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Prof. Falk Schwendicke: KI ist für Zahnärzte und Praxisteams keine Bedrohung – Fachpersonal wird entlastet

Prof. Schwendicke während seines KI-Vortrags beim CP-Gaba-Netzwerktreffen mit Expertinnen und Experten 2023 in Hamburg

(c) Alexander Böhle/CP Gaba

Nach und nach kommt die Künstliche Intelligenz (KI) in der Zahnarztpraxis an. Einige Anwendungen sind bereits heute KI-gestützt, teilweise ohne dass dies den Anwenderinnen und Anwendern bewusst ist. Es ist an der Zeit, sich zu informieren und mit KI vertraut zu machen. Dies wurde auch beim CP-Gaba-Netzwerktreffen mit Expertinnen und Experten im vergangenen Jahr deutlich. Ein wichtiges Resümee des Treffens war: Die kritische Auseinandersetzung mit KI lohnt sich und zeigt neue Möglichkeiten auf, in der Diagnostik, Therapie und bei der Bewältigung operativer Aufgaben.

Im Nachgang zum Netzwerktreffen entstand ein Interview mit Univ.-Prof. Dr. Falk Schwendicke, seit dem 1. Januar 2024 Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München, zu den Chancen und Veränderungen der KI in der Zahnarztpraxis.

Was ändert sich durch Künstliche Intelligenz (KI) in der Zahnarztpraxis in naher Zukunft?

Prof. Falk Schwendicke: Was wir verändern, betrifft nicht nur den Zahnarztstuhl und die klinische Tätigkeit, sondern auch das Drumherum, will meinen: Patientenaufnahmen, Anamnese, Aufklärung, Abrechnung, Korrespondenz – alle Prozesse, im Rahmen derer Daten bearbeitet und idealerweise dann auch automatisiert zugeordnet und in Praxis-Management-Systeme integriert werden.

Zusammenführung verschiedener Datenquellen wird wichtiger

Es wird sich auch am Zahnarztstuhl viel verändern. Die Automatisierung der Datenaufbereitung wird zunehmen, das Thema Sensor Fusion – das Zusammenführen verschiedener Datenquellen – wird wichtiger. Uns werden vermutlich viele Daten aus dem Patienten-Management-System in aufbereiteter Form angeboten, sodass wir nicht mehr manuell danach suchen müssen. Die KI weiß dann, für dieses Problem brauchst du diese und jene Datenpunkte der letzten zehn Jahre aus der Akte: Hier ist das Bild dazu, hier ist der Befund vom entsprechenden Datum und damals hast du diese Notiz geschrieben.

Und dann wird es zahlreiche Assistenzsysteme geben in Diagnostik und Therapie, über die wir jetzt schon reden. Also Röntgenassistenz, KI-gestützte Auswertung von Scans und CTs bis hin zu Augmented und Virtual Reality in der operativen Therapie. Ich glaube, diese ganzen Systeme werden eine große Rolle spielen und uns unterstützen – teilweise ohne dass wir es merken.

Kolleginnen und Kollegen müssen vor allem ausgebildet werden

Aber wir müssen es lernen, weil wir damit umgehen können müssen. Vor allen Dingen auch die Teams. Welche Anforderungen werden denn hier gestellt? Das, was sie aufgezählt haben, klingt wie die Zahnarztpraxis der Zukunft. Aber letztendlich müssen die Leute dahin geführt werden. Wie sehen Sie denn das?

Schwendicke: Ja, ich glaube, wir müssen – ähnlich wie wir das bei anderen Aspekten in der Zahnmedizin getan haben – auch bei der KI die Kolleginnen und Kollegen vor allem ausbilden, also ihnen zunächst einmal das Wissen vermitteln. Die Anwendung an sich ist aus meiner Sicht gar nicht so kompliziert, weil die meisten KI-Tools hoffentlich nicht so kompliziert sind wie beispielsweise ein Praxis-Management-System, sondern eher wie ein Smartphone – da liest ja auch keiner die Bedienungsanleitung.

Aber zu verstehen, was dahintersteckt, die richtigen Fragen zu stellen, wenn der Hersteller kommt und sein Tool anpreist –, also all das, was wir teilweise unter evidenzbasierter Medizin verstehen – da haben die meisten Kolleginnen und Kollegen derzeit noch wenig Kompetenz. Das hatten sie aber vor 30 Jahren bei der Einführung der Adhäsivtechnik genauso wenig!

