Die Deutschen fühlen sich so gestresst wie nie: Eine Mehrheit der Deutschen (58 Prozent) hat sich im vergangenen Jahr mindestens einmal so gestresst gefühlt, dass es sich auf das tägliche Leben ausgewirkt hat. Bei einem Drittel (32 Prozent) wurde der Alltag in den vergangenen zwölf Monaten gleich mehrmals negativ durch Stress beeinflusst. Das ist das Ergebnis einer Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos.
Die Hälfte der Befragten (49 Prozent) hat sogar mindestens einmal ein so hohes Stresslevel verspürt, dass sie das Gefühl hatten, die Anforderungen des Lebens nicht mehr bewältigen zu können. Mehr als jeder Dritte (36 Prozent) berichtet außerdem von so schwerwiegenden Stressbelastungen, dass er für einen bestimmten Zeitraum im vergangenen Jahr nicht zur Arbeit gehen konnte.
Gefühl der Überforderung und Bedürfnis nach Auszeit
Die heutige Arbeitswelt ist geprägt von einem immer häufigeren und schnelleren Gefühl der Überforderung und dem Bedürfnis nach einer Auszeit. Doch wie real ist dieser Stress wirklich? Professor Dr. Volker Busch, renommierter Neurowissenschaftler und Arzt, klärt auf und entlarvt gängige Mythen rund um das Thema Stress. Er betont: die gefühlte Belastung ist oft größer, weil wir heute anders über Stress sprechen. Seine These: Stress ist weit weniger gefährlich als oft angenommen.
Busch weist darauf hin, dass Stress keineswegs ausschließlich negativ ist. Stress werde erst dann krankhaft, wenn er chronifiziert oder extremen Belastungen ausgesetzt ist. Die Angst vor den vermeintlichen Folgen spielt hierbei eine entscheidende Rolle: „Stress ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens und nicht zwangsläufig gesundheitsschädlich. Die Vorstellung, Stress müsse um jeden Preis vermieden werden, ist irreführend und kann sogar kontraproduktiv sein.“
Menschen setzen sich häufig ohne Grund unter Druck
Für den Neurowissenschaftlers sind es oft falsche Grundannahmen, die zu einer Überschätzung von Stress führen. Er warnt vor den Konsequenzen dieser angstbesetzten Stressüberschätzung, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken kann: „Die falschen Vorstellungen von Stress können dazu führen, dass Menschen diesen in vielen Situationen des Lebens überschätzen. Die mögliche Konsequenz dessen wiederum ist, dass man sich oft bereits wegen belanglosen Situationen unter Druck setzt, weil man eine vergleichsweise harmlose Situation als gefährlich interpretiert.“
Diskrepanz zwischen Empfinden und Messergebnissen
Studien belegen, dass die Diskrepanz zwischen subjektivem Empfinden und objektiven Messergebnissen weit verbreitet ist. Menschen fühlen sich gestresst, obwohl physiologische Messungen keine von der Norm abweichenden Werte zeigen. Die häufige Verwendung des Begriffs Stress und seine einseitige Darstellung in den Medien führen nach Auffassung von Busch zu Un- und Fehlwissen in der Bevölkerung: „Nicht jede alltägliche Anstrengung, die uns abends erschöpft auf der Couch darnieder sinken lässt, ist krankmachender Stress, der uns Sorgen machen müsste“, sagt er und fügt hinzu: „Was anstrengend ist, macht einen noch lange nicht krank!“
Stress verstehen: Aufklärung als Schlüssel zur Entlastung
Busch plädiert für eine ehrliche und kritische Aufklärung über Stress. Die Ängste vor den vermeintlichen Folgen müssten demnach abgebaut werden, um den Stress selbst zu reduzieren. Er betont, dass viele subjektive Stressbeschwerden vermieden werden könnten, wenn die Zusammenhänge richtig verstanden würden: „Die Wahrheit ist: Nicht die Anspannung aufgrund einer anstrengenden Aufgabe oder Herausforderung macht den Stress pathologisch, sondern vor allem die Angst vor dessen Folgen. Das ist ein bedeutender Unterschied.“
Effektive Strategien zur Stressbewältigung
Wie lässt sich Stress im Alltag besser bewältigen? Eine positive Einstellung zu den Belastungen des Lebens, gepaart mit effektiven Entlastungsstrategien, kann laut dem Regensburger Wissenschaftler nachweislich das subjektive Wohlbefinden steigern. Er verweist auf Studien, die den Erfolg solcher Ansätze bei verschiedenen Berufsgruppen belegen.
„Lassen die Ängste vor den vermeintlichen Stressfolgen nach, lässt auch der Stress selbst nach“, formuliert Busch. Er plädiert für eine differenzierte Perspektive und hält wenig davon, Stress durch simplifizierende Darstellungen zu verteufeln und Angst vor Überarbeitung und Überforderung zu schüren.
„Verteufeln wir Stress nicht durch simplifizierende Darstellungen. Verbreiten wir keine Angst vor gelegentlichen Zuständen von Überarbeitung und Überforderung. Sonst erweisen wir der jüngeren Generation und uns selbst einen Bärendienst: Der empfundene Stress wird nicht weniger, sondern die Angst vor ihm immer größer“, lautet Buschs Credo.
Professor Dr. Volker Busch leitet am Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg die Arbeitsgruppe „Psychosozialer Stress und Schmerzforschung“. Mit seinem Team erforscht er die psychophysiologischen Zusammenhänge von Stress, Schmerz und Emotionen. Seit rund 15 Jahren ist er als Neurowissenschaftler, Arzt sowie als Speaker – unter anderem an den Eckert Schulen – und Trainer tätig.