Univ.-Prof. Dr. Constantin von See MaHM ist Experte für digitale Anwendungen in der Zahnmedizin und Direktor des Zentrums Digitale Technologien in der Zahnmedizin und CAD/CAM sowie Leiter der Abteilung Radiologie an der Danube Private University (DPU) im österreichischen Krems an der Donau. Die private DPU hat von Anfang an auf die Ausbildung der Zahnmedizinstudierenden auch in den neuen, digitalen Anwendungen und Verfahren gesetzt und mit der Gründung des Zentrums und der Berufung von Sees in der Ausbildung und Forschung eine innovative und für die deutsche und österreichische Universitätslandschaft einmalige Institution geschaffen. Niels Karberg und Nico Rothenaicher, beide Zahnmedizinstudenten an der DPU und Studierende im Bachelorstudiengang Medizinjournalismus, haben ihren Professor zu aktuellen Fragen der Digitalisierung in der Zahnmedizin, zu seiner Arbeit und der Rolle der Lehre in diesem Bereich befragt.
Gerade der 3-D-Druck beflügelt ja die Phantasie vieler Medien. Künftig kommt die Krone oder Brücke beim Zahnarzt direkt aus dem Drucker, heißt es dann gerne. Wie realistisch sind solche Vorstellungen und in welchem Zeitraum?
Es gibt bereits druckbare Kunststoffversorgungen am Markt. Zu diesen sind schon präklinische Untersuchungen erfolgt. Nachdem diese allesamt gute Ergebnisse lieferten, wurden die ersten provisorischen 3-D-gedruckten prothetischen Restaurationen am Patienten angewandt.
Welche Art von prothetischen Arbeiten kann man für den Patienten durch 3-D-Druck zurzeit herstellen?
Die derzeit möglichen Versorgungen sind nur im provisorischen Bereich zugelassen. Es handelt sich hierbei um Langzeitprovisorien für bis zu ein Jahr. Die druckbaren endgültigen Versorgungen aus Komposit sind in der präklinischen Phase in Erprobung, klinisch gibt es aber noch kein zugelassenes Material.
Definitive Indikationsbereich noch nicht klar formuliert
Was sind die Indikationsbereiche?
Die definitiven Indikationsbereiche sind noch nicht klar formuliert aufgrund der physikalisch-chemischen Eigenschaften, welche in vitro noch erprobt werden müssen. Somit können wir über die Indikation noch keine finalen Aussagen treffen.
Wie sieht es mit der Passgenauigkeit und deren Eigenschaften bezüglich Abrasion oder Verfärbungen aus?
Die bisher erreichte Präzision von druckbaren provisorischen Restaurationen ist gleichwertig mit den gefrästen Arbeiten. Hier ist kein Unterschied festzustellen.
Klinische Langzeitdaten über Abrasion oder Verfärbung von provisorischen Arbeiten, die bereits zur Bisshebung eingesetzt werden, liegen noch nicht vor. Hier bleibt abzuwarten, ob aufgrund der Materialeigenschaft stärkere Verfärbungen oder Attritionen im Vergleich zu gefrästen provisorischen Arbeiten eintreten.
Druckbare Keramiken noch nicht für die Zahnmedizin
Zurzeit sind nur Arbeiten aus Kunststoff zugelassen. Wann hält die Keramik Einzug in den 3-D-Druck?
Hier ist als Ausblick zu sehen, dass die ersten Schritte im Bereich der druckbaren Keramiken industriell bereits realisiert wurden. Diese sind aber noch weit entfernt von den Ansprüchen der Zahnmedizin in Bezug auf keramische prothetische Restaurationen. Vor allem im Bereich der Farbgebung ist noch kein druckbares Material auf dem Markt.
Was wird aus Ihrer Sicht die Digitalisierung der Zahnmedizin in naher Zukunft bestimmen?
