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Dr. Uwe Axel Richter über ein Schnellschuss-Gesetz, dass zum Danaer-Geschenk werden könnte

(c) Andrei Metelev/Shutterstock.com

Die Entbudgetierung kommt, die Entbudgetierung kommt nicht, die Entbudgetierung … – ups, die Entbudgetierung steht ja vor der Tür! Die Geschichte der lange geforderten, schon fast greifbaren, dann in die Ferne gerückten und jetzt unerwartet doch noch kommenden Entbudgetierung für die Hausärzte klingt fast wie ein Märchen: Angeblich tief zerstrittene Ex-Koalitionäre der implodierten Ampelregierung raufen sich kurzfristig zusammen, um die mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) versprochene Entbudgetierung noch vor den Bundestagsneuwahlen am 23. Februar 2025 Gesetz werden zu lassen.

Da es mit Märchen und Träumen und der politischen Realität so eine Sache ist, halten wir es bis dahin mit der Regel von „Kaiser“ Franz Beckenbauer: „Schaun mer mal, dann sehn mer scho“ (und denken dabei an den uralten, aber immer noch genialen Sketch von Emil Steinberger zu den Schwierigkeiten, ein Flugzeug zu landen).

Doch der Reihe nach. Vor etwas über einer Woche, am 17. Januar 2025, verständigten sich die gesundheitspolitischen Berichterstatter der Ex-Koalitionäre überraschend darauf, die im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vorgesehene Entbudgetierung, genauer Teil-Entbudgetierung von 92 Prozent der hausärztlichen Leistungen, auf den allerletzten Metern der 20. Legislaturperiode doch noch bewerkstelligen zu wollen. Der notwendige Verfahrensablauf ist ungewöhnlich, zeigt aber andererseits, was bei einem kreativen Umgang mit parlamentarischen Verfahrensregeln alles so möglich ist.

Die Wahlkampf-Uhr tickt

Da die Zeit für ein Gesetzgebungsverfahren allerdings maximal knapp ist, muss zu einem Kniff gegriffen werden. Und der funktioniert so: Das bereits in erster Lesung behandelte GVSG wird bis auf die Entbudgetierung der Hausärzte plus drei weiterer Regelungen gestrippt, um die notwendige zweite Gesetzeslesung des GVSG samt Beschlussfassung im Parlament über die Bühne bringen zu können. Dieses soll noch bis Ende Januar erfolgen. Da jedoch Parlament wie auch Restregierung Karl Lauterbachs Last-minute-Gesetzesaktionen „gewohnt sind“, darf man davon ausgehen, dass den Exkoalitionären diese Hauruck-Aktion noch gelingen wird.

Neben der Entbudgetierung von rund 92 Prozent der hausärztlichen Leistungen sollen noch eine Jahrespauschale für Chroniker, Verbesserungen bei der Hilfsmittelversorgung von Menschen mit Behinderungen sowie die Verordnung von Notfallkontrazeptiva zu Lasten der Kassen für Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, mit dem Rumpf-GVSG geregelt werden.

Cui bono?

Ob diese in der Tat ungewöhnliche, weil aus dem erwartbaren Rahmen fallende politische Aktion ein Sieg für die Demokratie ist, möge jeder für sich selbst beurteilen. Viel interessanter ist doch die Frage, wem das Ganze nützen würde. Bei vordergründiger Betrachtung hat Karl Lauterbach, der selbsternannte, aber unvollendete „Reformator“ des Gesundheitswesens, seiner Aussage anlässlich des Neujahrsempfang der deutschen Ärzteschaft, das mit Hochdruck am GVSG gearbeitet würde, Taten folgen lassen. Da bekommt seine dortige Ankündigung, sich nach Wiederwahl direkt um die neue GOÄ kümmern zu wollen, gleich eine andere Bedeutungsschwere. Schließlich ist ja Wahlkampf.

