Die Diagnostik sowie Planung und Umsetzung in der prothetischen Rehabilitation sind essenziell für das finale ästhetische und funktionelle Behandlungsergebnis. Um dies zu erreichen, bedarf es einer sehr engen Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Zahntechniker unter Einbeziehung des Patienten. Das Verständnis für die Behandlung aufseiten des Patienten ist besonders wichtig, wenn das Erscheinungsbild der Zähne verändert werden soll. DIe Autoren um Felix Burkhardt beschreiben anhand eines Patientenfalls für die Implantologie 2/19 detailliert das Vorgehen der virtuellen Diagnostik mithilfe einer Augmented-Reality-Software, mit der anschließenden Einprobe eines virtuell erstellten und gedruckten Mock-ups bis hin zur CAD/CAM-Fertigstellung der Rekonstruktion. Dieses Konzept vereinfacht die Kommunikation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker und lässt den Patienten auf verständliche Art und Weise an der Planung teilhaben.
In keiner anderen Disziplin der Zahnmedizin schreitet die Entwicklung so schnell voran wie in der Implantologie. Ziel der Zeitschrift ist es, dem Fortbildungsangebot im Bereich der Implantologie durch die Veröffentlichung praxisbezogener und wissenschaftlich untermauerter Beiträge neue und interessante Impulse zu geben und die Zusammenarbeit von Klinikern, Praktikern und Zahntechnikern zu fördern. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
Einleitung
Der Wunsch, Strukturen dreidimensional (3-D) zu betrachten, geht weit an den Anfang der digitalen Revolution zurück. Erstmals 1968 wurde die Technik eines Displays beschrieben, das dem Betrachter eine 3-D-Umgebung darstellte, wobei die Position im virtuellen Raum mit Kopfbewegungen gesteuert werden konnte1. Bei dieser Technik handelt es sich um eine „Virtual Reality“, weil ausschließlich künstlich projiziert Informationen gezeigt werden. Heutzutage sind wir alltäglich mit Technik umgeben, wie zum Beispiel dem Head-up-Display im Auto, das Informationen in die Windschutzscheibe projiziert und damit die reale Umgebung mit virtuellen Informationen erweitert – auch unter dem Anglizismus „Augmented Reality“ bekannt.
In der Zahnmedizin gibt es verschiedene Anwendungsgebiete der Augmented Reality: geführte Implantation in der Chirurgie, präoperative Planung in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, rekonstruktive Zahnmedizin, Kieferorthopädie und Endodontologie2.
In der rekonstruktiven Zahnmedizin kann Augmented Reality insbesondere in der Diagnostik und Visualisierung vor Behandlungsbeginn hilfreich sein. Hier entfaltet sich das gesamte Potenzial der Applikationen, besonders als Hilfsmittel in der professionellen Patientenkommunikation, um die Zeiteffizienz in der Praxis zu steigern und die Kommunikation mit dem zahntechnischen Partner zu verfeinern. Die ästhetischen Parameter und Wünsche des Patienten lassen sich reproduzierbar übertragen und so die Arbeitsprozesse deutlich vereinfachen.
Grundsätzlich können zwei Arten der Visualisierung unterschieden werden. Die einfachste ist die Bildbearbeitung von zweidimensionalen Fotos. Diese gibt den Patienten nur in einer Situation wieder, die Position vom Kopf sowie auch die Mimik der Mundpartie sind statisch, wodurch die veränderte Ästhetik der Zähne ausschließlich für diese eine Position wiedergegeben wird.
Diese Technik kann als Computeranwendung oder als App auf dem Tablet verfügbar sein3. Ein Nachteil neben der zeitaufwendigen Übertragung von Fotos ist, dass die Diagnostik immer zeitlich verzögert dargestellt wird und verschiedene Fotos jeweils eine Anpassung der Positionierung des virtuellen Mock-ups benötigen. Die hier beschriebene Technik umgeht dies mit der Verwendung von Livedaten, wodurch mit den Bewegungen und der Mimik ein 3-D-Eindruck entsteht. Dabei wird die Positionierung des Mock-ups in Echtzeit positionsgerecht der Bewegung des Patienten angepasst. Im folgenden Beitrag wird anhand einer Software (Ivosmile, Ivoclar Vivadent) diese Technologie beschrieben. Die Software erkennt automatisch bei einer Mundöffnung die Positionierung der Zahnreihe im Gesicht, ohne dass zusätzlich Referenzpunkte definiert werden müssen, wie bei der Überlagerung von 3-D-Daten mit Gesichtsscans bekannt4.