Mindestanforderungen für den KI-Unterricht in der Zahnmedizin

Prof. Dr. Falk Schwendicke
Prof. Dr. Falk Schwendicke
(c) Privat
Gibt es da Angebote an den entsprechenden Akademien oder Weiterbildungseinrichtungen? Oder wie ist dieser Transformationsprozess vorgesehen?

Schwendicke: Das gibt es noch nicht. Wir haben uns vor einer Weile in unserer WHO(Anmerkung: World Health Organization)-Arbeitsgruppe damit befasst, eine Art Mindestanforderungen für den KI-Unterricht in der Zahnmedizin zu formulieren. Das ist etwas, was man nutzen kann. Im Arbeitskreis „AI for Dental Medicine“ (AK AIDM) (Anmerkung: AI – Artificial Intelligence = KI) der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) arbeiten wir in dieselbe Richtung. Auch die Bundeszahnärztekammer hat eine erste knappe Handreichung formuliert. Bei Fortbildungen sind es aber eher Einzelangebote.

„Fünf Jahre werden wir uns nicht mehr leisten können“

Das heißt aber, dass wir hier trotzdem nicht von übermorgen, sondern schon von einem Zeithorizont von etwa fünf Jahren sprechen, oder?

Schwendicke: Ich glaube, fünf Jahre werden wir uns nicht mehr leisten können. Ich denke, dass es noch ein bis zwei Jahre dauern wird, bis strukturiertere Angebote kommen, also unter anderem eine Art „KI-Curriculum“. Vielleicht ist das aber auch gar nicht mehr zeitgemäß.

Wenn ich mir anschaue, wie die meisten Leute sich in diesem Segment fortbilden, sehe ich, dass viele sich eher bei Youtube „selbst“ fortbilden, als dass sie das im klassischen Sinn „gelernt“ haben. Ich glaube, dass das vielleicht auch ein Weg ist, wie Zahnärztinnen und Zahnärzte sich der Sache nähern können. Es gibt tausende Tutorien für Laien, die das gut erklären.

Der Workflow sollte ja aber auch umgesetzt werden können, die Schnittstellen müssen stimmen, die entsprechende Technologie muss angeboten werden und es muss alles aufeinander abgestimmt sein. Das stelle ich mir komplex vor. Oder wie sehen Sie das?

Schwendicke: Ja, aber das ist nun wiederum nicht unbedingt etwas, was die Kolleginnen und Kollegen selbst lösen müssen – da sind andere gefragt.

Derzeit arbeiten einzelne Daten-Silos und Softwaresysteme isoliert voneinander

Das ist aber auch eine Riesenherausforderung, weil momentan diese einzelnen Daten-Silos und Softwaresysteme ja völlig isoliert voneinander arbeiten. Und da reden wir dann über Schnittstellen, da reden wir über Interoperabilität von Datenformaten und Terminologien etc. Und das ist alles größtenteils ungelöst. Da sind wir an verschiedenen Stellen bei der ISO (Anmerkung: International Organization for Standardization) und bei der WHO weiter dabei, Lösungen zu finden. Das gilt auch für den Interop Council (Anmerkung: INA - Interoperabilitäts-Navigator für digitale Medizin), bei dem wir jetzt für die Zahnmedizin eine Gruppe gründen wollen. Da ist aber noch viel Arbeit, das muss man ganz klar sagen.

Tools wurden im Geiste moderner Software entwickelt

 Wenn wir jetzt wieder zurückgehen auf die Praxis und die Teams: Wie hoch sind denn die Hürden bei den Menschen, die das in der Praxis anwenden sollen?

Schwendicke: Die meisten kommen damit gut klar, weil diese Tools im Geiste moderner Software entwickelt worden sind. Also einfach nicht überladen und so, dass die Nutzer eigentlich nicht ins Handbuch schauen müssen. […] Aber klar ist auch: Am Anfang werden sich einige die Frage stellen „Brauche ich wirklich noch eine neue Software, noch ein System?“ Wenn man aber dann sieht, wieviel Arbeit diese Systeme abnehmen, wird die Motivation steigen. Ich glaube, dass die meisten gerade in der Zahnmedizin recht technikaffin und offen dafür sind, gute Innovationen in der Praxis zu implementieren.

