Aufbruchsstimmung herrschte am vergangenen Freitag und Samstag in Karlsruhe bei den 166 gemeldeten Delegierten der Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) – und das nicht nur wegen der wieder möglichen Präsenzveranstaltung. Berichte, Vorträge, Anträge, Diskussion – auch bei „alten“ Themen wie der Gebührenordnung für Zahnärzte gab es Neues, Konstruktives und Innovatives.
Den Auftakt machte erneut ein per Video übermitteltes Grußwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Gesundheit, Dr. Thomas Gebhart, der sich erneut für die gute, konstruktive und fruchtbare Zusammenarbeit mit dem alten Geschäftsführenden Vorstand (GV) der BZÄK und das große Engagement der Zahnärzteschaft in der Pandemie, für die Prävention und die Gesundheit der Bevölkerung bedankte, Stichwort neue Par-Richtlinie. Dem neuen GV wünschte er für die politische Arbeit mit einer neuen Bundesregierung alles Gute. Die Zahnärzte seinen fachlich und politisch dafür gut aufgestellt.
Einordnung der aktuellen gesundheitspolitischen Situation
Foto: BZÄK/Tobias Koch
Deutschland stehe politisch wohl vor einem Neuanfang. Der grobe gesundheitspolitische Fahrplan des Sondierungspapiers einer möglichen Ampelkoalition beinhalte ein Bekenntnis zum dualen Gesundheitssystem aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung, eine Bürgerversicherung sei vom Tisch – Elemente daraus aber, zum Beispiel beim Thema Honorarordnungen/Vergütung, jedoch nicht. Positiv stimme, dass die Ampelkoalitionäre Prävention und Vorsorge zum Leitprinzip ihrer Gesundheitspolitik erklärt hätten – hier könnten die Zahnärzte mit Erreichtem und neuen Konzepten für die besonders vulnerablen Patientengruppen punkten. Auf einen Neuanfang hoffe man auch bei den Themen Bürokratieflut und Digitalisierung.
Steigender Anteil der iMVZ bei neuen MVZ
Eßer hob in seiner Rede auf die von der KZBV Ende vergangener Woche veröffentlichten Forderungen an die Koalitionsverhandlungspartner ab. Ein großes Manko sei die fortgesetzte Beschneidung der Spielräume der Freiberuflichkeit und der Selbstverwaltung. Ein weiterer wunder Punkt sei die rasch fortschreitende Kommerzialisierung der ambulanten zahnärztlichen Versorgung. 2020 sei der Anteil der von Fremdinvestoren betriebenen zahnmedizinischen Versorgungszentren auf 23 Prozent unter allen Z-MVZ gestiegen. Im ersten Halbjahr seien 40 Prozent der neuen MVZ bereits iMVZ gewesen. Es laufe ein schleichender Umbau der ambulanten Versorgung. Die Folgen seien in der Medizin schon zu beobachten. Ziel müsse es sein, diesen Wildwuchs zu beenden und zumindest Transparenz durch ein Register zu schaffen.
Dr. Peter Engel einstimmig zum Ehrenpräsidenten ernannt
Vor die Standortbestimmung in den Berichten des GV hatte das Protokoll unter anderem die Ehrungen gesetzt. Dr. Peter Engel, von November 2008 bis Juni 2021 Präsident der BZÄK, wurde ebenso wie Dr. Helmut Pfeffer, früherer Vizepräsident der Zahnärztekammer Hamburg und langjähriger Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Zahnärzte, unter langanhaltendem Beifall mit der Goldenen Ehrennadel der deutschen Zahnärzte ausgezeichnet. Im Verlauf der Versammlung ernannten die Delegierten Engel zudem einstimmig zum Ehrenpräsidenten der BZÄK.