Eine Feinjustierung erfolgt in den folgenden Schritten, dafür empfiehlt es sich, die Liveansicht in der Anwendung zu pausieren. So können Behandler und Patient das virtuelle Mock-up zusammen modifizieren, ohne dass die Bewegungen des Patienten feine Anpassungen erschweren oder der Patient gezwungen ist, die ganze Zeit zu lächeln. Die Änderungsmöglichkeiten sind vielfältig. Nach Auswahl der Grundzahnform kann der Entwurf über Positionierungstools verschoben und rotiert, Zahngröße, -länge und -breite angepasst und natürlich auch die Zahnfarbe variabel an die Wünsche des Patienten angeglichen werden. Sobald die virtuellen Zähne entsprechend eingestellt sind, kann durch Umschalten in die Liveansicht der Patient mit diesem Vorschlag erneut in Echtzeit betrachtet werden und so das projizierte Mock-up bei jeder mimischen Veränderung oder beim Sprechen in seinem Gesicht betrachten werden. Dadurch gleicht dieser Prozess mehr dem Blick in den Spiegel als der Betrachtung eines Fotos am Bildschirm. Die Verwendung der diagnostischen Planung ist vielfältig und eignet sich für ästhetische Korrekturen mit Veneers sowie für komplexe Fälle mit fehlenden Zähnen für die Planung der prothetisch richtigen Implantatposition.
Das Konzept wird am nachfolgenden Patientenfall vorgestellt.
Patientenfall
Anamnese und klinischer Befund
Die Patientin stellte sich in der Universitätsklinik für Zahnmedizin in Genf für die Behandlung ihrer abradierten und erodierten Zähne vor (Abb. 1 bis 3). Zum Schutz der Zähne benutzte die Patientin bereits eine Nachtschiene. In der Ernährungsanamnese beschrieb die Patientin den morgendlichen Konsum von Energydrinks. Funktionelle Anamnese und Befundung zeigten keine Auffälligkeiten auf. In der parodontalen Untersuchung stellten sich alle Sondierungstiefen unauffällig dar. Der benannte Behandlungswunsch der Patientin zielte auf eine minimalinvasive Behandlung mit einer Wiederherstellung der dentalen Gesundheit, Funktion und Ästhetik.
Klinische Problemstellung und geplante Behandlung
Ein Verlust in der vertikalen Dimension, als klinischer Befund durch Attrition sowie Erosion bedingt, kann durch additive Konzepte in der adhäsiven Zahnmedizin inzwischen minimalinvasiv behandelt werden5. Im vorliegenden Fall sollte der stärker abgenutzte Unterkiefer mit CAD/CAM-Onlays wieder aufgebaut und dadurch die verloren gegangene Zahnhartsubstanz mithilfe einer Bissöffnung ersetzt werden.
Vorbehandlung
Der tägliche Konsum von Energydrinks, welcher die Erosionen begünstigte, wurde nach einer Aufklärung über die Schädlichkeit eingestellt. Symptome eines aktiven Bruxismus konnten nicht festgestellt werden6. Die Patientin akzeptierte den vorgeschlagenen Behandlungsplan unter Einbeziehung einer Bissöffnung.
Diagnostik mit Augmented Reality
Zunächst wurde ein konventionelles Wax-up auf einem Modell vom Zahntechniker hergestellt, um die Ästhetik mit einer Reduktion des Diastemas zu verbessern. Die Einprobe erfolgte mit einem Silikonschlüssel als Mock-up in den Mund. Aufgrund der verbesserten Ästhetik wurde die Patientin neugierig und wollte gern weitere Möglichkeiten bezüglich der Formgebung und der Positionierung diskutieren.
Umfassendere Veränderungen von manuell erstellten Wax-ups sind zeit- und kostenintensiv, da sie erneut im Labor erarbeitet werden müssen und mindestens ein weiterer Termin in der Praxis für die Einprobe benötigt wird. Alternativen zu einem realen Mock-up sind virtuelle Designs. In dem vorliegenden Fall kam eine Software (Ivosmile) zur Anwendung, welche das virtuelle Mock-up in eine Liveansicht projiziert (Abb. 4 bis 7). Zusammen mit der Patientin wurden verschiedene Vorschläge erarbeitet, diskutiert und im Anschluss als Videodatei gespeichert (Abb. 8, Video auf YouTube ansehen). Nachdem die Patientin sich für ein visualisiertes Design entschieden hatte, wurde das virtuelle Mock-up in ein reales Mock-up übertragen.