Prof. Schwendicke während seines KI-Vortrags beim CP-Gaba-Netzwerktreffen mit Expertinnen und Experten 2023 in Hamburg
Prof. Schwendicke während seines KI-Vortrags beim CP-Gaba-Netzwerktreffen mit Expertinnen und Experten 2023 in Hamburg
(c) Alexander Böhle/CP Gaba
Fachpersonal technologisch entlasten

Wie ist das mit der Angst vor dem „Kollegen KI“? Besteht hier die Angst, ersetzt zu werden?

Schwendicke: Wer diese Angst hat, der hat die zukünftigen Herausforderungen der Zahnmedizin nicht verstanden. Unsere Herausforderungen sind nicht mehr, dass wir zu viele Zahnärztinnen und Zahnärzte und zu viel Fachpersonal haben, sondern eher das Gegenteil. Wir können jetzt schon kaum Teammitglieder finden. Das heißt, wenn ich technologisch Fachpersonal teilweise entlasten könnte, wäre das großartig. Und da kommen solche Themen auf, wie ich anfangs beschrieben habe: die Terminvereinbarung, Briefe schreiben, Kolleginnen und Kollegen anschreiben oder Dokumente versenden an die Krankenversicherung. Wenn das automatisiert werden kann, ist es super, denn es macht sonst bald niemand mehr.

Und bei Zahnärztinnen und Zahnärzten ist es nicht viel anders. Wir werden zumindest auf dem Land keine Zahnärzteschwemme haben, sondern genau das Gegenteil. Insofern bin ich mir sicher, dass diese Technologien für unseren Beruf keine Bedrohung sind.

Andere Wege der Wissensvermittlung und -abprüfung finden

Wie wirkt sich KI aus Ihrer Sicht in der zahnmedizinischen Forschung und Lehre aus? Wenn die Daten dann auch alle verarbeitet werden können, was wird sich ändern?

Schwendicke: Wir sehen es in der Forschung schon eine Weile: Mit der Integration von großen Routine-Daten stellt sich immer mehr die Frage: „Was nutze ich denn jetzt?“ Wir haben gerade eine sehr intensive Debatte, beispielsweise in der Epidemiologie hinsichtlich der Relevanz solcher Daten: Einerseits ist die Datenmenge zwar groß, aber die Daten sind trotzdem möglicherweise verzerrt. Dann habe ich eine falsche Sicherheit – ich bin quasi „genau, aber trotzdem daneben“.

In der Lehre glaube ich, dass vor allen Dingen Tools wie ChatGPT uns zwingen werden, uns damit auseinanderzusetzen, dass es möglicherweise sinnlos ist, Studierende noch Aufsätze schreiben zu lassen zu bestimmten Themen. Wir müssen dann andere Wege der Wissensvermittlung und -abprüfung finden – und uns vor allem darum kümmern, dass zukünftige Zahnärztinnen und Zahnärzte diese neuen Technologien bewusst und mit den Risiken im Hinterkopf nutzen.

Nach dem CP-Gaba-Netzwerktreffen mit Expertinnen und Experten im vorigen Jahr entstand zur KI auch ein Interview mit Prof. Doris Weßels: „Chancen und Veränderungen durch KI

Der Behandler bleibt verantwortlich

Woran sollte man denn auf jeden Fall denken? Gibt es eine Art „Goldene Regel“ bei der Anwendung von KI, die Sie vor allen Dingen im zahnmedizinischen Bereich sehen?

Schwendicke: Also eine „Goldene Regel“ kenne ich nicht. Wenn wir wissentlich KI-Tools anwenden, sollten wir uns aber zwei Dinge klarmachen: Erstens sollten wir verstehen, wie ist das Tool gebaut worden, auf welchen Daten wurde es trainiert. Ist es ein Tool, das in meiner Praxis funktionieren kann? Es nützt mir nichts, wenn es beispielsweise nur mit koreanischen Daten trainiert und getestet worden ist. Und der zweite Knackpunkt ist: Ich als Behandler bleibe verantwortlich. Das muss den Kollegen und Kolleginnen klar sein. Sie bleiben unter Nutzung dieser KI-Tools in der Verantwortung. Das sind alles Assistenzsysteme.

Erfragen, an welchen Daten das Tool trainiert und getestet worden ist

Wie sollen Anwenderinnen und Anwender das aber durchblicken können?