Foto: BZÄK/Tobias Koch
Benz positionierte sich klar gegen Fremdkapital in der ambulanten Versorgung. „Wir brauchen keine Investoren“. Ebenso deutlich äußerte er sich zu gewerblichen Aligner-Anbietern – Themen, die von Laffert noch einmal ausführlicher darstellte: Mit den Fremdinvestoren fließe Geld aus dem deutschen Gesundheitssystem ab, denn mehr als 75 Prozent der Fremdkapitalinvestoren hätten ihren steuerlichen Sitz nicht in Deutschland, sondern in Steueroasen, erläuterte von Laffert.
Der Zulauf, der durch diese Aligner-Angebote auch für die Praxen der Zahnärzte und Kieferorthopäden komme, sei zwar erfreulich und zeuge von einem hohen Interesse bei den Patienten, so Benz. Die Behandlung gehöre aber klar in die zahnärztlich-kieferorthopädische Hand, bekräftigte er auch nach Intervention aus den Reihen der Delegierten. Benz betonte zudem den Wandel in der Zahnmedizin durch den gewandelten Versorgungsbedarf, wie er auch im Positionspapier Perspektive Mundgesundheit 2030 beschrieben ist.
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Reputation des Berufsstands
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Zu Ermlers Themen gehörte auch die GOZ. Eine angemessene Honorierung sei auch eine Frage der Wertschätzung. Heute müsse eine Praxis im Schnitt 326 Euro für die Behandlungsstunde erwirtschaften, um kostendeckend und wirtschaftlich arbeiten zu können. Die Politik müsse sich nicht nur beim Punktwert endlich bewegen. Eine weitere Baustelle sei die Telematik: Die Zahnmedizin wolle die Digitalisierung – aber mit Vernunft. Sie warnte vor falschem Aktionismus. „Tempo allein hilft nicht. Das Bundesgesundheitsministerium hat hier schwere Fehler gemacht“, so Ermler. Die Zahnärzte wollten in die Planungen neuer Anwendungen und Schritte einbezogen werden. Die Digitalisierung solle auch für die Zahnärzte eine Erfolgsgeschichte werden – „und ich hoffe, das wird sie noch“.
Probleme bei Anerkennung ausländischer Abschlüsse
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Hünecke sprach zwei weitere kritische Punkte an: Nationale Sonderregelungen in EU-Ländern, in denen auch deutschsprachige Zahnmedizin-Studiengänge angeboten werden, die dann eine Anerkennung der Studienabschlüsse in Deutschland unmöglich machten. Und die auf zwei Jahre befristete Erlaubnis für Zahnärzte aus Ländern außerhalb der EU, unter Aufsicht auch ohne Anerkennung der Approbation in Deutschland arbeiten zu dürfen. Von dieser Möglichkeit werde, so die Beobachtung der Kammern, vor allem in Z-MVZ Gebrauch gemacht. Es dürfe nicht sein, dass ausländische Zahnärztinnen und Zahnärzte in Z-MVZ in größerer Zahl unter Ausnutzung dieser Regelung unter Aufsicht nur eines zahnärztlichen Leiters in der Patientenversorgung eingesetzt würden.
Neue ZFA-Ausbildungsordnung kommt 2022
Thema Fachpersonal: Zum 1. August 2022 wird, wenn alle Prozesse jetzt weiter so erfolgreich laufen, eine neue Ausbildungsordnung zum/zur Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA) in Kraft treten. Der niedersächsische Kammerpräsident Henner Buncke, D.M.D./Univ. of Florida, berichtete über den Sachstand und kündigte an, dass die Kammern den Zahnarztpraxen dann Hilfestellungen für die Anwendung der neuen Ausbildungsordnung zur Verfügung stellen wollen. Der vom hessischen Kammervizepräsidenten Dr. Wolfgang Klenner im Anschluss bestens erläuterte Haushalt wurde von den Delegierten abgesegnet.
