Der Bundeskanzler Olaf Scholz hat Post bekommen von den niedergelassenen Ärzten, Zahnärzten und Apothekern. Die Spitzen von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV), Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV) und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) bitten den Kanzler in ihrem Schreiben vom 31. Oktober 2023, für den Erhalt der wohnortnahen ambulanten Versorgung im Gesundheitswesen zu sorgen.
„Bitte lassen Sie nicht zu, dass unser von den freien Heilberufen getragenes Gesundheitswesen mit seiner wohnortnahen, den Menschen vertrauten ambulanten Versorgung zur Disposition gestellt wird. Bitte sorgen Sie für den Erhalt der wohnortnahen, verlässlichen und vertrauten Gesundheitsversorgung durch ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Praxen sowie Apotheken“, heißt es am Schluss des Briefes, in dem sie die aktuelle Situation und die befürchteten Entwicklungen beschreiben.
Selbstverwaltung beschnitten und in staatlich gelenktes System umgebaut
Bereits am 19. Oktober hatten sich die drei Spitzengruppierungen bei einer Pressekonferenz auf Einladung der Bundespressekonferenz in Berlin zur gefährdeten ambulanten Versorgung an Bundeskanzler Olaf Scholz gewendet und ihn um Hilfe gebeten. In ihrer Beschreibung der aktuellen Situation – die in einer Zeit zunehmender Unsicherheit bewährte und verlässliche Strukturen gefährde, auf die die Menschen vertrauten – heißt es im Brief: „Die Praxen der Niedergelassenen ersticken in Bürokratie, werden finanziell unzureichend ausgestattet und mit nicht ausgereiften Digitalisierungspflichten gelähmt – mit gravierenden Folgen im Sinne eines eklatanten Fachkräftemangels, sowohl was den medizinischen Nachwuchs betrifft als auch die in ärztlichen und zahnärztlichen Praxisteams tätigen Medizinischen Fachangestellten.“ Die Selbstverwaltung als tragende Säule des Gesundheitswesens werde in ihren Handlungsspielräumen zunehmend beschnitten und in ein staatlich gelenktes System umgebaut.
Lauterbachs Poltiik setzt freiberufliche Struktur aufs Spiel
Mit dieser Gesundheitspolitik werde nicht nur ein bewährtes und über Jahrzehnte stabiles Gesundheitssystem gefährdet. „Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgegebene Gesundheitspolitik setzt auch eine mittelständisch geprägte, freiberufliche Struktur aufs Spiel, die für rund eine Million wohnortnahe Arbeitsplätze steht und einen – gerade in diesen Krisenzeiten – so wichtigen Stabilitätsfaktor bildet. Tatsächlich läuft diese Gesundheitspolitik darauf hinaus, dass zunehmend Leistungskürzungen entstehen und die vertraute ambulante Versorgung, die die Praxen und Apotheken derzeit noch stemmen, zunehmend zerstört wird“, schreiben KBV, KZBV und ABDA an den Bundeskanzler.
Berichterstattung in der „Bild“
Auch die „Bild-Zeitung“ griff den Brief auf und verbreitete die Sorgen der freien Heilberufe aufmerksamkeitsstark „Wut-Brief gegen Lauterbach!“ In seinem Statement gegenüber der „Bild-Zeitung“ reagierte Lauterbach wie erwartet: „Bundesgesundheitsminister Lauterbach hält in BILD dagegen: „Es ist das gute Recht von Lobbygruppen, sich mit ihren Forderungen direkt an den Bundeskanzler zu wenden. In den vergangenen Legislaturperioden wurde das Fehlen von Reformen mit Geld zugekleistert. Unser Gesundheitssystem ist sehr teuer. Trotzdem ist die Lebenserwartung eher gering.“ Lauterbach bemängelt ein 17-Milliarden-Euro-Defizit im Gesundheitssystem, das ausgeglichen werden muss. Jetzt stünden die notwendigen Strukturreformen an“, heißt es im Beitrag.
KBV-Spitze am 1. November bei Lauterbach
Bereits am 1. November traf sich Lauterbach dann mit der KBV-Spitze um Dr. Andreas Gassen und kommentierte das Treffen auf „X“. Es sei ein gutes Gespräch zu Entbürokratisierung in den Praxen, Digitalisierung und Nachwuchsmangel gewesen. „Nicht in jedem Punkt einer Meinung. Aber einiges greifen wir auf. Die Bedingungen für die Praxisärzte müssen besser werden.“ Die KBV meldete dazu „Der Minister hat angekündigt, zeitnah handeln zu wollen“. Und „Den Ankündigungen müssen jetzt rasch Taten folgen, gegen den #Praxenkollaps!“, heißt es auf „X“.
„Der Minister stellte in Aussicht, einige Punkte angehen zu wollen“
In den „KBV-Praxisnachrichten“ heißt es zum Gespräch: „Der Minister stellte in Aussicht, einige der vorgetragenen Punkte angehen zu wollen. Dazu zählen die Entbürokratisierung in den Praxen, die hausärztliche Entbudgetierung, eine bessere Digitalisierung und die Abwehr der Regressgefahr. Zum Thema Ambulantisierung beziehungsweise Hybrid-DRG wurden weitere Gespräche vereinbart.“
„Jetzt müssen den Ankündigungen des Ministers schnell Taten folgen. Nur durch rasches Handeln lässt sich der drohende Praxenkollaps verhindern und die von den Menschen in diesem Land geschätzte wohnortnahe und qualitativ hochwertige ambulante Versorgung sichern“, betonten die KBV-Vorstände Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner nach dem Gespräch. „Wir werden den Minister beim Wort nehmen!“
Vertreterversammlung der KZBV wird beraten
Für die Zahnärzteschaft wird die Vertreterversammlung der KZBV am 8. und 9. November 2023 in Bonn die Folgen der Lauterbachschen Politik und die gemeinsamen Aktionen mit KBV und ABDA und den Brief diskutieren. Für die Zahnärzteschaft wird vor allem der Evaluierungsbericht des Bundesgesundheitsministeriums zu den Auswirkungen der Budgetierung nach dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf die Parodontitisbehandlung eine Rolle spielen. Die KZBV hatte dazu bereits Ende September 2023 gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie ihre eigene Evaluierung vorgelegt, die einen deutlichen Rückgang der beantragten PAR-Behandlungen unter das Niveau des 1. Halbjahrs 2021 zeigt.