliniken und MVZ – angehe, liege es nicht im Handlungsspielraum der Ärzteschaft, diese zu beeinflussen und zu regulieren. Hier sei die Politik am Zug, um zum Beispiel die Gründungsvoraussetzungen für Investoren-MVZ strenger zu fassen.
„Ärzte Codex“ als Orientierung
Wie mit dem wirtschaftlichen Druck umgehen? Hier könnte der Ärzte-Codex eine Vorbildwirkung haben. Ihm haben sich rund 40 Organisationen angeschlossen, auch die Bundesärztekammer und viele Fachgesellschaften. „Wir treffen keine ärztlichen Entscheidungen und werden keine medizinischen Maßnahmen durchführen und solche Leistungen weglassen, welche aufgrund wirtschaftlicher Zielvorgaben und Überlegungen das Patientenwohl verletzen und dem Patienten Schaden zufügen könnten“, heißt es in dem Codex unter anderem.
„Wir werden unsere ärztliche Heilkunst ausüben, ohne uns von wirtschaftlichem Druck, finanziellen Anreizsystemen oder ökonomischen Drohungen dazu bewegen zu lassen, uns von unserer Berufsethik und den Geboten der Menschlichkeit abzuwenden.“
Wirtschaftlicher Druck politisch gewollt
Es sei aber politisch gewollt, dass sich die Wirtschaftlichkeit in das Arzt-Patienten-Verhältnis dränge, so Eleonore Zergiebel aus Nordrhein. Nur das Abschaffen der Fallpauschalen/DRG sei im ärztlichen Bereich eine Lösung für diesen wirtschaftlichen Druck.
Eigene Positionierung der Ärzte wichtig
Ob sich etwas an diesen Problemen ändern werde, hänge aber auch von den Ärztinnen und Ärzten selbst ab. Diese müssten ihre ärztliche Selbstständigkeit wahren und fördern und Flagge zeigen. Eben auch sagen: „So möchte ich nicht mit meinen Patienten umgehen“, so Lundershausen.
Die Aufzeichnung der mehrstündigen Veranstaltung und Statements von Teilnehmern sind auf der Homepage der Bundesärztekammer eingestellt. Einen ausführlichen Bericht mit eingeklinkten Videos gibt es beim Deutschen Ärzteblatt.