Die Politik – kein Freund und Helfer

Für die ambulante ärztliche Versorgung ist angesichts der im Gesetz vorgegebenen Regelungen bereits klar: Die niedergelassene Ärzteschaft samt ihrer Selbstverwaltung wird – um es so zurückhaltend wie möglich zu formulieren – heftig durchgeschüttelt werden. Und das nicht nur, weil die (Teil-)Entbudgetierung lediglich den Hausärzten zugutekommt und die Fachärzte durch den Rost fallen lässt. Es wird auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in eine im Sinne der Kollegenschaft wie auch der Kollegialität nicht lösbare Situation bringen, solange die Gelder seitens der Kassen nicht fließen respektive das Budget erhöhen. Mithin ist es eine typisch Lauterbachsche Gesetzgebung: Sie ist nicht zu Ende gedacht. Die lange geforderte Entbudgetierung droht zum Danaer-Geschenk zu werden, das neue Probleme und Zwänge bringt.

HzV-System: Mehr offene neue Fragen als Lösungen

Ein weiteres Beispiel. Zur Verbesserung der Versorgung und vor allem Steuerung der Patienten im System soll mit dem GVSG eine Jahrespauschale für Chroniker nach dem Muster der selektivvertraglichen Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands eingeführt werden. Damit bewegt man sich bereits auf ein Primärarztsystem zu. Rein faktisch muss es dann auch ein Einschreibesystem geben, denn es kann nicht gleichzeitig mehrere „Lotsen“ (auch so ein tolles Wort) geben. Wenn eine solche Pauschale aber nur einmal pro Patient und Jahr gezahlt wird, was passiert, wenn der Patient – aus welchen Gründen auch immer – eine weitere Praxis aufsucht? Es soll ja sowas wie Ortswechsel geben. Muss dann der erste Behandler die Pauschale anteilig an den Zweitbehandler zahlen? Und was wird aus dem Recht auf freie Arztwahl?

Noch mehr Belastung für Kassen und Beitragszahler

Lassen wir es an dieser Stelle dabei bewenden. Denn auch das Krankenkassenlager ist ob der kolportierten zusätzlichen Belastung von rund 300 Millionen Euro pro Jahr alles andere als „amused“. Schließlich müssen gleichzeitig auch wesentlich höhere Belastungen wie zum Beispiel die jährlichen 2,5 Milliarden Euro für den Krankenhaus-Transformationsfonds gestemmt werden. Da werden dann wohl weitere Beitragserhöhungen fällig, die ohne jedweden erlebbaren Vorteil von den Versicherten zu stemmen sein werden. Eine Konstellation, die in der Öffentlichkeit primär den Leistungserbringern auf die Füße fallen wird, führt doch das Thema Arzttermine und Wartezeiten vor dem Hintergrund eines sich ausdünnenden Praxisnetzes schnell zu sozialen Sprengstoff.

Politik sorgt für Löcher in den Kassen statt zufriedene Patienten

Damit führt Lauterbachs ausgabenfixierte Gesetzgebung genau zum Gegenteil dessen, was alle Parteien in der Gesundheitspolitik permanent vorgeben erreichen zu wollen: zufriedene Patienten. Dazu gehört allerdings noch eine weitere, essenzielle Wahrheit: Trotz jetzt schon erheblicher Beitragssatzsteigerungen ist das Ende noch nicht erreicht, weil sich der Staat in geradezu unverschämter Weise aus den Krankenkassenbeiträgen bedient. Nur ein Beispiel: Die versicherungsfremden Leistungen, die ein Defizit von gut zehn Milliarden Euro für die Kassen und damit alle am System Beteiligten reißen. Hinzu muss man auch den Transformationsfond zählen, der die Betragszahler für die kommenden zehn Jahre projektierte 25 Milliarden Euro kosten wird. Die Vorsitzende des Bundesverbands der Ersatzkassen, Ulrike Elsner, bezeichnete bereits Anfang des letzten Jahres das Ergebnis des steten politischen Zugriffs auf Versichertenbeiträge der GKV als „Nebenhaushalt der Bundesregierung“.

Gegenwind der Kassen trifft die Ärzteschaft

Für die Ärzteschaft bedeutet diese Konstellation angesichts der vorgenannten Summen einen überproportionalen Gegenwind von Kassenseite. 300 Millionen Euro mehr Honoraraufwand sind zwar kein „Lercherlschaas“, aber noch nicht einmal 2,5 Prozent der systemwidrig von der Politik abgegriffenen Gelder. Die Forderung nach spürbaren Verbesserungen der Versorgung für die Patienten als Gegenleistung für die angeblichen Einkommensverbesserungen der niedergelassenen Hausärzte wird, ob berechtigt oder nicht, seitens der Kassen spürbar an Lautstärke zunehmen.