Schwendicke: Aus meiner Sicht ist das Entscheidende die Fragen an den Hersteller. Wenn der Vertriebsmitarbeitende eines KI-Unternehmens sagt, dass er „ein tolles Tool“ hat, dann sollten die Entscheiderinnen und Entscheider in der Praxis sich alles frühzeitig zeigen lassen, sie sollten explorieren und beispielsweise fragen, an welchen Daten das Tool trainiert und getestet worden ist – das ist eine recht simple Frage: Wenn hierauf keine Antworten gegeben werden können, ist das schlecht. Und wenn rückgemeldet wird, dass ein Tool ausschließlich an amerikanischen Daten trainiert worden ist, dann wäre ich da auch vorsichtig, denn die sogenannte Generalisierbarkeit des Systems wird möglicherweise gering sein. Sehr viel tiefer kann man an dieser Stelle als Praxisentscheider oder -entscheiderin nicht gehen – denke ich.

BZÄK stellt Fragenliste zur Verfügung

Wäre da nicht eine Frageliste nützlich, die von einer zentralen Stelle herausgegeben wird, nach dem Motto, solche Fragen sollten Sie stellen? Gibt es so etwas?

Schwendicke: Ja, eine solche Liste wurde Ende November von der Bundeszahnärztekammer (Anmerkung: BZÄK) veröffentlicht, ich habe an der Erarbeitung mitgewirkt. Die Liste kann von der Webseite der BZÄK heruntergeladen werden*.

Noch eine Frage zur Kommunikation mit Patientinnen und Patienten in Zukunft. Wenn die Patientin oder der Patient in der Praxis anruft, sich dann die KI erst einmal anhört, die nach dem Problem fragt und dann entscheidet, ob ein Termin vergeben wird oder nicht – ist das die Zukunft?

Schwendicke: Ja, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen harsch. Aber ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft smarte Chatbots (nicht solche wie bei den meisten Airlines oder der Bahn) ein erstes Kurz-Screening mit drei oder vier Fragen durchführen können. Allein damit werden wir einordnen können, ob die Patientin oder der Patient am gleichen Tag kommen muss, an dem vielleicht meine Praxis voll ist, oder ob sie/er nicht an einem anderen Tag kommen kann. Solche simplen Dinge werden wir durch die KI-Technologien zeitnah hinbekommen, um die Workflows zu verbessern.

Zumindest im Groben lernen, wie KI funktioniert

Noch eine Frage zum Abschluss: Was wollen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen sowie den Praxisteams mitgeben zum Thema KI?

Schwendicke: Ich glaube, was man mitgeben muss, ist, dass KI definitiv kommt. Und wir sollten uns darauf einstellen. Dazu müssen wir verstehen, wie es funktioniert. Mein Rat ist, dass jede und jeder, die oder der in unserem Bereich arbeitet, zu Veranstaltungen oder Fortbildungen geht, wo im Groben erklärt wird, wie KI funktioniert.

Lernen Sie, die richtigen Fragen zu stellen. Zudem, glaube ich, müssen wir uns klarmachen, dass es Assistenzsysteme sind, die uns rechtlich nicht großartig vor andere Herausforderungen stellen als andere Technologien.

„Wir müssen proaktiv mitgestalten“

Und schließlich noch ein Aspekt, der eher an die Standespolitik und die ganze Profession geht: Wir müssen uns einbringen. Wenn es um die Definition von Standards geht, wenn es um Anwendungsbeispiele geht, wo wollen wir überhaupt KI und was wollen wir vielleicht nicht? Wie wollen wir mit Big Data umgehen? Und was sind unsere Lösungsansätze im Vergleich mit denen der Politik oder der Industrie? Da müssen wir mit am Tisch sitzen. Wir müssen proaktiv mitgestalten. Wenn wir nur den Kopf in den Sand stecken und der Meinung sind, dass das alles nichts bringt, wird es an uns vorbei trotzdem passieren – und der gesamte Gestaltungsspielraum wird weg sein.

Künstliche Intelligenz in der zahnärztlichen Praxis, Rechtsrahmen, Berufsrecht und Checklisten für die Praxis (letzter Zugriff: 02.01.2024)

Bibliografía: CP Gaba AI in Dentistry Team Praxis

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