Vom virtuellen zum try-in Mock-up
Die gespeicherten Informationen in der Software und ein initialer optischer 3-D-Abdruck des Oberkiefers dienten dazu, die Daten in der CAD-Software (Tizian Exocad, Schütz Dental) zu überlagern. Das neue Design wurde als Wax-up auf den Intraoralscan berechnet (Abb. 9 bis 13) und das Modell zusammen mit dem Wax-up gedruckt7 (CARES P Series, Straumann) (Abb. 14).
Die Möglichkeiten in der Berechnung beim virtuellen Wax-up sind vielfältig, da die Daten im offenen STL-Format (Standard Tessellation Language) zur Verfügung stehen. Der Vorschlag kann komplett übernommen werden, wie zum Beispiel bei invasiveren Rekonstruktionen mit ausreichendem Platzangebot oder wenn die Zähne ideal im Zahnbogen stehen. Sollten Zähne jedoch außerhalb der optimalen Position stehen und keine kieferorthopädische Therapie geplant sein, liefern die Daten ferner Informationen über die Inzisalkantenposition, die Zahnformen und -länge, auch wenn das finale Design in der CAD-Software an die außerhalb des Zahnbogens stehenden Zähne angepasst werden muss.
Klinische Einprobe
Für die klinische Einprobe wurde von dem bis dahin komplett digitalen und virtuellen Workflow ein Modell gedruckt, welches die Daten des initialen Scans und des virtuellen Mock-ups umfasst. Von diesem gedruckten Modell wurde ein Silikonschlüssel (President Putty, Coltène) hergestellt, welcher mit dünnfließendem Silikon (Aquasil Ultra LV, Dentsply Sirona) unterfüttert wurde. Dies ermöglichte eine klare Darstellung der Konturen des mit einem provisorischen Kunststoff (Protemp 4, 3M) umgesetzten direkten Mock-ups, welches von der Patientin sogleich akzeptiert wurde.
Damit war die diagnostische Phase für die Frontzahnästhetik abgeschlossen und die klinische Behandlung konnte begonnen werden. Die Veneerpräparation erfolgte mithilfe des Mock-ups wobei der Schmelz nur in den Bereichen reduziert wurde, welche der gewünschten Zahnform im Wege standen8. Zervikal und approximal wurden alle Unterschnitte entfernt, eine minimale Hohlkehle präpariert und die Schneidekanten abgerundet. Dies entspricht einer minimalinvasiven Präparation, welche aufgrund der bereits reduzierten Dimensionierung und idealen Positionierung der Zähne umsetzbar war9. Zähne 13 und 11 waren bereits mit Veneers versorgt und wiesen invasive Präparationen auf (Abb. 18).
Die gesamte digitale Dokumentation (initiale Fotos, Fotos mit Mock-up, STLs, gedrucktes Modell des finalen Designs) und die Abformung wurden dem Zahntechniker übergeben, der mit den vorhandenen Informationen die Arbeit im digitalen Workflow direkt fertigstellen konnte. Alle Rekonstruktionen wurden aus Lithiumdisilikatkeramik (e.max CAD, Ivoclar Vivadent) mithilfe von CAD/CAM hergestellt10,11, womit der Workflow von der Visualisierung über die digitalen Planung bis zur Umsetzung dargestellt wurde. Für eine individuelle Ästhetik wurden die Veneers zusätzlich vestibulär minimal verblendet (IPS e.max Ceram, Ivoclar Vivadent) (Abb. 19 bis 21).
Fertigstellung
Die Einprobe der Veneers 15 bis 25 erfolgte mit einer Try-in-Paste (Variolink Esthetic Try-In, Ivoclar Vivadent). Eingesetzt wurden die Veneers unter Kofferdam mit einem lichthärtenden Komposit (Variolink Esthetic LC, Ivoclar Vivadent) (Abb. 22). Dafür wurden die Herstellerangaben für das Zementieren verfolgt12. Nach Abschluss der ästhetischen Rehabilitation erhielt die Patientin zum Schutz eine Nachtschiene.