Behandlung durch Kassen und Politik ist ungerecht und erniedrigend

Doch zurück zum Thema Entbudgetierung und einigen grundsätzlichen Gedanken dazu. Das Wort hat in den Ohren der Vertragszahnärzte, -ärzte und Apotheker, gerne auch Leistungserbringer genannt, einen besonderen Klang: Verspricht es doch gerechte (=vereinbarte) Bezahlung im Sinne von Wertschätzung der erbrachten Leistung wie auch Akzeptanz des Berufsstands. Bei denen, die Leistung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, kurz SGB V, erbringen, hat die Titulierung als „Leistungserbringer“ – statt Zahnärztin, Arzt oder Apothekerin – keinen guten Klang, weil sie das Entscheidende der Berufe ausblendet, das diese aber auszeichnet: die Menschlichkeit, die Fürsorge, für kranke Menschen da zu sein. Dass Kassen und Politik bis heute (und sicher auch in Zukunft) nicht nachvollziehen können, was es bedeutet, wenn die Honorierung vollumfänglich erbrachter Leistungen einfach weggekürzt wird, ist für die Betroffenen nicht nur ungerecht, sondern auch erniedrigend.

Friss oder stirb

Aber warum wird das seitens der Heilberufler so empfunden? Weil von vornherein klar ist, dass die Ursache der Leistungsinanspruchnahme – oder besser deren Abforderung – durch Einnahmen nicht gedeckte „All you can eat“-Leistungsversprechen seitens Politik und gesetzlicher Krankenkassen ist. Und das ganze Spiel nur deshalb funktioniert, weil es sich bei Vertragszahnärztinnen/-zahnärzten, Ärztinnen/Ärzten und Apothekerinnen/Apothekern um Menschen mit hohem Ethos und Verantwortungsgefühl gegenüber „ihren“ Patienten handelt, die zudem Selbstständige – also Unternehmer – sind und eben nicht Angestellte. Die jetzige Generation junger Heilberufler, ob männlich oder weiblich, weiß das, nur unsere Politiker und Kassenfunktionäre nicht. Ganz abgesehen von denen, die lieber ins Ausland gehen, weil sie sich dieses System nicht weiter antun wollen. Es ist eben nicht verwunderlich, wenn der Nachwuchs für die entstehenden Lücken in der ambulanten Versorgung stockt. Es ist seit Darwin ein bekanntes „Naturgesetz“: Was keinen Vorteil bringt, wird nicht gemacht.

Nur ein Traum: Budgetierung bei Kassenvorständen

Man stelle sich nur einmal vor, was in den Verwaltungen der Kassen und bei deren Vorständen, die vor den Computern in ihren Büros sitzen, los wäre, wenn auf den Fluren der Ruf erschallt: „Das Geld ist alle! Die Gehälter müssen für den Rest des Jahres bei voller Abforderung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung gekürzt werden“. Das wird nicht passieren, dagegen stehen die Gesetzeslage und die geschlossenen Verträge. Für diese gilt halt nicht das SGB V, bei dem die mit den Selbstverwaltungen vereinbarten Zahlungen, das Budget, mit befreiender Wirkung gezahlt werden.

Von 70 auf 92, nicht auf 100+

An dieser Stelle macht die Entbudgetierung tatsächlich eine neue Tür auf, da die Kassen mit dem GSVG zur Bereitstellung zusätzlicher Mittel verpflichtet werden. Es ist allerdings ein Irrglaube, dass diese zu Mehrumsätzen führen. Es entfällt lediglich der unfreiwillige und rückwirkende Zwangsrabatt auf die real erbrachte Leistung. Mehrumsätze gibt es nur, wenn die Preise steigen oder aber mehr Patienten behandelt werden. Wie realistisch letzteres in der heutigen Versorgungssituation ist, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten Praxis

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