Im wahrsten Sinn neue Wege hat die auf Mittelamerika und die Karibik spezialisierte Hilfsorganisation DIANO (Dental International Aid Networking Organisation) eingeschlagen. Nach längerer Vorbereitung konnte im Februar 2023 zum ersten Mal eine Gruppe – bestehend aus dem erfahrenen Zahnarzt Dr. Gerd Stürmer-Schwichtenberg aus Osnabrück und den zwei Studierenden Lucia Kwantes und Florian Sosnowski aus Münster – in das geschichtsträchtige und landschaftlich außergewöhnlich schöne Guatemala aufbrechen.
Ziel war die Stadt Santa María Cahabón in der Provinz Alta Verapaz, die eigentlich nur 300 Kilometer von der Hauptstadt Guatemala City und dem dazu gehörenden internationalen Flughafen entfernt liegt, doch diese 300 Kilometer haben es wahrlich in sich! Acht Stunden Fahrzeit sind dafür angesetzt, aus denen schnell mal zehn werden können.
Dabei sind es äußerst kurzweilige Stunden, vor allem für jene, die zum ersten Mal das Land besuchen. Die Kulisse ist atemberaubend: Man fährt durch üppig grüne, undurchdringlich erscheinende Wälder, schroffe Bergkulissen und schließlich durch tiefe Schluchten mit klaren Flüssen. Cahabón liegt im Osten von Alta Verapaz am Río Cahabón auf etwa 250 Metern Höhe. Der Großteil des Gemeindegebiets befindet sich in den Ausläufern umliegender Mittelgebirge. Aufgrund der vergleichsweise geringen Höhe und der Nähe zum Tiefland des Izabal-Sees ist das Klima tropisch geprägt. Diese Aussage ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn im Winter kann das Thermometer durchaus auch mal einstellige Werte anzeigen und da ist das Duschen gewöhnungsbedürftig. Das Wasser kommt direkt aus einem Gebirgsbach und der hat nicht mehr als zwölf GradCelsius!
Indigene Maya-Gemeinschaften
Die Einwohnerzahl von Santa María Cahabón ist relativ gering, was der Stadt eine ruhige und entspannte Atmosphäre verleiht. Die lokale Bevölkerung besteht hauptsächlich aus indigenen Maya-Gemeinschaften, vor allem den Kekchi, die stolz auf ihre kulturellen Traditionen und Bräuche sind. Die Stadt selbst ist geprägt von einer Mischung aus kolonialer Architektur und traditionellen Maya-Einflüssen. Es gibt kleine Geschäfte, Märkte und Restaurants, die zum Ausprobieren der einheimischen Spezialitäten einladen.
Die Umgebung von Santa María Cahabón bietet zahlreiche Möglichkeiten für Outdoor-Aktivitäten. Besonders beeindruckend sind die vielen Wasserfälle, kristallklare Flüsse und malerische Wanderwege, die von dichtem tropischem Regenwald umgeben sind. Der Rio Cahabón ist unter Rafting-Experten weltberühmt für seine Stromschnellen.
Dominikaner ergreift Initiative wegen schlechter Mundhygiene
Kontakt am Ort ist die Stiftung Fray Domingo und die Dominikanergemeinde unter der Leitung von Pater Christoph Gemp und Andreas Degenhardt. Diese hatten vor ungefähr einem Jahr das Zahnprojekt gestartet, um der extrem schlechten Mundhygiene entgegenzuwirken. Da es keinerlei Behandlungsmöglichkeiten vor Ort gab, galt es zuerst einmal, die Lage zu erkunden und zu schauen, wo eine improvisierte Zahnstation eingerichtet werden könnte und was es überhaupt zu tun gab. Dazu wurden die verschiedenen Schulen besucht.
Schulen als Standort für improvisierte Zahnstation
In die engere Auswahl kamen schließlich die Primaria und die Sekundaria, die zur Stiftung Fray Domingo beziehungsweise der örtlichen Dominikanergemeinde gehören. Dank des hauseigenen Schreiners konnten zwei Liegen für die Untersuchungen und Zahnbehandlungen gebaut werden. Pro Tag wurden nun zwischen 50 und 100 Personen untersucht, in erster Linie Kinder – aber so nach und nach kamen auch die Erwachsenen.
Da die Ausstattung beim ersten Besuch noch sehr spartanisch war, wurden die beiden Liegen aufgeteilt: eine für Extraktionen und eine für Füllungen. Zur Verfügung stand nur ein mobiler Mikromotor nebst einer Grundausstattung an chirurgischen und konservierenden Instrumenten samt Material. Immerhin konnten Kompositfüllungen gelegt werden.