GOZ-Diskussionen nehmen breiteren Raum ein
In der Diskussion und Beratung der Berichte und der vorliegenden Anträge nahmen vor allem die GOZ-Anträge den größten Raum ein. Die von FVDZ-Delegierten federführend durch den neuen Vizepräsidenten der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Peter Bührens, eingebrachten Anträge wurden nach intensiver Diskussion auf Antrag der Antragsteller selbst an den neuen GOZ-Ausschuss überwiesen. Die Diskussion hatte unter anderem darauf abgehoben, nicht mit einem Klein-Klein von Einzelforderungen bei diesem entscheidenden Thema an die Politik heranzutreten.
„Karlsruher Erklärung“
„Die Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer stellt fest, dass der Verordnungsgeber auch in der letzten Legislaturperiode seiner gesetzlich vorgegebenen Verpflichtung zu einer Anpassung des seit 33 Jahren unveränderten Punktwerts in der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) wieder nicht nachgekommen ist.
Die Bundesversammlung fordert die künftige Bundesregierung auf, diesen gesetzlichen Auftrag endlich zu erfüllen. Die gesetzliche Verpflichtung für die längst überfällige Punktwertanhebung lautet: „Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Entgelte für zahnärztliche Tätigkeit in einer Gebührenordnung zu regeln. In dieser Gebührenordnung sind Mindest- und Höchstsätze für die zahnärztlichen Leistungen festzusetzen. Dabei ist den berechtigten Interessen der Zahnärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen (§ 15 Zahnheilkundegesetz)“.
Damit soll sichergestellt werden, dass auf gesetzlicher Grundlage die Vergütung sowohl dem Allgemeinwohl als auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss und die Leistungen der Zahnärzte ausreichend vergütet werden. Es ist also der Ausgleich notwendig zwischen den widerstrebenden Interessen der Patienten, kein zu hohes Entgelt entrichten zu müssen, und den berechtigten Interessen der Zahnärzte, ein angemessenes Honorar für ihre Aufwände, also eine leistungsgerechte Honorierung, zu erhalten.
Zugleich fordert die Bundesversammlung die Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland auf, unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die bestehenden Möglichkeiten der GOZ unter konsequenter Anwendung des Paragrafen 2 (Freie Vereinbarung), des Paragraphen 5 (Bemessung der Gebühren) und des Paragrafen 6 Abs. 1 (Analogleistungen) auszuschöpfen.“
Mit vier Enthaltungen angenommen.
Foto: BZÄK/Tobias Koch
Die vom bayerischen Kammerpräsidenten Christian Berger vorgestellte „Karlsruher Erklärung“ wurde ebenfalls intensiv diskutiert. Ein wichtiger Aspekt der Diskussion war die Frage, inwieweit den Zahnärztinnen und Zahnärzten vonseiten der Kammern und zahnärztlichen Verbänden mehr Hilfestellungen an die Hand gegeben werden können, die Spielräume der aktuellen GOZ in der Praxis besser zu nutzen. Ohne diese Nutzung, die der GOZ-Analyse zufolge noch nicht in der Breite erfolge, gebe es wenig Chancen, in der Politik erfolgreich auf Änderungen zu dringen. Hintergrund ist die Begründung, mit der 2013 eine Klage gegen die neue GOZ vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt wurde. Danach müssten die Zahnärzte erst die in der GOZ gegebenen Möglichkeiten für eine adäquate Honorierung ihrer Leistungen ausgeschöpft haben – in erster Linie die Paragrafen 2, 5 und 6.
Aufbruch und neue Töne in Karlsruhe
Ein Kommentar von Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin Quintessence NewsDiese Bundesversammlung hob sich erfreulich von denen der vergangenen Jahre ab, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle noch etwas geruckelt hat. Frischer, näher an den Kollegen, mehr für die Praxis, mehr Selbstbewusstsein als ZahnMediziner.
