Eigentlich ist das E-Rezept eine feine Sache. Wenn nur die vielen Ausfälle und Probleme mit der Telematikinfrastruktur nicht wären. Allein in der Kalenderwoche 11/24 meldete die zuständige Gematik längerfristige Ausfälle bei einem Dienstleister. Viele Arztpraxen klagen darüber, dass sie morgens regelmäßig erst einmal mit TI-Problemen kämpfen.
Jetzt kämpfen auch die Apotheker mit TI-Problemen. Apotheken können laut ABDA viele E-Rezepte aufgrund von täglichen Störungen der Telematikinfrastruktur nicht sofort abrufen. „Endlich benennen die Apotheker das Problem beim Namen und weisen nicht länger den Ärzten einseitig die Schuld zu“, so das Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Sibylle Steiner. „Die Praxen haben seit Jahren mit nicht funktionierender Technik und Ausfällen der TI zu kämpfen“, stellte Steiner klar. Mal funktioniere das Versichertenstammdatenmanagement nicht, mal könnten keine elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder E-Rezepte versandt werden, oder die Software stürze komplett ab. Dies seien unhaltbare Zustände, die die Praxen lähmten, heißt es vonseiten der KBV.
So komme es immer wieder vor, dass Praxen keine E-Rezepte ausstellen können. In diesem Fall müsste der Patient in der Praxis warten, bis die Technik wieder funktioniert. „Da dies gerade bei längeren Störungen nicht praxistauglich ist, können Ärzte das rosa Rezept (Muster 16) nutzen oder den Patienten darauf hinweisen, dass er wegen der technischen Störung sein E-Rezept erst später einlösen kann“, so die KBV.
DAV: BMG und Gematik müssen Probleme bis Ostern lösen
Wegen der Probleme meldete sich der Deutsche Apothekenverband (DAV) und fordert von Gematik und TI-Betreibern, dass die Probleme beim E-Rezept bis Ostern gelöst sein müssen. Man rufe das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die Gematik dazu auf, die Ausfälle und Missstände im E-Rezept-System umgehend zu lösen. „Hintergrund ist, dass es in dem neuen, digitalen Verordnungssystem bereits seit einigen Wochen vermehrt zu flächendeckenden Ausfällen und Fehlern kommt“, so der DAV.
„Nicht tragbarer Zustand“
Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des DAV, erklärte dazu: „Unsere Patientinnen und Patienten benötigen eine stabile, schnelle und unkomplizierte Versorgung mit Arzneimitteln. Doch die vom Bundesgesundheitsministerium und der Gematik aufgebaute E-Rezept-Struktur kommt diesen Anforderungen derzeit nicht nach. Immer wieder müssen wir die Menschen bei der Arzneimittelabgabe vertrösten, weil E-Rezepte nicht abrufbar sind. Der zentrale E-Rezept-Server funktioniert zwar meistens gut. Das hilft aber recht wenig, wenn andere relevante Systeme regelmäßig ausfallen und damit die Arzneimittelversorgung zeitweise komplett blockiert wird. Das ist ein nicht tragbarer Zustand, der von den Architekten dieses Systems – dem BMG und der Gematik – umgehend gelöst werden muss.“
Apotheker ohne Einfluss auf Systeme
Hubmann ermahnt die vom BMG mehrheitlich kontrollierte Gematik und das Ministerium daher, schnellstmöglich Lösungen zu finden: „Der DAV selbst hat keinen Einfluss auf die technischen Probleme, die in den Apotheken und Arztpraxen derzeit für ein Versorgungschaos sorgen. Neben Lieferengpässen müssen die Apothekenteams jetzt täglich den Frust der Patientinnen und Patienten auffangen, weil E-Rezepte nicht beliefert werden können. Das E-Rezept wurde eingeführt, um die Versorgung der Menschen schneller und sicherer zu machen. Stattdessen erleben die Menschen häufig eine deutliche Verschlechterung durch vermeidbare Wartezeiten. Daher rufen wir die Gematik und das Ministerium auf, das E-Rezept-System bis spätestens Ostern zu stabilisieren. Sollte das nicht gelingen, werden wir uns als Apothekerschaft auch gegenüber den anderen Leistungserbringer-Gruppen im Gesundheitswesen dafür aussprechen, in ein zeitweises Ersatzverfahren überzugehen, um langfristig das Vertrauen in digitale Lösungen zu erhalten.“
Expertise der Leistungserbringer stärker einbinden
Der DAV-Vorsitzende verlangt zudem, dass die Expertise der am System beteiligten Leistungserbringer stärker eingebunden wird: „Um das erst kürzlich flächendeckend ausgerollte System endlich fehlerfrei zu betreiben, muss umgehend nach Auftreten von relevanten Fehlern ein Krisenstab eingesetzt werden, in den unbedingt auch die Expertise der betroffenen Gruppen eingebunden werden muss.“
BMG und Gematik machen nächstes E-Rezept-Problem auf
Ungeachtet der vielen täglichen Probleme macht nun die Gematik schon das nächste E-Rezept-Thema auf – gegen die Empfehlung und Position der Leistungserbringerseite und der Krankenkassen. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) kritisiert den Beschluss der Gesellschafterversammlung der Gematik vom 14. März 2024 zum sogenannten „Card Link“-Verfahren. Mit diesem Verfahren sollen Patientinnen und Patienten ihre E-Rezepte über Apps von Drittanbietern einlösen können. Die KZBV und andere Gesellschaften hatten vor Unsicherheiten gewarnt, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) habe den „Card Link“ trotzdem durchgesetzt, kritisiert die KZBV.