Neben der reinen Fertigung ist derzeit das starke Bestreben die Zusammenführung der einzelnen zahnmedizinischen Fachbereiche, um auch umfassende Behandlungen und komplexe, aufeinander aufbauende Therapieziele digital umzusetzen. Dies wird vor allem in der Kommunikation von Fachspezialisten, zum Beispiel Kieferorthopäde und Kieferchirurg, ganz neue Möglichkeiten für den Patienten und den koordinierten Ablauf geben.
Datenplattformen erforderlich
Was ist dafür nötig?
Dazu ist es notwendig, dass für die Software entsprechende Datenplattformen generiert werden, aus denen alle Module, Diagnostik, Therapieplanung und Therapieumsetzung bis hin zur prothetischen Versorgung gesteuert werden können.
Wo schätzen Sie, befinden wir uns momentan?
In einem solchen Datenaustauschformat respektive komplexen Planungsgenerierung ist es vorstellbar, dass der CAM-Bereich direkt anzugliedern ist und damit eine räumliche Dislokation zwischen Diagnostik, Design (CAD) und Fertigung weltweit möglich ist. Hierzu gibt es bereits die ersten Anbieter auf dem Markt, die grenz- und sprachübergreifend die Dienste anbieten.
In welchen Bereichen sehen Sie hier noch Schwierigkeiten?
Die Probleme sind vor allem juristischer Natur, sie betreffen den Datenschutz und das Steuerrecht bezüglich des Serverstandortes. Es gibt einige Länder, welche für Medizinprodukte steuerbefreit sind. Somit stellt sich die Frage, wer der Fertigende ist: der Konstruktionsort, der Fertigungsort oder der Ort der Insertion der Arbeit.
Sehen sie auch Schwierigkeiten in Bezug auf den Umgang mit diesen Systemen oder der Finanzierbarkeit?
Neben der Euphorie für die Digitalisierung darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein erheblicher Schulungsaufwand nötig ist – neben hohen finanziellen Investitionen zur IT-Infrastruktur. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Halbwertzeiten bei digitalen Systemen deutlich hinter bisher bekannten Laufzeiten für dentalmedizinische Systeme hinterherhinken. Als Beispiel: Für einen 20 Jahre alten Zahnarztstuhl gibt es heute noch Ersatzteile zu kaufen, für einen 3-D-Drucker in fünf Jahren vermutlich nicht mehr. Dies erfordert ein Umdenken.
„Die Systeme sind nicht selbsterklärend“
Welche Rolle nimmt hier die DPU ein?
Die DPU hat die Notwendigkeit, hier Ausbildung zu betreiben, erkannt und umgesetzt. Die Systeme sind nicht selbsterklärend, wie leider häufig von der Industrie dargestellt. Es gibt eine wissenschaftlich nachgewiesene Lernkurve sowohl in der digitalen Abdrucknahmen als auch für die CAD/CAM-Verfahren, zum Beispiel beim Design einer Krone. Die dort semiautomatisiert vorgeschlagenen Designs mit der Abstimmung entsprechender Parameter auf Schichtstärken und Befestigungsmaterialien entsprechen häufig nicht der klinischen Realität und bedürfen häufig einer Angleichung und Nachbesserung durch den Bediener. Auch im Bereich der Nachveredelung, betreffend den Umgang mit Malfarben der Keramik bei keramisch gefrästen CAD/CAM-Arbeiten, stellt dies den Studenten in der Ausbildung vor große Herausforderungen, die eine angemessene Schulung notwendig machen.
Einfachere Bedienung und „augmented reality“
Was sind die Schwerpunkte der Forschung und Lehre hierzu an der DPU in Krems?
Die Schwerpunkte sind additive Fertigungstechniken, auch im Bereich HCI, das heißt Human Computer Interaction, und einfacher Bedienung komplexer digitaler Geräte. Die zukünftigen Möglichkeiten auch in Bereichen der Patientenansprüche über „augmented reality“ werden die Notwendigkeit der Digitalisierung in Zukunft verstärken und bedürfen somit einer verbesserten Ausbildung in diesem Bereich.
Prof. Constantin von See ist auch Autor des Fachbeitrags „3-D-Druck und die klinische Anwendung – was wissen wir?“ in der Quintessenz Zahntechnik 2/2018.