Im Rahmen des Botschafter:innen-Programms besucht der Berufsverband zahnmedizinischer Fachkräfte in der Prävention (BVZP) Berufsschulen in ganz Deutschland, um dem zahnmedizinischen Nachwuchs alle Perspektiven ihres Berufes aufzuzeigen. Und die Botschafterinnen und Botschafter erklären, welche Förder- und Gehaltsmöglichkeiten den Azubis offenstehen. Der Grund: Je besser der Nachwuchs über die beruflichen Möglichkeiten informiert ist, desto eher bleiben sie ihrem Beruf treu. Denn die aktuelle Absprungrate ist erschreckend hoch. BVZP-Botschafterin Heidrun Moser fasst ihre Besuche in den Berufsschulen für den BVZP zusammen und gibt damit den Schülerinnen und Schüler eine Stimme.
Es besteht erheblicher Nachholbedarf
Seit einem Jahr bin ich für den BVZP als Botschafterin in mehreren Berufsschulen im südlichen und mittleren Baden-Württemberg unterwegs gewesen. Meine Mission ist es unter anderem, den Schülerinnen und Schülern die Attraktivität unseres Berufs mit den verschiedenen Fortbildungsmöglichkeiten sowie den dazugehörenden Gehaltsperspektiven darzulegen. Dabei ist es manchmal durchaus erschreckend, was mir seitens der Schülerinnen und Schüler berichtet wird. Daher habe ich die Gelegenheit genutzt und die Aussagen der Azubis in diesem Artikel zusammengefasst, um so aufzuzeigen, wo noch erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht.
50 Prozent wollen Branche wechseln
Während dieser wirklich interessanten Gespräche kam immer wieder heraus, dass mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler darüber nachdenkt, im Anschluss an ihre Abschlussprüfung die Branche zu wechseln.
Traurige Gewissheit: Es handelt sich hierbei nicht nur um ein regionales Problem in Baden-Württemberg, sondern trifft auf den Nachwuchs in ganz Deutschland zu. Der am meisten genannte Grund: Die geringe Wertschätzung der Arbeitgeber gegenüber ihren Auszubildenden. Dies spiegelt sich beispielsweise in den vielen unbezahlten Überstunden wider, kleine Pausen werden nicht zugestanden und auch ein angemessener Lohn ist oft Fehlanzeige. Viele Auszubildende werden eingeschüchtert oder sogar angeschrien, wenn ihnen Fehler passieren. So kann keine Freude am Beruf aufkommen.
Körperliche Beschwerden schon in jungen Jahren
Ein weiterer Punkt, weshalb der Beruf nicht weitergeführt wird: Viele der Schülerinnen und Schüler klagen bereits während der Ausbildung über massive Rückenbeschwerden. Denn nicht selten vernachlässigen es die Arbeitgeber, an einen ergonomischen Arbeitsplatz für ihre Assistenzen zu denken. So stehen viele Azubis den ganzen Tag am Behandlungsstuhl oder müssen in gebückter Haltung assistieren. Eine enorme körperliche Belastung – auch für junge Menschen. Es wäre wichtig, dass im gesamten Team auf eine richtige Ergonomie geachtet wird, um gesundheitliche Probleme langfristig zu vermeiden.
Azubis fühlen sich überfordert
Viele Auszubildende berichteten mir auch davon, dass sie oft Arbeiten an den Patienten übernehmen müssen, die sie gemäß ihrem aktuellen Ausbildungsstand noch nicht ausführen dürften. Sie fühlen sich unsicher und möchten diese Verantwortung nicht übernehmen. Sprechen sie das an, werden sie nicht ernst genommen. Die meisten jedoch trauen sich erst gar nicht, „Nein“ zu sagen.
So werden von den Auszubildenden Röntgenbilder angefertigt, Provisorien hergestellt, Zahnstein entfernt oder sogar die komplette Prophylaxe-Behandlung ausgeführt. Ein Zustand, der vollkommen verantwortungslos ist. Viele der Schülerinnen und Schüler wissen noch nicht einmal, dass sie sich damit – zusammen mit dem Arbeitgeber – strafbar machen. Denn diese Leistungen sind gemäß aktuell gültigem Zahnheilkundegesetz nicht an Auszubildende delegierbar!
Kein Tarifvertrag in Baden-Württemberg
Ein großes Problem ist auch der fehlende Tarifvertrag in Baden-Württemberg. Es existieren lediglich Vergütungsempfehlungen. Diese sind in den vergangenen Jahren zwar immer wieder angehoben worden, aber viele Arbeitgeber halten sich nicht daran. Die Folge: Das Gehalt unter den Auszubildenden ist weder einheitlich noch entspricht es dem Durchschnitt.
Im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen verdient der zahnmedizinische Nachwuchs sehr wenig. Die Crux: Die finanzielle Situation wird auch mit dem erfolgreichen Abschluss nicht besser. Das Gehalt reicht meistens nicht aus, um sich ein eigenständiges Leben zu finanzieren.
Mehr Selbstbewusstsein für den Nachwuchs dringend nötig
Aus diesen Gründen liegt es mir besonders am Herzen, den Schülerinnen und Schülern den Rücken zu stärken und ihnen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen. Denn ich bin davon überzeugt, dass eine gute Leistung bereits in der Ausbildungszeit angemessen bezahlt werden sollte. Wer bereits an seinen Auszubildenden spart, ist für den Fachkräftemangel mitverantwortlich. Es ist für Zahnärzte schlicht nicht möglich, ihre Praxis alleine zu führen. Wir sind alle auf einander angewiesen. Das sollte allen bewusster gemacht werden.
Mir ist es ebenfalls wichtig, den Schülerinnen und Schülern klarzumachen, dass sie ihren eigenen „Marktwert“ mit jeder absolvierten Aufstiegsfortbildung deutlich steigern und so ein wirklich gutes Gehalt möglich wird.
Gegenseitiger Respekt ist wichtig
Mein Appell richtet sich vor allem an die Zahnärztinnen und Zahnärzte: Alle Angestellten sollten mit Respekt behandeln werden. Das fängt bereits bei den Auszubildenden an, denn sie sind unsere Zukunft!
Wer seine Auszubildenden von Beginn an fördert und nicht überfordert, sorgt für Loyalität unter den Mitarbeitern. Dann kommen sie gerne zur Arbeit und tragen so zum Praxiserfolg bei. Auch eine angemessene Vergütung ist wichtig. Überstunden müssen rechtskonform sein. Denn es darf nicht vergessen werden, dass die elektronische Arbeitszeiterfassung seit diesem Jahr Pflicht ist. Ermöglicht eurem Personal Aufstiegsfortbildungen und sorgt im Anschluss für eine angemessene Vergütung. Schließlich sorgen motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gerne zur Arbeit kommen und erfolgreich in ihrem Job sind, für eine positive Stimmung – und das überträgt sich garantiert auch auf die Patienten. Das ist das beste Investment in eure Praxen!
Dieser Beitrag erschien im BVZP-E-Paper 3/2024unter der Überschrift „Hohe Absprungrate nach der Ausbildung“.