Parlamentarische Sommerpause in Berlin – bis auf die im Machtzentrum verbliebenen Stallwachen sind von Regierungsmitglied bis Hinterbänkler alle sogenannten Politgrößen in die Sommerfrische entschwunden. Selbst unser stets vor den Gefahren der Hitze warnender Gesundheitsminister urlaubte mitsamt Teilen seiner Familie in Südfrankreich und begab sich mitten hinein in die mediterrane Glut, vor der er immer warnt, um sich von den politischen Strapazen der vergangenen Wochen zu erholen, wie auf „X“ zu verfolgen war.
Lauterbach hatte es aber auch besonders schwer – all die Flüge zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft während der Europameisterschaft. Immerhin machte ihm Bayer Leverkusen mal wieder großer Freude, wurde sein Wahlkreisverein nicht nur Deutscher Fußballmeister, sondern auch noch DFB-Pokalsieger. Das gab gleich die doppelte Anzahl schöner Bilder mit einem sich volksnah gebenden Minister: „Seht her, ich bin einer von Euch.“
Panem et circensis
Das war es dann aber auch schon mit der Volksnähe, der emotionalen allzumal. Die Rechnung für die Teilnahme eines kleinen Teils unserer Eliten an der fürs Volk trefflich organisierten „panem et circensis“ fiel allein im Hinblick auf die Reisekosten satt aus. So sollen sich nur die Kosten für die Flugbereitschaft auf über einen halbe Million Euronen summiert haben. Ticketkosten, Catering etc. – alles vernachlässigbar, oder?
Krankenkassen nicht mehr im Boot mit der Politik?
Der keinerlei finanzielles Maß kennende Gesundheitsökonom Karl Lauterbach bringt mittlerweile auch die Krankenkassen auf die Barrikaden – dorthin, wo sich Zahnärzte, Ärzte und Apotheker bereits seit einiger Zeit befinden. Insbesondere der TK-Verwaltungsrat und deren Vorstandsvorsitzender und der BKK-Dachverband sind gegen die aktuelle Politik recht geräuschvoll unterwegs. Offensichtlich helfen auch diesen weder die gefühlt „besten“ Beziehungen zur Politik – man denke nur an die Vielzahl ehemaliger leitender Kassenmitarbeiter an den Schaltstellen im Bundesgesundheitsministerium – noch die üblichen „Wir haben die besten Beziehungen“-Hinterzimmergespräche gegen einen Gesundheitsminister weiter, dessen Gesetze und Gesetzesvorschläge die Krankenkassen finanziell ausbluten lassen.
Die Nichtleistung des Gesundheitsökonomen
Gerade weil der amtierende Bundesgesundheitsminister die Folgekosten seiner vielfältigen Gesetzesprojekte nicht mal ansatzweise auf dem Schirm, geschweige denn im Griff hat beziehungsweise diese ihm egal erscheinen, ist von den Folgen seines Fehlhandelns (beim Abgleich mit seinem Eid als Minister) zuvorderst mal wieder die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) betroffen. Genauer: die GKV-Beitragszahlenden. Und das sind eben nicht nur die sogenannten Versicherten, vulgo Beitragszahler und -zahlerinnen, sondern eben auch die Arbeitgeber. Man muss kein Ökonom sein, um die toxische Wirkung für die Abwärtsspiralen der deutschen Volkswirtschaft zu erkennen.
Willkommen im Club
Man kann es auch als Ironie der Geschichte betrachten, dass die Krankenkassen sich gegenüber der Politik nun in einer ähnlich „hilflosen“ Situation wie die Heilberufler wiederfinden. Und nun raten wir mal, was dem BKK-Dachverband einfiel, um auf die sich katastrophal zuspitzende finanzielle Situation der GKV hinzuweisen. Eine Kampagne, die sich an die eigene Klientel – an die Versicherten und die Patienten – richtet. Unter dem Hashtag #WasFehltZahlstDU wollen die Betriebskrankenkassen den GKV-Versicherten die Folgen der Lauterbachschen Politik verdeutlichen. Und hoffen auf Unterstützung oder gar politischen Gegendruck durch ebenjene. Wie so etwas funktionieren kann, hat die Spitzenorganisation der Vertragszahnärztinnen und -ärzte mit der Kampagne #ZAEHNEZEIGEN bereits vergangenes Jahr vorexerziert.
Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“
Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.
Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.