Der neue Geschäftsführende Vorstand hat es in seinen ersten 147 Tagen offensichtlich geschafft, nicht nur für sich selbst eine gute Arbeitsbasis zu finden, sondern auch im gesamten Vorstand – das sind alle Kammerpräsidenten der Länderkammern – und mit den neuen Ausschüssen Themen gut zu besetzen und eine positive Aufbruchs- und Arbeitsstimmung zu erzeugen. Es sind auch mehr Frauen und jüngere Kolleginnen und Kollegen in die Arbeit eingebunden.
Und der GV hat sich auf die Fahnen geschrieben, an die Basis zu gehen, diese Erdung sei ihnen sehr wichtig, so der BZÄK-Präsident Christoph Benz. „Wir kommen, wann immer es geht“. Also laden Sie Ihre Präsidenten doch einfach mal ein!
„Wir müssen größer denken, wir müssen weiter denken“, so ein weiteres Credo des BZÄK-Präsidenten – ein Appell an die Delegierten und die gesamte Kollegenschaft. Das gilt für die gemeinsame Zukunftswerkstatt zur Berufsausübung 2035, in der junge Kolleginnen und Kollegen ihre Ideen für die Zahnärzteschaft auch jenseits alter Glaubenssätze formulieren sollen.Und es gilt insbesondere für die Diskussion um die Honorare und die Gebührenordnung. Der GOZ-Strategieausschuss ist ein guter Ansatz – weg von den immer gleichen Anträgen und Forderungen hin zu konstruktiver Auseinandersetzung mit dem Ist, mit dem Bedarf der Praxen und den Gestaltungsmöglichkeiten mit den Kostenerstattern und der Politik. Die Diskussion zur GOZ hat auf dieser BV einen erfreulichen Aufschwung erfahren, da habe ich seit 2008 ganz anderes erlebt. Die „Karlsruher Erklärung“ ist dafür ein wichtiger Meilenstein.
Allerdings darf man gespannt sein, wie es der Geschäftsführende Vorstand im Gespräch mit der Politik einerseits und den Ministern und der Ministerialbürokratie, den Juristen, Gesundheitsökonomen und Betriebswirten bei Kassen und Kostenerstattern andererseits hinbekommt, den jeweils notwendigen und passenden Tenor zu finden. In der Politik darf und muss es „menscheln“, damit hat der neue GV schon punkten können. Gegenüber der Ministerialbürokratie, in Stellungnahmen etc. besser nicht. Da muss es vor allem inhaltlich und juristisch sitzen.
Dem alten GV unter dem neuen Ehrenpräsidenten Dr. Peter Engel war es seit 2008 gelungen, den unter Dr. Dr. Jürgen Weitkamp begonnenen Weg der Professionalisierung in der politischen Arbeit der BZÄK erfolgreich fortzuführen. Nicht zuletzt deshalb haben sie erreicht, was sie erreicht haben – in der GOZ-Novellierung, beim AuB-Konzept, der Early Childhood Caries, in der Prävention, bei der Approbationsordnung, auch auf europäischer Ebene – gemeinsam mit der Wissenschaft und mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Der Preis dafür war das gefühlte sich Entfernen von der Basis, das Gefälle schon in der Sprache.
Der neue GV will und muss nun den Spagat leisten, beides wieder zu verbinden, um mit seinen Themen im Berufsstand und in der Politik anzukommen – und das in einer Phase des gravierenden Wandels in der ZahnMedizin. Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls personell, im „Mindset“ und in den jetzt schon sichtbar gewordenen neuen Aktivitäten gut. Mögen sie erfolgreich durch die Mühen der Ebenen tragen.
Am Ende dieser BV standen wenige, aber inhaltsreiche und einstimmig oder mit sehr großen Mehrheiten getragene politische Beschlüsse. Vor allem die Resolution „Das deutsche Gesundheitssystem nach der Bundestagswahl“ und die „Karlsruher Erklärung“ zur GOZ sind für die Arbeit der Bundeszahnärztekammer nach innen und außen wichtige Grundlagen. Alle politischen Beschlüsse sind auf der Internetseite der BZÄK zum Download eingestellt.
Dr. Marion Marschall, Berlin