Improvisationskünste gefragt
Bei Extraktionen musste man sich sehr gut überlegen, ob man einen Zahn – oftmals waren es nur rudimentäre Reste – auch vollkommen entfernen kann. Kühlung, fließendes Wasser oder Druckluft gab es alles nicht. Zur Kühlung diente eine Cola-Flasche mit einer Kanüle, die Gerd Schwichtenberg selbst aus den vorhandenen Materialien gebastelt hatte. Mehr gab es nicht. Dementsprechend war die Trockenlegung sehr mühsam und so manche Küchenrolle wurde aufgebraucht.
Doch auch auf diese sehr einfache Weise konnten in der kurzen Zeit der Anwesenheit über 100 Füllungen gelegt werden. Dass weit mehr Zähne gezogen werden mussten, war sehr bedauerlich, doch die Information über Zahngesundheit und Mundhygiene fehlen vollkommen.
Projekt für bessere Mundgesundheit
Das war auch der Grund für die Gründung des Zahn-Projekts „B’atz’un“ durch Andreas Degenhardt. Das steht in der Qechi-Sprache für Spielen. Begonnen hatte es damit, dass auf der Farm, auf der das Kakaoprojekt gestartet wurde, die Nachbarskinder dem „Gringo“ beim Arbeiten am Computer zuschauten. So entstanden die ersten Kontakte. Es macht Freude, die Kinder zu beobachten und ihre unglaubliche Lebensfreude zu sehen.
Schulungen und Sensibilisierung
Bei aller Lebensfreude und Lachen ist es immer wieder ein Schock, die Zähne der Kinder zu sehen. Bereits im Alter von vier Jahren haben fast alle Kinder Karies, und je älter die Kinder sind, desto schlimmer ist der Befall. Ein zentrales Anliegen von DIANO ist deshalb die Prophylaxe, die Erziehung zur Mundgesundheit und die Schulung und Sensibilisierung der Lehrerinnen und Lehrer für dieses Thema. Dies war in Cahabón bereits vorweggenommen: Mit dem Zahnprojekt hat die Prophylaxe den Einzug in die Schulen geschafft, doch Bedarf für die Aufklärung besteht nach wie vor in großem Umfang.
Zusammenarbeit mit Zahnärzten vor Ort
Nachdem nun der Anfang gemacht ist, ist angedacht, dass zukünftig auf Einladung der Stiftung Zahnärzte aus dem 90 Kilometer entfernten Cobán kommen, um die Menschen vor Ort kostenlos zu behandeln. Erste Erfahrungen gibt es mittlerweile und die übertreffen alle Erwartungen: Es zeigte sich nämlich, dass die dort tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte sehr an einer Zusammenarbeit interessiert sind, denn es gibt für die Berufsanfänger nicht genug Stellen im Land.
Der Grund: Ähnlich dem Praktischen Jahr in der Medizin, müssen die Absolventen im Land ein Jahr in eine Zahnstation auf dem Land, bevor sie ihre vollständige Approbation bekommen. So manche und mancher würde gerne aufs Land gehen, doch von staatlicher Seite fehlen die Mittel für die Ausstattung.
Mobile Zahnstation, später auch ein Zentrum
DIANO betrachtet dies als eine Aufgabe für die Zukunft, zunächst eine kurzfristige Lösung in Form einer mobilen Zahnstation zu finden. Langfristig könnte ein Zentrum aufgebaut werden, das in erster Linie der Versorgung der örtlichen Bevölkerung zugutekommt. Gleichzeitig bietet sich damit für einheimische Zahnärztinnen und Zahnärzte ein Arbeitsplatz und schließlich wird internationalen Freiwilligen eine Einsatzmöglichkeit geboten. Erfahrungen mit dem Neubau und der Ausstattung von Praxen hat DIANO schon einige machen dürfen. Auch die jungen Kolleginnen und Kollegen berichten ebenfalls viel Positives von der internationalen Zusammenarbeit, bei der beide, Einheimische und Gäste, gleichermaßen lernen!
Naturparks und Naturschauspiele zum Abschluss
Nach Abschluss der Mission mit vielen Patienten, vielen Füllungen und noch mehr Extraktionen wäre es eine Sünde heimzureisen, ohne zumindest einen der vielen Naturparks Guatemalas gesehen zu haben. So ging es zu guter Letzt noch nach Antigua, eine sehr schöne Stadt mit vielen historischen Bauten. Von dort aus geht es in einer zweitägigen Treckingtour zum aktiven Vulkan Fuego, ein absolutes Muss. Ausklingen lässt man so eine Reise am besten am Attilan-See, auch dies ist ein Naturschauspiel der besonderen Art.
Fazit: Guatemala ist ein ganz besonders Land, doch ohne einen besonderen Anlass, wie eben ein Hilfseinsatz oder eine Famulatur, wird man wohl kaum dazu kommen, das Land zu besuchen.
Lucia Kwantes, Gerd Stürmer-Schwichtenberg, Florian Sosnowski