Abgesenktes Sicherheitsniveau, weil Apps nicht zugelassen werden müssen
Grundsätzlich begrüßt die KZBV den neuen Einlöseweg für das E-Rezept, weil es einen weiteren volldigitalen Weg zur Einlösung von E-Rezepten ermöglicht. Deshalb hatte sich die KZBV ursprünglich für den „Card Link“ eingesetzt, nun aber gegen den Beschluss gestimmt, weil das Sicherheitsniveau abgesenkt worden ist. Denn anders als bei den bisherigen Einlösewegen, die hohen Sicherheitsanforderungen durch die Gematik unterliegen, müssen die Apps von Drittanbietern nicht zugelassen werden.
„Seit Jahren arbeiten wir daran, dass das E-Rezept hochsicher ist, nun soll der freie Markt Apps anbieten dürfen, ohne dass jemand kontrolliert, was mit den Verordnungsdaten passiert. Das ist ein Unding", erklärt Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der KZBV. Zwar seien die Zahnärztinnen und Zahnärzte nicht direkt vom Card-Link-Verfahren betroffen, allerdings könne das E-Rezept-System keine Zweifel an Sicherheit vertragen. Weder Patientinnen und Patienten noch Apothekerinnen und Apotheker könnten jedoch bewerten, ob die eingesetzten Apps sicher und zuverlässig sind, müssten aber jetzt die Verantwortung für die Nutzung übernehmen.
BMG setzt sich über Warnungen hinweg
Unverständnis zeigte Dr. Pochhammer auch für das Vorgehen des BMG: „Das BMG, das 51 Prozent der Anteile an der Gematik hält, hat trotz deutlicher Warnungen aller anderen Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung die technischen Vorgaben für dieses Verfahren durchgeboxt. Alle anderen Gesellschafter, also sowohl Leistungserbringer als auch Kostenträger, stimmten dagegen. Das zeigt, dass das Interesse des BMG an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung weiter schwindet.“
Scharfe Kritik auch von den Apothekern
Auch die Apotheker kritisieren den Beschluss scharf. Die Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening, warnt: „Das ‚Card Link-Verfahren‘ bringt für die Patientinnen und Patienten erhebliche Sicherheitsrisiken mit sich, wird das erst kürzlich ausgerollte E-Rezept-System angreifbarer machen und verbessert die Arzneimittelversorgung an keiner Stelle! Die in Deutschland sichere Arzneimittelversorgung darf nicht über unsichere Smartphone-Apps gefährdet werden. Dass das BMG in seinem selbst herbeigeführten Beschluss nun auch noch die Verantwortung für den neuen E-Rezept-Einlöseweg auf die Apotheken abwälzt, ist absolut inakzeptabel.“
Wie kritisch dieses neue Verfahren und die jetzt durchgedrückten technischen Spezifikationen gesehen werden, zeige sich darin, dass alle anderen Gesellschafter, also sowohl die Seite der Leistungserbringer als auch die Seite der Kostenträger, dagegen gestimmt haben. Das ist ein Novum“, heißt es in der ABDA-Meldung.
„Partikularinteressen vereinzelter Großkonzerne“
„Wenn es der Wunsch des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) ist, einen vierten Einlöseweg für E-Rezepte zu schaffen, dann muss dieser genauso sicher sein, wie das Einlösen mittels eGK, der Ausdruck des E-Rezeptes oder die sicheren Apps der Gematik beziehungsweises der Krankenkassen. Diese Anwendungen unterliegen besonders strengen Anforderungen der Gematik und werden durch diese zugelassen. Es ist den Patientinnen und Patienten unmöglich zuzumuten, bewerten zu können, welche Smartphone-Apps sicher sind und welche nicht. Dass das Ministerium nun in einer bemerkenswerten Abstimmung erstmals seine 51-Prozent-Mehrheit nutzt, um den Partikularinteressen vereinzelter Großkonzerne nachzukommen, schockiert uns“, so Overwiening.