Diskussion
Die konventionellen Prinzipien und Techniken der Frontzahndiagnostik sind ausreichend beschrieben13–15. Diese sind weiterhin hervorragende Mittel, um Patienten an eine neue Rekonstruktion heranzuführen. Jedoch ist der erhöhte Zeitbedarf mit einem höheren finanziellen Aufwand verbunden. Neue Softwaretechnologien und steigende Rechenleistung bringen die bewährten Konzepte auf immer intuitivere Weise in die digitale Welt. Was mit manueller Bildbearbeitung begann, ist inzwischen hoch automatisiert und eine große Hilfe für die unmittelbare Patientenkommunikation16,17.
Das dargestellte Konzept zeigt die Möglichkeiten auf, von Beginn an die Planung mit 3-D-Daten zu verknüpfen und somit eine hohe Voraussagbarkeit gewährleisten zu können, da während der gesamten Planung bis zur digitalen Umsetzung für Patient, Zahnarzt und Zahntechniker die gleichen Informationen zugrunde liegen. Dies ist insbesondere für die Patienteneinbindung extrem hilfreich, weil dem Patienten eine sehr realistische Visualisierung seines zukünftigen Erscheinungsbilds dargestellt wird. Das Verständnis dafür ist essenziell, weil größere ästhetische Veränderungen eine Adaptationszeit für den Patienten nach sich ziehen18.
Ferner kann diese Methode helfen, bei komplexen Fällen durch eine zuverlässige Diagnostik in der prächirurgischen Planung die prothetisch richtige Implantatposition zu definieren.
Aktuelle Studien zeigen, dass die digitalen Technologien in der Praxis sowie im zahntechnischen Labor Vorteile mit sich bringen19–21.
Es ist wichtig, die Patienten über eventuelle Einschränkungen hinsichtlich der Umsetzbarkeit aufzuklären, wenn zum Beispiel Zähne nicht in der optimalen Position stehen oder gingivale sowie knöcherne Verhältnisse Kompromisse erfordern. Diese Faktoren werden von der Software nicht berücksichtigt. Der reale Mock-up nach der virtuellen Diagnostik ist ein wichtiger Bestandteil, um mögliche Einschränkungen bezüglich dentaler, parodontaler und funktioneller Gegebenheiten zu überprüfen und detailliert mit dem Patienten zu diskutieren.
Wie alle neuen Technologien unterliegt auch die beschriebene Technik des virtuellen dynamischen Mock-ups ständigen Neuerungen und Erweiterungen. Eine noch vorhandene Limitation im Arbeitsablauf ist, dass die Daten des erarbeiteten virtuellen Mock-ups noch nicht problemlos in eine CAD-Software übermittelt werden können. In dem hier beschriebenen Fallbericht wurde die fehlende Implementierung in dem Arbeitsschritt der Überlagerung des virtuellen Mock-ups und des initialen Abdrucks überbrückt, wobei eine Momentaufnahme aus der Ivosmile-App als Referenz diente. Mittlerweile besteht allerdings ein direkter Workflow, um die Software einfach mit der CAD-Software (3shape) zu verbinden. Zu dieser in diesem Beitrag beschriebenen neuen Methode stehen noch keine klinischen Studien zur Effizienz zur Verfügung und weitere Untersuchungen sind notwendig.
Schlussfolgerung
Die Applikation von Augmented Reality in der Zahnmedizin für diagnostische Zwecke ist zeiteffizient und unterstützt die Kommunikation mit dem Patienten sowie dem Zahntechniker. Gleichzeitig ermöglicht sie dem Patienten ein größeres Maß an Mitsprache auf dem Weg zur Bestimmung des geplanten Endresultats. Einige Vorteile des Konzepts sind:
- größeres Verständnis von Patienten gegenüber der Behandlung,
- Patient wird Teil der Entscheidungsfindung,
- zeitlich optimierte Abläufe,
- virtuelles Mock-up in der ersten Sitzung auch ohne Fotos und initiale Modelle,
- dynamische Echtzeitvisualisierung,
- realistische Darstellung,
- voraussagbare Umsetzung in die definitive Rekonstruktion.
Danksagung
Die Autoren danken Roland Mörzinger und Dr. Marcel Lancelle für die 3-D-Daten des virtuellen Mock-ups.
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de
Ein Beitrag von Felix Burkhardt, Prof. Dr. Irena Sailer, Vincent Fehmer, alle Genf, Schweiz, und Cem Piskin, Lausanne, Schweiz