Die Versicherten mobilisieren
Die Kampagnenaussagen des BKK-Dachverbands zur finanziellen Situation der GKV sind im öffentlichen Diskurs jedenfalls mehr als deutlich: „Netto bis zu 198 € weniger in der Tasche Das Preisschild für die aktuelle Gesundheitspolitik“; „Teure Gesundheitspolitik: Exportnation Deutschland gerät noch weiter unter Kostendruck“; „Mehr zahlen, kürzer leben“; „Klinikreform: Dann holen wir es uns eben bei den Beitragszahlern“; „Bundesländer sparen massiv auf Kosten der GKV-Versicherten“; „Bürgergeld: Wenn der Staat Krankenkassenbeiträge zahlt, gelten andere Regeln“ oder auch „Arzneimittel sind kein Luxus“.
Lauterbach und „das Geld der Anderen“
Zum Start der Kampagne äußerte sich die Vorständin des BKK-Dachverbands, Anne-Kathrin Klemm, mit deutlichen Worten: „Es ist an der Zeit, den Menschen in Deutschland transparent und laienverständlich aufzuzeigen, wo und wie die gesetzliche Krankenversicherung und damit die Beitragszahler entlastet werden könnten. Das Thema geht alle an!“
Der eigene Nutzen
Das klingt nun auch nicht wesentlich anders als die Begründungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) zur Notwendigkeit der öffentlichkeitswirksamen Kampagne #ZAEHNEZEIGEN. Was zu der naheliegenden Frage führt, ob in der Dreiecksbeziehung „Leistungserbringer – Politik – Krankenkassen“ im Jahr 2024 Freund und Feind immer noch an ihrem traditionellen Platz stehen. Wäre es daher nicht angeraten, sich im Sinne(!) des Spruchs „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ über die aktuellen Perspektiven der jeweils anderen Gruppe klar zu werden? Ob aus einer solchen Analyse ein Perspektivwechsel resultieren kann, steht dann auf einem anderen Blatt mit der Überschrift: Der eigene Nutzen. Und nur der ist entscheidend!
Keine Freunde fürs Leben
Das bedeutet jedoch nicht, dass man sich als zahnärztlicher Berufsstand sogleich mit der Kampagne des BKK-Dachverbands öffentlich solidarisieren sollte. Denn bei dem martialischen Spruch – egal ob dieser aus dem Arabischen, von Napoleon oder doch aus Deutschland stammt – geht es eben nicht darum, wie man es selbst sieht, sondern wie es vom Gegenüber gesehen wird. Die Kategorie „Freund“ hat in einem solchen Prozess nichts verloren, schon gar nicht „fürs Leben“.
Politik hat das längste Hölzchen
Dafür sind die Gefahren in einer Dreiecksbeziehung, in der die Länge der „Hölzchen“ gesetzlich festgelegt sind, zu groß. Vor allem deshalb, weil das längste Hölzchen und damit die größte Macht der Politik zu geordnet ist – egal wie erratisch, fachfremd oder sonst wie Politiker auch agieren mögen. Es ist für die politisch Verantwortlichen ein leichtes, die finanziellen Bandagen für die Heilberufler noch enger zu ziehen. Beim „Knaller“-Thema Budgetierung sind mit Sicherheit noch nicht alle Register wie beispielsweise Null-Runden, Pay-for-Performance in Kombination mit Selektivverträgen von der Politik gezogen worden. Vom möglichen Ende des Kollektivvertrages in seiner jetzigen Form ganz zu schweigen.
Aber ob solche vordergründig einseitig zu Lasten und Schwächung der Leistungserbringer erfolgenden Maßnahmen zu einer langanhaltenden Freude bei den Krankenkassen führen werden? Auf der Strecke bliebe nämlich die Versorgung und die Zufriedenheit Ihrer „Versicherten“. Was natürlich als Argument umso schwächer wird, je weniger Krankenkassen es perspektivisch geben wird.
Sondervermögen des Staates zur Rettung der GKV?
Angesichts der großen Anzahl von Krankenkassen und der sehr unterschiedlichen Kassentypen – Betriebskrankenkassen sind nun mal keine AOKen – kann je nach Thema jedes Mal ein anderer Partner im Boot der Heilberufler sitzen. Oder eben alle Leistungserbringer samt Krankenkassen. Das Bötchen würde dann heißen: Sondervermögen des Staates zur Rettung der GKV.
Es muss zu denken geben, wenn Betriebskrankenkassen titeln: „Wenn der Bund die Musik bestellt, müssen andere zahlen“. Eben auch die Zahnärzte …
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.